Himmelfahrt in Haldensleben

Am Himmelfahrtstag bei schönem aber kaltem Wetter haben wir die Wahl: mit den Sportsfreunden den Tag vergrillen und mit Bier zuschütten oder uns um eine neue Erfahrung zu bereichern. Zum Glück habe ich mit Kollege B. schon einen Tag zuvor die notwendige Verabredung getroffen, sodaß keine weiteren Diskussionen nötig sind. Es soll nach Haldensleben gehen, dort befindet sich ein geschichtlicher Lehrpfad, wie ein paar Wochen zuvor in der Braunschweiger Zeitung zu lesen war. Mit dem Auto geht es nach Grasleben im Lappwald, dort ist der Grenzübergang nach Weferlingen. In Grasleben waren wir schon einmal vor zwei Jahren während einer Rundtour durch den Lappwald. Das merken wir aber erst beim Durchfahren des Ortes, als das "passive Gedächtnis" sich meldet. Nachdem das Auto abgestellt und die Räder gezäumt sind halten wir vergeblich Ausschau nach der B.-Truppe. Nach einer Weile Wartezeit müssen wir ohne unsere Freunde aufbrechen.

Weferlingen erfreut uns sogleich mit den verschiedensten Straßenbefestigungen, allesamt nur bedingt geeignet für Fahrradfahrer. Nach Verlassen des Ortes Richtung Eschenrode und Hörsingen wird es aber besser und die Straßen sind gut asphaltiert. Die Landschaft ist gar nicht so flach, es wechseln leichte Anstiege mit Bergabstrecken. Obwohl sie das Mountainbike fährt, gerät Heidi zuweilen in einen bedrohlichen Abstand und bedenkliche Stimmung. Immer wieder begegnen uns stattdessen fidele Himmelfahrtsausflügler, ausnahmslos männlichen Geschlechts und gut ausgerüstet mit alkoholischen Getränken. Viele haben einen Kutschwagen gechartert, den ein kleines Pferdchen zieht. Gekleidet ist man in Schlafanzüge oder andere flotte Garderobe. Mit lautem Halloh und Gehupe wird jeder auf der Strecke begrüßt. So hat man den Eindruck, das sei schon Tradition, doch ist der heutige Tag seit Jahrzehnten wieder das erste Mal ein offizieller Feiertag in der DDR.

An einem wassergefüllten Steinbruch neben der Straße machen wir eine kurze Rast. Während wir noch kauen, huschen zwei Schatten vorbei. Aber man hat uns auch wahrgenommen. Und siehe da, etwas zerknirscht ob ihrer Verspätung trollen Kollege B. und Freundin Monika daher. Nun spulen wir den Rest der Strecke nach Haldensleben gemeinsam ab und durchfahren die Orte Ivenrode, Bodendorf und Süplingen.

Endlich stehen wir vor einer wegen Bauarbeiten unpassierbaren Brücke über den Mittellandkanal. Wir wollen nach Alt-Haldensleben, ein paar Kinder versuchen mit zweifelhaftem Erfolg, uns den Weg zu erklären. Hauptsache, die grobe Richtung stimmt. Durch ein Neubaugebiet Marke Einerleibau erreichen wir die B 245, da zweigt die Straße nach Althaldensleben ab. Dort suchen wir das Kloster, auf dessen Hof der Lehrpfad beginnen soll. Auch das ist gar nicht so einfach, ein Knabe auf der Straße jedenfalls kennt weder ein Kloster, noch weniger hat er was von einem Lehrpfad gehört. Eher zufällig passieren wir schließlich ein Portal und gelangen in einen viereckigen Innenhof. Hier ist nun kein Kloster mehr, sondern eine Schule.

Der Rundweg beginnt an einer Mühle, durchstreift dann eine alte Parkanlage. Es folgt ein Hinweis auf ein ehemaliges Hammerwerk. Links zeigt sich zwischen Bäumen eine burgartige Anlage, später werden wir diese als Hundisburg kennenlernen. Erstmal geht es in die andere Richtung durch ein paar sumpfige Wiesen über einen Grasweg zu einer Kirchturmruine.

Diese ist der letzte Rest des Dorfes Nordhusen, das sich in grauer Vorzeit hier befunden hat. So etwas nennt man eine "Wüstung". Daneben ist gleich ein alter Steinbruch mit senkrechten Wänden, das Wasser sieht sehr einladend aus.

Wir ziehen weiter, und haben plötzlich unsere Mitstreiter aus den Augen verloren. Nach einiger Wartezeit informieren uns ein paar Kinder, daß sie ein paar Straßen weiter zwei andere Radfahrer gesehen hätten. So treffen wir uns nach einigem Hin und Her schließlich wieder. Ein kurzer Abstecher zur Kirche hinauf und ein Blick auf ein Storchennest.

In Pfadfindermanier erkunden wir den Ort Hundisburg und stehen dann vor dem Eingang zum Park der gleichnamigen Burg. Der ehemals englische Park ist "renaturiert" oder anders ausgedrückt: verwildert. Statt einer eindrucksvollen Auffahrt und Freitreppe befindet sich vor den Resten der Fassade des Burghauptgebäudes ein Sportplatz. Wenn man um das Gebäude herumgeht, kommt man in einen Innenhof. "Betreten Verboten". Ein Militärfahrzeug steht auf dem Hof, das erhöht den Respekt vor dem dem Verbotsschild. Also nur kurz umgeschaut: der Hof ist ringförmig umgeben von Wirtschaftsgebäuden, die auf dem Berg nach außen hin festungsartig angelegt sind.

Auf der Weiterfahrt gibt es noch eine mittelalterliche Wallanlage zu besichtigen, diese versinkt geradezu in der urwaldartigen Vegetation. Als Kontrast dazu bietet sich am Ende des Rundweges eine moderne LPG zu Studien an, wir sind aber nicht mehr recht aufnahmefähig. Nach 15 km Rundweg erreichen wir wieder das Kloster in Alt-Haldensleben. Bevor es an die Rückfahrt geht, wird in dem Lokal "Am Adlerplatz" für die nötige Stärkung gesorgt. Wir haben immer noch "Rügenrubel" und bezahlen trotz schlechtem Gewissen noch einmal in Ostwährung.

Leider haben wir auf dem Rückweg doch eine ordentliche Prise Gegenwind zu bewältigen. Dafür ist es landschaftlich sehr reizvoll, die "Nordroute" über Bülstringen, Flechtingen, Behnsdorf und Ribbenstedt führt in ihrem ersten Teil durch heideartige Landschaft: Kiefernwälder, blühender Ginster, Blauschwengelgras erfreuen das Auge. Eine weitere Überraschung bietet Flechtingen mit seinem Wasserschloß.

Gegen 19 Uhr sind wir wieder an den Autos und die weniger geübten Radfahrer dürfen nach 85 km stolz auf ihre Leistung sein.


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