Karstexkursion um und in die Heimkehle, Uftrungen

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Auch die Höhlenforscher werden aktiv, am Sonntag, 18.3. - dem Wahlsonntag in der DDR - findet eine Karstexkursion in und um Heimkehle statt. Die Höhle "Heimkehle" ist uns natürlich seit vielen Jahren ein Begriff. Sie war in den 20er Jahren eines der Hauptforschungsobjekte des Begründers der Harzer Höhlenforschung, Friedrich Stolberg. Aus dem Stand weiß ich nur, daß während des zweiten Weltkrieges dort Rüstungswerkstätten eingebaut wurden, nach Untergang des dritten Reiches wurden sie gesprengt - was mag da von der Höhle noch übrig geblieben sein. Zum Glück finde ich in meinen Unterlagen die Abhandlung von Biese über Gipshöhlen am Harz und Kyffhäuser von 1931, da ist auch die Heimkehle samt Lageplan ausführlich beschrieben. Das ist sehr vielversprechend. Die Wetterlage ist fast schon sommerlich, so ziehen wir es vor, statt faul auf der Terrasse in der Sonne zu braten, an der Exkursion teilzunehmen, jedenfalls was Heidi, Stefanie und mich angeht. Es gelingt uns sogar, am Vorabend einen geselligen Abend bei Haases frühzeitig zu verlassen. Da wir ja meistens zu den letzten gehören, dürfen wir auch mal die ersten sein.

So geht es pünktlich um 8 Uhr los, zwei Stunden soll die Anfahrt dauern. Der Einfachheit halber geht es erst mal auf die Salzgitterautobahn. In der Morgensonne bilden die gelblichen Schwaden um das Hüttenwerk einen Vorgeschmack dessen, was uns noch erwartet. Zunächst aber über Seesen, Herzberg, Lauterberg - halt, schon wieder verfahren, man muß vor Lauterberg nach Barbis abbiegen. Dann ist man über Osterhagen und Nüxei schnell am Grenzübergang Mackenrode. Jetzt prickelt es wieder, denn Stefanies Ausweis liegt gerade zur Verlängerung auf dem Amt, stattdessen haben wir Annikas Ausweis entliehen, auch wenn dann Alter und Aussehen nicht ganz übereinstimmen. Der Kinderausweis wird aber gar nicht aufgeklappt und die Kontrolle ist nicht der Rede wert.

Weiter Richtung Nordhausen, die Gegend ist hier recht eintönig. Einige Male fahren wir in den Orten an Wahllokalen vorbei, seit Zeiten der Weimarer Republik finden die ersten freien Wahlen in der DDR statt. Ddaß die Wahlbeteiligung über 90 % betragen wird, merkt man um diese Zeit noch nicht. Näher an Nordhausen kommend trübt es sich trotz des wolkenlosen Himmels immer mehr ein, schließlich herrscht ein braun - trübes und vernebeltes Sonnenglimmen. Die Industriegebäude am Südrand Nordhausens sind schaurig schön bei dieser Atmosphäre. In der Nähe des Bahnhofs entdecken wir zwei Übeltäter: in einer Kohlenhandlung werden dicke gelbe Rauchschwaden produziert und aus einem Abgasrohr einer Lokomotive quillt armdick grauschwarzer Qualm. Bei dem schwachen Wind lagert sich das ganze dann "sauber" in Schichten über den Wohngegenden der Stadt ab, wo Spaziergänger mit Kinderwagen sich des schönen Sonntagmorgens "erfreuen". Wir verlassen Nordhausen in östlicher Richtung. Hier werden wir wohl niemals Urlaub machen.

Jetzt ist es schon 10 Uhr, pünktlich werden wir nicht mehr sein. Über Berga sind wir aber schon wenig später in Uftrungen, jetzt gilt es nur noch die Höhle und den Treffpunkt zu finden. An einer Bushaltestelle fragen wir eine Frau mit Kind, die schickt uns auf einen Feldweg, der aus Betonplatten gebildet wird. Plötzlich aber hören diese auf und es geht über tiefe Traktorspuren, in denen teilweise matschige Pfützen blinken. Wenn man in eine dieser Spuren hineinrutscht, ist man totsicher festgefahren. So wage ich kaum zu atmen und unter Angstschweiß erreichen wir durchgeschaukelt nach 500 m die Teerstraße, die regulär von der Straße zur Höhle führt. Wieder sind wir begeistert über unsere meisterhafte Begabung, auch in harmlosen Situationen für Spannung zu sorgen.

Die Freunde aus Clausthal sind auch noch nicht solange da, wir können uns noch ein wenig stärken und umziehen. Die unverbesserlichen wälzen sich bereits in Helm, Schlaz und Geleucht, da wird ein Machtwort von dem Verantwortlichen gesprochen, den wir im Laufe des Tages nun genauer kennen und schätzen lernen werden. Es ist Reinhard Völker, unterstützt von seiner Frau Christel. So nach und nach erfahren wir, welche Rolle diese beiden in der Karst- und Höhlenforschung der DDR spielen, es läßt sich nur so ausdrücken: wir sind an die erste Adresse geraten. Das Machtwort besteht darin, daß es mit einer Höhlenbefahrung erstmal nichts wird, da eine Oberflächenexkursion abgesprochen sei. Die soll vor dem Mittag über zwei Stunden durch die Karsterscheinungen um die Heimkehle führen, am Nachmittag über drei Stunden auf der anderen Seite des Thyratales auf den Spuren alten Bergbaus wandeln. Langes Gesicht bei Stefanie, hat sie doch ein spannendes Höhlenabenteuer erwartet. Es kann vorweggenommen werden, daß die Ausführungen von Reinhard Völker zum Teil so fesselnd waren, daß Heidi und Stefanie auch schon mal zugehört haben, nur wenn von alpha, beta, gamma - Anhydrit und derlei geologischem Kauderwelsch die Rede ist, haben sie es nicht leicht (ich auch nicht).

Erstmal gehen wir in den Ausgang der Heimkehle hinein, dort ist eine geologische Dokumentation, die uns als Grundlage für die folgende Begehung gezeigt wird. Auch Experten haben es schwer mit der Terminologie, Norbert gelingt bei seiner ersten Fachfrage gleich die klassische Freud'sche Fehlleistung: das Wort "Stinkschiefer" wird zu "Stinkstiefel". Dann geht es auf die Wanderung, über Stock und Stein in den großen Verbruch wo sich der natürliche Eingang der Heimkehle befindet. Zwischen dem Buchenlaub blühen viele Leberblümchen. Am Rand des Verbruchs klettern wir steil in die Höhe, ein schöner Blick senkrecht hinunter auf das gähnende Höhlenportal. Immer wieder brechen hier tonnenschwere Gipsmassen hinunter und drohen, in die Höhle zu kollern und Zerstörungen anzurichten, deshalb wird die Steilwand regelmäßig kontrolliert und gesichert.

Heidi und Stefanie sind unterdessen auf einem bequemeren Weg unterwegs, auf den wir dann oben auch treffen. Hier stehen mächtige Grenzsteine, über das Zustandekommen dieser ehemaligen Grenze und deren Rolle erzählt uns Reinhard lange Geschichten, die hier nicht Platz finden. Es soll sogar über jeden Grenzstein eine eigene Mär existieren. Wenig später passieren wir ausgedehnte Flächen von üppig blühenden Märzenbechern, das ist wohl weit und breit einmalig. Es hat auch Mühe gekostet, diese soweit zu schützen, daß eine systematische Ausrottung verhindert werden konnte. Wir erfahren, daß die Schutzlüge, der Stasi habe hier seine Hand drauf, die größte Wirkung ausgeübt hat.

Weiter geht es an großen Senken vorbei, durch die das an den Quellhorizonten zwischen Buntsandstein und Anhydrit austretende Wasser gleich wieder im Berg versickert. Unterhalb der Bergwand befinden sich zwei Sumpf- und Feuchtgebiete, die wahre Biotope darstellen. Neben den Amphibien und div. Vogelarten finden sich dort auch in Scharen die Schwarzkittel ein (Wildschweine), sodaß man nachts dort gar nicht hingehen kann, ohne seinesgleichen zu treffen.

Wir besichtigen weiter einige Oberflächenformen des anstehenden Gipses. Man kann das Abrutschen des Hanges an Terrassen erkennen, zwischen denen sich kleinere Klüfte und auch Klufthöhlen finden. Nicht weit von hier, aber zu Fuß heute nicht machbar, existiert das ganze in noch großartiger Form im Questenberger Karst, einem vielleicht späteren Exkursionsziel. Von Uftrungen ausgehend gibt es auch einen ca. 40 km langen Karstwanderweg entlang all dieser Karsterscheinungen. Aus einer der Spalten holt Christel einen Feuersalamander heraus.

Das wird alle paar Wochen gemacht, weil die Salamander nur unfreiwillig in die Spalten geraten und da nicht mehr herauskommen. Später wird noch über Insekten- insbes. Spinnenforschung in Höhlen der DDR referiert. Entlang der Sumpfgebiete gehen wir über Wiesen und Felder zurück zum Parkplatz und machen eine Stunde Mittagspause.

Auf einer Wiese an der plätschernden Thyra legen wir unsere Decke aus und veranstalten ein Picknick. Dann gehen Heidi und ich zur Imbißbude und trinken einen Kaffee. Man kann wieder die Beobachtung machen, daß nicht jeder den Geschäftssinn und die Wendigkeit geerbt hat, einem größeren Besucheransturm standzuhalten. Vielleicht war daran aber auch nur die zunächst fauchende und Wasser statt Kaffee spuckende Kaffeemaschine schuld. Es ist hier auch baulich noch nicht alles fertig, einige Schuppen müssen noch abgerissen werden. Die Völkers haben aber hier gewaltiges geleistet, ein neuerbautes Höhlenmuseum wird demnächst in Betrieb genommen, man hat ein schmuckes Wohnhaus. Das alles ist in Eigenleistung entstanden, wenn auch mitunter in "manus manum lavat" - Manier. Wir haben dann sogar das Glück bei Reinhard im Wartburg zum Start der Nachmittagsexkursion chauffiert zu werden. Wir lernen, daß der Fahrstil an Sportlichkeit dem manches Porschefahrers nicht unbedingt nachstehen muß. So müssen wir an jeder Abzweigung auf die Nachfolgenden warten, auch für einige Wahlwillige auf den Straßen Uftrungens wird der Gang zur Urne zum unverhofften Abenteuer, wenn sie unserem Auto begegnen.

Schließlich sind wir alle versammelt und begeben uns durch einen beeindruckenden Hohlweg zu einem erst im letzten Jahr geöffneten Schacht aus historischem Bergbau auf Kupferschiefer. Über diesen Schacht ist der jahrelang gesuchte Entwässerungsstollen erreichbar, über den man in weitere alte Baue gelangen kann. Hochinteressante Dinge erfahren wir über den Mansfelder Bergbau, der heute noch in einer Grube betrieben wird, aber in den nächsten Jahren zum Erliegen kommen wird.

Es werden zwei weitere Schächte besichtigt, die nur dem Abbau gedient haben. An ihrem Grund befinden sich sog. "Abbauscheiben", das sind seitwärts abzweigende ausgeräumte Hohlformen. Ein paar 100 m weiter durchwandern wir ein ausgedehntes Pingenfeld, man findet sogar grünblau angelaufene Schieferstücke, die auf die Kupfervorkommen hindeuten. Trotzdem ist hier mancher durch den Bergbau eher verarmt als reich geworden. Wir betreten ein weites Trockental, alles Wasser verschwindet hier in Schlucklöchern (Ponoren). Die landwirtschaftliche Nutzung wird eingestellt, alles soll Naturschutzgebiet werden. Noch wandelt man über Stoppeln und Klee, wie lange wird es dauern, bis sich hier eine Trockenrasenvegetation bildet. An dem einen Talhang liegen kreisrunde Buschhügel, alles Reste von kleinen Abbaustätten.

Wir erklimmen die jenseitige Talseite und erreichen wenige Schritte innerhalb des Waldes die "Diebeshöhle". Diese ist teilweise laut Bericht sehr reizvoll, anscheinend ist die ganze Wanderung aber wohl so anstrengend, daß nicht einer sich zu einer Befahrung anschickt. Alle liegen lieber im Laub und hören den Erklärungen zu. Nur der Hund von D. Zygowski schnuppert schon mal in den Eingang hinein. Zum Abschluß werden noch ein paar Meter auf dem Karstwanderweg zurückgelegt, wir begeben uns vorzeitig auf den Rückweg. Der führt sehr reizvoll über das freie Wiesengelände. Ein Traktor rumort hinter einem Waldstückchen, schließlich kommt der mit Karacho, beladen mit Jugendlichen und ein paar Baumstämmen herangebraust. Hinten dran hängen an einem Drahtseil zwei weitere Baumstämme, die die Erde aufreißen und schließlich das ganze Gefährt zum Stand bringen. Das Holz ist für ein Osterfeuer bestimmt. Auf einem Platz weiter unten ist ein Holzstoß aufgebaut, und eine Menge weiteren Jungvolks tummelt sich da, jeder eine Bierflasche in der Hand. Wir sind froh, als wir da vorbei sind. Kaum bei den Autos kommt auch schon der Rest unserer Gruppe in Sicht, wenig später fahren wir zurück. Im Dorf wird noch eine Einsenkung in einem Bach besichtigt, das ursprünglich 6 m tiefe Loch ist inzwischen wieder verfüllt.

Zum krönenden Abschluß erwartet uns dann der Besuch der Heimkehle. Durch einen Stollen betritt man die Höhlenräume. Die erste Attraktion ist ein Höhlensee mit grün-bläulichem aber klaren Wasser. Es ist der Heimensee, an einer Stelle führt eine Tauchstrecke weiter in die Tiefe. Dann dringt von oben links Tageslicht herein, dort kann man das breit ausladende Gewölbe des natürlichen Eingangs sehen. Der ganze Bereich bis dort oben ist mit Blöcken zugestopft, deren Größe zwischen PKW und LKW angeordnet sein mag. Der Tyrasee in der anschließenden Trümmerhalle ist noch größer als der erste See, mit kunstvoller Beleuchtung wird eine romantische Stimmung erzeugt. Auch hier wird das Licht dann abgestellt und mit Unterwasserscheinwerfern ein Stück der unterirdischen Fortsetzung des Sees beleuchtet. Man kann dort bis in die kleine Heimkehle hindurchtauchen. Nun geht es durch den Riesentunnel, in dem Reste der Werkseinrichtungen vom Kriege zu sehen sind. Darauf betritt man den großen Dom, der fast kreisrund mit einem Durchmesser von 60 m und einer Höhe von 25 m einen der größten Hohlräume im Gips bildet. Auch hier wirkt alles durch die Beleuchtung sehr imposant.

Durch einen weiteren Gang (Riegelgang) erreicht man den kleinen Dom, der wieder eine Überraschung bereithält, die einen allerdings nachdenklich macht. Hier befindet sich die Gedenkstätte für die Opfer der Naziherrschaft, namentlich der in diesem Betrieb in der Heimkehle Umgekommenen. Auf dem Boden liegen scharenweise Kränze, an die gegenüberliegende Wand ist eine Darstellung der geknechteten und ausgemergelten Gefangenen angebracht. Dahinter ist eine turmartige Stützmauer, die zum Schutz vor einem schlammführenden Schacht errichtet wurde. Erst seit wenigen Jahren ist Genaueres über die Umstände bekannt geworden, unter denen hier die Kriegs- und Strafgefangenen zu leiden hatten. Insbesondere dem "Todesmarsch", der zu Ende des Krieges die Gefangenen kurz vor Eintreffen der Besatzungsmächte hinwegführen sollte, sind nur Einzelne entkommen. In der Vergangenheit wurde hier der in der DDR gern zelebrierte Antifaschismus praktiziert, was zu einem teilweise regen Besuch der Höhle durch Jugendgruppen u.ä. geführt hat.

Hinter dem kleinen Dom endet der Schauteil der Höhle, in zum Teil weniger gemütlicher Kriecherei kann man von dort noch in ausgedehnte nicht erschlossene Höhlenteile gelangen. Stattdessen begeben wir uns in den Raum der Höhle (Bergschmiede), in dem anhand einiger Demonstrationstafeln über geologische Hintergründe und bergbauliche Besonderheiten informiert wird. Von dort verlassen wir über den Wienrichstollen die Höhle. Draußen brauchen wir diesmal nicht blinzeln, denn es ist fast dunkel. Wir werden gebeten, noch ein paar Blumenkästen in den Stollen zu tragen. Ich fasse wohl zu hastig zu, denn plötzlich zerbröselt mir der Kasten geradezu zwischen den Fingern, fällt auf die Erde und zerlegt sich in seine Einzelteile. So werden die Blumen einzeln eingesammelt und mitsamt den Resten des Kastens an die Stollenwand gelehnt. Angesichts der enormen Leistungen, die Ehepaar Völker hier beim Gestalten des Höhlengeländes dem Wiederherstellen der Schauhöhle sowie bei ihren wissenschaftlichen Aktivitäten vollbracht hat, ist es mir besonders peinlich, ihnen auch noch die Reparatur eines Blumenkastens aufzuhalsen. Aber es ist natürlich keiner böse und wir verabschieden uns mit vielen Dankesbezeugungen.

Nun müssen wir im Dunkeln nach Hause fahren, zum Glück kann ich hinter den Clausthalern herfahren, sodaß uns weitere Abenteuer durch Verfehlen der richtigen Wegstrecken erspart bleiben. Kurz vor Benneckenstein erreichen wir endlich den Grenzübergang nach Hohegeiß. Stefanie schläft auf dem Rücksitz, eine Passkontrolle findet auch nicht statt, der Grenzer fragt uns nur freundlich, was wir heute unternommen hätten. Ab Hohegeiß sind die Straßen bekannt, heil und gut markiert, sodaß wir für die Rückfahrt auch nur zwei Stunden benötigen. In der ganzen Zeit hören wir interessiert aber enttäuscht die Berichte von der DDR-Wahl. Die eigennützigen Interessen haben sich wohl gegenüber denen, die wir politisch für vernünftiger halten, durchgesetzt.


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