Die Nordsee-Radroute macht süchtig! Mir geht es jedenfalls so, nachdem man im letzten Jahr gerade da aufgehört hatte, wo es immer schöner wird. Das war in Kristiansand, etwa an der Südspitze Norwegens. Wie kommt man da am besten wieder hin und von dort aus weiter? Das weiß am besten unser Freund Terje Melheim, der auf der Insel Stord südlich von Bergen gleichsam Schildwache an der Nordseeroute hält, die genau über diese Insel führt. (Mit Turid und Terje stehen wir seit vielen Jahren in E-Mail-Kontakt, außerdem haben wir uns weiland an der Neisse einmal spontan radelnderweise persönlich kennen gelernt). Unvergessen ist auch die Eröffnungstour der Nordseeroute 2001, die im Internet eindrucksvoll dokumentiert ist und mit etlichen Feierlichkeiten (auch auf den Inseln Bømlo und Stord) begangen wurde. Wer hätte gedacht, dass man einmal in diese nördlichen - und wie wir glauben finsteren - Gegenden verschlagen würde, und das auch noch mit einem Besuch bei Turid und Terje verbinden könnte?
Also nach Kristiansand kommt man anscheinend am besten, wenn man sich einen Fahrradkarton besorgt, das Fahrrad weitgehend demontiert, das ganze Sammelsurium dann zum Hauptbahnhof in Braunschweig schafft, mit der Bahn nach Hamburg fährt, dort den sperrigen Karton zum ZOB (Zentraler Omnibus Bahnhof) schleift und dann einen Bus besteigt, der täglich(!) zwischen Hamburg und Stavanger verkehrt. Welche Fahrgäste verkehren täglich zwischen Hamburg und Stavanger, fragt man sich da doch? Die Antwort werden wir viel später erfahren; Aber falls ich das nachher vergesse, mitzuteilen: die Norweger fahren gern zum Einkaufen nach Deutschland, weil es dort viel billiger ist (und es Aldis gibt).
Für die Anfahrt wähle ich doch die weniger abenteuerliche
Variante und vertraue
mich einem Reisebüro an. Die machen das ganz perfekt, ich bekomme ein
Wochenendticket (EUR 38.-) bis Flensburg und dann weiter bis Hirtshals,
alle
erforderlichen Reservierungen und die Aussicht auf 5xUmsteigen (Uelzen-Hamburg-Padborg-Fredericia-Hoerring
). Also möglichst wenig Gepäck mitnehmen nach der Devise: egal ob für
eine
Woche oder drei! Kamera-Ausrüstung - damit das gleich klar ist - eine
handliche
DigCam von Aldi mit begrenzten optischen Qualitäten. Die bewährte Canon
mit
Vario Objektiv muss zu Hause bleiben. Dafür kann ich kostenfrei (keine
Filme,
keine Laborkosten) bis zu 700 Bilder schießen (442 sind es dann
geworden).
Am Samstag dem 14. geht es dann endlich los. Nicht am Freitag dem 13.,
das
könnte ja Unglück bringen. So geht es leider einem kleinen Vogel, der
auf
unserer Terrasse gegen die Fensterscheibe knallt und in unseren Händen
verendet. Wie war es weiland 1999 vor meiner
Englandtour, da hat mir ein
Vogel auf den Kopf geschissen, und das hat Glück bedeutet. Damit es
spannend
wird - diesmal gibt es nicht nur Glück - oder doch?
Inzwischen sitze ich schon gemütlich im Zug nach Ülzen mit dem Hundertwasser-Bahnhof. Da ist alles krumm und schief und orientalisch ausgekachelt. Im Zug nach Hamburg treffe ich schon mal einen Bekannten aus unserem Dorf, mit dem plaudernd die Zeit bis Hamburg vergeht. Dann trennen sich unsere Wege, er will nach Sylt, ich nicht. In Hamburg steigt man in einen Zug der Firma FLEX, die haben wohl einiges ausgemusterte Material der Deutschen Bahn übernommen. Jedenfalls darf man auf der Hochbrücke in Rendsburg nicht auf’s Klo, damit in den Gärten der darunter liegenden Anwohnern nichts Unangenehmes auf den Grill fällt.
In Dänemark angekommen, muss ich gleich hinter Padborg eine Fahrradkarte nachlösen, da kann ich nur mit EURO bezahlen und bekomme 20 DKR zurück, die irgendwann einmal in einem Telefonschacht in Esbjerg ohne weiteres Ergebnis ihr Ende finden werden. Na ja, irgendwann kommt man dann schließlich in Hirtshals an und ist nach dem langen Tag einigermaßen hungrig. "Hirtshals Fiske Pizza" - das habe ich noch vom Vorjahr im Kopf und in den Geschmacksnerven gespeichert. In der ersten Pizzeria in der Fußgängerpassage lasse ich mir eine Pizza Marina oder so was schmecken. Zwei Häuser weiter ist dann die richtige Pizzeria mit der Fiske Pizza, aber die ist deutlich teurer. Obwohl man sich an die saftigen Preise mal schon gewöhnen sollte, wenn es nach Norwegen geht.
Leider dauert das noch eine ganze Weile, denn das Schiff legt erst weit nach Mitternacht ab. Gegen 23.00 Uhr geht die Sonne unter und der Vollmond auf, danach treibt man sich in irgendwelchen Wartehallen herum und schaut zu, wie den Busreisenden Fertigmenues serviert werden. Endlich an Bord, aber schnell sind alle billigen Schlafplätze unter Treppen oder in lauschigen Ecken von fernöstlichen Passagieren und deren Schlafsäcken in Beschlag genommen. Aber schließlich finde ich den Raum mit den Schlafsesseln, da ist es ruhig und man kann auf das vorbei ziehende Meer und den Vollmond schauen (ich sitze in der ersten Reihe). Und dann hat mich doch der Schlaf übermannt. Trotz Rückenschmerzen durch das dauernde Sitzen. Kann man danach einen Tag lang Fahrrad fahren, übernächtigt wie man ist?
Der Damm durch den See Kvislevann |
2 Sonntag, 15.6., Kristiansand - Lyngdal, 110 km |
Man kann! Kurz nach 7 Uhr am Sonntagmorgen kann ich als einziger Fahrradfahrer von Bord gehen. Auf den Fähren ist man da immer der erste, wenn man sich entsprechend nach vorne mogelt. In Kristiansand halte ich kurz nach einer Bank (zum Geld abheben) Ausschau, ohne Erfolg und lange halte ich mich nicht auf - die Nacht mit wenig Schlaf hat überhaupt nichts ausgemacht, man kann voll motiviert auf Strecke gehen. Bald lässt man den - allerdings spärlichen - Verkehr hinter sich und biegt auf den alten Postweg ein. Hier hat man es hauptsächlich mit Joggern und Hundebesitzern zu tun. Der alte Postweg war von 1790 bis 1880 ein Teil der westnorwegischen Hauptstraße zwischen Kristiansand und Stavanger - so ist zu lesen. Bei den Steigungen und der damaligen Wegbeschaffenheit mag man sich ganz schön abgeplagt haben. Ich ziehe es auch vor, an den steilen Steigungen zu schieben, um einen späteren Muskelkater zu vermeiden. Das ist zwar nicht so sportlich, aber - vorweggenommen - im Gegensatz zum Vorjahr bleibe ich diesmal von diesem Übel verschont.
Bald kommt man nun an den See Kvislevann, wo der Weg 1861 auf einem Damm durch den See geführt wurde - und zwanzig Jahre später wurde die Route dann doch still gelegt. Heute erfreut sich der Radfahrer an dieser Passage und es gibt Gelegenheit für ein erstes Panoramafoto. Bald darauf nach einer Abfahrt erreicht man wieder eine asphaltierte Straße, dort ist so gut wie gar kein Verkehr. Es fällt sofort auf, wie üppig die Blumenwelt an den Straßenrändern ihre Farben entfaltet, hier im vermeintlich rauhen Norden. In manchen Anwesen blühen herrliche Rhododendren.
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Bald gerät man in die Versuchung auf eine erste Abkürzung, aber in dieser Landschaft ist es nicht schwer, dieser zu widerstehen und sozusagen einen Kreis von ca. 9 km zu fahren. Besonders schön wird es immer, wenn man einen Fjord passiert, wo malerische Anwesen und Bootshäuser das Auge erfreuen. Nach einiger Zeit erreicht man die südlichste Stadt Norwegens, das ist Mandal. Hier gefällt es mir nicht ganz so gut wie in der freien Natur, doch ich finde eine Bank bzw. Minibank, wo man sich mit Norwegischen Kronen eindecken kann.
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Leider trübt sich das Wetter mehr und mehr ein, und zwischen Svennevig und Spangereid beginnt es zu regnen. An einer stillgelegten Tankstelle habe ich Gelegenheit, mich unter ein Dach zu stellen und über Sinn und Unsinn meines Vorhabens nachzudenken. Aber man ist ja nicht das erste Mal auf Tour, da wirft einen ein bisschen Regen nicht gleich aus der Bahn. So nehme ich mir die letzten 10 km für heute vor, die führen allerdings über eine Höhe von 210 m. Das hört sich nicht so schlimm an, es ist nur so, dass sich durch das ständige Auf und Ab diese Höhe auf mindestens das doppelte addiert. Und das spürt man schon, mit bereits 100 km in den Beinen. Schließlich geht es rasant wieder runter nach Lyngdal, wo ich im Rosfjord Strandhotel unterkomme. "Für die Hälfte" sagt der Boss, dabei ist es immer noch teuer genug. Auch das Essen im Restaurant ist mir zu teuer (30 EUR und aufwärts), da nehme ich mit den verbliebenen Hasenbroten von zu Hause vorlieb. Inzwischen scheint auch wieder die Sonne und man kann eine schöne Aufnahme vom Rosfjord machen.
Rosfjord in der Abendsonne |
In dem Appartement neben meinem erklingt in einer Tour "Verdammt bin ich glücklich - verdammt bin ich frei..." und ich brauche einige Zeit, bis mir der Name des Interpreten einfällt: Wolfgang Petry. Verdammt bin ich glücklich - verdammt bin ich frei... so geht es mir auch und um einen guten Schlaf brauche ich mich nicht weiter zu bemühen.
3 Montag, 16.6., Lyngdal - Flekkefjord, 110 km |
Lyngdalfjord |
Ansonsten herrscht "Kaiserwetter", d.h. keine Wolke am Himmel, klare Sicht und satte Farben. Heute morgen erlaube ich mir, die Strecke von der offiziellen Route abweichen zu lassen, die durch Waldgebiet und über eine Steigung von 130 m führt. Die Landstraße entlang am Lyngdalfjord verspricht mehr und hält es auch. Der Verkehr ist zu vernachlässigen, aber das mag nicht immer so sein, und deshalb hat man die Radroute mehr in das Hinterland verlegt, obwohl wir uns dann doch auf der Landstraße (Nr. 43) wieder zusammen finden.
Farsund rechts von der Brücke |
Farsund links von der Brücke |
So gerät man nach Farsund, sicher ein Kleinod mit der Brücke, den weißen Häusern und den Booten im Hafen. Dann folgt ein wenig Industriegebiet, aber bald schon kann man sich wieder satt sehen an den Farben, die bei diesem Wetter fast unnatürlich scharf und intensiv erscheinen. Ein blauer See mit Blumen im Vordergrund und fernen Bergen im Hintergrund. Auch das ausgediente und blumengeschmückte Fahrrad am Straßenrand liefert ein Fotomotiv.
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Nach einer eher unnötigen Holperstrecke von 5 km kommt man schließlich in den Ort Borhaug. Dort ist die Straße gesperrt und aufgeregte Leute laufen herum mit Kameras, Aktenordnern und großen Spiegeln. Was das nun wieder soll? Natürlich fragt man da mal nach: aha, Filmaufnahmen! "Television?" frage ich. "No, Action Film" ist zu erfahren. "You need an actor, James Bond or so?" aber mit diesem Versuch kann ich nicht in die Filmgeschichte eingehen, war wohl nur ein kleiner Scherz. Stattdessen kaufe ich mir eine große Flasche Fanta im nächsten Laden, schaue den "Actors" noch ein wenig zu, aber da ist keine Julia Roberts oder Richard Gere zu entdecken, vielleicht machen die auch gerade Frühstückspause.
Szenen bei Jølle |
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Das erledige ich dann wenig später in zauberhafter Landschaft, womöglich hieß dieser Ort Jølle. Ein paar Häuser, die See, ferne Berge und ein malerischer kleiner Hafen. Hier möchte man ja gar nicht wieder weg. Nebenbei bemerkt, hier in der Nähe gibt es auch 3000 Jahre alte Felszeichnungen aus der Bronzezeit, das ist mir ganz entgangen. Stattdessen kämpfe ich mit dem Verschluss meiner Fantaflasche, die sich nicht dicht schließen lässt, sondern nur durch eine findige Taschentuchumwicklung (Bild) gesichert werden kann.
Nun geht es auf verlorenen Wegen bis auf eine Höhe von 120 m und dann wieder hinunter an einen namenlosen Fjord. Danach wieder auf eine Höhe von 190 m auf einsamer Straße. Als ich wieder gerade bergan schiebe, überholen mich zwei Wohnmobile aus Rendsburg (RD). Die sehe ich dann später wieder, wie sie sich an einem einsamen Waldsee mit Tischen und Stühlen eine gemütliche Kaffeetafel aufgebaut haben. Vielleicht geniessen sie es, nicht immer unter dieser scheusslichen Brücke sitzen zu müssen? Ich muss noch einmal auf 220 m Höhe klettern (am Abend habe ich ausgerechnet, dass man insgesamt an die 1000 Höhenmeter zusammenbringt). Auf der Abfahrt nach Kvinesdal hätte meine Fahrt und nicht nur die(!) beinahe ein vorzeitiges Ende gefunden. Ein unauffälliges Loch im Straßenbelag hätte mich bei 45 km/h fast über den Lenker gehen lassen, der Hintern kam schon hoch. Danach fahre ich vorsichtiger. In Kvinesdal bekomme ich dann die Quittung für die heutigen Anstrengungen: 31 km von Lyngdal - und auf meinem Tacho sind stattdessen 67 km verzeichnet. Aber man will ja nicht Strecke machen, sondern Genussradeln, und genau das kann kaum irgendwo schöner sein.
In Kvinesdal gerät man kurz auf die E39, die ist ungenießbar, obwohl man dort durch Benutzung eines Tunnels etliche km und eine Steigung über 160 m sparen könnte. Der Radfahrer begibt sich stattdessen besser auf die bereits erwähnte ehemalige Westnorwegische Hauptstraße, wo einen die Begrenzungsmauern - so ist zu lesen - "schnell nach oben tragen". Nun hat man die Mauern wohl inzwischen durch weniger malerische Leitplanken ersetzt und außerdem trägt einen niemand nach oben, sondern das muss man schon selber machen, schweißgebadet. Obendrein überholt mich ein Rollerskifahrer in einem Mordstempo. Ich war immer der Ansicht, dass das Fahrradfahren die rationellste Fortbewegungsart durch Körperkraft ist, vielleicht ist dem doch nicht so und wir machen in Zukunft unsere Touren besser mit Rollerski und Rucksack, ein kleiner Trailer vielleicht hinten dran? Jedenfalls habe ich den Rollerskifaher nicht mehr eingeholt, auch nicht auf der Abfahrt, aber vielleicht ist er auch irgendwo abgebogen oder im Straßengraben verschwunden.
Bootshäuser in Feda |
Nach viel Schweißvergießen findet man sich in dem Ort Feda wieder, gleich hinter dem Tunnel, einer Strecke, die man sonst in etwa 10 Minuten passiert hätte. Oberhalb dieses Ortes gähnt der nächste Tunnel, wo die Schwerlaster hinein und heraus donnern. Außerdem (und zum Glück) zwingt einen eine unüberwindliche Leitplanke auf den Umweg der Leiden (240 m). Inzwischen habe ich bereits wieder 100 km in den Beinen, deshalb sind die letzten 10 km heute nicht unbedingt ein Genuss, obwohl landschaftlich schön. Aber auch noch eine sonderbare Deponie für eigenartige Schlämme, die sich anscheinend nicht gerade als Gartenerde eignen, wird passiert.
Dann muss man doch ein Stück auf der E48 zurücklegen, da donnern die Schwerlaster - wie erwähnt - doch einigermaßen beängstigend. Man kann dann wieder auf ausgeschilderte Nebenwege ausweichen, aber dieser Bereich ist doch recht abenteuerlich und ich stelle mir mal an einen Radler samt Edelfrauchen vor, der hier nicht nur sich selbst, Rad und Gepäck durch hieven muss, sondern als Kavalier das alles auch noch doppelt besorgen darf. Höhepunkt ist eine Baustelle, wo man klaviergroße Blöcke auf die Strecke gekippt hat. Da darf man dann schon mal das Gepäck abschnallen und alles einzeln hindurch ballanzieren. Immerhin ist unten im Fjord eine Wasserskianlage, an der man sich zumindest optisch erfrischen kann.
Flekkefjord |
Urlandschaft |
Damit ist der Ort Flekkefjord als heutiges Tagesziel wirklich redlich erarbeitet. Hier findet sich schnell ein (vergleichsweise) preiswertes Quartier im Gästehaus Bondeheimen. Für die spendableren Reisenden würden sich aber auch das Grand Hotel oder First Hotel Maritim anbieten. Um meine Rechnung mit der Visa Card zu begleichen, mühen sich gleich drei beflissene Damen ab, es fehlt nicht viel, und die unersetzliche Kreditkarte wäre in dem klemmenden Ratsch-Ratsch-Automat zu Brei gemahlen worden. Zum selbst bereiteten Abendessen (man könnte natürlich auch im Maritim speisen) gibt es die bewährten Krepsehaler von Fiskemannen mit Käse extra smøret und (aus Versehen) Rosinenbrötchen.
4 Dienstag, 17.6., Flekkefjord - Nærdal, 125 km |
Åna-Sira |
Von Flekkefjord geht es auf einer einsamen Landstraße durch eine ursprüngliche Landschaft, durchsetzt von Felspartien und Bergseen. Nach 170 m Höhe geht es nach und nach wieder hinunter. Kurz vor Åna-Sira, wo man wieder an einen Fjord kommt, ist die Straße gesperrt. Dort werden die Felswände von einer Hebebühne aus von losem Material gesäubert. Ich erinnere mich an einen denkwürdigen Unfall eines Freundes aus unserem Dorf, der vor Jahren mit dem Motorrad schwer verletzt wurde, als er in eine solche Baustelle hinein gerauscht ist. Vielleicht hat man daraus die Konsequenzen gezogen, denn hier ist alles gut gesichert durch extra Posten vor und hinter der Hebebühne, die auf hydraulischen Stützpfosten die ganze Straßenbreite einnimmt. Mich winkt man freundlicherweise hindurch, alle anderen Fahrzeuge müssen bis zu einer halben Stunde warten.
Nun kommt man nach Åna-Sira, wo man sich angesichts der malerischen Szenerie die Augen reiben darf. Aber nicht zu lange, denn danach erwartet einen mit 275 m Höhe die höchste Partie des Norwegischen Teilstücks auf der Nordseeroute. Nach einer halben Stunde Arbeit ist auch das geschafft und man rauscht hinunter an den Jossingfjord. Hier hat sich im Krieg einiges abgespielt. Z.B. im Februar 1940 wurde das deutsche Versorgungsschiff Altmark mit 300 britischen Kriegsgefangenen an Bord von dem englischen Zerstörer Cossack aufgebracht und die Gefangenen befreit. Der Name Jossingfjord ist ein Inbegriff des norwegischen Widerstands gegen die deutschen Besatzer. Außerdem gibt es zwei alte Häuser aus dem 17. Jahrhundert in einer Nische unter einer Felswand. Das kriegt man aus dem Augenwinkel gerade so mit. Man nähert sich nun einer bizarren Felswand, in die man die Straße hinein gefräst hat, passiert ( am besten schiebenderweise) einen kurzen Tunnel und kann dann an einem Aussichtspunkt Rast machen. Ein Ehepaar aus Halle ist auch schon da (mit dem Auto) und frühstückt.
Häuser unter der Felswand |
Jossingfjord |
Diesmal erreicht man 180 m Höhe, bevor es hinunter geht nach Hauge und in den beschaulichen Ort Sogndalstrand. Dort hat man mal kurz die gesamte Ortsdurchfahrt gesperrt, weil einer von einer Hebebühne aus sein Haus zu streichen beliebt. Natürlich ist das mit dem Fahrrad wieder kein Problem. Man passiert den Ort Nesvåg, dessen Bild viele Prospekte der Gegend schmückt.
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Nesvåg |
Hestvad bru in Egersund |
Obwohl ich mir diesen Ort zunächst als Tagesziel vorgenommen hatte, fahre ich schnell hindurch (bis auf den Supermarkt). Es ist noch zu früh am Tag, außerdem habe ich einen respektablen Rückenwind, das muss man ausnutzen. Zunächst aber gilt es, die alte Brücke Hestvad bru von 1843 zu bewundern. Danach genehmige ich mir doch mal eine Abkürzung auf der Nationalstraße 44. Aber dann folgt mal wieder ein Stück der historischen Westland-Hauptstraße, das zwar anstrengend ist, das man aber auf keinen Fall auslassen sollte.
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Nun wird die Landschaft unversehens eben, es folgen keine ernsthaften Steigungen mehr. Die Gegend ist eher untypisch für Norwegen und heißt Jæren. Trotzdem nun endlich einmal alles flach ist, rollt es einmal nicht so recht - aha, da ist frisch geteert und der Belag ist noch klebrig. Dann kommt man wieder gut voran und ich weiß, das noch ein Höhepunkt zu erwarten ist. Zunächst aber passieren wir das Kunst- und Kulturzentrum Hå Gamle Prestegard. Dort stehen eine Menge Leute und lauschen einem Vortragenden, sicher kulturell Ansprechendes. Da verpasse ich wohl ein Hinweisschild und fahre an den Leuten vorbei an einer Natursteimauer entlang bis in eine Wiese, und dann wieder zurück (an der Natursteinmauer entlang und an den Leuten vorbei), hoffentlich habe ich die nicht zu sehr abgelenkt.
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Der "richtige" Weg ist aber auch nicht so vielversprechend, ein Trampelpfad an einem Flussufer. Aber da ist sie schon - die Attraktion - eine abenteuerliche Hängebrücke über den Fluss Håelva. Die bewältigt man besser zu Fuß. Dann ist man schon in dem Ort Nærland, wo es ein Hotel geben soll. Das ist zunächst schwer vorstellbar, weil hier der Hund verfroren ist. Aber nach einigem Herumirren finde ich es dann doch hinter einer Fahnenstange: Nærland Gjestegard. Damit ist das Dach über dem Kopf für heute gesichert und das Abendessen kommt wieder einmal aus der Tüte.
5 Mittwoch, 18.6., Nærland - Skudeneshavn 62 km (79 km mit Rundfahrten) |
Man durchfährt heute zunächst eine weite landwirtschaftlich geprägte Gegend, vorbei an dem See Orrevatnet, einem Vogelschutzgebiet. Der Schutz gilt leider nicht auf der Straße, wo es doch eine Menge Opfer zu beklagen gibt. Einmal sind drei Austernfischer hintereinander - alles Jungvögel - plattgewalzt, eine kleine Möwe sitzt flugunfähig am Straßenrand - ich kann ihr nicht helfen. An der Küste gibt es einen langen Strand, das ist in Norwegen fast selten.
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Just in Time - wie es so schön heißt, erreiche ich schließlich den Ort Mekjarvik, wo die Fähre hinüber zu den Inseln Kvitsøy und Karmøy um 13.50 ablegen soll. Aber als ich um die letzte Landspitze biege, sehe ich die Fähre gerade abdampfen, was das wieder soll? An der Anlegestelle klärt sich das schnell auf, ich habe die Zeiten für die Gegenrichtung notiert, die richtige Abfahrtszeit wäre 12.15 gewesen, und das war gerade. Es braucht einige Zeit, bis ich den Fahrplan richtig kapiert habe. Die nächste Fähre fährt um 15.25, aber dann nur bis zu der Insel Kvitsøy, von da kommt sie zurück und fährt dann erst um 17.20 hinüber nach Karmøy.
Gut, dass ich meine Zeit nicht zu knapp eingeteilt habe, denn nun kann ich den ersten halben Tag "abbummeln". Was kann man in den nächsten drei Stunden nun anstellen? Man kann sich die Bohrinsel ansehen, die hier wohl zur Montage und Wartung aufgebaut ist. Da ist man schnell mit fertig. Dann gibt es da noch den Leuchtturm bei Tungenes, ein paar km entfernt. Also fahre ich da mal hin und gucke mich um. Ist auch ganz schön da. Inzwischen ist die Sonne rausgekommen. Also fahre ich zurück zu der Landzunge bei Mekjarvik und suche mir ein lauschiges Lagerplätzchen im Schatten und mit schönem Ausblick. Gerade habe ich es mir gemütlich gemacht, da ertönt Pferdegetrappel und unversehens taucht ein Mädchen auf einem Pferd aus dem Gebüsch auf. Die machen eine Vollbremsung, wobei das Mädchen fast über den Hals des Pferdes geht. "Sorry", da konnte man ja nicht mit rechnen. Dann aber kann ich ungestört fotografieren, Notizen machen, Landkarten lesen oder dösen.
Schließlich ist es so weit und das Schiff nach Kvitsøy geht ab. Bezahlen soll ich erst später bei der Weiterfahrt nach Karmøy - wird mir gesagt. Also nehme ich mir die Insel Kvitsøy für eine Inspektion vor. Da weht ein frischer Wind. Oben an der Kirche hat man die beste Übersicht und im Windschatten einer Mauer kann man über die Welt nachdenken. Als ich mich satt-gesehen und -gedacht habe, fahre ich wieder hinunter zum Anlegeplatz, wo es nicht viel zu sehen gibt. Oder doch - da ist einer mit seinem Boot in der Fähreinfahrt liegen geblieben, der muss erst von einem anderen abgeschleppt werden. Danach kann ich den Mund wieder zumachen und mich bei einsetzendem Nieselregen in einen Wartecontainer verziehen.
Panorama auf Kvitsøy |
Irgendwann kommt mein Schiff und bringt mich schließlich hinüber nach Skudeneshavn. Dass man mich nicht noch einmal nach dem Fahrgeld fragt, stört mich weniger, das habe ich quasi schon abgesessen. In Skudeneshavn gilt es Quartier zu machen. Bei dem ersten Gästehaus sind alle Türen unverschlossen, man kann in dem Haus nach Belieben herumgeistern, auch die Zimmertüren stehen offen. Aber es zeigt sich keine Menschenseele, weder auf Klingeln noch auf Rufen. Also wieder raus, da kommt ein junger Mann daher, den frage ich nach dem anderen Gästehaus Reinertshuset. "Just here, I call the woman, if you really want to charge" sagt er. Die nette Dame erscheint mit dem Schlüssel und so gerate ich für eine Nacht in den Besitz eines dieser typischen alten weißen norwegischen Holzhäuser. Bezahlt wird gleich, und am Morgen bei der Abfahrt soll ich dann nur den Schlüssel stecken lassen. Ich bedanke mich für das Vertrauen.
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Einiges ist noch zu tun: Geld besorgen, Einkaufen, Telefonieren. Bei Terje muss ich mich ja nun endlich melden, und da heißt es "So weit bist du schon?". Wir bleiben bei unserem Plan und ich kann es noch zwei Tage geruhsam angehen lassen. Den Rest des Abends lasse ich es mir gut gehen. Im Gästebuch lese ich erfreut, dass hier auch einige Teilnehmer der Eröffnungstour der Nordseeroute 2001 genächtigt haben. So schreibe ich auch meinen Beitrag in das Gästebuch: ...now I have a whole ancient house for my own, I never had that before...
6 Donnerstag, 19.6., Skudeneshavn - Haugesund, 60 km |
Der Morgen beginnt mit einem Gewitter und einem Wolkenbruch, was ich noch in meinem gemütlichen Haus abwettern kann. Heute habe ich alle Zeit der Welt, weil das Tagesziel Haugesund fest steht und nicht so weit entfernt ist. Zuerst mache ich einen kleinen Rundgang hinauf zum Aussichtspunkt auf einem Felsen im Park. Dort sitzt eine Schülergruppe aus - sagen wir mal - Französisch Guyana, jedenfalls sehen sie so aus, die kichern in einer Tour. Da bin ich schnell wieder weg und suche dann noch den "Mondstein" auf. Das ist ein vielleicht faustgroßer runder Stein von anderer Beschaffenheit als das umgebende Gestein.
Gegen 10 Uhr verlasse ich das Haus, alles ordentlich hinterlassend, wie ich hoffe. Die Strecke führt an der Westküste der Insel Karmøy entlang und bietet reizvolle Ausblicke. Meistens fährt man auf der Landstraße. Man bezeichnet diese Gegend als so was wie die Wiege Norwegens. Es ist zu lesen, dass der König Harald Schönhaar nach der Reichseinigung um 872 hier seinen Hauptsitz hatte. Von diesem Tatbestand schneiden sich einige Orte eine Scheibe ab (Museen und so).
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Nach wenig anstrengender Fahrt komme ich schließlich an die Hochbrücke über den Karmsund hinüber nach Haugesund. Auf der Brücke herrscht ein mörderischer Verkehr, aber es gibt einen Fuß- und Radweg von 1 m Breite. Wenn da einer von vorne kommt, was macht man dann? Da ist es auch schon passiert, eine Frau kommt mir auf ihrem Rad entgegen. Gerade ist ein Schwerlaster vorbei gedonnert, danach kann man kurz auf die Fahrbahn hinaus treten und die Frau passieren lassen.
In Haugesund verlasse ich gerade die Touristeninformation, als ein heftiger Regenschauer los bricht. Der freundliche Verkäufer in einem benachbarten Fischladen zerrt mich und mein bepacktes Rad geradezu von der Straße hinein in seinen Laden, wo ich mich mit einem großen Fisch in einem Bassin anfreunden kann. Als der Regen aufgehört hat, suche ich das Best Western Hotel Neptun auf, das als fahrradfreundlich eingestuft ist. Als Radfahrer werden mir 30% Preisermäßigung eingeräumt, womit ich die Fahrradfreundlichkeit bestätigen kann. Ansonsten sind Schlummerstündchen, Einkaufen und Abschlaffen angesagt. Am Abend wird im Fernsehen das Fußballspiel Brasilien - Kamerun übertragen, und das endet 1:0 für Kamerun, das sieht man auch nicht jeden Tag.