7 Freitag, Haugesund - Leirvik, 87 km |
Heute ist der große Tag. Man muss sich das mal vorstellen, man verabredet sich Wochen vorher auf einen Treffpunkt irgendwo hier oben in Norwegen, und dann (wenn auch telefonisch abgesichert) ist es endlich soweit und ganz konkret. 35 km sind es bis zur Fähre auf die Insel Bømlo, das ist an einem kurzen Vormittag geschafft. Ein bisschen Regen gehört auch dazu. Dafür gibt es ein Bushäuschen, das ich mir diesmal mit einer schwarzen Schnecke teilen darf. Vielleicht werden wir auf die Schnecken noch zu sprechen kommen. Diese wird nicht überrollt, wie das Foto vermuten lässt, sondern das Fahrrad wird sorgfältig darüber weg gehoben, als der Regen nachlässt.
Haraldshaugen Riksmonument, Haugesund |
Bømmelhamn |
Kulleseidkanal |
In dem Ort Buavåg erreicht man dann die Fähre hinüber zu der Insel Bømlo. Dieses mal wieder just in time, die Fähre kommt gerade heran. Auch hier genieße ich eine vernachlässigte Beachtung, indem man mich beim Kassieren ignoriert. Da soll man nicht meckern.
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Nun bin ich schon um 12 Uhr auf der Insel Bømlo. Ab 14 Uhr wollten Terje und ich uns entgegen fahren (nachdem die Schule am letzten Schultag vor den Norwegischen Sommerferien aus ist). Da muss ich wohl noch etwas Zeit abbummeln. Und dafür gibt es hier einen Ort mit dem Namen Bømmelhamn. Das ist doch wohl der geeignete Ort für so eine Tätigkeit? Richtig kalkuliert! Vor einem Kaufmannsladen ist ein Tisch und Stuhl aufgebaut, wo man seinen Joghurtbecher auslöffeln kann, der noch vom Frühstück in der Lenkertasche weilte. Außerdem sind gerade ein paar Autos mit deutschen Touristen angekommen, die laden erst mal ihr ganzes Angelgerödel aus.
Punkt 13 Uhr starte ich dann von der Fähre Langevåg auf die restlichen 50 km, wo wir uns irgendwo treffen werden - so hofft man. Die Landschaft ist wieder sehr abwechslungsreich, Heideflächen und Felspartien und es geht ganz schön auf und ab. Der Regen verschont einen auch nicht. Nachdem ich gut vorangekommen bin, kann man sich ein Viertelstündchen in einem Bushäuschen leisten. Der Kulleseidkanal wird überquert, und dann ist es endlich soweit. Da kommt ein Radfahrer mit hoher Übersetzung eine Steigung herauf gebrettert, und das ist Terje. Herzliche Begrüßung und wenig später suchen wir uns einen Rastplatz für ein Begrüßungsbier. Wie wir später ausrechnen, haben wir uns genau auf der halben Strecke getroffen.
Hängebrücke nach Stord |
Nun geht es ordentlich ran, ich merke gleich, dass ich einen Zahn mehr zuschalten muss. Obwohl meine Schaltung inzwischen alles andere als geräuschlos arbeitet. Vielleicht hätte ich vor der Tour doch noch das Rad überholen lassen sollen? Aber nach Monaten ohne Probleme war ich mit der Devise losgefahren "Never change a winning team". Dazu später mehr. Inzwischen passieren wir gerade die zwei spektakulären Hängebrücken hinüber auf die Insel Stord. Diese Brücken hatten früher bei starkem Wind unangenehme aber angeblich harmlose Schwingungen. Das hat man inzwischen durch die Montage von windabweisenden Spoilern abgestellt, wie mein ortskundiger Begleiter sachkundig erklärt. Aber wir haben ohnehin Rückenwind, das ist mir schon langsam unheimlich, dieser ständige Rückenwind - womit haben wir das verdient? Am Ende der zweiten Brücke hat man als ökologische Ausgleichsmaßnahme einen kleinen Tunnel angelegt, über dessen Überdachung ein Austausch der Tierwelt ermöglicht werden soll zwischen den durch die Straßentrasse zerschnittenen Landschaften. Die Grasfläche über dem Tunnel sei die teuerste Weidefläche Norwegens, sagt man.
Damit sind wir nun auf der Insel Stord angekommen, die uns mit einem anhaltenden Regenschauer empfängt. Da hilft ein Einkaufszentrum "auf der grünen Wiese". Wir setzen uns in einem gläsernen Vorbau auf die ausgestellten Gartenmöbel, die wir auf diese Weise auf Nassfestigkeit testen. Aber dann sind wir bald zu Hause und ich darf bei Turid und Terje alle Annehmlichkeiten eines gastlichen Hauses genießen. Besonders beeindruckt mich eine Landkarte von Südwestnorwegen, die mir Terje wenig später (nach dem Duschen) zeigt. Da hat er alle Straßen der Region markiert, die er schon befahren hat ("Mein Lebenswerk" sagt er). Und das sind flächendecken fast alle großen, kleinen und ganz kleinen Straßen!! Da kann man nur staunen. Und ich weiß, warum ich vorhin einen Zahn zuschalten musste.
Als Abendgericht präsentiert Turid ein lecker zubereitetes Fischgericht, nach einigen sprachlichen Schwierigkeiten finden wir heraus, dass es sich um Seeteufel handelt, einen der delikatesten Fische überhaupt, das muss gesagt sein. Obendrein hat Terje auch eigenhändig eine Torte gebacken, wo man auch kaum wieder aufhören kann. Ist einem fast schon unangenehm, mit so einem Radlermagen. Aber Gastgeber freuen sich ja immer wenn es einem schmeckt, so auch hier.
Also machen wir abschließend einen Abendspaziergang. "So ungefähr 7 km" sagt Terje. Und wir durchwandern das Naturreservat Hystadmarkjo, das lange für die Öffentlichkeit unzugänglich war. Entsprechend urig ist es hier, ein wilder Wald und sogar einige vorgeschichtliche Grabfelder aus der Bronzezeit, die heute als Geröllfelder zu erkennen sind. Ein Ausblick auf die See ist romantisch, hier könnte man Stunden sitzen und meditieren.
Schließlich holt uns der Regen wieder ein und man ist glücklich einen ausgefüllten Tag mit so vielen Eindrücken und Gastlichkeit erlebt zu haben. Ich schlafe dann wie ein Murmeltier (Terje musste noch zu guter letzt in den Garten um die verhassten braunen Schnecken einzusammeln, die - eigentlich ortsfremd - seit einigen Jahren zugewandert sind und sich ungebührlich ausbreiten).
Natürlich bieten meine Gastgeber ein Tagesprogramm an, man darf wählen zwischen einer Seefahrt mit eigenem Boot oder einer Bergtour. Wir entscheiden uns für die Bergtour, weil das Wetter unbeständig ist. Dazu geht es mit dem Rad ordentlich bergauf. "Hier fahre ich manchmal abends als Training" meint Terje. Nun wundert mich schon gar nichts mehr, was seine Kondition angeht. Bei der hohen Übersetzung, die er fährt, muss er Muskeln wie Stahlseile haben. (Es handelt sich um ein "Traditionsrad" von Nigel Dean - eben ein Rad "fürs Leben" - s.u.) Ich muss leider öfter schieben, wenn es zu steil wird. Am Schluss sind wir auf 400 m Höhe angelangt.
Schließlich stellen wir die Räder ab und setzen den steiler werdenden Schotterweg zu Fuß fort. So erreichen wir unter anregendem Gespräch den Gipfel. Der Berg heißt Kattnakkjen und ist 724 m hoch. Leider spielt das Wetter nicht mit, keine Aussicht durch die herumziehenden Wolkenschwaden. Wir hocken uns auf ein paar Steine in eine windgeschützte Ecke. Ein Foto mit dem Selbstauslöser und ich verspreche, dass ich das evtl auf meiner Internetseite einbaue, damit da mal ein aktuelleres Bild erscheint.
Auf dem Kattnakkjen |
Meine Gastgeber |
Aufbruch mit Hindernissen |
Hinunter geht es recht flott bis zu den Rädern, danach geht es noch flotter, allerdings sind wir dann durch den Nieselregen doch einigermaßen durchnässt. Dafür gibt es zum Essen Rentierragout mit Preisselbeeren - super. Nach der (nötigen) Ruhepause machen wir noch einen Stadtgang. Auch die Beschaulichkeit der Stadt Leirvik mag mit den modernen Neuerungen Einbußen erlitten haben. Architektonisch sind die neueren Gebäude nicht alle Meisterwerke. Kleinere Geschäfte, sofern sie noch existieren, haben es schwer. Vieles wird heute wie allerorten - auch bei uns in Deutschland - in dem autogerechten Einkaufszentrum auf der grünen Wiese erledigt. Auch das maritime Seewesen hat gelitten, seit dem Bau der Brücken sind etliche Fährverbindungen eingestellt worden. Stattdessen fahren hier viele mit Elektroautos herum, denn die dürfen die Brücken kostenfrei passieren.
Vieles erzählt mir Terje über sein Land und seine Geschichte. Auch wenn ich alles behalten hätte, könnte ich hier nicht alles aufschreiben. Inzwischen - so denke ich - sind wir (nicht nur per Internet oder Email) Freunde geworden, morgen wird es sich beweisen.
9 Sonntag, 22.6., Leirvik - Bergen, 76 km |
Wir starten wegen des Wetterberichts zeitig gegen 9 Uhr. Großer Abschied - wann kommt ihr zu uns nach Deutschland? Auf jeden Fall "Auf Wiedersehen", was zunächst ja nur Turid gilt, denn Terje fährt mit nach Bergen, wo wir auch in einer eigenen Wohnung zwei Tage hausen werden.
Noch ein Bild am Wegsrand mit meinem bewährten Fahrrad, dann ist Terje schon wieder eine Kurve weiter. Gerade schalte ich wieder einen Zahn zu, da kracht es im Gebälk bzw. Schaltwerk. Das Hinterrad blockiert, das ganze Schaltwerk befindet sich zwischen den Speichen. Panik! Das Gepäck abladen, das Fahrrad auf den Kopf stellen, es sieht böse aus. Terje kommt zurück, von weitem mache ich schon ein Zeichen: aus und vorbei! Ein Versuch, alles wieder hinzubiegen, endet damit, dass das ganze Schaltwerk abbricht. "Es fährt ein Schiff von Bergen nach Hanstholm (Dänemark)" meint Terje. Ist die Reise zuende? Auf der Straße flattert eine kleine überfahrene Meise. Tiefpunkt!
Was ist zu tun? Terje wird zurückfahren und mit Turid das Auto bringen. Dann sehen wir weiter, ich solle mir man schon mal was überlegen, wenn der Schock abklingt. Immerhin kann ich mit dem Rad noch zurück rollern, bis sie mich aufgabeln und wir das Rad auf den Dachträger laden. "Auf Wiedersehen" - hatten wir gesagt - da haben wir es schon! Es stellt sich dann noch heraus, dass auch die Aufhängung des Hinterrades im Rahmen verbogen ist. Da hat schon mal ein Lastauto drauf gestanden, aber das ist viele Jahre her.
In so einem Ort wie Leirvik kennt man sich, besonders den Betreiber des Radgeschäfts. Der erklärt sich zu einer Begutachtung in seinem Betrieb bereit. Für das Fahrrad kommt nicht viel dabei heraus, eine Reparatur wäre kostspielig, nicht so schnell zu machen, und auch sonst ist das Rad recht verbraucht. (9 Jahre in Betrieb, mehr als 50.000 km auf dem Buckel). "Never change a winning team?” Inzwischen habe ich mich entschieden, man hat ja eine Kreditkarte: ein neues Rad, damit diese Traumtour nicht schon vorbei ist! "Du musst ein Rad fürs Leben kaufen" sagt Terje. Dabei wäre mir momentan jede Schlurre recht. Und es gibt das Rad - nach einigem Hin und Her - ob fürs Leben, muss sich später zeigen. DBS Spinova aus norwegisch/schwedischer Produktion, gar nicht so teuer. Das Zähne rauf und runter schalten ist ein Genuss. Also dann!
Und nun gibt es Arbeit, die wir irgendwie wie in Trance erledigen, denn wir wollen heute noch nach Bergen. Wen es nicht interessiert, der sollte den folgenden Satz überlesen. Wir demontieren bzw. anmontieren: Schutzbleche, Gepäckträger (der ist auch angebrochen), Sattel samt gefederter Stütze, Tacho, Pedalen, Lenkertaschenhalter, Luftpumpe, Akkuhalter, Reifen (Schwalbe Marathon Plus 37 "), ... Die Reste meines alten Fahrrads, das auch viel von Europa gesehen hat, lasse ich für das Gnadenbrot bei Terje zurück. Wir werden vielleicht irgendwann erfahren, welcher Nutzung es noch zugeführt wurde.
Was ist nun zu tun? Danke sagen dafür, dass Terje technisch perfekt geholfen hat, dass Turid noch ein Mittagessen zusammenzaubert und dass beide ihre Zeit für mich geopfert haben. Jetzt, wo ich dieses aufschreibe, darf ich vorausschicken: die weitere Tour wird noch so großartig werden, dass ich noch einmal umso mehr froh sein darf, dass das ganze Malheur sich in wohlbehüteter Umgebung abgespielt hat und nicht irgendwo auf den Shetlands oder in den Highlands in Schottland. Wenn man denn irgendwann dorthin gelangt...
Aber heute soll es noch nach Bergen auf eine 70 km Strecke gehen und es ist inzwischen schon 16 Uhr. Um diese Tageszeit bin ich noch nie zu einer so langen Strecke aufgebrochen. Doch in Norwegen ist es um diese Jahreszeit lange hell und wir werden in der Wohnung von Sohn Kjartan erwartet. Noch einmal "Auf Wiedersehen in Deutschland". Soviel, wie ich möchte, kann ich mich gar nicht bedanken für die ganze Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft. Nun geht es aber ordentlich zur Sache, Terje mit seiner hohen Übersetzung und ich mit dem neuen Fahrrad "fürs Leben". Aus Zeitgründen wählen wir die direkte Route auf der E39. Mit Bummeln und Landschaft gucken ist natürlich nicht viel, aber wir haben unverschämtes Glück mit dem Wetter, die Sonne scheint. Einen Tag früher oder später wäre die ganze Sache weit unangenehmer ausgegangen. Unten im Meer, das ist hier der Langnuen Fjord, hüpfen die Lachse - allerdings leider eingezwängt in ihre Zuchtbecken.
Als wir uns der Fähre nähern wird Terje schneller und hektisch, gibt Winkzeichen usw. Ich verstehe erst was los ist, als wir am Anleger ankommen und die Fähre gerade ablegt. Nun müssen wir eine halbe Stunde warten. Aber ich bin ganz froh über die Pause. Schließlich sitzen wir gemütlich an Bord der Fähre nach Halhjem, die einen in 50 Minuten über den Bjørna Fjord bringt.
Man sollte bei der Überfahrt etwas essen, meint Terje. Mache ich natürlich nicht, habe gerade keinen Hunger. Dafür überfällt es mich dann nach weiterem Auf und ab und kurz nach Osøyro, wo Terje eine Abkürzung weiß:. Unter Maschinengewehrfeuer (von einem Militärgelände) schlagen wir uns bis zu den Ruinen des Klosters Lyse durch, wo man sich dann erfrischen und historisch weiterbilden kann. Das Kloster wurde 1146 von den Zisterziensern errichtet. Nach der Reformation diente es wohl eher als Steinbruch, daher ist nicht mehr soviel davon übrig. U.a. ist der Rosenkrantzturm in Bergen aus Steinen von hier errichtet.
Auf dem weiteren Weg sieht man in der Ferne auch das Haus des Komponisten Ole Bull auf der Insel Lysøya mit dem charakteristischen Zwiebelturm. Das ist in allen Prospekten über diese Gegend zu sehen. Nun folgt die berüchtigte "Killersteigung" vor Bergen auf 230 m, laut Cykkel Guide die zweit anspruchsvollste Steigung seit Jossingfjord. Ich muss dann auch das letzte Stück erwandern. Terje hat sich hoch gebissen, der hat Ehrgeiz. Gemeinsam mit ein paar Midges lassen wir uns dann bei reizvoller Aussicht auf der Höhe, die heißt hier Fanafjell, nieder. Bald geht es wieder hinunter auf Meereshöhe, das hat man dann davon. Letzte Attraktion für heute: die Fantoft Stabkirche. Die wirkt irgendwie nicht so ganz echt, man musste sie für teures Geld allerdings auch erst wieder aufbauen, nachdem Spitzbuben sie nieder gebrannt hatten. Deshalb ist heute alles eingezäunt und abgeriegelt.
Nachdem wir gegen 22.30 Uhr angekommen sind, endet der Abend mit einem Dinner aus der Tüte. Schließlich sind wir nach dem ereignisreichen Tag wohl auch hundemüde.
10 Montag, 23.6., Bergen, 22 km
Der heutige Tag ist der Stadt Bergen gewidmet, auch wenn uns diese nicht mit dem besten Wetter beglückt. Zuerst muss das Ticket für die morgige Überfahrt zu den Shetland Inseln besorgt werden, das macht man im Büro der Smyril Lines. Dann erst hat man Muße, sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen, als da sind: die alten Giebel an der Bryggen, der Hafen, die dunklen Hinterhöfe, der Rosenkrantzturm, Mariakirche.
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Zurück fahren wir auf dem traditionsreichen Fjellveien, das ist ein Weg oben am Berg mit reizvollen Ausblicken. An einer Stelle wird die Standseilbahn hinauf nach Fløyen gekreuzt: guck mal, da kommt gerade eine! Über den Fjellveien soll es auch ein Lied über eine unglückliche Liebe oder so was geben. Zum Schluss schlagen wir uns durch den dichten Verkehr wieder zu der Wohnung durch. Heute können wir für das Abendessen richtig einkaufen, es gibt Lachssteaks - man gönnt sich ja sonst nichts. Inzwischen herrscht draußen Dauerregen. Aber ich muss noch dreimal hinaus, bis ich mit dem Telefon zu Hause durchkomme Da macht man sich Sorgen wegen des Fahrrad-Debakels. Ob das ein Unfall gewesen sei und so...