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25.12.89 Im Ostharz
Viel Zeit ist nicht vergangen seit der Fahrt nach Wernigerode am Vortag, - nicht einmal 24 Stunden - da geht es schon wieder los. Immerhin galt es inzwischen den Heiligabend zu feiern und das Mittagessen mit Weihnachtsgans am ersten Feiertag zu verdauen. Aber das Wetter ist einmalig schön im Gegensatz zum gestrigen Tag: glasklare Sicht und keine Wolke am Himmel. Ob wir da nicht am Nachmittag noch rüberfahren - noch ist alles neu und aufgewühlt, sicher winken sich heute auch noch alle Menschen zu, das müssen die Kinder doch sehen usw.
Also sitzen wir bald im Auto und sind gegen 14 Uhr in Mattierzoll an der Grenze. Heute ist schon ganz schön was los, eine gute halbe Stunde müssen wir warten. Gleich hinter der Grenze geht es zu wie gestern, winken und lichthupen. Ganz der Erfahrene spiele ich meine Unbekümmertheit im Zuwinken aus. Auch Hessen kenne ich ja nun schon und zeige der Familie die Kuriositäten. Wir halten uns nicht lange auf und fahren über die Orte Dardesheim, Zilly, Langeln und Schmatzfeld Richtung Wernigerode. Womöglich kann ich auch da den Erfahrenen spielen und mit meinen Ortskenntnissen glänzen. Die Fahrt auf den Harz zu ist ein Erlebnis bei der klaren Sicht; auf den Brocken möchte man geradezu hinaufhüpfen, aber das ein anderes Mal.
In Wernigerode aber ist der Teufel los. Wir fahren um einen Großparkplatz herum, ohne die Zufahrt zu den Parkplätzen zu finden. Etwas konsterniert finden wir uns auf der Straße Richtung Blankenburg - auch nicht schlecht. Wernigerode läuft einem ja nicht weg. Die Burg kann man auch so sehen, weniger schön ist der Schleier von Rauch und Dunst, der den Schornsteinen entströmt und sich vor dem Rand des Harzes als eine braungraue Schicht ablagert.
Richtung Blankenburg wirkt die Landschaft abwechslungsreicher als wir sie am westlichen Harzrand gewöhnt sind. Von Blankenburg kriegen wir nicht viel mit, sondern begeben uns gleich auf die Straße Richtung Elbingerode. Die führt bald steil bergauf, vorbei an Anwesen, die man früher sicher "hochherrschaftlich" nennen konnte, die aber heute unerklärlicherweise verwahrlost sind. Wenn hier der Tourismus einfällt, müssen diese Grundstücke und Gebäude doch einen erheblichen Wert bekommen. Vielleicht läßt sich so noch einiges retten, auch wenn wir nicht wünschen wollen, daß durch den Tourismus soviel kaputt gemacht wird wie anderswo auf der Welt. Da sehen wir auch schon auf leuchtendem Weiß die Aufschrift, auf die wir als darbende Radtoutistiker immer besonders freudig reagieren: "Zimmer frei". Das klingt wie ein Befreiungsschrei der Vermieter nach den Jahren der staatlichen Maßregelungen. Auf das "Zimmer frei" kommen wir sicher - wenn auch nicht hier - nochmal zurück.
Auf kurvenreicher Straße geht es steil bergauf, bald sehen wir Blankenburg schon tief unter uns liegen. Jetzt sind wir im Ostharz, wer hätte das gedacht. Und wir fahren in dem engen Tal der Bode hinauf auf einer Straße, wie man sie heute im Westharz wohl nicht mehr antrifft, einer Straße, die sich der Landschaft anpaßt und nicht umgekehrt.
Nachdem man die Höhe gewonnen hat, öffnet sich das Tal zu einer weiten Hochfläche ähnlich der Gegend um Clausthal. Bald zeigen sich auch Brocken und Wurmberg von einer Seite, wie wir sie noch nie gesehen haben. Wir nennen das "von hinten". Vor Elbingerode passieren wir den Ort mit dem für mich magischen Namen "Rübeland". Gab es gestern Orte, deren Name uns völlig unbekannt war, so ist es hier anders herum: Rübeland mit den großen Attraktionen Herrmanns- und Baumannshöhle. Anfang der 70er Jahre habe ich schon einmal ein Werk darüber von Kloos/Neischl aus dem Jahre 1900 in den Fingern gehabt und habe die Höhlenpläne für einen Besuch irgendwann einmal kopiert. Soll das nun heute in Erfüllung gehen? Wieder heißt es: heute nicht. Zwar ist die Baumannshöhle geßffnet, aber sowas muß man auf der Zunge zergehen lassen, und dazu reicht nun am späten Nachmittag die Zeit nicht.
Auch durch Elbingerode fahren wir gleich durch, aber oberhalb Königshütte am Stausee Mandelholz meldet sich der Kaffeedurst. In dem Lokal Hohe Tannen (oder so ähnlich) genießen wir wieder eine denkbar preiswerte Kaffeebewirtung, sogar mit Kuchen. Heidi sitzt auf dem Sofa nur etwas tief und schaut gerade so über die Tischkante. Ein paar Kilometer weiter erreichen wir Elend, auch ein magischer Name. Schon als Schüler in den 50er Jahren hat uns das Hinweisschild "Elend 5 km" in Braunlage beeindruckt. Wie lang können 5 km sein? Die Antwort ist: 40 Jahre.
Hier ist ein Hinweisschild auf den Grenzübergang Braunlage, von dem wir nicht wissen, ob er inzwischen auch für Autos geßffnet ist. Wenn dort aber ein Hinweisschild steht, so wird das sicher gehen, wir können über Braunlage ausreisen und auf bekannten Straßen mit einbrechender Dunkelheit nach Hause fahren. Von Elend geht es noch einmal hinauf, dann kommt ein großer Parkplatz voll mit DDR-Autos und von da ab geht man zu Fuß weiter. Also nichts mit dem geplanten Nachhauseweg, dafür retour und es wird schon dunkel. Ab Elbingerode hinab nach Wernigerode wird die Fahrt dann auch unangenehm, Leitpfähle und Fahrbahmarkierungen hat man hier nicht. Solange man einen Vordermann hat, geht es noch ganz gut, außerdem ist diese Straße gut ausgebaut. In Wernigerode staut sich jetzt nach diesem schönen Ausflugnachmittag der Verkehr enorm. Wir sind froh, die zentrale belagerte Kreuzung überwunden zu haben und fahren nun vermeintlich Richtung Ilsenburg. Zwar bin ich erst gestern mit dem Rad hier entlanggefahren - erkenne aber nichts wieder. Auch zieht sich der Ort immer länger hin. "Cafe Diana" lesen wir im Vorbeifahren, das wäre uns doch zuvor auch schon aufgefallen? Schließlich das Ende des Ortes mit dem Hinweis: Schierke 12 km. Da sind wir ja gleich wieder da, wo wir herkommen. Komischerweise halten die Fahrzeuge, die hinter uns waren, plötzlich auch alle an. Offensichtlich habe ich Talent zum Rattenfänger.
Also auf dem Hinterreifen zurück, bis wir wieder Wenigerodes Verteiler erreichen und nun richtig nach Ilsenburg abbiegen. Doch da naht das nächste Unheil, der berüchtigte rote Lindwurm über Berg und Tal vor uns, ein Stau von wohl 10 km bis zur Grenze. Nochmal schnell reagiert, gewendet und zurück nach Wernigerode. Da war ich nun schon oft. Wieder über die große Kreuzung, irgendwie entlang an dem sonderbaren Parkplatz - dann ratlos, rechts ran und ein Blick in die Karte. Aber wie es heute so ist, jeder mag jeden, schon klopft es an die Seitenfenster, ob man uns helfen könne. Na und ob, wo geht es nach Dardesheim - Hessen, aha, um zwei Ecken und Aufatmen. Jetzt ist wenig Verkehr, bei der Dunkelheit angestrengtes Fahren, aber wohlbehalten erreichen wir die Grenze.
Als wir wieder zu Hause sind, können wir uns wieder nicht vorstellen, daß man an einem Nachmittag soviel erleben kann.
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26.12. Nachmittagsspaziergang
Inzwischen ist der zweite Weihnachtsfeiertag, das Wetter ist
immer noch schön, da hält es uns wieder nicht zu Hause. Heute wollen
wir aber eine bescheidene Unternehmung machen, indem wir nach Hornburg
fahren und uns den dortigen Grenzübergang für Fußgänger ansehen wollen.
]ber Börßum und Hornburg fahren wir Richtung "Grenzübersichtspunkt", so
hieß das früher. Auch hier waren wir schon einmal Anfang der 70er
Jahre. Die Grenze verläuft quer über den Kleinen Fallstein, einem meist
kahlen, stellenweise mit Kiefern bestandenen Bergrücken. Man hat eine
schöne Aussicht zum Harz hinüber, heute ist es etwas dunstig.
Der Weg zum Grenzübergang ist stark bevölkert, bald parken wir am Wegrand und gehen zu Fuß weiter. Man gelangt an einen Parkplatz, der voll besetzt ist. Weiter geht es am Hang entlang, nach wenigen hundert Metern ist die ]bergangsstelle. Man sieht, wie hastig dieser ]bergang eingerichtet wurde, Büsche am Wegrand sind gestutzt, die Wegränder freigeschoben, ein paar Betonplatten liegen zwischen den beiden deutschen Staaten. Reisepässe raus, Zählkarte entgegennehmen und weitergehen - das ist jetzt schon nichts besonderes mehr.
Wieder kann man die Grenzanlagen studieren, hier sind sie noch zusätzlich durch elektrische Alarmdrähte gesichert. Das Dörfchen Rimbeck, in das wir jetzt gehen, ist auf der westlichen Seite durch einen Extrazaun abgeschottet. Für die Landwirtschaft existiert ein großes Tor, damit man auf die [cker gelangen kann. Wir gehen nun in das Dorf hinein, es macht alles einen sehr sauberen Eindruck. Viele Häuser zeigen auch hier Anzeichen des Verfalls. Die Dorfstraße ist gepflastert, man sieht ihr an, daß es hier bisher wohl kaum Verkehrsprobleme gegeben hat. Rechts liegt eine Gastwirtschaft, wir schauen kurz hinein, aber es ist zu voll. Sonst ist das Dorf wie ausgestorben, ob die Einwohner sich angesichts der flanierenden Menge von satten Bundesbürgern nicht schon wie im Zoo vorkommen?
Vorne liegt die Kirche, da zieht es uns wie immer hin. Diesmal erleben wir wieder etwas neues, die Kirche ist total verwahrlost, alle Fenster herausgeschlagen. Durch die Fensterhöhlen sieht man das Gestühl und einen hölzernen Altar, der fast schon Wind und Wetter preisgegeben ist. Eine Frau kommt mit einem Plastikeimer aus einem Haus gegenüber, sie bietet den Besuchern Honigkuchen an, der sehr gut schmeckt. Von ihr erfahren wir einiges über das Dorf. Da es absolut im Sperrbezirk der Grenze liegt - gelegen hat - darf man endlich sagen, hat man jahrelang seine Existenz gewissermaßen ignoriert, um den Leuten das Wohnen dort immer mehr zu verleiden. Selbst ein Ortsschild gab es nicht, um eventuellen Grenzgängern die Orientierung zu erschweren. Trotzdem sei noch in diesem Jahr einer "rübergemacht", mit Teppichen ist er über den Zaun gekrabbelt, dann 2 km durch den Sperrstreifen gelaufen und schließlich über die Grenze geklettert. Die Kirche sei seit 18 Jahren nicht mehr benutzt worden, hoffentlich wird ihr nun im Zuge des Neuaufbaus auch das Ihre zuteil.
Nun marschieren wir wieder zurück, es ist ein ganz schönes Stück Weg bis zum Auto, das haben wir auf dem Hinweg gar nicht so gemerkt. In Hornburg suchen wir noch ein wärmendes Cafe auf, mit der Dunkelheit fahren wir nach Hause.
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30.12. Von Braunlage nach Elend
Am Freitag sind wir nach Braunlage gefahren, wo wir über
Sylvester bleiben wollen. Am Sonnabend dann wollen wir uns auch mal den
]bergang nach Elend ansehen, dem wir ja am 1. Weihnachtstag schon so
nahe waren. In Braunlage geht man von der Wurmbergstraße aus zu Fuß, es
fährt auch ein Bus im Pendelverkehr. Es sind wieder eine überraschend
große Menge Menschen unterwegs. Da kein Schnee liegt, mangelt es
allerdings auch an den Wintersportmöglichkeiten. Wir gehen wie gewohnt
durch die Kontrolle, hier wird erstmal beanstandet, daß Stefanies
Kinderausweis nicht mehr gültig ist, aber das hat keine weiteren
Konsequenzen.
Auf der anderen Seite ist auch ein Buspendelverkehr eingerichtet, leider fährt gerade ein Bus ab, als wir an der Haltestelle erscheinen. Mit einigen anderen Leuten müssen wir nun fast eine halbe Stunde bei unangenehmen Temperaturen auf den Bus warten. Hätte man das gewußt, wären wir die 5 km nach Elend zufuß gelaufen. Viele fahren mit dem Taxi, die alle 5 Minuten auftauchen und gut zu tun haben. Endlich kommt der Bus, der ist im Nu voll, und dann ab die Post. Weit hinter der Grenze passieren wir wieder einen inneren Sperrzaun, der nochmal genauso gesichert ist, wie die Grenze selbst. Dann geht es nach Elend hinein, am Bahnhof steigen wir aus.
Hier ist ein Restaurant, das erst in einer Stunde öffnet. Erwartungsvoll gehen wir nun in den Ort, ein kleines Andenkengeschäft, sonst gibt es nicht viel zu sehen. Einige Häuser sehen recht schmuck, andere dagegen wieder verwahrlost aus. Woran mag das in diesem bisher sozialistischen System liegen. Am Ende der Straße vom Bahnhof herunter liegt inmitten einer großen Wiese die kleine Kirche von Elend, angeblich der kleinsten der DDR. Da gibt es den Spruch: "Wenn alle hineingehen, gehen nicht alle hinein, aber da nicht alle hineingehen, gehen alle hinein" (bei einem späteren Diavortrag über den Ostharz aufgegabelt). Wir blinzeln durch die Fenster, da kann man nichts erkennen. Laut Aushang finden hier aber Gottesdienste und Andachten statt.
Um die Ecke liegt ein Gewerkschafts-Erholungsheim, da ist ein Restaurant für die \ffentlichkeit angeschlossen. Freudig beziehen wir in dem gut besetzten Lokal einen freien Platz, es muß dringend aufgewärmt werden. Wir bekommen auch gut zu essen, Kottlet für DM 3.80 und ein Bier für gut 50 Pfennige. Am Tisch sitzen noch zwei Familien, die sich hier getroffen haben, eine aus dem Westen, die andere aus dem Erzgebirge. Die wollen noch zurückfahren und haben eine lange Fahrt vor sich. Unsere Bedenken, daß bei den Preisen die Gefahr besteht, daß die Bundesbürger den DDR-Einwohnern alles wegschnappen, werden nicht geteilt. Aber ich bin mir nicht so sicher, wie das in Zukunft bei den zu erwartenden Invasionen in den Ostharz funktionieren soll.
Dann brechen wir auch auf und begeben uns zum Bahnhof. Wieder fährt gerade ein Bus los, wir versuchen noch gestikulierend, ihn zum Anhalten zu bewegen, aber der Fahrer nimmt keine Notiz von uns und biegt ungerührt in die Straße Richtung Elbingerode ein. Nun - da wollten wir ja auch gar nicht hin. Da kommt wieder ein Taxi, diesmal spendieren wir uns also das. Für DM 7.60 bringt es uns an die Grenze, der Preis von 50 Pfennig pro km scheint doch nicht zu stimmen. So sind wir schnell wieder in Braunlage, wo wir erstmal einen wohlverdienten Mittagsschlaf halten.
Nach Neujahr erfahren wir aus dem Fernsehen, daß hunderte von Menschen in der Sylvesternacht von Elend und Schierke auf den Brocken gestiegen sind, das haben wir leider verpaßt.
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24.2. Der Brocken
Nach sechs Wochen DDR-Abstinenz hat das Wetter mit einem
eher dem Mai als dem Februar entsprechenden Klima in den vergangenen
Tagen uns wieder unternehmungslustig gemacht. Eine Woche zuvor lag noch
Schnee im Harz, das einzige Mal in diesem Winter. Inzwischen ist es so
warm gewesen, daß wohl kaum etwas davon übrig geblieben ist. Meine
Absicht, "DIE" Brockenbesteigung erstmals auf Ski oder mit dem Fahrrad
durchzuführen, wird aufgegeben, weil Stefanie bei einer Besteigung auf
Schusters Rappen mitkommen will - um mir einen Gefallen zu tun - ich
dagegen nehme sie mit, um ihr einen Gefallen zu tun. Für den Rest der
Familie sind andere Werte wichtiger.
So starten wir nach dem Frühstück mit dem Auto bei schönem Sonnenschein. Leider ist es im Gegensatz zu den vergangenen Tagen viel dunstiger, so bekommen wir den Harz und unser alles überragende Ziel erst in der Höhe von Vienenburg zu Gesicht. Hier nehmen wir den Grenzübergang nach Lüttgenrode, mit etwa 15 Minuten Wartezeit sind wir gut bedient. Auf Straßen, die ich nun sogar schon vom Radfahren kenne, geht es nach Wernigerode. Es löst bei mir große Verwunderung aus, daß der Verkehr nur spärlich ist, bei meiner notorischen Angst vor Autodrängelei hatte ich angesichts des Wetters mit dem schlimmsten gerechnet. "Nun mecker doch nicht immer" sagt Stefanie, als ich immer wieder den Kopf schüttele. So geht es relativ einsam die Straße hinauf über Drei Annen Hohne nach Schierke - ab und zu nur "hetzt" uns ein Trabbi. Wieder ist das erstmalige Befahren einer Ostharzstrecke ein beeindruckendes Erlebnis.
Am Ortseingang von Schierke muß ich nun wieder nach Gefühl fahren, da man sich hier noch nicht auskennt. Wir halten uns links, überqueren eine Brücke und finden sogleich einen Parkplatz an dem Fahrweg, wo der Aufstieg zum Brocken schon ausgeschildert ist. Nachdem in den letzten Wochenenden der Verkehr im Raum Schierke regelmäßig zusammenbrach, bin ich wieder baß erstaunt darüber. Wir packen alles für den Weg in den Rucksack und machen uns froher Dinge auf den Weg. Gleich darauf begegnet uns jemand in einem "Offroader", den ich aus Braunschweig kenne, solche Leuten nennt man wohl "Yuppi": "hab ich Geld, gehört mir die Welt". Uns gehört die Welt genauso, in bester Laune ziehen wir weiter. Am Wegesrand sehen wir zahlreiche kräftige Triebe einer seltsamen Pflanze, deren Bestimmung steht noch aus. Parallel zur Ortsdurchfahrt von Schierke führt der Weg zuerst zu einem großen Parkplatz, wo wohl die Mehrzahl der Brockenbesucher das Auto abstellt. Es sind fast mehr DDR-Fahrzeuge als Westkarossen auszumachen. Wir gehen einmal so durch, wo die Leute alle herkommen mögen: Halle, Leipzig, Magdeburg und Hannover, Kassel, Braunschweig. Eine echte deutsch - deutsche Veranstaltung liegt vor uns.
Hinter dem Parkplatz geht es auf einem hübschen Weg an einer Schneise entlang, hier liegen schon viele Granitblöcke herum. Auf Schautafeln kann man Kenntnisse über Geologie, Fauna und Flora erwerben. Man quert dann wieder den Bach - die warme Bode - und befindet sich zwischen einigen komfortabel wirkenden Erholungsdomizilen am brockenseitigen Ortsausgang von Schierke. Aber es gibt auch Wohnblocks, die hier reinpassen wie die Faust aufs Auge. Der aufragende Schornstein eines Heizwerks sorgt für die Qualität des Luftkurortes.
Nun beginnt der eigentliche Anstieg, entsprechend strömen die wanderwütigen Massen sternförmig auf diesen Punkt zu. Es sind wenig mehr als 10 km bis zum Gipfel des Brockens. Links geht die Fahrstraße ab, rechts hinauf über einen etwas matschigen Weg (Rodelbahn) gelangt man auf die alte Bobbahn, auf der der Weg weiterführt. Bis in die 50er Jahre hat man die Bobbahn noch für Rennen benutzt, mit bis 100 km/h ist man damals schon hinuntergebrettert. Wir haben die Jacken längst im Rucksack verstaut und können uns den Weg als Rodelbahn trotz der gelegentlichen Schneereste schlecht vorstellen.
Man kommt an eine Schutzhütte und kreuzt erstmals die Trasse der Brockenbahn. Wie man an den verrosteten Schienen sieht, sind sie noch nicht wieder benutzbar. Es gelingt nicht, zu rekapitulieren wann hier das letzte Mal regulärer Betrieb herrschte, vielleicht war das noch vor dem Krieg - das müssen wir noch in Erfahrung bringen.
Nun geht es durch den Wald weiter hinauf, vor und hinter uns ein unabsehbarer Strom von Menschen. Am Dialekt erkennt man meist, ob von hüben oder drüben. Gespräche mit Mitwanderern kommen leider nicht auf, vielleicht suchen wir sie auch nicht. Als man das nächste Mal die Bahnstrecke quert, vereinigt sich der Wanderweg mit der Fahrstraße. Das ist zwar weniger romantisch weil auf geteerter Straße, doch ist der Bereich um den Brocken nach den Jahrzehnten der Abgeschiedenheit ein äußerst schützenswertes Refugium für Tiere und Pflanzen. So sind die abzweigenden Wege mit Recht durch quergelegte Baumstangen gesperrt. Ab und zu weisen Schilder an den Bäumen den angrenzenden Wald als Naturschutzgebiet aus, das Verlassen des Weges ist natürlich verboten. Je weiter man nach oben kommt, desto urwüchsiger wird der Wald, umgestürzte Bäume liegen am Boden, noch stehende Baumleichen strecken ihre verdorrten Arme bizarr in die Luft. Andererseits sieht es hier gar nicht so nach systematischem Waldsterben aus wie etwa am Wurmberg gleich gegenüber. Womöglich liegt das daran, daß hier robustere Fichten zu Hause sind, die sich kaum zur holzwirtschaftlichen Nutzung eignen. Immer wieder kann man bewundern, wie sich die Wurzeln der Bäume um die Granitblöcke krallen, auf denen sie ihren kargen Standplatz gewählt haben.
So langsam nähern wir uns mitsamt der Karawane dem Gipfel, den man auf dem ganzen Weg bisher nicht zu Gesicht bekommen hat. Endlich ist es soweit, rechts voraus sieht man die Gebäude und den rot-weiß geringelten Sendeturm. Gleich verschwinden diese aber wieder hinter Bäumen, und dann gelangen wir wieder an die Brockenbahn und gleich dahinter die deutsche Mauer aus Qualitätsbeton. Hier hat noch kein Mauerspecht daran genagt, unversehrt wie eh und je schützt sie hier die Gipfelregion des Brockens vor den allgegenwärtigen ]bergriffen. So unschön dieser Anblick heute ist, so kann man wohl doch erwarten, daß dieses Bau-Weltwunder in den nächsten Jahren verschwindet. Also schön fotografieren für die Enkel.
"Immer an der Wand lang" geht es das letzte Stück der Brockenzufahrt hinauf. Dann öffnet sich die Lücke, hier haben noch im vergangenen Jahr einige Unentwegte den Zugang zum Brockengipfel mit Sprechchören "erkämpft" - schade, daß man nicht dabei war. Zwischen Wachttürmen hindurch betritt man nun das Allerheiligste. Links liegt der Brockenbahnhof, mit roter Schrift Steht "BROCKEN" an dem Gebäude, damit jeder weiß, wo er ist. Ob das nicht vor kurzer Zeit noch als allzu geschwätzig gegolten haben muß? Heute hat sich hier ein Imbißstand einquartiert, eine Menschenschlange wartet auf Atzung, Cola und Fanta sind aber schon durchgestrichen, doch Bockwurst gibt es noch. Das Innere des Bahnhofsgebäudes ist triste, oberhalb einer Treppe findet sich ein weiterer Imbiß. Wir haben Käsebrötchen im Gepäck und ziehen weiter, um uns einen windgeschützten Rastplatz zu suchen.
Rechts liegt ein weiteres Gebäude, mit Scheinwerfern bestückt und mit einem Zusatzzaun gesichert, so eine Art Aller-aller-heiligstes. Sicher bisher eine wichtiger Stützpunkt in Sachen Ost-West-Auseinandersetzung, inzwischen hat sich das wohl verlagert. Links oben die beiden Gebäude, die wir von zu Hause mit bloßem Auge erkennen können: ein großes Gebäude, rundum verschalt und verwettert sowie der auf drei Stelzen technisch imposante Sendeturm. Dahinter hausen die Russen. Ein wirklich malerischer Stacheldrahtzaun versinnbildlicht die eigentliche Lächerlichkeit ihres Tuns. Zwei Russen gehen mit umgehängten Gewehren ihre Wache ab, alle haben Pelzmützen auf. Ich traue mich natürlich nicht, ein Foto zu machen, außerdem ist der Film alle, es waren nur 8 Bilder drauf. Eine verfallene Halle rundet den feinen Eindruck des Domizils ab. Dabei nichts gegen die Russen, die Soldaten selbst können sowieso nichts dafür. Sehen wir doch auch den Bezug zum Westen, wo nach wie vor und weiterhin Milliardengeschäfte in der Rüstung getätigt werden (z.B. Jäger 90,...).
Nun aber erstmal eine Rast, hinter einer Gebäudeecke windgeschützt und im Sonnenschein genießen wir die Stimmung, Stefanie zählt die Marienkäfer, die sonderbarerweise äußerst zahlreich mitten im Winter auf dem Gipfel des höchsten norddeutschen Berges anzutreffen sind. Danach erst bemühen wir uns um die Aussicht. Gegenüber der Wurmberg wirkt annähernd gleich hoch, vom südlichen Harzvorland oder gar Kyffhäuser usw. ist wegen des Dunstes nichts zu erkennen. Auch bis Braunschweig reicht der Blick nicht, direkt unten sieht man aber Ilsenburg, den Ortsrand von Wernigerode und weiter hinten Blankenburg. Harrli, Gr. Fallstein und Huy sind gut zu sehen.
Ein weiteres Tor in der Mauer entdecken wir an der Nordseite, von dort führt eine Mauer am Nordhang hinunter fast wie in China. Wir gehen weiter, bestaunen das Bauwerk des Sendemastes aus nächster Nähe und dann eine Gruppe von fidelen Wanderern, die unter großem Hallo Liegestütze machen. Natürlich wird alles auf Video gebannt, vielleicht macht man die sportliche ]bung nur deswegen. Den Filmenden erkenne ich, es ist ein Professor aus Braunschweig. Dann sind wir wieder am Bahnhof Brocken, hier steht jetzt eine Schlange nach kostenlos ausgeschenktem Tee an. Stefanie schaut dabei zu, während ich mich hinten anstelle. Stefanie hat wohl beim Zugucken die Hand zu weit ausgestreckt, denn plötzlich kommt sie mit einem gefüllten Becher angewackelt. Was soll man da machen, wir teilen uns den Tee und machen uns dann wieder auf den Rückweg.
Nun bläst der Wind uns ordentlich ins Gesicht, nach etwa 1 km nach der Kurve aber erreicht man den Wald, wo man vor dem Wind geschützt ist. Der Weg ist gerappelt voll, Menschen, Hunde, Kinderwagen, Radfahrer bahnen sich ihren Weg. Da trifft sich gut, daß eine unauffällige aber beschilderte Abzweigung in Richtung "Eckerloch" uns von dem Hauptweg weglockt. Nun kann man munter über Granitblöcke hinabspringen. Teilweise zwischen matschigen Wasserlöchern und Rinnsalen gilt es, gut aufzupassen, sonst liegt man lang. Aber alles geht gut, man muß sich hin und wieder Zeit nehmen, um die urwüchsige Waldvegatation ringsherum aufzunehmen. Umgestürzte Bäume in allen Stadien des Zerfalls schaffen einen urwaldartigen Eindruck.
Schließlich gelangen wir in das Eckerloch, ein freier Platz am Grunde eines kleinen Tals. Ein paar abgetragene Fundamente zeigen an, daß hier mal Häuser gestanden haben (Skihütten). Jetzt führt ein Forstweg bergab Richtung Schierke, bald gesellt sich parallel dazu die Eisenbahn hinzu. Wir wechseln über und fahren nun Eisenbahn. Auf den Schwellen läßt sich gut laufen, gleichzeitig kann man deren Zustand nach den langen Jahren studieren. Es sieht nicht so aus, als daß die Bahn in Kürze wieder fahren könnte, denn die meisten Schwellen machen einen verrotteten Eindruck. Hier sitzen besonders viele Marienkäfer auf den Schienen, oft in Pulks von über ..zig Exemplaren.
Am oberen Ende der Bobbahn stoßen wir wieder auf die Ameisenstraße der Brockenbesucher. In kurzer Zeit ist man wieder unten in Schierke. Jetzt haben ein paar Einwohner am Ortsausgang einen Verkaufsstand mit Bratwurstgrill aufgebaut. Der Zuspruch ist so rege, daß man schon wieder anstehen muß. Mit einer Bratwurst und einem Becher Bitter-Tonic beschließen wir die Brockenbesteigung.
Auf dem Rückweg zum Parkplatz gehen wir die Straße durch den Ort. Es ist alles gut gepflegt, manche Ferienheime wirken ähnlich vornehm wie bei uns. Viele Häuser sind noch im alten Harzer Stil erhalten. Wir werfen noch einen kurzen Blick in die Kirche. Sie ist einfach und schlicht eingerichtet. Am sehenswertesten ist der Ofen. Neben der Kirche stehen viele Kreuze im Gras, das ist eine Gedenkstätte für die Gefallenen des Ortes in den letzten Kriegen. Auf einem Gedenkstein ist groß eingemeißelt: HELDEN. Darf man zweifeln? Ich würde lieber das Wort: OPFER dahinsetzen.
Am Auto angekommen wird die Rückfahrt geplant. Um wieder was neues kennenzulernen, wollen wir nach Süden aus dem Harz herausfahren. Mich reizt es auch, durch Nordhausen zu fahren, das ich nach Weihnachten nur im Nebel genießen durfte. Erstmal geht es wieder nach Elend, das kennen wir nun schon gut. Dann fahren wir auf der auch schon bekannten Straße an der Talsperre Mandelholz entlang, so kann ich den genauen Namen des Cafes ermitteln, wo wir Kaffee getrunken haben: "Grüne Tannen". In Königshütte zweigt die Straße nach Tanne ab. Sie führt durch das reizvolle Tal der warmen Bode, die ungestört durch die Wiesen plätschert. Um diese Landschaft voll genießen zu können, muß man sie erwandern oder zumindest mit dem Fahrrad durchfahren. Da wenig Verkehr herrscht, kann man gut bummeln, außer ein Trabbi setzt wieder zur Hatz an.
Von Tanne geht es durch den Wald nach Trautenstein. Hier ist eine Sehenswürdigkeit zu bestaunen: wie ein Ringelwurm schlängelt sich ein Bach - wohl die Rappbode - durch eine Wiese. Sowas gibt es bei uns nicht, da hätte die Flurbereinigung längst zugeschlagen und alles begradigt. Von Trautenstein Richtung Hasselfelde, kurz vorher geht es auf der B 81 rechts ab nach Nordhausen. Diese Strecke führt durch ein enges und waldbestandenes Tal. Die Straße ist so von Bäumen überwachsen, daß es im Sommer geradezu dunkel sein muß. Der Ort Ilfeld liegt bereits am Harzrand, im Vorbeifahren sehen wir ein Schloß. Schließlich sind wir in Nordhausen und ich biege in Richtung Innenstadt ab. Wir kommen durch eine große Einkaufsstraße mit den üblichen Wohnblocks, um die Altstadt fahre ich jedoch immer nur herum und lande wieder auf der Hauptstraße Richtung Worbis. Es dämmert auch schon, da machen wir uns lieber an den Rest des Heimwegs. Am ]bergang Mackenrode / Nüxei fahren wir über die Grenze.
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Karstexkursion um und in die Heimkehle, Uftrungen
Auch die Höhlenforscher werden aktiv, am Sonntag, 18.3. -
dem Wahlsonntag in der DDR - findet eine Karstexkursion in und um
Heimkehle statt. Die Höhle "Heimkehle" ist uns natürlich seit vielen
Jahren ein Begriff. Sie war in den 20er Jahren eines der
Hauptforschungsobjekte des Begründers der Harzer Höhlenforschung,
Friedrich Stolberg. Aus dem Stand weiß ich nur, daß während des zweiten
Weltkrieges dort Rüstungswerkstätten eingebaut wurden, nach Untergang
des dritten Reiches wurden sie gesprengt - was mag da von der Höhle
noch übrig geblieben sein. Zum Glück finde ich in meinen Unterlagen die
Abhandlung von Biese über Gipshöhlen am Harz und Kyffhäuser von 1931,
da ist auch die Heimkehle samt Lageplan ausführlich beschrieben. Das
ist sehr vielversprechend. Die Wetterlage ist fast schon sommerlich, so
ziehen wir es vor, statt faul auf der Terrasse in der Sonne zu braten,
an der Exkursion teilzunehmen, jedenfalls was Heidi, Stefanie und mich
angeht. Es gelingt uns sogar, am Vorabend einen geselligen Abend bei
Haases frühzeitig zu verlassen. Da wir ja meistens zu den letzten
gehören, dürfen wir auch mal die ersten sein.
So geht es pünktlich um 8 Uhr los, zwei Stunden soll die Anfahrt dauern. Der Einfachheit halber geht es erst mal auf die Salzgitterautobahn. In der Morgensonne bilden die gelblichen Schwaden um das Hüttenwerk einen Vorgeschmack dessen, was uns noch erwartet. Zunächst aber über Seesen, Herzberg, Lauterberg - halt, schon wieder verfahren, man muß vor Lauterberg nach Barbis abbiegen. Dann ist man über Osterhagen und Nüxei schnell am Grenzübergang Mackenrode. Jetzt prickelt es wieder, denn Stafanies Ausweis liegt gerade zur Verlängerung auf dem Amt, stattdessen haben wir Annikas Ausweis entliehen, auch wenn dann Alter und Aussehen nicht ganz übereinstimmen. Der Kinderausweis wird aber gar nicht aufgeklappt und die Kontrolle ist nicht der Rede wert.
Weiter Richtung Nordhausen, die Gegend ist hier recht eintönig. Einige Male fahren wir in den Orten an Wahllokalen vorbei, seit Zeiten der Weimarer Republik finden die ersten freien Wahlen in der DDR statt. daß die Wahlbeteiligung über 90 % betragen wird, merkt man um diese Zeit noch nicht. Näher an Nordhausen kommend trübt es sich trotz des wolkenlosen Himmels immer mehr ein, schließlich herrscht ein braun - trübes und vernebeltes Sonnenglimmen. Die Industriegebäude am Südrand Nordhausens sind schaurig schön bei dieser Atmosphäre. In der Nähe des Bahnhofs entdecken wir zwei ]beltäter: in einer Kohlenhandlung werden dicke gelbe Rauchschwaden produziert und aus einem Abgasrohr einer Lokomotive quillt armdick grauschwarzer Qualm. Bei dem schwachen Wind lagert sich das ganze dann ßauber" in Schichten über den Wohngegenden der Stadt ab, wo Spaziergänger mit Kinderwagen sich des schönen Sonntagmorgens "erfreuen". Wir verlassen Nordhausen in östlicher Richtung. Hier werden wir wohl niemals Urlaub machen.
Jetzt ist es schon 10 Uhr, pünktlich werden wir nicht mehr sein. ]ber Berga sind wir aber schon wenig später in Uftrungen, jetzt gilt es nur noch die Höhle und den Treffpunkt zu finden. An einer Bushaltestelle fragen wir eine Frau mit Kind, die schickt uns auf einen Feldweg, der aus Betonplatten gebildet wird. Plötzlich aber hören diese auf und es geht über tiefe Traktorspuren, in denen teilweise matschige Pfützen blinken. Wenn man in eine dieser Spuren hineinrutscht, ist man totsicher festgefahren. So wage ich kaum zu atmen und unter Angstschweiß erreichen wir durchgeschaukelt nach 500 m die Teerstraße, die regulär von der Straße zur Höhle führt. Wieder sind wir begeistert über unsere meisterhafte Begabung, auch in harmlosen Situationen für Spannung zu sorgen.
Die Freunde aus Clausthal sind auch noch nicht solange da, wir können uns noch ein wenig stärken und umziehen. Die unverbesserlichen wälzen sich bereits in Helm, Schlaz und Geleucht, da wird ein Machtwort von dem Verantwortlichen gesprochen, den wir im Laufe des Tages nun genauer kennen und schätzen lernen werden. Es ist Reinhard Völker, unterstützt von seiner Frau Christel. So nach und nach erfahren wir, welche Rolle diese beiden in der Karst- und Höhlenforschung der DDR spielen, es läßt sich nur so ausdrücken: wir sind an die erste Adresse geraten. Das Machtwort besteht darin, daß es mit einer Höhlenbefahrung erstmal nichts wird, da eine Oberflächenexkursion abgesprochen sei. Die soll vor dem Mittag über zwei Stunden durch die Karsterscheinungen um die Heimkehle führen, am Nachmittag über drei Stunden auf der anderen Seite des Thyratales auf den Spuren alten Bergbaus wandeln. Langes Gesicht bei Stefanie, hat sie doch ein spannendes Höhlenabenteuer erwartet. Es kann vorweggenommen werden, daß die Ausführungen von Reinhard Völker zum Teil so fesselnd waren, daß Heidi und Stefanie auch schon mal zugehört haben, nur wenn von alpha, beta, gamma - Anhydrit und derlei geologischem Kauderwelsch die Rede ist, haben sie es nicht leicht (ich auch nicht).
Erstmal gehen wir in den Ausgang der Heimkehle hinein, dort ist eine geologische Dokumentation, die uns als Grundlage für die folgende Begehung gezeigt wird. Auch Experten haben es schwer mit der Terminologie, Norbert gelingt bei seiner ersten Fachfrage gleich die klassische Freud'sche Fehlleistung: das Wort "Stinkschiefer" wird zu "Stinkstiefel". Dann geht es auf die Wanderung, über Stock und Stein in den großen Verbruch wo sich der natürliche Eingang der Heimkehle befindet. Zwischen dem Buchenlaub blühen viele Leberblümchen. Am Rand des Verbruchs klettern wir steil in die Höhe, ein schöner Blick senkrecht hinunter auf das gähnende Höhlenportal. Immer wieder brechen hier tonnenschwere Gipsmassen hinunter und drohen, in die Höhle zu kollern und Zerstörungen anzurichten, deshalb wird die Steilwand regelmäßig kontrolliert und gesichert.
Heidi und Stefanie sind unterdessen auf einem bequemeren Weg unterwegs, auf den wir dann oben auch treffen. Hier stehen mächtige Grenzsteine, über das Zustandekommen dieser ehemaligen Grenze und deren Rolle erzählt uns Reinhard lange Geschichten, die hier nicht Platz finden. Es soll sogar über jeden Grenzstein eine eigene Mär existieren. Wenig später passieren wir ausgedehnte Flächen von üppig blühenden Märzenbechern, das ist wohl weit und breit einmalig. Es hat auch Mühe gekostet, diese soweit zu schützen, daß eine systematische Ausrottung verhindert werden konnte. Wir erfahren, daß die Schutzlüge, der Stasi habe hier seine Hand drauf, die größte Wirkung ausgeübt hat. Weiter geht es an großen Senken vorbei, durch die das an den Quellhorizonten zwischen Buntsandstein und Anhydrit austretende Wasser gleich wieder im Berg versickert. Unterhalb der Bergwand befinden sich zwei Sumpf- und Feuchtgebiete, die wahre Biotope darstellen. Neben den Amphibien und div. Vogelarten finden sich dort auch in Scharen die Schwarzkittel ein (Wildschweine), sodaß man nachts dort gar nicht hingehen kann, ohne seinesgleichen zu treffen.
Wir besichtigen weiter einige Oberflächenformen des anstehenden Gipses. Man kann das Abrutschen des Hanges an Terrassen erkennen, zwischen denen sich kleinere Klüfte und auch Klufthöhlen finden. Nicht weit von hier, aber zu Fuß heute nicht machbar, existiert das ganze in noch großartiger Form im Questenberger Karst, einem vielleicht späteren Exkursionsziel. Von Uftrungen ausgehend gibt es auch einen ca. 40 km langen Karstwanderweg entlang all dieser Karsterscheinungen. Aus einer der Spalten holt Christel einen Feuersalamander heraus. Das wird alle paar Wochen gemacht, weil die Salamander nur unfreiwillig in die Spalten geraten und da nicht mehr herauskommen. Später wird noch über Insekten- insbes. Spinnenforschung in Höhlen der DDR referiert. Entlang der Sumpfgebiete gehen wir über Wiesen und Felder zurück zum Parkplatz und machen eine Stunde Mittagspause.
Auf einer Wiese an der plätschernden Thyra legen wir unsere Decke aus und veranstalten ein Picknick. Dann gehen Heidi und ich zur Imbißbude und trinken einen Kaffee. Man kann wieder die Beobachtung machen, daß nicht jeder den Geschäftssinn und die Wendigkeit geerbt hat, einem größeren Besucheransturm standzuhalten. Vielleicht war daran aber auch nur die zunächst fauchende und Wasser statt Kaffee spuckende Kaffeemaschine schuld. Es ist hier auch baulich noch nicht alles fertig, einige Schuppen müssen noch abgerissen werden. Die Völkers haben aber hier gewaltiges geleistet, ein neuerbautes Höhlenmuseum wird demnächst in Betrieb genommen, man hat ein schmuckes Wohnhaus. Das alles ist in Eigenleistung entstanden, wenn auch mitunter in "manus manum lavat" - Manier. Wir haben dann sogar das Glück bei Reinhard im Wartburg zum Start der Nachmittagsexkursion chauffiert zu werden. Wir lernen, daß der Fahrstil an Sportlichkeit dem manches Porschefahrers nicht unbedingt nachstehen muß. So müssen wir an jeder Abzweigung auf die Nachfolgenden warten, auch für einige Wahlwillige auf den Straßen Uftrungens wird der Gang zur Urne zum unverhofften Abenteuer, wenn sie unserem Auto begegnen.
Schließlich sind wir alle versammelt und begeben uns durch einen beeindruckenden Hohlweg zu einem erst im letzten Jahr geßffneten Schacht aus historischem Bergbau auf Kupferschiefer. ]ber diesen Schacht ist der jahrelang gesuchte Entwässerungsstollen erreichbar, über den man in weitere alte Baue gelangen kann. Hochinteressante Dinge erfahren wir über den Mansfelder Bergbau, der heute noch in einer Grube betrieben wird, aber in den nächsten Jahren zum Erliegen kommen wird.
Es werden zwei weitere Schächte besichtigt, die nur dem Abbau gedient haben. An ihrem Grund befinden sich sog. "Abbauscheiben", das sind seitwärts abzweigende ausgeräumte Hohlformen. Ein paar 100 m weiter durchwandern wir ein ausgedehntes Pingenfeld, man findet sogar grünblau angelaufene Schieferstücke, die auf die Kupfervorkommen hindeuten. Trotzdem ist hier mancher durch den Bergbau eher verarmt als reich geworden. Wir betreten ein weites Trockental, alles Wasser verschwindet hier in Schlucklöchern (Ponoren). Die landwirtschaftliche Nutzung wird eingestellt, alles soll Naturschutzgebiet werden. Noch wandelt man über Stoppeln und Klee, wie lange wird es dauern, bis sich hier eine Trockenrasenvegetation bildet. An dem einen Talhang liegen kreisrunde Buschhügel, alles Reste von kleinen Abbaustätten.
Wir erklimmen die jenseitige Talseite und erreichen wenige Schritte innerhalb des Waldes die "Diebeshöhle". Diese ist teilweise laut Bericht sehr reizvoll, anscheinend ist die ganze Wanderung aber wohl so anstrengend, daß nicht einer sich zu einer Befahrung anschickt. Alle liegen lieber im Laub und hören den Erklärungen zu. Nur der Hund von D. Zygowski schnuppert schon mal in den Eingang hinein. Zum Abschluß werden noch ein paar Meter auf dem Karstwanderweg zurückgelegt, wir begeben uns vorzeitig auf den Rückweg. Der führt sehr reizvoll über das freie Wiesengelände. Ein Traktor rumort hinter einem Waldstückchen, schließlich kommt der mit Karacho, beladen mit Jugendlichen und ein paar Baumstämmen herangebraust. Hinten dran hängen an einem Drahtseil zwei weitere Baumstämme, die die Erde aufreißen und schließlich das ganze Gefährt zum Stand bringen. Das Holz ist für ein Osterfeuer bestimmt. Auf einem Platz weiter unten ist ein Holzstoß aufgebaut, und eine Menge weiteren Jungvolks tummelt sich da, jeder eine Bierflasche in der Hand. Wir sind froh, als wir da vorbei sind. Kaum bei den Autos kommt auch schon der Rest unserer Gruppe in Sicht, wenig später fahren wir zurück. Im Dorf wird noch eine Einsenkung in einem Bach besichtigt, das ursprünglich 6 m tiefe Loch ist inzwischen wieder verfüllt.
Zum krönenden Abschluß erwartet uns dann der Besuch der Heimkehle. Durch einen Stollen betritt man die Höhlenräume. Die erste Attraktion ist ein Höhlensee mit grün-bläulichem aber klaren Wasser. Es ist der Heimensee, an einer Stelle führt eine Tauchstrecke weiter in die Tiefe. Dann dringt von oben links Tageslicht herein, dort kann man das breit ausladende Gewölbe des natürlichen Eingangs sehen. Der ganze Bereich bis dort oben ist mit Blöcken zugestopft, deren Größe zwischen PKW und LKW angeordnet sein mag. Der Tyrasee in der anschließenden Trümmerhalle ist noch größer als der erste See, mit kunstvoller Beleuchtung wird eine romantische Stimmung erzeugt. Auch hier wird das Licht dann abgestellt und mit Unterwasserscheinwerfern ein Stück der unterirdischen Fortsetzung des Sees beleuchtet. Man kann dort bis in die kleine Heimkehle hindurchtauchen. Nun geht es durch den Riesentunnel, in dem Reste der Werkseinrichtungen vom Kriege zu sehen sind. Darauf betritt man den großen Dom, der fast kreisrund mit einem Durchmesser von 60 m und einer Höhe von 25 m einen der größten Hohlräume im Gips bildet. Auch hier wirkt alles durch die Beleuchtung sehr imposant.
Durch einen weiteren Gang (Riegelgang) erreicht man den kleinen Dom, der wieder eine ]berraschung bereithält, die einen allerdings nachdenklich macht. Hier befindet sich die Gedenkstätte für die Opfer der Naziherrschaft, namentlich der in diesem Betrieb in der Heimkehle Umgekommenen. Auf dem Boden liegen scharenweise Kränze, an die gegenüberliegende Wand ist eine Darstellung der geknechteten und ausgemergelten Gefangenen angebracht. Dahinter ist eine turmartige Stützmauer, die zum Schutz vor einem schlammführenden Schacht errichtet wurde. Erst seit wenigen Jahren ist Genaueres über die Umstände bekannt geworden, unter denen hier die Kriegs- und Strafgefangenen zu leiden hatten. Insbesondere dem "Todesmarsch", der zu Ende des Krieges die Gefangenen kurz vor Eintreffen der Besatzungsmächte hinwegführen sollte, sind nur Einzelne entkommen. In der Vergangenheit wurde hier der in der DDR gern zelebrierte Antifaschismus praktiziert, was zu einem teilweise regen Besuch der Höhle durch Jugendgruppen u.ä. geführt hat.
Hinter dem kleinen Dom endet der Schauteil der Höhle, in zum Teil weniger gemütlicher Kriecherei kann man von dort noch in ausgedehnte nicht erschlossene Höhlenteile gelangen. Stattdessen begeben wir uns in den Raum der Höhle (Bergschmiede), in dem anhand einiger Demonstrationstafeln über geologische Hintergründe und bergbauliche Besonderheiten informiert wird. Von dort verlassen wir über den Wienrichstollen die Höhle. Draußen brauchen wir diesmal nicht blinzeln, denn es ist fast dunkel. Wir werden gebeten, noch ein paar Blumenkästen in den Stollen zu tragen. Ich fasse wohl zu hastig zu, denn plötzlich zerbröselt mir der Kasten geradezu zwischen den Fingern, fällt auf die Erde und zerlegt sich in seine Einzelteile. So werden die Blumen einzeln eingesammelt und mitsamt den Resten des Kastens an die Stollenwand gelehnt. Angesichts der enormen Leistungen, die Ehepaar Völker hier beim Gestalten des Höhlengeländes dem Wiederherstellen der Schauhöhle sowie bei ihren wissenschaftlichen Aktivitäten vollbracht hat, ist es mir besonders peinlich, ihnen auch noch die Reparatur eines Blumenkastens aufzuhalsen. Aber es ist natürlich keiner böse und wir verabschieden uns mit vielen Dankesbezeugungen.
Nun müssen wir im Dunkeln nach Hause fahren, zum Glück kann ich hinter den Clausthalern herfahren, sodaß uns weitere Abenteuer durch Verfehlen der richtigen Wegstrecken erspart bleiben. Kurz vor Benneckenstein erreichen wir endlich den Grenzübergang nach Hohegeiß. Stefanie schläft auf dem Rücksitz, eine Passkontrolle findet auch nicht statt, der Grenzer fragt uns nur freundlich, was wir heute unternommen hätten. Ab Hohegeiß sind die Straßen bekannt, heil und gut markiert, sodaß wir für die Rückfahrt auch nur zwei Stunden benötigen. In der ganzen Zeit hören wir interessiert aber enttäuscht die Berichte von der DDR-Wahl. Die eigennützigen Interessen haben sich wohl gegenüber denen, die wir politisch für vernünftiger halten, durchgesetzt.
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Betriebsausflug 22.6.
Bei uns im Rechenzentrum ist es jedes Jahr dasselbe:
entweder es finden sich einer oder mehrere, die den Betriebsausflug
organisieren, oder er fällt aus. So sind immer alle froh, wenn aus
irgend einer Richtung eine Anregung erfolgt. Diesmal kommt ein ganz
ausgefallener Vorschlag: DDR-Ausflug. Noch dazu Roßtrappe und
Hexentanzplatz, wer hätte das gedacht. Erstens hätte man das im vorigen
Jahr wirklich noch nicht gedacht, zum zweiten sind die meisten Kollegen
noch nicht dort gewesen, obwohl diese Plätze wie Magneten die Besucher
anziehen. So habe ich zwar auch schon das wilde Tal der Bode
durchradelt bzw. das Rad hindurchgeschoben und getragen, oben auf der
Höhe war ich dagegen auch noch nicht. Mir soll's also recht sein, man
muß auch mal den Busbesucher mimen, den ich sonst vom Rad aus so
"liebe".
Um 7.30 geht es los, der Busfahrer ist wohl Engländer und heißt Whittaker, ob er auch singen kann und Jacobs Kaffee trinkt, teilt er uns nicht mit. Zunächst regnet es kräftig, aber noch sitzen wir gemütlich im Bus. Wir fahren über Mattierzoll nach Hessen, kein Reisepaß oder Personalausweis muß herausgekramt werden - die Zeiten sind vorbei. Ich sitze neben Kollege Streicher, wir diskutieren allerhand Umweltprobleme. Irgendwann stellt sich heraus, daß er aus dem oberen Eichsfeld stammt, genauer aus Bischofferode. Eben dort hat ja einen Tag nach Weihnachten meine erste Radtour entlang geführt. Einer seiner Brüder arbeitet sogar untertage im Thomas Münzer Schacht, den ich damals auch passiert habe. Dann mache ich die [ußerung: "Von Magdeburg bis zum Eichsfeld habe ich schon alles abgeklappert". Das hört mein Chef eine Reihe vor uns: wann man das denn alles machen könnte, ob man nicht zu Hause genug mit Haus und Garten zu tun hätte, wundert er sich. Da kann ich nur vor mich hin stottern und froh sein, daß keine weiteren Familienmitglieder diese Bedenken zu hören kriegen.
Inzwischen fahren wir auf der Straße am Huy entlang, hier war ich ja gerade erst. Heute ergibt sich trotz der gelegentlichen Regenschauer eine gute Sicht auf die Berge des Harzes, zwischen dunklen Wolken scheint die Sonne, der Brocken ist verhüllt. Dann geht es durch Halberstadt, hier war ich noch nicht. Wenn man Halberstadt von weitem sieht, beeindrucken die Türme der noch erhaltenen Kirchen: Dom, Liebfrauenkirche, St. Martini, St. Katharinen und St. Andreas (alles aus dem Reiseführer abgeschrieben). Ob Halberstadt über weitere Baudenkmäler verfügt, oder ob von der mittelalterlichen Altstadt noch viel zu sehen ist, können wir beim Durchfahren der Stadt nicht erkennen. Es sieht eher so aus, als ob die Kirchen inmitten der üblichen Wohnblöcke etwas deplaziert herumstehen. Oder umgekehrt; Von einer Ausstellung bei den Architekten ein paar Wochen zuvor weiß ich, daß Halberstadt einen Großteil seiner historischen Bausubstanz erst in den letzten paar Jahren durch Verfall und Verwahrlosung verloren hat.
Dann sind wir schon am Ziel in Thale und steigen am Bahnhof bzw. Werkstor des Hüttenwerkes aus. Jetzt scheint die Sonne wie es sich gehört. An der Seilbahnstation zum Hexentanzplatz ist ein Lokal, dort soll es "Goldbroiler" und "Boullion mit Vollei" geben. Wir wandern entlang der Bode, erst an der Jugendherberge vorbei, "Josefine Lindner" steht an dem Haus, so heißt auch ein Kollege (bis auf den Vornamen, den ich mangels Erinnerung ersatzweise eingesetzt habe). Am Hirschgrund ist wieder ein Lokal, aber da ist heute gar nichts los. In dieser Beziehung haben wir Glück, auch der Weg ist ausreichend breit, um die Wanderer aufzunehmen. Wir erfahren später, daß das Bauamt Wolfenbüttel ebenfalls seinen Betriebsausflug hier herum macht - denen ist also auch Phantasie und Einfallsreichtum gegeben. Am Hirschgrund zweigt über die Jungfernbrücke der Weg zum Hexentanzplatz ab, den sollen wir noch kennenlernen. Es folgt der Goethefelsen, hat hier Goethe geweilt, und wenn ja, zu was hat er sich hier so hoch über den rauschenden Wassern der Bode inspirieren lassen? Einer macht schon einen Vorschlag, aber den lassen wir unerwähnt. Einmal liegt rechts eine Blockhalde, wo der Fingerfarn besonders üppig gedeiht. Dabei stelle ich fest, daß unter den computerisierenden Kollegen wenig botanisches Interesse anzutreffen ist. Einmal halte ich ein Blümchen für Türkenbund, aber da vergallopiere ich mich womöglich auch gründlich.
Kurz vor der Teufelsbrücke zweigt der Weg zur Roßtrappe ab. Er führt auf einer Schotterhalde im Zickzack steil hinauf. Man hat immer einen schönen Blick hununter ins Tal, gerät dennoch allmählich ins Schwitzen. Aber alle sind gut drauf und schnell ist man oben. Nur Frau Matzky ist ein Stein von oben auf den Rucksack herabgesaust, das trübt die Freude etwas. Aber es ist glimpflich abgegangen, auch wenn ja der Kopf normalerweise sich in unmittelbarer Nähe des Rucksacks zu befinden pflegt. Zur Roßtrappe geht es nochmal ein paar Meter rechts ab, schließlich betritt man den berühmten Ort. Die Roßtrappe hat ihren Namen bekanntlich von dem Gesteinsabdruck, der wie ein Huf geformt ist, allerdings von einem Roß größeren Ausmaßes stammen müßte. Drei kreisrunde Löcher sind womöglich die Abdrücke der Hufnägel oder haben ihren Ursprung in der jüngeren Geschichte. Ich gebe andeutungsweise die dazugehörige Sage zum Besten, die ist bei den meisten unbekannt.
Weil es sich so schön liest, schreibe ich die gereimte Sage aus der liebevoll gestalteten Speisekarte der "Konsum-Berggaststätte Hexentanzplatz" ab:
Es kam einst geritten aus Böhmischem Land
ein Riese, der Bodo mit Namen benannt.
Des Harzkönigs Tochter, die liebliche Maid,
begehrte der schreckliche Unhold zum Weib;
doch heimlich entfloh sie auf hurtigem Roß.
Als müd' er vom Ritte sein Augenpaar schloß,
da ward er von fröhlichem Wiehern geweckt,
und wie er die fliehende Jungfrau entdeckt,
braust, wild wie der Sturmwind, er tobend heran.
Sie, gleich einer Möwe, stürmt weit ihm voran.
Auf einmal bäumt bebend ihr Roß sich zurück,
ein Abgrund gähnt jäh vor des Mägdeleins Blick.
Da zuckt sie zusammen und ruft, daß es gellt:
"Eh'r will ich, daß drunten der Leib mir zerschellt,
als du ihn berührst mit gottloser Hand."
Dann spornt an des Abgrundes grausigem Rand
sie schmeichelnd und scheltend ihr zögerndes Roß.
Hussah - wie des Jägers Todesgeschoß,
die Luft es in sausendem Fluge durchschwirrt,
bis drüben der Felsen, weithallend, erklirrt,
und funkenversprühend der wuchtige Stahl
tief in den Granit gräbt ein ewiges Mal.
"Gerettet" so jauchzt sie, doch gleich schnellt
den Blick mit stockendem Atem
sie forschend zurück.
Das Echo der Felsen, zu Eis starrt ihr Blut;
Der Riese - zerschmettert - versinkt in der Flut.
Im Wind wallt ihr Haupthaar, der Krone entblößt,
die hatte beim Fluge sich heimlich gelöst,
nun ruhet dort unten - verzweifelt umkrallt -
die güldene Krone so lieblos und kalt.
So verzehren wir andächtig unser Käsebrot, Frikadelle oder gekochtes Ei. Beim Rückweg erzählt Frau Stemme von ihrer Reise in die Sahara und daß die Berge dort anders aussehen. Am Hotel Roßtrappe wird ein Kiosk gestürmt, für 20 Pfennig Ost gibt es Postkarten. Der Großteil der Betriebsgesellschaft wird nun mit dem Sessellift wieder hinunter nach Thale gondeln. Ein paar Unentwegte, darunter auch ich, wollen zu Fuß laufen. Eine Kollegin (Sportwagenfahrerin) scheint nicht schwindelfrei zu sein, ein wenig blaß um die Nase schließt sie sich uns an. Unsere Gemeinschaft hält nicht lange, der Weg ist zu abenteuerlich, stellenweise kaum erkennbar, oft nur auf allen vieren (rücklings) zu begehen. Da scheidet sich die Spreu vom Weizen, dh. die um ihre Knöchel bangenden bleiben zurück, wir drei anderen hüpfen vorne weg durch die Botanik. Einmal rutsche ich auch aus und finde mich auf einem nicht zur Fortbewegung bestimmten Körperteil wieder.
So ist unsere Gesellschaft gesprengt, unten angekommen, sind die meisten anderen bereits mit der Seilbahn zum Hexentanzplatz entschwebt. Wir müssen auf die nächste "volle halbe" Stunde warten, bis der Betrieb wieder aufgenommen wird. Das gibt Zeit zum Händewaschen und für ein weiteres Käsebrot. Punkt 12 Uhr aber ist der große Moment gekommen. Man sinniert zwar ein wenig darüber, ob es hier auch einen TÜV gibt und ob die Verfassung der Seilbahn etwa den desolaten Zuständen in manchen Kombinaten dieser Republik gleichzusetzen sei, vertraut sich aber doch hoffnungsvoll der luftigen Angelegenheit an. Für 1.50 DM geht es dann nach anfänglich heftigem Schaukeln hinauf, bei der schönen Aussicht auf Thale und das Harzvorland ist das ganze sehr genußreich. Stauden von Fingerhut an luftigen Plätzen gleiten unter einem vorüber. Oben angekommen ist man doch irgenwie nicht unglücklich, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Inmitten nun zahlreicher flanierenden Hexentanzplatzgäste suchen wir erstmal eine Aussichtsplattform auf. Mit einem Kollegen, der immer alles besser weiß, werden einige erhebliche geografische Meinungsverschiedenheiten so nach und nach bereinigt. Die Türme von Magdeburg bekommen wir allerdings nicht ins Visier, unsere geliebten Kraftwerke bei Helmstedt dagegen strecken ihre Schlote über die Höhen des Huy. Auch Fallstein, Asse und ein Streifen Elm werden klar eingenordet. Zu Füßen liegt Thale, eine Hälfte des Ortes nimmt das Hüttenwerk ein. Es erhöht nicht gerade den malerischen Ausblick, nehmen wir es mal als "Symbol des Fortschritts durch die Werktätigen" - dann sieht man das schon mit anderen Augen. Der Rest des Ortes läßt ein historisches Ortsbild vermissen.
Trotzdem trennt man sich nur schwer von diesem Blick in die Weite, nur der kräftige und kalte Wind erleichtert einem das. Vorbei an einem Museum für vorgeschichtliche Kultur (Germanen und Wikinger) gelangen wir auf den eigentlichen Hexentanzplatz. Das ist ein riesiger geschotterter Parkplatz, ein paar schüttere Eichen vermögen die Illusion von Hexenumtrieben und Walpurgisorgien kaum zu wecken. Gut, daß der Parkplatz so geräumig ist, denn bei dem Besucheransturm ist der schon vonnöten. Beim Restaurant wird Schlange gestanden. Da unsere Rucksäcke noch zuviel Gewicht haben, nehmen wir von dem Einreihen in die Warteschlange Abstand. Stattdessen genießen wir erstmal den Ausblick hinüber zur Roßtrappe. Nochmal muß die Sage herhalten, von Bodo und "Kunigunde" so sage ich, weil die meistens so hießen. Bodo ist richtig, so heißt auch Herr Streicher, aber die besungene Dame hieß "Brunhilde", wie ich nachträglich dem Reiseführer entnehme. Unsere Studenten diskutieren, wie die Schöne ihr Pferd wohl zum Stehen bringen konnte, wo sich hinter dem Hufabdruck doch gleich wieder ein Abgrund auftut. Ich schlage vor, daß das Pferd vielleicht wie ein Hase einen Haken rechts weg geschlagen hat. Wie so vieles bleiben diese Dinge aus grauer Vorzeit im Dunkeln. Der Münzautomat des Stereo-Fernrohrautomaten dagegen ist bereits auf Westwährung umgerüstet.
Wir setzen uns an einen Tisch und kramen in den Rucksäcken. Einer hat Geschirr und Besteck dabei, alles was man so braucht. Zwiebeln von Verwandten in der DDR werden angepriesen, schließlich fördert ein Rum mit 78 % den Stoffwechsel. Einmal weht es meine Original VEB Karte vom Ostharz vom Tisch und über die Brüstung. In Erwartung eines "Abgrundes grausigem Rand" beuge ich mich über die Brüstung, da ist aber nur ein Unkrautbeet und ich kann meine Karte problemlos bergen. Inzwischen wird auch der Kontakt zu "den anderen" hergestellt. Die haben es richtig gemacht und bei dem Selbstbedienungsgrill ihr Lager aufgeschlagen. Dort kann man Würstchen kaufen und sich diese an einem Holzkohlengrill selbst braten. Dafür ist der Hexentanzplatz (u.a.) berühmt.
Wir machen uns an den Abstieg, der Weg hinunter in das Bodetal führt wieder im Zickzack durch einen urigen Wald. Tatsächlich kommt man an der Jungfernbrücke heraus. Eine Forelle in der nicht allzu sauberen Bode kann man erkennen. Wir marschieren den Rest des Weges nach Thale, durch einen schönen Park, wo wir uns schließlich in der Sonne ablagern. Ich mache noch eine Exkursion zur Bahnhofstoilette, wo ich 50 Pfennige West fürs Händewaschen spendiere. Entsprechend zuvorkommend wird man von der Toilettenfrau und einem zur Gesellschaft dort anwesenden Individuum verabschiedet. Vielleicht auf ein andermal. Als schließlich geklärt ist, daß die Kollegen, die wir beim Abstieg von der Roßtrappe aus den Augen verloren haben, bereits den Heimweg mit einem mitgebrachten Auto angetreten haben, können auch wir uns auf die Heimreise mit Mr. Whittaker machen. Wir durchfahren Quedlinburg, das macht mit seinem Schloßberg neugierig auf einen späteren Besuch.
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Zwei Harzfahrten 23.7. und 7.8.
Es stellt sich natürlich die Frage, ob jeder kleine Hüpfer
über die Grenze weiterhin berichtenswert ist. Der Vollständigkeit
halber wollen wir es zunächst einmal dabei belassen. Von der ersten
Fahrt ist auch nicht viel zu erzählen. Annika und ihre Freundin Sandra
wollen sich für ein paar Tage im Keller in Braunlage einquartieren,
dazu müssen sie samt Fahrrädern hingebracht werden.
Wir fahren in Braunlage statt auf der Umgehungsstraße durch den Ort, wie das viele tun, die nicht nur steril durch die Landschaft rasen wollen. Das belastet natürlich das Verkehrsaufkommen in dem "Luftkurort" erheblich und sollte damit auch nicht propagiert werden. In Braunlage ist aber auch ein Betrieb, wie man das sonst nur in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr erlebt. Teils Feriengäste, die im Westharz wohnen und in den Ostharz Touren machen, teils Bürger aus dem Ostharz, die den nach der Währungsunion in der DDR überhöhten Preisen bei ALDI ein Schnäppchen schlagen. Da rasseln und scheppern die Trabbis und Wartburgs in ganzen Kolonnen die Straße entlang, daß einem Angst und Bange wird. Die Fußgänger können sich nur mühsam auf den schmalen Bürgersteigen in Sicherheit bringen. Braunlage ist heute kein schöner Urlaubsort.
Nachdem wir die Kinder ausgeladen haben, biegen wir Richtung Elend ab, um über Wernigerode zurückzufahren. Von der Grenze bis in die Ortsmitte ist ein einziger Stau, meist wohl zurückkehrende Ausflügler. Da kann man nur den Kopf über soviel Herdentrieb schütteln. Aber man kann das ja auch ständig in den Verkehrsnachrichten verfolgen, daß der bundesdeutsche Kleinbürger in seinem Großauto seine Bekanntschaften am liebsten in einem Stau schließt und auffrischt, falls man sich noch vom Vorjahr kennt.
Zum Glück ist in unsere Richtung alles frei. Das erste Mal passieren wir die Grenze seit Wegfall der Kontrollen. Da fehlt einem geradezu etwas. Man hat nicht mehr so das Gefühl, in ein anderes Land zu fahren. Die Straße nach Wenigerode ist so, wie sie sich für den Harz gehört, kurvenreich und schmal - nicht so eine Start- Landebahn wie von Harzburg nach Torfhaus. Wir fahren gleich durch nach Ilsenburg und drehen dort ein paar Schleifen durch die Hintergassen. Auf Straßen, die ich im Januar schon mit dem Fahrrad abgefahren bin, kommen wir über Veckenstedt und Wasserleben wieder mal nach Osterwieck. Heidi war hier aber noch nicht, deswegen fahren wir wieder herum und sehen uns die restaurierten oder nicht restaurierten Fachwerkhäuser an. Die meisten dürften zu retten sein, wenn sich Leute mit Geld und Bereitschaft finden.
Schließlich geht es noch über die kleine Straße am Kleinen Fallstein nach Rhoden, leider erlebt man im Auto nicht die Stimmung, die man bei einer Anfahrt mit dem Fahrrad empfindet. So fahren wir recht unbeeindruckt durch den Ort. Der ]bergang zurück in den Westen ist ein besserer Feldweg, wie bei einer Organtransplantation hat man hier und überall jede erdenkliche Verbindung zwischen den beiden Teilen Deutschlands wiederhergestellt. Wenn die Grenzbefestigungen endgültig abgebaut sind, werden nur noch Insider sich des Grenzverlaufs erinnern. ]ber Hornburg geht es dann nach Hause, die Rückfahrt hat doppelt so lange gedauert wie die Hinfahrt. Doch - so denken wir - haben wir dabei doch wohl keine Zeit "verloren".
Gut zwei Wochen später fahren wir nochmal nach Braunlage, um die Fahrräder abzuholen. Eine Woche Urlaub zu Hause haben wir bereits hinter uns. Bei durchweg Hitzewetter haben wir jeden Tag im Schwimmbad verbracht, ohne Kurtaxe und Platzkonzert eine preiswerte Angelegenheit. Nun ist das Wetter nicht mehr so sonnig, da wollen wir die Harzfahrt gleich wieder für eine Erkundung ausnutzen.
In Braunlage ist es immer noch voll, wir sind ganz froh, daß wir nicht dort Urlaub machen. Heute fahren wir die Straße an der Grenze nach Sorge und Tanne entlang, die ich auch schon vom Radfahren kenne. Unser Ziel ist Stolberg, das soll laut einer Fernsehsendung "Auf Schusters Rappen" einer der hübschesten Harzorte sein. Am Ortseingang muß das Auto abgestellt werden, weil innerorts keine Parkmöglichkeiten bestehen. Das ist schon mal vernünftig, gern bezahlt man die 2 DM Parkgebühren. Dementsprechend ruhig ist es auf den schmalen Gassen, jeder Verkehr würde hier alles kaputt machen. Dennoch müssen alle Fahrzeuge hier durch, der geringe Verkehr beruht nur darauf, daß heute ein Werktag ist und nur wenige Ausflügler unterwegs sind.
Die Gassen sind wirklich wunderschön. Die Häuser sind alle gepflegt, der einheitliche Fachwerkstil ist erhalten worden. Stolberg liegt in oder an vier Tälern: Lude, Große und Kleine Wilde vereinigen sich zum Tal der Thyra. Die Täler sind tief eingeschnitten, meistens hat nur die Straße mit der beidseitigen Bebauung Platz. Vor dem Rathaus, das im übrigen keine Treppen im Innern hat, steht eine moderne Plastik von Thomas Müntzer, der in dieser Stadt geboren ist. Er war Führer des Bauernaufstandes im 16. Jahrhundert. Das war natürlich was für den gerade zurückliegenden Sozialismus, den allerdings auch der Refrain "Wir sind das Volk" hinweggefegt hat.
Auf der anderen Seite des Platzes handeln Zigeuner mit allerlei Textilien und Modeschmuck. Uns steht der Sinn erstmal nach einer Mahlzeit. Nach Inspektion diverser Speisekarten stellen wir fest, daß die Preise hier denen vor der Währungsunion entsprechen, nur daß nun eben in DM abgerechnet wird. Beim Zahlen "beschweren" uns bei der Bedienung, daß hier keine überhöhten Preise erhoben werden, wie man von überall hört. Das sei erst weiter weg von der Grenze so, hier wäre die Konkurrenz zum Westen noch zu groß. Da kann man nur den Kopf schütteln. Aber es wird sich schon alles einrenken.
Nach dem Essen fällt das Wandern schwer. Aber wir steigen bergan und besehen uns erst die Martini - Kirche oberhalb des Marktplatzes. Hier hat (laut Reiseführer) Martin Luther 1525 \l auf die Wogen der Bauernerhebung zu gießen versucht. Vorschau: Am 15.8., eine Woche später, wird in Berlin auch eine däftige Bauerndemo zur Unterstützung der Landwirtschaft stattfinden, da fliegen auch Eier an Politikerwesten, der Landwirtschaftsminister wird "entmachtet".
In einer Kapelle (Marienkapelle) ein Ehrenmal für die Gefallenen der Kriege, diesen zu Ehren steht ein Blumenstrauß weniger fotogen in einem Würstcheneimer. ]ber Treppen geht es im Zickzack hinauf zur Burg. Auch hier ist ein nobles Lokal, kaum teurer als unten. Der Rest der Anlage wird als Freizeitheim "für kinderreiche Familien" oder als Hotel genutzt. Aus einem Gästezimmer "Zutritt nur für Personal" erhaschen wir einen Ausblick auf einen Teil von Stolberg. Die schönere Aussicht ist aber ganz legal hinunter zum Rittertor, von hier oben sehen die Häuser wie Spielzeuge aus. Bergab benutzen wir die normale Auffahrtsstraße und kommen vor dem Rittertor heraus.
Von hier in Richtung Marktplatz hat man sich ein kleines "Idar-Oberstein" geleistet, indem man den Bach "Lude" überbaut hat. Ein natürlich angelegtes Bachbett hätte sich besser gemacht. Vielleicht kann man aber den gewonnenen Platz eines Tages für Parkplätze gut gebrauchen. Zum Abschluß schlendern wir noch durch die "Neustadt", genau so reizvolle Gäßchen wie überall. Vielfach sind noch uralte Firmenaufschriften an den Häusern erkennbar. Es sind die Kleinigkeiten, die das Erlebnis ausmachen, ein Fußabtreter, eine Haustür, Fenster mit alten Butzenscheiben usw. Das altertümlichste Haus in diesem Ortsteil hat eine Instandsetzung dringend nötig.
Schließlich machen wir uns auf die Rückfahrt und fahren mit schlechtem Gewissen mit dem Auto über den Marktplatz. Als bei der Weiterfahrt zwei Busse entgegen kommen, entgeht man nur durch mehrfaches Vor- und Zurücksetzen einer Verkeilung. Schließlich weiter entlang der Thyra, die Heimkehle bei Uftrungen läßt grüßen. Vor uns ein Bergzug mit einem Fernsehturm. Erst als wir uns immer mehr dem Harzrand nähern und der Bergzug uns geradezu entgegenwächst kommt die große Erleuchtung: der Kyffhäuser! Da sieht man auch das Denkmal auf der Ostseite. Wegen der vorgerückten Stunde ist ein Kyffhäuserbesuch heute nicht mehr zu machen, aber er wird schon mal vorgemerkt.
Stattdessen mache ich in Nordhausen, das heute gänzlich dunstfrei ist, wieder eine kleine Runde. Wie beim letzten Mal verfranse ich mich aber und bin froh, als ich wieder die Straße Richtung Worbis erreiche. Sehenswert nach wie vor das schaurige Industriegebiet, das man hier durchfährt. An einer Schranke müssen wir länger warten, dabei kann man sich alles in Ruhe ansehen. Einige Häuser sind in ihrer Schieferbauweise ganz reizvoll, aber die Fenster sind blind und windschief, in der Dachrinne wächst das Gras einen halben Meter hoch.
Die Strecke nach Worbis kenne ich schon wieder vom Fahrrad aus. Wie unterschiedlich eine Landschaft wirken kann! Heute macht die "Goldene Aue" ihrem Namen alle Ehre. Die Sonne scheint bei glasklarer Luft, die Getreidefelder sind reif und leuchten gelb im Sonnenschein. In einem Ort versorgen wir uns mit Getränken. Anstelle einer Registrierkasse hat der Ladeninhaber ein großes Blatt Papier vor sich liegen, auf dem er kreuz und quer in blitzartiger Geschwindigkeit alle Berechnungen vornimmt. Wenn das Blatt voll ist, kommt das nächste dran. Ob das Finanzamt nach der "Wiedervereinnehmung" damit noch einverstanden sein wird? Während wir an einigen Kalischächten vorbeikommen, ist im Radio die Zusicherung zu hören, daß alle Kumpel im Südharzer Kalibergbau ihre Arbeitsstelle behalten. So sind wir ganz aktuell "dabei" und fahren schließlich über Duderstadt und Göttingen zurück nach Hause.
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Harzüberquerung 9.9.
"Mit der \ffnung der Grenze zwischen den beiden deutschen
Staaten war es möglich, ..." so beginnt das Grußwort der Veranstalter
zu der diesjährigen 18. Harzdurchquerung. In einem Zeitungsbericht wird
angekündigt, daß man in diesem Jahr mit 4000 West- und 1000 DDR-
Teilnehmern rechnet, die Route wird erstmals großteils auf DDR-Gebiet
verlaufen, außerdem soll nach einigem Hin und Her die Strecke auch über
den Brocken führen, aber das bleibt zunächst noch ungewiß.
Als bewährte Harzquerläufer wollen Thomas und ich uns das nicht entgehen lassen. Udo - Mitarbeiter im Kindergarten - gesellt sich auch noch dazu. Weil er einen nagelneuen VW-Bus besitzt, darf er die Fahrt übernehmen. Wir fahren um 5.30 Uhr los, es ist noch dunkel. Thomas läd sein Rad mit ein, falls er nach dem 42 km Marsch noch mit dem Rad nach Hause fahren möchte - der hat Nerven. Wie gewohnt zur Rennbahn in Harzburg, Thomas kennt eine Abkürzung, dadurch verfahren wir uns ordentlich. Diesmal sitze ich schuldlos und feixend auf der Rückbank. An der Rennbahn ein Schild: Start der Busse am Parkplatz an der Seilbahn in Harzburg. Also dorthin - schon ist eine halbe Stunde, die wir hätten länger schlafen können, dahingegangen. Wir melden uns an und legen für uns drei zusammen DM 96.- auf den Tresen, ein paar Scherze wegen Ostgeld und so helfen da wenig drüber hinweg.
Nun kosten wir die gut bezahlte Organisation gleich ordentlich aus, indem wir mit einigen hundert anderen Ungeduldigen eine knappe Stunde auf den nächsten Bus warten. Man kann ein wenig mit den Leidensgenosen plaudern. Ein Bus aus dem Lipper Land entläßt eine Schar, die sich durch einheitliche Trainingsanzüge als LG (LaufGemeinschaft ?) Detmold kenntlich gemacht hat. Auch diese Sportskameraden stellen sich brav in die Warteschlange, obwohl sie ja über einen Bus verfügen. Wahrscheinlich ist der nur bis hier gechartert. Mittlerweile kringelt sich die Menschenmenge um das Gebäude der Seilbahnstation herum. Der Unmut wächst allmählich an, eine Dame geht schließlich mutig an den maulenden Wanderstiefeln, Bundhosen, Tirolerhüten oder neonfarbenen Sportanzügen entlang und gibt einen knappen Lagebericht. Die erste Welle der 21 Busse ist im frühen Morgengrauen abgerauscht, für die Hinfahrt nach Rothesütte, wo sich der Start befindet, werden 45 Minuten veranschlagt, die Rückfahrt der Busse dagegen mit mehr als einer Stunde, weil das über Nebenstraßen nur auf Umwegen geht. Wir rechnen aus, daß wir womöglich durchaus noch eine weitere halbe Stunde zu warten hätten, aber dann erscheint doch endlich ein Bus. Die vor uns stehenden Leute steigen ein, für uns reicht es wohl nicht mehr. Da stellt sich heraus, daß viele einen Stehplatz verschmähen und lieber auf den nächsten Bus warten. So sind wir - schwupp - an diesen Obersportlern vorbei in den Bus geschlüpft.
Endlich geht es nun los, auf bekannten Straßen über Torfhaus, Braunlage und Hohegeiß. An Benneckenstein vorbei - mittlerweile auf DDR-Gebiet - können wir gegen 8.15 in Rothesütte aussteigen. Hier herrscht gähnende Leere, der erste Schwung ist schon lange unterwegs, den Beginn des zweiten Hümpels bilden wir. Das hat den Vorteil, daß vor uns freie Bahn ist, und wenn man zügig geht, behält man auch den Rücken frei. In diesem Sinne holen wir uns den Startstempel und machen uns auf die Strecke. Nach dem etwas enttäuschenden Tagesbeginn genießen wir nun erstmal die frische Luft, auf schönen Wegen geht es durch den Wald und man ist ungemein energiegeladen. Wenn es bergab geht, wird ein leichter Trab eingeschlagen, so lassen wir bald das kriechende Volk hinter uns. Natürlich gibt es auch ganz Forsche im "Asketen-Look", Stirnband und sehnige Waden, die laufen in gleichmäßigem Tempo immer so vor sich hin. Wir kommen auch so ins Transpirieren, wenn es entsprechend bergauf geht.
Vor Benneckenstein passieren wir eine Art Waldbühne, da spielt ein Blasorchester flotte Weisen. Man hat sich wohl von den angesagten 5000 Wanderern einiges versprochen. Diese aber - 5000 werden es auch nicht werden - nehmen wenig Notiz von der Musike, Blick auf den Weg, möglichst gleichmäßigen Atem einhalten, ein strammer Schritt - so strebt man vorwärts. Das ganze ist noch dazu ansteckend. Obwohl man ja selber mal hier mal da gern stöbern würde, hält einen ein unentwegter Vorwärtsdrang in Bewegung. Ein einsamer Getränkeverkäufer mit seinem Kombi auf einer Wegkreuzung guckt auch den Vorbeieilenden fassungslos nach und rechnet wohl schon seinen entgangenen Gewinn zusammen. Vorbei an schwarzweißem Rindvieh erreichen wir über mit Heidekraut bewachsene Trockenwiesen den östlichen Ortsrand von Benneckenstein. Links ein altes uriges Haus, rechts Reste einer Wellblechkonfiguration, der Rest ganz normale in sozialistischer Bauweise errichtete Gebäude, teilweise in jüngerer Zeit auf marktwirtschaftlicher Basis renoviert oder erweitert. Drei Mountainbiker passieren uns, - da hätte man ja auch selbst... - aber nun ist man einmal zu Fuß bei der Sache. Es wird aber viel über das Radfahren, Technik und Unternehmungen diskutiert.
So vergeht die Zeit wie im Fluge, bald sind wir in Tanne an der ersten Kontrollstelle. Es wird Tee gereicht, "echter Ceylon" wird in schönem Harzer Dialekt versichert. Der Tee ist nur lauwarm, weil die wackeren Teekocher sich gedacht haben, man schwitze von heißem Tee nur noch mehr. So quälen wir uns zwei Becher davon hinein, um den Durst zu stillen. Die Wege auf der weiteren Strecke sind sehr schön zu wandern, weicher Untergrund auf einem Teppich aus Tannennadeln. Ein hübsches Wiesental mit einem schlängelnden Bach - da sollte doch gleich die Flurbereinigung... Man hat extra für diesen Tag eine Holzbohlenbrücke erbaut, über die nun die Harzdurchquerer hetzen. So allmählich kommt der Ort Elend in Sicht, es geht mehr am Ort vorbei als hindurch, mal sieht man die kleine Kirche von weitem, ein paar hundert Meter östlich des Bahnhofs steigen wir wieder hinauf. Thomas und Udo sind noch nicht ausgelastet, sie fallen an einer scharfen Steigung in den Laufschritt und hängen mich gründlich ab. Als es wieder bergab geht, hole ich sie bald ein, und wir sind uns nicht ganz einig, ob das Galoppieren so ganz das richtige ist.
Wenig später beginnt Udo leicht zu lahmen, wir erfahren eine Geschichte von seinem Knie, die ein paar Jahre zurückliegt. Inzwischen sind wir am Bahnhof in Schierke angelangt, hier ist die dritte Kontrollstelle. Zwei Becher Brühe tun sehr gut, dazu gibt es noch eine Flasche Brause. Aber hier unmittelbar unter dem Brocken beginnt es prompt kräftig zu nieseln, da müssen die Regenjacken hervorgeholt werden. Wir wandern weiter entlang der Bahnstrecke. Als wir auf die ehemalige Bobbahn stoßen, erkenne ich die Gegend von unserer ersten Brockenbesteigung wieder. Thomas und Udo sind im Winter an dem einzigen Sonntag, wo die Schneeverhältnisse entsprechend waren, über diese Route schon mit Skiern auf dem Brocken gewesen.
Leider ist dieser Aufstieg auf der asphaltierten Brockenstraße gar nicht reizvoll, Udo humpelt zusehends mühsamer bergan, Thomas amüsiert sich weit vorn mit Marathonexperten, die ihm alles über das "An- und Abtrainieren" usw. verklaren. Wir wissen immer noch nicht, ob die Strecke über den Brocken führt, alle offiziellen Ankündigungen beziehen sich auf eine östliche Umgehung des Brockens durch das Ilsetal. Am "Brockenbett" entscheidet sich das, hier ginge es geradeaus in das Tal der Ilse. Aber die Massen wälzen sich links herum, wo es direkt hinauf in den nieseligen Dunst geht. 6 Grad soll es auf dem Gipfel kalt sein, das drückt ein bißchen aufs Gemüt. Wir haben das Glück, daß unversehens die Sonne herauskommt, zwischen den Dunstbänken über den Bäumen bekommt mancher Ausblick so seinen romantischen Flair. "Warum kommt Ihr nicht eher, wenn Ihr die Sonne mitbringt" sagt einer, der - wieder auf dem Abstieg - uns entgegen kommt.
Als wir der ersten Grenzzäune ansichtig werden, überkommt einen die Freude über das nahe Ziel. Von den Grenzanlagen hat man hier noch gar nichts abgebaut, noch immer ist der Gipfel des Brocken von einer Mauer eingefaßt. An deren Eingang wartet Thomas, einen Schokoriegel verzehrend, er hat schon von weitem Udos Gangart studiert. Schnurstracks geht es also auf die Sanitätsstation im Brockenbahnhof. Ein Arzt untersucht das Knie, dann wird es mit "Mobilat" eingeschmiert und bandagiert. Das ganze kostet 5 DM. Eine Möglichkeit, vom Brockengipfel mit dem Fahrzeug transportiert zu werden, gebe es nicht, höchstens "Ausfliegen". Na so weit ist es nun noch nicht, Udo meint, bis zur nächsten Kontrollstelle am Scharfenstein würde es schon gehen.
Zum Abschluß gibt Thomas einen Kaffee bzw. Tee aus, er muß gleich zwei Kaffee ausschlürfen, weil ihn die Bedienung falsch verstanden hat. Diesmal sind die Getränke heiß, sodaß wir ein wenig aufgewärmt wieder hinaus treten. Der Wind ist wie meistens hier oben sehr unangenehm. Die Russen haben sich hinter einer nagelneuen Absperrung verschanzt, niemand ist aber zu sehen. Ob der Zaun gegen ]bergriffe von außen oder ]berklettern von innen gedacht ist, sei dahingestellt. Außerdem sind die alten Backsteingebäude mittlerweile abgebrochen und beseitigt, das sieht nun insgesamt schon viel ordentlicher aus. Ein Postauto schickt sich gerade an, zurück nach Schierke zu fahren. Da macht Thomas kurzen Prozess, ehe sich Udo besinnen kann, sitzt er neben dem Fahrer, er soll von Schierke aus sich mit dem Bus zurück nach Harzburg durchschlagen.
Die Kontrollkarte nehmen wir mit, damit er wenigstens seine Anerkennungsmedaille bekommt. Für uns zwei "Gesunde": mich plagt der Rücken und der rechte Schuh drückt, Thomas zieht es die Oberschenkel rauf und runter, beginnt der Abstieg auf der Nordseite. Auf den Lochplatten der Grenztrasse geht es hinunter, vorbei an der Bismarckklippe zum Scharfenstein. Die Aussicht ist mäßig, wieder ohne Sonne liegt das Land unter uns grau da. Reizvoller ist der Marsch um einen Teil des Ecker-Stausees. Bei Erreichen der Staumauer fällt mir eine kleine Geschichte ein. Vor zwei Jahren habe ich schon einmal eine Harztour mit dem inzwischen geklauten Kettler-Mountainbike gemacht. Als ich am Abend nach Hause kam, war die Antwort auf die Frage, wo ich gewesen sei: "Ich war in der DDR!" Das war ja nun gar nicht zu glauben - aber es stimmte doch. An diesem Tag hatte die Ecker-Talsperre nämlich Tag der offenen Tür. Da gab es die Sondergenehmigung, die Staumauer - zur Hälfte auf DDR-Gebiet - zu begehen, auch das Innere der Staumauer mit den Kontrollgängen und ein Stück auf dem jenseitigen Ufer der Ecker durfte betreten werden.
"Wer hätte damals gedacht...", so fangen dann immer die weiteren Gedanken an. Es geht nun auf die letzten Kilometer, die einem trotz der etwas stelzigen Gangart dann schließlich wieder etwas leichter fallen. Am Molkenhaus ist die letzte Kontrollstelle, dafür regnet es nun zum Abschluß noch einmal kräftig. Punkt 16 Uhr sind wir wieder in Harzburg, das Ziel ist das "Krodo Bad". Wir nehmen unsere Medaille am Bande entgegen und setzen den Coupon für den Eintopf um. Auch dieser ist nur wegen des momentanen Hungers genießbar, die Erbsen sind verkocht und die Fleischstücken undefinierbar. Es wird per Lautsprecher verkündet, das ca. 2800 Wanderer an der Harzüberquerung teilgenommen haben, damit sind die Erwartungen bei weitem nicht erfüllt worden. Vielleicht müßten die Veranstalter sich bemühen, ein wenig mehr dahingehend zu bieten, daß man ein Einsehen für die stolze Teilnahmegebühr bekommt.
Uns verbleibt noch die Aufgabe, den invaliden Udo aufzuspüren, das Auto ist nicht abgeschlossen, aber das ist ein Versehen vom Morgen. daß das hochwertige Rennrad von Thomas noch vorhanden ist, bewahrt uns vor dem völligen Stimmungszusammenbruch. Wir können wenigstens unsere Klamotten sortieren, teilweise ist man noch durchnäßt. Dann geht es auf die Suche, wir pendeln einige Male zwischen dem Ziel und dem Auto hin und her. Die Nachfrage bei dem Roten Kreuz und der Veranstaltungsleitung bringt nichts. Bei ein paar Fahrern aus Schierke kursiert eine Fama von einem Knieverletzten, den irgendjemand irgendwohin gefahren habe, beides läßt sich nicht präzisieren. Die vom Roten Kreuz wissen noch viel weniger, wozu sie da sind, zum Helfen besteht keine Gelegenheit, nur die Funkgeräte sind pausenlos im Einsatz. Ein Tee steht uns noch zu, der ist noch schlimmer als der echte Ceylon in Tanne.
So tranen wir zwei Stunden in der Gegend herum, bis der Rucksack von Udo im Auto liegt, ihn selbst finden wir dann auch bald in einem entlegenen Teil des Freibades. Wir hören uns voll Spannung seine Geschichte an. Er hat sich in Schierke absetzen lassen und konnte gegen 15 Uhr mit dem Bus nach Elend fahren. Von dort ging es weiter bis an die ehemalige Grenze bei Braunlage. Dort wartete ein Bus, mit dem man nach Braunlage gebracht wird. Gegen 17 Uhr fuhr dann der Bus nach Harzburg, wo es inzwischen 18 Uhr geworden ist. Wir waren zu Fuß ganze zwei Stunden schneller.
Fazit der Unternehmung: keine besonderen Höhe- dagegen durchaus bemerkenswerte Tiefpunkte. Wenigstens hat man mal wieder den 42 km Marsch geschafft. Leider ist die Atmosphäre dieser Harzdurchquerung ihren besonderen Vorzeichen nicht gerecht geworden, aber vielleicht lag das auch am Wetter.
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Fahrt mit Jerry 16.9.
Jerry ist ein Hund so zwischen Spitz und Chow-chow, manche
sagen auch Husky dazu. Er ist kein x-beliebiger Hund, sondern der
Nachfolger "Knöpfchens", der oder die 8 Jahre lang Begleiter unserer
Familie war. Das verpflichtet. Da beißt man zuerstmal seinenen Herrn in
die Hand, daß er mehrere Tage krankgeschrieben werden muß. Den nächsten
Tag beginnt man mit einem Luftkampf gegen einen anderen Konkurenten in
einem bewohnten Kinderwagen. Am Nachmittag gehen Stefanie und ich auf
der Broitzemer Straße mit Jerry "Gassi", seit die Straße für Autos
gesperrt ist, hat man hier einen schönen Spazierweg. Doch heute ist
irgendwas da vorne los, ein Unverbesserlicher hat die
Absperrungspfosten umgeplättet, sich dabei einen Plattfuß eingehandelt
und ist so der Polizei in die Hände gefallen. Die nimmt gerade die
Angelegenheit auf und wir lassen den Hund erst ein paar hundert Meter
enfernt wieder von der Leine. Der aber rennt schnurstracks zurück und
springt, während wir schreckensstarr zusehen, direkt hinein in die
offene Tür des Streifenwagens. Was da für Bilder in einem aufkommen,
einen Tag zuvor habe ich bei dem vergeblichen Versuch, den Hund aus
einem fremden Auto herauszuholen, für meine Dreistigkeit schon gebüßt.
Diesmal haben wir Glück, der Hund verläßt den Streifenwagen
unaufgefordert, vielleicht ist die Luft da drinnen nicht so hundemäßig
angenehm, was weiß ich. Er kommt fröhlich angetrabt und die Polizei
scheint keinen Anstoß genommen zu haben und die Sache hat keine
weiteren Konsequenzen. Außer daß wir ins Grübeln kommen, was wir uns da
eingehandelt haben.
Im Zusammenhang des nachfolgenden Berichts ist vielleicht noch wichtig, die Herkunft von Jerry zu beleuchten, sofern das möglich ist. Aus sozialen Gründen stammt er selbstredend aus dem Tierheim in Wolfenbüttel, wo er wenige Wochen zuvor abgegeben worden war. Er war an einer Scheune in Berklingen am Elm angebundenerweise und in heruntergekommenem Zustand aufgefunden worden. Die Tatsache, daß es sich bei dem Zeitpunkt um die ersten Julitage nach Wegfall der Grenzkontrollen sowie um eine Gegend nicht weit von der Grenze handelt, läßt durchaus die Vermutung zu, daß wir da einen "Ossi" erwischt haben. Nachdem ich ein paarmal so eine Bemerkung gemacht habe, man sollte mal ausprobieren, ob der Hund da drüben irgendetwas wiedererkennt oder so, herrscht am Sonntag unerklärlicherweise plötzlich eine einmütige Meinung, daß wir allesamt mit Hund eine Tagesfahrt machen wollen.
Das Ziel hat ein Kollege gesetzt, der mir einen Tag zuvor von Halle erzählt hat, außerdem war Halle die erste Anlaufstation für Heidis Familie nach der Flucht. Ihr Vater hat dort studiert und war Mitglied in der Studentenverbindung "Agronomia". Das gibt genügend Anreiz, diese Stadt einmal kennenlernen zu wollen. Es gebt ja nicht nur Luther- oder Münzerstädte, nein, Halle ist eine Genscher-Stadt, wo der heutige quirlige Außenminister - auch "Genschman" genannt - als junger Mensch wohl öfter was hinter die großen Ohren gekriegt hat.
Es gilt nur noch, ein wenig zu verschleiern, wie weit die Fahrt ist. Ich rechne sowas von 100 km von der Grenze aus, natürlich reichlich optimistisch. ]ber Salzdahlum (mein "Stichweg" nach Berlin) fahren wir nach Mattierzoll. Die Grenze steht noch in ihrer ganzen Schönheit, vielleicht ergattere ich irgendwann doch noch ein paar Quadratmeter Drahtgeflecht (für den Komposthaufen). Die Grenzerbuden sind verschwunden, werden inzwischen sicher als Baubuden oder Häuschen für den Verkauf von Eintrittskarten oder Gebrauchtwagen eingesetzt.
Das erste Ziel ist Quedlinburg, zuvor durchfahren wir wieder kopfschüttelnd Halberstadt mit seinen Spielzeugkirchen zwischen den Wohnblocks. In Quedlinburg finden wir uns nun gar nicht zurecht. Nach dem Abbiegen in ein paar Nebenstraßen geraten wir in eine groteske Gegend. Fachwerkhäuser, fast sämtlich unbewohnt und in allen Stadien des Verfalls. Eine Kirche ohne Kirchenschiff mit einem gähnenden Loch in den Wänden des Turms, da ist wohl mal ein Anbau abgefallen. In sicherem Abstand von irgendeiner Hauswand stellen wir das Auto ab und machen uns an die Erkundung der Stadt. Wir haben Quedlinburg regelrecht durch die Hintertür betreten. Nur allmählich geraten wir in gepflegtere Straßen. Schließlich sind wir in der Hauptstraße. Da gibt es geradezu Prachtbauten, die noch gut erhalten aber renovierungsbedürftig sind. Wir treten in ein leerstehendes Haus, eine ehemalige Druckerei, wie man aus einer Aufschrift noch entziffern kann. Von der geräumigen Eingangshallen geht ein Treppenhaus nach oben, das sieht alles aus wie im Mittelalter. Das Alter der Häuser ist enorm, hoffenlich erhält man möglichst viel davon.
Ich suche immer nach dem Schloßberg. Endlich wird man der Türme der Stiftskirche ansichtig, die kennt man von dem Titelfoto eines Bildbandes über den Harz. Wir schlagen also diese Richtung ein, überqueren den Marktplatz - den lassen wir uns für später übrig. Ein Denkmal und das obligate Geburtshaus eines großen Sohnes der Stadt: Johann Christoph Guts Muths(geb. 1759), Erfinder des Sportunterrichts. Dann treten wir aus dem von der Stadtmauer umgebenen Teil der Stadt auf einen großen Platz. Alles voller Busse, darüber der Schloßberg, von einem Aussichtspunkt gucken die Köpfe über die Mauer wie die Schwalben aus dem Nest. "Müssen wir da ganz rauf?" fragt Annika wie üblich. Bisher hat sie alles "wie in Frankreich" gefunden.
Vorher gibt es aber erstmal was auf die Faust, ein Imbißstand will auch leben. Jerry wird an einem Pfosten angeleint, von wo aus er alle vorbeiziehenden Vierbeiner anmisten kann. Wir essen Bratwurst, die Pommes und Plastikgabeln sind ausgegangen. "Irgendwas wird immer mal alle" sagt der Kioskbetreiber dazu. Da wird er Erfahrung haben. Gestärkt geht es an den Aufstieg, aber das ist gar keiner, nach wenigen Minuten betritt man den "Finkenherd", der hat was mit der "Heinrichgeschichte" zu tun, so äußert sich eine vorbeilaufende Dame. Laut Reiseführer liegt in der Stiftskirche Heinrich I. mit seiner Gattin Mathilde begraben. Aber der liege doch in Braunschweig, meint Heidi entrüstet. Das sei doch Heinrich der Löwe, weiß ich es besser. Aber heißt dessen Frau nicht auch Mathilde ? Unsere Geschichtskenntnisse sind am Ende. Wir sind aber auch solche Banausen. Alle anderen bewegen sich gruppenweise und lauschen andächtig einem Weisen, der alle Namen und Daten herunterrasselt.
Auf dem Burghof beschäftigen wir uns mit der Tiefe eines Brunnens, dann beugen wir uns über die Mauerbrüstung bei der "Aussicht" und wundern uns, wie tief es da runter geht. Der Blick über die Stadt ist einzigartig, keine entstellenden Neubauten außer einem mißlungenen Versuch, einen Turm der Stadtmauer zu modernisieren. Die roten Ziegeldächer verraten von weitem nicht, was sich darunter verbirgt. Auf dem Rückweg sehen wir eine Baustelle, da hat man über einem heruntergekommenen Gebäude das Dach neu errichtet. Das gibt Hoffnung, dann hat man das Haus ja wohl nicht aufgegeben.
Nun ein Foto vom Marktplatz, das Rathaus ist malerisch mit Wein bekränzt. Im Cafe am Markt gibt es leider kein Eis auf die Faust. Nun umrunden wir die Marktkirche. An einer Mauerecke wächst Moos. Das kommt daher, daß genau dort die Dachrinne zwei Meter über dem Erdboden endet. Vorbei an modernen und auch geschmackvollen Wohngebäuden ziehen wir wieder in unsere "Schurrmurr-Gegend". An einem Haus befindet sich ein Zettel: "Wir renovieren hier", darunter eine Privatadresse. Leider ist kein Spendenkonto angegeben. An einer Ecke eine ehemalige Bäckerei, durch die glaslosen Fenster kann man einen Blick in die Backstube werfen, die Halter für die Bleche befinden sich noch an den Wänden. Ein Haus weiter ist die Zimmerdecke heruntergekommen, das nächste Haus steht nur noch halb. Wir finden das Auto wieder und machen uns auf die restlichen 75 km Richtung Halle.
Es geht wieder durch Neuland. Der Harz zur Rechten verliert sich in flachen Hügeln. Mitunter kann man weit voraus in das Land blicken. "Das gehört nun alles uns" ist man versucht zu sagen. Und damit ist nur gemeint: wir können hierher fahren, alles ansehen und mit jedem in Freiheit reden. Ab 3. Oktober wird es ein Deutschland sein, aber es wird eine halbe Generation dauern, bis die Unterschiede nicht mehr bestehen. So fällt immer wieder mal der lapsige Spruch: "Hier sieht's aus wie in der DDR". Wir rätseln allerdings auch daran herum, warum man diesem Einheitsgrau nun in diesem Sommer nicht schon mal energischer zuleibe gerückt ist. Vielleicht sind die Energien eher in den allgegenwärtigen Gebrauchtwagenhandel gesteckt worden.
]ber Aschersleben kommen wir nach Alsleben/Mukrena, wo die Saale überquert wird. Schon seit geraumer Zeit sehen wir weit voraus einen spitzen Berg mit einem Sendemast. Das ist der Petersberg bei Halle. In Halle sind wir kurz nach 14 Uhr. Wir orientieren uns nach den Hinweisschildern in die Innenstadt und landen unter den Rampen der Stadtautobahn auf einem Parkplatz. "Dürfen hier auch Westautos parken?" zweifelt Stefanie. Na wolln's doch hoffen, auf geht's in Richtung Stadtzentrum. Als wir ein paar Kinder nach diesem fragen, hören wir, daß wir wieder genau in die falsche Richtung unterwegs sind. Also umgedreht, nur dem Hund ist das egal, der zieht in jede Richtung, die man einschlägt. So kommen wir auf den Hallmarkt, an den Kirchtürmen dahinter sieht man sofort, daß man sich auf der richtigen Fährte bewegt. "Die Türme sind berühmt" sage ich so daher. Tatsächlich befindet sich zwischen den beiden Türmen der Marktkirche eine luftige Brücke, von der sich trefflich eine Predigt halten ließe, wenn man schwindelfrei und wortgewaltig wäre.
;Uuml;ber eine Treppe steigen wir vom Hallmarkt hinauf zum Marktplatz. Hier ist anscheinend mächtig was los, wie es sich gehört, wenn wir schon mal kommen. Zuvor aber graust es einem bei dem Anblick des mit einem modernen Glasbau umgebenen "Roten Turmes", der mitten auf dem Platz steht. Ein Designer Wettbewerb oder sowas ist dort obendrein einquartiert. Dann die Quelle des Klamauks: einige hundert Leute umdrängen eine Bühne des Fernsehsenders SAT1. "Rollende Truck Show" oder ähnliches steht an einer Kulissenwand, darunter sind alle größeren Städte der DDR sauber aufgelistet, keine ist ausgelassen. Der Einpeitscher auf der Bühne bereitet ein Spiel vor, er läßt üben: "Zur Probe, könnt Ihr alle B I N G O rufen?" Und es hallt über den Marktplatz zu Halle zwischen Wende und Wiedervereinigung: "B I N G O !!! ". Es läuft mir irgendwie den Rücken herunter, was man mit den Menschen so machen kann. Zum 40. Jahrestag vor weniger als einem Jahr haben sicher welche von den BINGO-Freunden "Es lebe der Sozialismus!" oder ähnliches verbreitet, dann haben sie hier und in Leipzig unter großen Gefahren die Verabschiedung des sozialistischen Regimes herbeigeführt - "Wir sind das Volk" oder im Singular und Komparativ "Ich bin Volker!" - und heute schreien sie alle "B I N G O !!!". Dieses Jahr ist wohl ein Wechselbad, wie es seinesgleichen sucht. Aber Spaß muß sein, gönnen wir es einem jeden. Der in Form eines Denkmals präsente Händel kehrt der ganzen Angelegenheit den Rücken zu.
Der Krach ist unerträglich, wenn das Losrad auf der Bühne elektronisch unterstützt aufheult. So bummeln wir in die Fußgängerzone, die Straße heißt Klement-Gottwald-Straße. In einem Cafe kommen wir nicht unter, die Bedienung ist überlastet und gibt keine weiteren Außentische frei. Die meisten Lokale auf dieser Straße sind heute am Sonntag geschlossen, obwohl ein regelrechtes Gedränge von flanierenden Passanten herrscht. Erst am Ende der Straße an den Wallanlagen kann man ein Eis erstehen. Wir wandeln den Wall entlang, an einem Springbrunnen kann der Hund seinen Durst stillen, wenn es auch einiger Verrenkungen bedarf, um an den Wasserspiegel zu gelangen. Ein großes rotes Monument stellt die "Flamme der Revolution" dar. Die Revolution findet offensichtlich gerade auf dem Marktplatz statt.
Wir gehen wieder Richtung Markt und gehen die Große Ulrichstraße entlang. Diese ist noch nicht ganz aus dem Dornröschen Schlaf erwacht. Sie hat alle Eigenschaften für eine großartige Geschäftsstraße, es fahren keine Autos, nur die Staßenbahn saust ab und zu hindurch. Die Gebäude sind von großem Stil, klassisch mit liebevollen Verzierungen und Details. Nur in welchem Zustand das alles ist. Wir denken uns die wenigen Farbklekse von Tchibo, Jacobs und Eduscho mal weg, dafür Nebel und Nieselregen her, da kann einen schon gruseln. Heute haben wir ja großes Glück mit dem Wetter, die Sonne scheint alles freundlich an und macht manches erträglicher. Endlich lacht uns ein schönes Cafe an, es heißt "Cafe nt", Abkürzung für "Neues Theater". Es ist schon seit April 89 in dieser Form eröffnet, wobei wir gewettet hätten, daß die Ausstattung erst in den letzten Monaten von westlichen Investoren geschaffen wäre. Der Kaffee ist nuir lauwarm, alles kann man eben nicht haben. An den Wänden hängen Bilder von Prominenten aller Zeiten, die einen Bezug zu Halle gehabt haben. Auf der Empore stehen Bücher in Glasvitrinen. Ein Spruch ist zu lesen: "Was Du nicht selber tust, tut auch kein anderer für Dich". Wir überlegen, ob das besser auf die Situation in der DDR oder die in den Zimmern der Kinder zu Hause paßt.
Wieder draußen entdecken wir das "Neue Theater" selbst. Es liegt gleich daneben in einem Innenhof, wenige Bänke für die Zuschauer und eine winzige Bühne. Aber auch alles im Umbruch für eine Instandsetzung. Als Kontrast gehen wir nun parallel zur Großen über die Kleine Ulrichstraße zurück. Wir haben heute schon viele Bürger beim "Aus dem Fenster Schauen" beobachtet. Hier schaut eine Oma aus einem Fenster, umgeben von Blumen in einem Blumenkasten, das ganze wiederum eingerahmt von der grauen Hausfassade mit blinden Fenstern und bröckelndem Putz. Ein Foto wäre ausstellungsreif, aber ich habe keine Teleobjektiv mit. Wir gehen am Händelhaus vorbei, merken das aber gar nicht, Banausen wie wir sind. Ein anderes Kunstwerk erregt unsere Aufmerksamkeit: man hat die Fassade eines Neubaus kunstvoll bemalt mit Fenstern und Türen. Eine Schar von Landsknechten aus dem 30-jährigen Krieg drängt sich zwischen Mauern hindurch. Die tiefere Bedeutung dieser Szene ist uns unklar. Gleich hinter diesem Gemälde wieder Baufölligkeit in Form der Residenz am Dom. Die liegt direkt an der Saale, wir betreten die Klausbrücke. Blasen steigen aus dem braunen Wasser auf, ob das muntere Fischlein sind? Um Halle herum liegt das Zentrum der DDR-Chemiebetriebe....
Nun wird es Zeit für die Rückfahrt. Es wäre noch viel zu besichtigen, aber wir müssen Dom, Moritzburg oder Universität unberücksichtigt lassen. Man kommt ja doch wohl mal wieder her. Wir begeben uns wieder auf die vierspurige Stadtautobahn und fahren in Richtung Westen. Unvermeidbar die Haller Neustadt, auch die muß man gesehen haben. Da steht die Haller Altstadt halb leer, weil die Häuser unbewohnbar geworden sind, hier hat man dagegen für hundert Tausende von Menschen eine Trabantenstadt hingesetzt, wie wir sie bis dato noch nicht zu Gesicht bekommen haben. Zu Füßen der gewaltigen Wohntrakte das unübersehbare Meer der Autos, die Parkplätze sind groß wie Fußballfelder. Wie es mit den Freizeit- und Einkaufseinrichtungen aussieht, können wir so im Vorbeifahren nicht ausbaldowern. Die Menschenmassen im alten Halle deuten darauf hin, daß man dieser riesigen Wohnmaschine in der Freizeit möglichst zu entrinnen trachtet. Auch der stetig starke Gegenverkehr auf der weiteren Strecke zeigt eine rege Rückreisewelle aus den Erholungsgebieten des Harzes an. "Die fahren alle nach Halle Neustadt" - sind wir uns einig. Aber auch Leipzig ist ja nicht mehr weit, da sind schon eine Menge Menschen unterwegs. Die Leipziger allerdings haben heute Besuch von unserem wohlgenährten Bundeskanzler, schön dumm, wer dem bei der Gelegenheit nicht zujubelt. Vielleicht umgibt ihn wieder ein "Hauch von Geschichte", wie kürzlich in der Braunschweiger Zeitung zu lesen war.
Die Rückfahrt soll durch den Harz führen, da geht es durch Orte wie Salzmünde im tief eingeschnittenen Tal der Saale, Mansfeld und Harzgerode. Die Sonne scheint von vorn, da kann man oftmals von der schönen Landschaft gar nicht so viel erkennen. Schließlich geht es nach Hasselfelde hinauf, Brocken und Wurmberg grüßen "von hinten" - so wie wir es verstehen. Verena erkennt: "Hier sieht es aus wie im Harz". Dann werden die Kinder zum Glück albern, denn die Fahrt nimmt und nimmt kein Ende. Ob wir über Braunlage zurückfahren? Ist aber ein zu großer Umweg. Als wir den Harz bei Blankenburg verlassen fragt Annika: "Fahren wir nun über Braunlage?". In Stapelburg fahren wir wieder über die Grenze. Auch hier sind noch alle Grenzzäune vorhanden.,
Nach über drei Stunden sind wir endlich wieder zu Hause, es ist längst dunkel und wir sind geschafft. Am meisten wundere ich mich über eine Bemerkung, daß es ein schöner Tag gewesen sei. Für mich und Jerry gilt das sicher - wir mit unserer DDR-Erfahrung. Heidi entwickelt auch so langsam Interesse. Die Kinder sind dagegen noch nicht ganz bei der Sache, sie können die 40 Jahre Spaltung nicht nachempfinden, haben nicht wie wir das Gefühl, in die Vergangenheit zu reisen und verstehen die allgegenwärtigen armseligen Verhältnisse nicht. Doch ist das sicher wichtig, es jetzt zu sehen, bevor die Marktwirtschaft alles übergebügelt hat.
Nicht-Happy End
Ein paar Wochen später mußten wir Jerry wieder in das Tierheim zurückbringen, weil er sein Frauchen fast krankenhausreif gebissen hat. In unserer Familie war es nicht möglich, per Erziehungsmaßnahmen die Unberechenbarkeit dieses Hundes abzustellen. Schade - er hat es schön bei uns gehabt.
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Eine historische Versammlung 22/23.9.
Es gibt führende Politiker, die in diesen Zeiten jedes
Kontaktieren, Paraphieren oder Annektieren mit einem historischen
Mantel umhüllen. Da wollen wir doch nicht hinter dem Berg halten,
sondern uns hinter dem Berg ebenfalls zu einem historischen Ereignis
zusammenfinden. Es ist zumindest anzunehmen, daß der 22.9.90 in einigen
Kreisen in so 25 Jahren zu der einen oder anderen Feierlichkeit Anlaß
geben wird.
Es handelt sich um die jährlich stattfindende Jahreshauptversammlung der Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde in Niedersachsen e.V., kürzer ArGeN. Denen ist Niedersachsen nun zu klein geworden, man möchte wieder auf den in den 20er Jahren durch Friedrich Stolberg begründeten Harzer Höhlenforscherverband zurückkommen. Der Wunsch besteht auf beiden Seiten der Beteiligten. In dem knappen Jahr, das bisher zur Verfügung stand, sind zahlreiche Kontakte und Freundschaften bereits geknüpft worden. Als ganz großes gemeinsames Projekt laufen auch ganz intensiv die Bemühungen um das "Biosphärenreservat Südharz", in dem sämtliche nennenswerten Karsterscheinungen auf beiden Seiten der Grenze vor dem gierigen Zugriff der Gipsindustrie und anderen menschlichen Schädlingen geschützt werden sollen.
Da ich auch später sagen möchte, ich sei dabeigewesen, mache ich mich also am Sonnabend auf die Reise nach Neuhof hinter'm Harz. In Bad Sachsa versuche ich noch, mich in eine Imbißbude hineinzudrängen, aber die Zeit reicht nicht für die Warteschlange der - man weiß schon - an Samstagen und langen Donnerstagen allgegenwärtigen und kauffreudigen Neubürger. In einem "Tengelmann" erstehe ich dafür 3 Beefis, mit denen muß ich nun über den historischen Nachmittag kommen.
Am Dorfgemeinschaftshaus in Neuhof frage ich erstmal ein Individuum mit Rucksack, ob ich hier richtig sei. Es sieht eher nach einer Familienfeier von besagten Neubürgern aus, Zelte und andere Campingprovisorien sind auf dem Gelände verstreut. Endlich entdecke ich sogar ein paar Bekannte, ein Anzeichen, daß ich doch an der richtigen Adresse bin. Es vergeht noch eine knappe Stunde, bis die bunte Versammlung von Friedhart Knolle eröffnet wird. Nun hat man Zeit die neuen Gesichter zu studieren. Ich kenne immerhin drei bis vier von der Heimkehlen-Exkursion. Die neuen Gesichter sind zunächst recht zurückhaltend, während die paar restlichen "Alten" Vereinsmitglieder in gewohnter Weise die Vereinsmichelei abarbeiten: Genehmigung des Protokolls der letzten Jahreshauptversammlung, Berichte der Vorstands- und Beiratsmitglieder, Kassenbericht, Bestätigung durch die Kassenprüfer, Entlastung des Vorstands, Satzungsänderungen, Kaffeepause.
Danach geht es erst eigentlich los. Es soll ja ein neuer Vorstand gewählt werden, dazu müssen die Neuen irgendwie legitimiert werden, um mit wählen und kandidieren zu können. Zuvor soll obendrein ein neuer Name für den Verband gefunden werden. Aus juristischen und finanziellen Gründen wird die Neugründung eines neuen Verbandes nebst Auflösung des alten verworfen. Also werden per Beschluß der vollversammelten anwesenden Mitglieder auf der Stelle alle vorliegenden Aufnahmeanträge positiv beschieden - einstimmig selbstredend. In diesem Moment verdoppelt sich die Mitgliederzahl des Verbandes mit einem Schlage auf über 100, die niedersächsische Arbeitsgruppe hat nun Kollegen aus Wernigerode, Nordhausen, Rübeland und selbst Dresden in ihren Reihen. Daher muß der Name "Niedersachsen" weg. Die Diskussion ist länglich, die Vorschläge gehen auseinander. Man stochert in folgenden Begriffen herum: "Verein", "Gesellschaft", "Arbeitsgemeinschaft", "Karstkunde", "Karstforschung", "Höhlenfoschung", "Harz", "im Harz","Stolberg", "Norddeutschland", "Mitteldeutschland", "Nord- und Mitteldeutschland" usw. Irgendwann ist der Konsens gefunden: "Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz". Die Freunde vom Kyffhäuser sind nicht damit einverstanden, müssen sich aber fügen. Wie die Verwaltungsstellen im holsteinischen Bad Segeberg darauf reagieren, daß sich Leute aus dem Harz für deren Kalkberghöhle zuständig fühlen, bleibt abzuwarten. Unter uns sind wir uns einig, daß der Begriff "Harz" den Sitz der Gesellschaft, nicht aber deren Tätigkeitsbereich benennen soll.
Nun ist die Stimmung bereits wesentlich gelockerter. Brötchen aus dem großen Spendierkorb fliegen von Ost nach West und umgekehrt. Für weitere Verpflegung ist leider nicht gesorgt, außerdem ist der Raum ungeheizt, ich habe auch nur noch ein Beefi in der Tasche. Das alles gibt der Veranstaltung einen gewissen spartanischen Anflug.
Es folgt nun die Wahl eines neuen Vorstands. Bei Kandidaten wie "Knolle" und "Pohl" ruft einer "Wählt doch Kohl". Einer antwortet schlagfertig "Den braucht ihr nicht wählen, den kriegt ihr geschenkt" - Riesengelächter! Das Ergebnis der Wahl ist dann so halbwegs "paritätisch": 1. Vorsitzender aus Göttingen, 2. Vorsitzender aus Nordhausen. Die übrigen Chargen setzen sich zumeist aus den bisher schon aktiven Bütteln zusammen.
Trotz der Historie ist man allerseits froh, nach gut vier Stunden die Versammlung beschließen zu können. Reinhard Völker läd zu einer großen Höhlenforscherfeier am 10. November an der Heimkehle ein, ]bernachtungsmöglichkeiten im kleinen Dom und 10 DM Anzahlung. Am Abend folgen noch zwei Vorträge. Der erste beschäftigt sich mit der Zechsteinforschung, dem dafür verantwortlichen Zechsteinmeer, seinen Riffen, eines davon südlich des Harzes befindlich, und den Strukturen im Zechsteinkalk, ob knollig, faserig oder schlängelig. Der zweite Vortrag setzt sich mit der Barbarossahöhle auseinander, sehr nützlich für einen späteren Besuch der Höhle, da hat man schon ein wenig Informationen. An der Barbarossahöhle sind sämtliche Formationen der Zechsteinabfolge aufgeschlossen. Die sind durch Buchstaben des griechischen Alpabets gekennzeichnet, die der Wissende mit möglichst hoher Geschwindigkeit herunterrasselt. Das gelingt mir nur mit den Propheten des Alten Testaments, die ich seit meiner Konfirmationszeit nicht vergessen habe.
Spät abends bin ich froh, im Braunlager Kellerloch ein warmes Quartier vorzufinden. Wenn ich an die anderen in ihren Zelten und Wohntrabis denke... Am nächsten Morgen fahre ich erst um 9 Uhr los, obwohl die Karstexkursion um diese Zeit beginnen soll. Ich habe gut gepokert und komme genau zum richtigen Zeitpunkt in Neuhof an. Eine Karawane von über 20 Autos macht sich auf die Reise. Ich freue mich, daß ein Jugendlicher mich fragt, ob er bei mir mitfahren kann. Es stellt sich heraus, daß er aus Rübeland kommt. Später steigt sein Freund auch noch zu, da kann ich einige Fragen zu den Rübeländer Höhlen loswerden.
Angekündigt ist eine Exkursion zwischen Walkenried und Ellrich. Das scheint nicht so interessant, deutet das doch auf das "Himmelreich" hin, das hinlänglich bekannt ist. Gleich hinter Neuhof aber geht es auf einem holperigen Weg zwischen den vielbesungenen Drahtgeflechten hindurch. Wir landen in Klettenberg. Die Sonne scheint, das Dorfbild wie in den 50er Jahren. Ein Kamerad, der sonst dem "Free Climbing" nachgeht oder -steigt, macht sich sogleich an's Fotografieren. Fritz Reinboth stellt sich auf eine Mauer und gibt seine ausgezeichneten historischen und hydrologischen Kenntnisse zum besten. Immer mehr Anwohner werden sichtbar, einige liegen in den Fensterbänken. Sie erfahren staunend daß sie auf "Werra-Anhydrit" angesiedelt sind. Sie gucken aber ein wenig skeptisch - wir dagegen kommen uns ungeheuer gebildet vor. Es geht ein paar Schritte an dem Kalkberg entlang, steilaufragende Gipswände und Schwinde des Mühlgrabens, der unter dem Kalkberg hindurch diffundiert. Das alles ist nicht so richtig erforscht. Man macht sich eindrücklich klar, das dieses Gebiet in der ehemaligen Sperrzone wissenschaftlich gesehen für beide Seiten ein absolut weißer Fleck ist. Da die gesamte weitere Exkursion in diesem Niemandsland stattfinden wird, ist die Spannung groß. Wäre man doch vor kurzem noch leichter nach Neuseeland gekommen als hierher. Die Nordhausener Kollegen erzählen, daß jeder Versuch, in das Sperrgebiet einzudringen, selbst von der Zivilbevölkerung durch Denunzieren bei den Grenzkommandos vereitelt worden sei. Von Hundestreifen und anderen Schikanen gar nicht zu reden.
Das nächste Ziel sind die Trichterseen zwischen Liebenrode und Steinsee. Letzeres ist der kleinste Ort im Landkreis Nordhausen und nur auf einer Straße zu erreichen. Die paar Häuser aber liegen malerisch auf einer Anhöhe. Auch Liebenrode würde ein Postkartenmotiv abgeben. Weniger erquicklich sind die Trichterseen, eine Reihe von wassergefüllten Erdfällen. Eine grüne Algenschicht liegt auf ihnen infolge von ]berdüngung durch die Oberflächenwasser der angrenzenden Felder. Es ist geplant, die landwirtschaftliche Nutzung um die Trichterseen einzustellen. Grünland soll stattdessen für eine Verbesserung dieses Biotops sorgen. R. Völker erzählt von Tauchgängen in ähnlichen Teichen. Ab 7 Meter wabern nur noch mit Ammoniak angereicherte Faulschlämme, in denen jeder Taucher in Panik gerät.
Ansonsten gibt es ja viele Sagen um diese Wasserlöcher, oftmals sollen sie unendlich tief sein, alles verschlingen, was in sie hineinfällt oder sich durch brausende Strudel hervortun. Das alles sieht in der Wirklichkeit leider etwas weniger romantisch aus. Es geht weiter, d.h. wieder zurück über die Grenze direkt nach Walkenried. Hier soll der Bach Wieda direkt an einer Brücke versinken. Das tut er heute aber nicht, stattdessen tollt ein Hund im Wasser herum und wir warten darauf, daß er mit dem klassischen Geräusch, daß man von älteren Toilettenspülungen kennt, in einem der Schlucklöcher verschwindet, aber auch das ereignet sich nicht. Ein kleiner Rundgang, an einer Brücke hinter dem Kloster ein Aufschluß mit Zechstein, und Kupferschiefer. Dann wieder in die Autos, jetzt direkt hinein in die Grenze, wir befinden uns bei Wiedigshof. Das erste Mal fahre ich mit dem Auto auf den Betonlochplatten des Kolonnenweges. So könnte man ja glatt bis zum Priwall an der Ostsee weiterfahren. Vorher halten wir aber an einem abgeernteten Maisfeld an, genügend eßbare Kolben liegen noch herum, mancher verschafft sich dadurch ein Nebenfrühstück. Wir besichtigen jenseits des Maisfeldes eine weitere Versinkungsstelle der Wieda, hier wiederum mangelt es eher an Wasser, um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Beim genauen Hinsehen muß man aber bestätigen, daß zunächst fließendes Wasser in einer Pfütze endet, die sich nicht mehr vergrößert.
Weiter geht die Fahrt der Umweltschützer, die durch ein forsches Tempo dafür sorgen, daß der Anschluß kaum gehalten werden kann. Es ist schon paradox: Umweltprojekte werden im großen Stil angegangen aber fahren tun sie wie die Henker. Das nächste Ziel erreichen wir trotzdem wohlbehalten, den "Igelsumpf". Das ist ein Teich zu Füßen einer mächtigen Gipswand. Bemerkenswert sind bizarre Verwitterungsformen von Gipsbrocken, die in den Teich gefallen sind. Von hochoffizieller Seite (Naturschutzbeauftrager usw.) wird das zu "Taschenkarst" erklärt, d.h. man kann sich da ein schönes Stück einsammeln. Auch eine Höhle gibt es, die aber wohl nicht so bedeutend ist.
Jetzt geht es weiter zum Höhepunkt der Exkursion, der "Kelle". Vor Woffleben wieder mal geschlossene Schranken, von einem nahenden Zug keine Spur. So nach 10 Minuten aber hört man schon ein tutendes Geräusch. Meine Mitfahrer klären mich auf, daß es sich nicht um ein Tuten handelt, sondern um das Eigengeräusch der Diesellok. Schließlich rollt ein Güterzug vorbei, immer langsamer werdend, vorne weg die schwere Dieselmaschine, die ihrem Namen "Taiga-Trommel" alle Ehre macht. Zum Glück erleben wir endlich auch das Ende des Zuges, sodaß sich die Schranke nach geraumer Zeit auch wieder öffnet.
Hinter Woffleben, geht es über abenteuerliche Feldwege, die schließlich in wahren Seenplatten enden. Einer saust da unter Schimpfen der anderen Leidtragenden mit hohem Tempo hindurch, als er mit dem Unterboden auf einem Stein aufschlägt, ist man befriedigt für die prompt erfolgte Bestrafung. Wir parken also zwischen den Pfützen und schlängeln uns durch die Buchen. Wieder hat Fritz Reinboth das Sagen, er hat im vergangenen Jahr einen Artikel über die Kelle veröffentlicht. Die Kelle ist eine Höhlenruine, ihr ehemals größter Raum ist vor wenigen hundert Jahren erst zusammengestürzt. ]brig geblieben ist nur eine allerdings sehr beeindruckende Halbhöhle mit einem See aus blaugrünem Wasser. Er ist 7 m tief, man kann bis zum Grund wie durch Glas hindurchsehen. R. Völker berichtet aber, daß sehr hohe Nitratwerte des Wassers gemessen seien. Zwischen dem eingestürzten Höhlenteil und dem alten Eingang kann man unter einer Naturbrücke hindurchgehen oder -kriechen. Als der große Höhlenraum noch bestand, befand sich bereits ein Loch in der Decke, durch das nicht nur Licht, sondern gelegentlich auch schon mal eine unglückliche Jungfrau oder ungetreuer Liebhaber hereinfiel. Daran knüpfen sich einige Sagen und Balladen. Nach neueren Vermessungen hat sich das Gelände in diesem Jahrhundert hier nicht mehr verändert, so fällt es nicht schwer, zwischen steilen Felswänden und knorrig verwurzelten Buchen sich derartige Szenen zu vergegenwärtigen.
Wieder zurück, vorbei am Himmelberg, wo sich ein paar Höhlen befinden, die im Rahmen dieser Exkursion aber nicht besucht werden können. Wir biegen dagegen auf einen Wiesenweg ein, dahinter befindet sich der Tanzteich. Es wird erklärt, daß die aus dem Süden herandrängenden Wasser hier vor der Barriere des Himmel- und Mühlberges eine Auslaugungszone bilden, in deren Zuge dann Sümpfe und Teiche entstehen. Ein älterer Herr geht an uns vorbei, dreht sich dann aber um und gesteht, daß er neugierig sei, was für eine Gruppe wir seien. Wir sind ganz stolz, uns nicht als West- oder Ost-Institution sondern als frischgebackene gemeinsame Gesellschaft vorstellen zu können. Da gratuliert der freundliche Herr geradezu. Er spräche gerade mit dem 2. Vorsitzenden, wird er belehrt. Er dagegen hält auch nicht mit seinem Wissen hinter dem Berg, er ist in einer Naturschutzinitiative in Zusammenarbeit mit dem BUND in Göttingen engagiert. Einer von uns steht mittlerweile klammheimlich neben ihm, bis sich herausstellt, daß die beiden sich gut kennen. Na das gibt wieder Spaß.
Endlich geht es zum letzten Ziel, der Salzaquelle bei Nordhausen. Heute sieht man die Türme von Nordhausen schon von weitem, für mich ist da immer noch eine Rechnung offen... Die Salzaquelle ist die größte Quelle der DDR. Sie sollte der Trinkwasserversorgung im Notfall vorbehalten sein. Deshalb ist auf sozialistischen Landkarten weder die Salza noch deren Quelle eingezeichnet. Anhand einer Schautafel kann man die geologischen Daten ablesen. Man ist sich nicht sicher, ob diese Quelle aus Wassern der zuvor besuchten Schlucklöchern der Wieda und Zorge gespeist wird. Hier wird es so dargestellt, dazu müßten die Wasser allerdings einen Berg unterqueren. Man diskutiert einen Färbeversuch. Ein paar Regentropfen verhindern zunächst das genauere Beobachten der aufsteigenden Wasserstrudel. So sieht das auch bei der Rhumequelle bei Duderstadt aus, die aber noch größer ist. Ausgerechnet der tiefste Quelltopf (grundloser See) ist mit Algen überdeckt. So sieht mein Gartenteich auch manchmal aus.
Nun ist der wissenschaftliche Teil absolviert, wir sind miteinander an diesem Tag warm geworden, damit ist wohl das wesentliche Ziel der Veranstaltung erreicht worden. So geht es abschließend noch zu einem Kaffeetrinken, ein Lokal ist allerdings nicht ausfindig zu machen. So landen wir in Ilfeld in einem Sportheim. "Wir wollen einen Verein gründen, wir haben uns gerade kennengelernt", mit diesen Worten geht es in die Wirtsstube. Der Wirt hilft beim Zusammenrücken der Tische. Als alle an der langen Tafel Platz genommen haben, meint derselbe Spaßvogel (Betreiber einer großen Schauhöhle mit angeschlossenem Museum) "Bestellen wollten wir eigentlich nichts, sondern nur im Warmen sitzen". Der Wirt bringt es fertig, in angemessener Zeit über 30 Kaffeeportionen zu kochen und zu servieren. Nur Kuchen gibt es nicht, da hätte man sich anmelden müssen.
Die Rückfahrt verläuft etwas unplanmäßig. Die Straße nach Rothesütte/ Hohegeiß ist noch nicht freigegeben, so muß ich über den ganzen Harz zum regen Sonntagsverkehr beitragen. Hasselfelde, Rappbode, Rübeland, Elbingerode, Wernigerode - dann ist das geschafft. Aber das Leiden fängt erst an, Wernigerode steht voll mit Autos. Bis zur Grenze bei Stapelburg brauche ich heute eine Stunde und ärgere mich, daß ich selbst an diesem Verkehrschaos beteiligt bin. Es ergeben sich zwei Auswege für die Zukunft: großzügiger Ausbau der Verkehrswege oder weniger Autofahren. Für welche Lösung wird man sich entscheiden?
mail: m.wittram@tu-bs.de