Kristiansand - Bergen - Shetlands - Schottland - England
14.6.-7.7.2003
1 Samstag, 14.6., Anreise Braunschweig - Kristiansand
Die Nordsee-Radroute macht süchtig! Mir geht es jedenfalls so, nachdem man im letzten Jahr gerade da aufgehört hatte, wo es immer schöner wird. Das war in Kristiansand, etwa an der Südspitze Norwegens. Wie kommt man da am besten wieder hin und von dort aus weiter? Das weiß am besten unser Freund Terje Melheim, der auf der Insel Stord südlich von Bergen gleichsam Schildwache an der Nordseeroute hält, die genau über diese Insel führt. (Mit Turid und Terje stehen wir seit vielen Jahren in E-Mail-Kontakt, außerdem haben wir uns weiland an der Neisse einmal spontan radelnderweise persönlich kennen gelernt). Unvergessen ist auch die Eröffnungstour der Nordseeroute 2001, die im Internet eindrucksvoll dokumentiert ist und mit etlichen Feierlichkeiten (auch auf den Inseln Bømlo und Stord) begangen wurde. Wer hätte gedacht, dass man einmal in diese nördlichen - und wie wir glauben finsteren - Gegenden verschlagen würde, und das auch noch mit einem Besuch bei Turid und Terje verbinden könnte?
Also nach Kristiansand kommt man anscheinend am besten, wenn man sich einen Fahrradkarton besorgt, das Fahrrad weitgehend demontiert, das ganze Sammelsurium dann zum Hauptbahnhof in Braunschweig schafft, mit der Bahn nach Hamburg fährt, dort den sperrigen Karton zum ZOB (Zentraler Omnibus Bahnhof) schleift und dann einen Bus besteigt, der täglich(!) zwischen Hamburg und Stavanger verkehrt. Welche Fahrgäste verkehren täglich zwischen Hamburg und Stavanger, fragt man sich da doch? Die Antwort werden wir viel später erfahren; Aber falls ich das nachher vergesse, mitzuteilen: die Norweger fahren gern zum Einkaufen nach Deutschland, weil es dort viel billiger ist (und es Aldis gibt).
Für die Anfahrt wähle ich doch die weniger abenteuerliche Variante und vertraue
mich einem Reisebüro an. Die machen das ganz perfekt, ich bekomme ein
Wochenendticket (EUR 38.-) bis Flensburg und dann weiter bis Hirtshals, alle
erforderlichen Reservierungen und die Aussicht auf 5xUmsteigen (Uelzen-Hamburg-Padborg-Fredericia-Hoerring
). Also möglichst wenig Gepäck mitnehmen nach der Devise: egal ob für eine
Woche oder drei! Kamera-Ausrüstung - damit das gleich klar ist - eine handliche
DigCam von Aldi mit begrenzten optischen Qualitäten. Die bewährte Canon mit
Vario Objektiv muss zu Hause bleiben. Dafür kann ich kostenfrei (keine Filme,
keine Laborkosten) bis zu 700 Bilder schießen (442 sind es dann geworden).
Am Samstag dem 14. geht es dann endlich los. Nicht am Freitag dem 13., das
könnte ja Unglück bringen. So geht es leider einem kleinen Vogel, der auf
unserer Terrasse gegen die Fensterscheibe knallt und in unseren Händen
verendet. Wie war es weiland 1999 vor meiner Englandtour, da hat mir ein
Vogel auf den Kopf geschissen, und das hat Glück bedeutet. Damit es spannend
wird - diesmal gibt es nicht nur Glück - oder doch?
Inzwischen sitze ich schon gemütlich im Zug nach Ülzen mit dem Hundertwasser-Bahnhof. Da ist alles krumm und schief und orientalisch ausgekachelt. Im Zug nach Hamburg treffe ich schon mal einen Bekannten aus unserem Dorf, mit dem plaudernd die Zeit bis Hamburg vergeht. Dann trennen sich unsere Wege, er will nach Sylt, ich nicht. In Hamburg steigt man in eine Zug der Firma FLEX, die haben wohl einiges ausgemusterte Material der Deutschen Bahn übernommen. Jedenfalls darf man auf der Hochbrücke in Rendsburg nicht auf’s Klo, damit in den Gärten der darunter liegenden Anwohnern nichts Unangenehmes auf den Grill fällt.
In Dänemark angekommen, muss ich gleich hinter Padborg eine Fahrradkarte nachlösen, da kann ich nur mit EURO bezahlen und bekomme 20 DKR zurück, die irgendwann einmal in einem Telefonschacht in Esbjerg ohne weiteres Ergebnis ihr Ende finden werden. Na ja, irgendwann kommt man dann schließlich in Hirtshals an und ist nach dem langen Tag einigermaßen hungrig. "Hirtshals Fiske Pizza" - das habe ich noch vom Vorjahr im Kopf und in den Geschmacksnerven gespeichert. In der ersten Pizzeria in der Fußgängerpassage lasse ich mir eine Pizza Marina oder sowas schmecken. Zwei Häuser weiter ist dann die richtige Pizzeria mit der Fiske Pizza, aber die ist deutlich teurer. Obwohl man sich an die saftigen Preise mal schon gewöhnen sollte, wenn es nach Norwegen geht.
Leider dauert das noch eine ganze Weile, denn das Schiff legt erst weit nach Mitternacht ab. Gegen 23.00 Uhr geht die Sonne unter und der Vollmond auf, danach treibt man sich in irgendwelchen Wartehallen herum und schaut zu, wie den Busreisenden Fertigmenues serviert werden. Endlich an Bord, aber schnell sind alle billigen Schlafplätze unter Treppen oder in lauschigen Ecken von fernöstlichen Passagieren und deren Schlafsäcken in Beschlag genommen. Aber schließlich finde ich den Raum mit den Schlafsesseln, da ist es ruhig und man kann auf das vorbei ziehende Meer und den Vollmond schauen (ich sitze in der ersten Reihe). Und dann hat mich doch der Schlaf übermannt. Trotz Rückenschmerzen durch das dauernde Sitzen. Kann man danach einen Tag lang Fahrrad fahren, übernächtigt wie man ist?
2 Sonntag, 15.6., Kristiansand - Lyngdal, 110 km
Man kann! Kurz nach 7 Uhr am Sonntagmorgen kann ich als einziger Fahrradfahrer von Bord gehen. Auf den Fähren ist man da immer der erste, wenn man sich entsprechend nach vorne mogelt. In Kristiansand halte ich kurz nach einer Bank (zum Geld abheben) Ausschau, ohne Erfolg und lange halte ich mich nicht auf - die Nacht mit wenig Schlaf hat überhaupt nichts ausgemacht, man kann voll motiviert auf Strecke gehen. Bald lässt man den - allerdings spärlichen - Verkehr hinter sich und biegt auf den alten Postweg ein. Hier hat man es hauptsächlich mit Joggern und Hundebesitzern zu tun. Der alte Postweg war von 1790 bis 1880 ein Teil der westnorwegischen Hauptstraße zwischen Kristiansand und Stavanger - so ist zu lesen. Bei den Steigungen und der damaligen Wegbeschaffenheit mag man sich ganz schön abgeplagt haben. Ich ziehe es auch vor, an den steilen Steigungen zu schieben, um einen späteren Muskelkater zu vermeiden. Das ist zwar nicht so sportlich, aber - vorweggenommen - im Gegensatz zum Vorjahr bleibe ich diesmal von diesem Übel verschont.
Bald kommt man nun an den See Kvislevann, wo der Weg 1861 auf einem Damm durch den See geführt wurde - und zwanzig Jahre später wurde die Route dann doch still gelegt. Heute erfreut sich der Radfahrer an dieser Passage und es gibt Gelegenheit für ein erstes Panoramafoto. Bald darauf nach einer Abfahrt erreicht man wieder eine asphaltierte Straße, dort ist so gut wie gar kein Verkehr. Es fällt sofort auf, wie üppig die Blumenwelt an den Straßenrändern ihre Farben entfaltet, hier im vermeintlich rauhen Norden. In manchen Anwesen blühen herrliche Rhododendren.
Bald gerät man in die Versuchung auf eine erste Abkürzung, aber in dieser Landschaft ist es nicht schwer, dieser zu widerstehen und sozusagen einen Kreis von ca. 9 km zu fahren. Besonders schön wird es immer, wenn man einen Fjord passiert, wo malerische Anwesen und Bootshäuser das Auge erfreuen. Nach einiger Zeit erreicht man die südlichste Stadt Norwegens, das ist Mandal. Hier gefällt es mir nicht ganz so gut wie in der freien Natur, doch ich finde eine Bank bzw. Minibank, wo man sich mit Norwegischen Kronen eindecken kann.
Leider trübt sich das Wetter mehr und mehr ein, und zwischen Svennevig und Spangereid beginnt es zu regnen. An einer stillgelegten Tankstelle habe ich Gelegenheit, mich unter ein Dach zu stellen und über Sinn und Unsinn meines Vorhabens nachzudenken. Aber man ist ja nicht das erste Mal auf Tour, da wirft einen ein bisschen Regen nicht gleich aus der Bahn. So nehme ich mir die letzten 10 km für heute vor, die führen allerdings über eine Höhe von 210 m. Das hört sich nicht so schlimm an, es ist nur so, dass sich durch das ständige Auf und Ab diese Höhe auf mindestens das doppelte addiert. Und das spürt man schon, mit bereits 100 km in den Beinen. Schließlich geht es rasant wieder runter nach Lyngdal, wo ich im Rosfjord Strandhotel unterkomme. "Für die Hälfte" sagt der Boss, dabei ist es immer noch teuer genug. Auch das Essen im Restaurant ist mir zu teuer (30 EUR und aufwärts), da nehme ich mit den verbliebenen Hasenbroten von zu Hause vorlieb. Inzwischen scheint auch wieder die Sonne und man kann eine schöne Aufnahme vom Rosfjord machen. In dem Appartement neben meinem erklingt in einer Tour "Verdammt bin ich glücklich - verdammt bin ich frei..." und ich brauche einige Zeit, bis mir der Name des Interpreten einfällt: Wolfgang Petry. Verdammt bin ich glücklich - verdammt bin ich frei... so geht es mir auch und um einen guten Schlaf brauche ich mich nicht weiter zu bemühen.
Zum Frühstück erscheinen neben mir auch einige Monteure aus Deutschland, Transporttechnik oder so. Die haben wie ich zwei Mägen. Der zweite ist bei mir die Lenkertasche, bei den Monteuren sind es ganz ungeniert einige Plastikbehälter, in die stapelweise geschmierte Brote wandern. Bei mir sind es wohl einige Yoghurt und zwei Brötchen, die in der Versenkung verschwinden. Dann erscheint der Chef mit den denkwürdigen Worten, an die Monteure gerichtet: "Die Frauen sind böse auf euch, Zimmer sehen aus wie Schweinestall".
Ansonsten herrscht "Kaiserwetter", d.h. keine Wolke am Himmel, klare Sicht und satte Farben. Heute morgen erlaube ich mir, die Strecke von der offiziellen Route abweichen zu lassen, die durch Waldgebiet und über eine Steigung von 130 m führt. Die Landstraße entlang am Lyngdalfjord verspricht mehr und hält es auch. Der Verkehr ist zu vernachlässigen, aber das mag nicht immer so sein, und deshalb hat man die Radroute mehr in das Hinterland verlegt, obwohl wir uns dann doch auf der Landstraße (Nr. 43) wieder zusammen finden.
So gerät man nach Farsund, sicher ein Kleinod mit der Brücke, den weißen Häusern und den Booten im Hafen. Dann folgt ein wenig Industriegebiet, aber bald schon kann man sich wieder satt sehen an den Farben, die bei diesem Wetter fast unnatürlich scharf und intensiv erscheinen. Ein blauer See mit Blumen im Vordergrund und fernen Bergen im Hintergrund. Auch das ausgediente und blumengeschmückte Fahrrad am Straßenrand liefert ein Fotomotiv.
Nach einer eher unnötigen Holperstrecke von 5 km kommt man schließlich in den Ort Borhaug. Dort ist die Straße gesperrt und aufgeregte Leute laufen herum mit Kameras, Aktenordnern und großen Spiegeln. Was das nun wieder soll? Natürlich fragt man da mal nach: aha, Filmaufnahmen! "Television?" frage ich. "No, Action Film" ist zu erfahren. "You need an actor, James Bond or so?" aber mit diesem Versuch kann ich nicht in die Filmgeschichte eingehen, war wohl nur ein kleiner Scherz. Stattdessen kaufe ich mir eine große Flasche Fanta im nächsten Laden, schaue den "Actors" noch ein wenig zu, aber da ist keine Julia Roberts oder Richard Gere zu entdecken, vielleicht machen die auch gerade Frühstückspause.
Das erledige ich dann wenig später in zauberhafter Landschaft, womöglich hieß dieser Ort Jølle. Ein paar Häuser, die See, ferne Berge und ein malerischer kleiner Hafen. Hier möchte man ja gar nicht wieder weg. Nebenbei bemerkt, hier in der Nähe gibt es auch 3000 Jahre alte Felszeichnungen aus der Bronzezeit, das ist mir ganz entgangen. Stattdessen kämpfe ich mit dem Verschluss meiner Fantaflasche, die sich nicht dicht schließen lässt, sondern nur durch eine findige Taschentuchumwicklung (Bild) gesichert werden kann.
Nun geht es auf verlorenen Wegen bis auf eine Höhe von 120 m und dann wieder hinunter an einen namenlosen Fjord. Danach wieder auf eine Höhe von 190 m auf einsamer Straße. Als ich wieder gerade bergan schiebe, überholen mich zwei Wohnmobile aus Rendsburg (RD)(wo die Hochbrückeüber den Gärten war). Die sehe ich dann später wieder, wie sie sich an einem einsamen Waldsee mit Tischen und Stühlen eine gemütliche Kaffeetafel aufgebaut haben. Vielleicht geniessen sie es, nicht immer unter dieser scheusslichen Brücke sitzen zu müssen? Ich muss noch einmal auf 220 m Höhe klettern (am Abend habe ich ausgerechnet, dass man insgesamt an die 1000 Höhenmeter zusammenbringt). Auf der Abfahrt nach Kvinesdal hätte meine Fahrt und nicht nur die(!) beinahe ein vorzeitiges Ende gefunden. Ein unauffälliges Loch im Straßenbelag hätte mich bei 45 km/h fast über den Lenker gehen lassen, der Hintern kam schon hoch. Danach fahre ich vorsichtiger. In Kvinesdal bekomme ich dann die Quittung für die heutigen Anstrengungen: 31 km von Lyngdal - und auf meinem Tacho sind stattdessen 67 km verzeichnet. Aber man will ja nicht Strecke machen, sondern Genussradeln, und genau das kann kaum irgendwo schöner sein.
In Kvinesdal gerät man kurz auf die E39, die ist ungenießbar, obwohl man dort durch Benutzung eines Tunnels etliche km und eine Steigung über 160 m sparen könnte. Der Radfahrer begibt sich stattdessen besser auf die bereits erwähnte ehemalige Westnorwegische Hauptstraße, wo einen die Begrenzungsmauern - so ist zu lesen - "schnell nach oben tragen". Nun hat man die Mauern wohl inzwischen durch weniger malerische Leitplanken ersetzt und außerdem trägt einen niemand nach oben, sondern das muss man schon selber machen, schweißgebadet. Obendrein überholt mich ein Rollerskifahrer in einem Mordstempo. Ich war immer der Ansicht, dass das Fahrradfahren die rationellste Fortbewegungsart durch Körperkraft ist, vielleicht ist dem doch nicht so und wir machen in Zukunft unsere Touren besser mit Rollerski und Rucksack, ein kleiner Trailer vielleicht hinten dran? Jedenfalls habe ich den Rollerskifaher nicht mehr eingeholt, auch nicht auf der Abfahrt, aber vielleicht ist er auch irgendwo abgebogen oder im Straßengraben verschwunden.
Nach viel Schweißvergießen findet man sich in dem Ort Feda wieder, gleich hinter dem Tunnel, einer Strecke, die man sonst in etwa 10 Minuten passiert hätte. Oberhalb dieses Ortes gähnt der nächste Tunnel, wo die Schwerlaster hinein und heraus donnern. Außerdem (und zum Glück) zwingt einen eine unüberwindliche Leitplanke auf den Umweg der Leiden (240 m). Inzwischen habe ich bereits wieder 100 km in den Beinen, deshalb sind die letzten 10 km heute nicht unbedingt ein Genuss, obwohl landschaftlich schön. Aber auch noch eine sonderbare Deponie für eigenartige Schlämme, die sich anscheinend nicht gerade als Gartenerde eignen, wird passiert.
Dann muss man doch ein Stück auf der E48 zurücklegen, da donnern die Schwerlaster - wie erwähnt - doch einigermaßen beängstigend. Man kann dann wieder auf ausgeschilderte Nebenwege ausweichen, aber dieser Bereich ist doch recht abenteuerlich und ich stelle mir mal an einen Radler samt Edelfrau vor, der hier nicht nur sich selbst, Rad und Gepäck durch hieven muss, sondern als Kavalier das alles auch noch doppelt besorgen darf. Höhepunkt ist eine Baustelle, wo man klaviergroße Blöcke auf die Strecke gekippt hat. Da darf man dann schon mal das Gepäck abschnallen und alles einzeln hindurch ballanzieren. Immerhin ist unten im Fjord eine Wasserskianlage, an der man sich zumindest optisch erfrischen kann.
Damit ist der Ort Flekkefjord als heutiges Tagesziel wirklich redlich erarbeitet. Hier findet sich schnell ein (vergleichsweise) preiswertes Quartier im Gästehaus Bondeheimen. Für die spendableren Reisenden würden sich aber auch das Grand Hotel oder First Hotel Maritim anbieten. Um meine Rechnung mit der Visa Card zu begleichen, mühen sich gleich drei beflissene Damen ab, es fehlt nicht viel, und die unersetzliche Kreditkarte wäre in dem klemmenden Ratsch-Ratsch-Automat zu Brei gemahlen worden. Zum selbst bereiteten Abendessen (man kann auch im Maritim speisen) gibt es die bewährten Krepsehaler von Fiskemannen mit Käse extra smøret und (aus Versehen) Rosinenbrötchen.
Der weitere Zeitplan sieht folgendermaßen aus: heute in einer Woche fährt das Schiff von Bergen zu den Shetlandinseln. Das Schiff verkehrt nur einmal die Woche, daher ist dieser Termin sehr verbindlich. Das Wochenende ist für den Besuch bei Turid und Terje vorgesehen, darauf freue ich mich schon sehr. Außerdem hat Terje angekündigt, dass er mir auf der Insel Bømlo entgegen kommen will, das könnte dann am Freitag sein. Die Strecke an sich ist also gut bis dahin zu schaffen, trotzdem geht es nach der Devise: was weg ist, ist weg.
Von Flekkefjord geht es auf
einer einsamen Landstraße durch eine ursprüngliche Landschaft, durchsetzt von
Felspartien und Bergseen. Nach 170 m Höhe geht es nach und nach wieder
hinunter. Kurz vor Åna-Sira, wo man wieder an einen Fjord kommt, ist die Straße gesperrt. Dort werden
die Felswände von einer Hebebühne aus von losem Material gesäubert. Ich
erinnere mich an einen denkwürdigen Unfall eines Freundes aus unserem Dorf, der
vor Jahren mit dem Motorrad schwer verletzt wurde, als er in eine solche
Baustelle hinein gerauscht ist. Vielleicht hat man daraus die Konsequenzen
gezogen, denn hier ist alles gut gesichert durch extra Posten vor und hinter
der Hebebühne, die auf hydraulischen Stützpfosten die ganze Straßenbreite
einnimmt. Mich winkt man freundlicherweise hindurch, alle anderen Fahrzeuge
müssen bis zu einer halben Stunde warten.
Nun kommt man nach
Åna-Sira, wo man sich angesichts der malerischen Szenerie die Augen reiben
darf. Aber nicht zu lange, denn danach erwartet einen mit 275 m Höhe die
höchste Partie des Norwegischen Teilstücks auf der Nordseeroute. Nach einer
halben Stunde Arbeit ist auch das geschafft und man rauscht hinunter an den Jossingfjord.
Hier hat sich im Krieg einiges abgespielt. Z.B. im Februar 1940 wurde das
deutsche Versorgungsschiff Altmark mit 300 britischen Kriegsgefangenen
an Bord von dem englischen Zerstörer Cossack aufgebracht und die
Gefangenen befreit. Der Name Jossingfjord ist ein Inbegriff des norwegischen
Widerstands gegen die deutschen Besatzer. Außerdem gibt es zwei alte Häuser aus
dem 17. Jahrhundert in einer Nische unter einer Felswand. Das kriegt man aus
dem Augenwinkel gerade so mit. Man nähert sich nun einer bizarren Felswand, in
die man die Straße hinein gefräst hat, passiert ( am besten schiebenderweise)
einen kurzen Tunnel und kann dann an einem Aussichtspunkt Rast machen. Ein
Ehepaar aus Halle ist auch schon da (mit dem Auto) und frühstückt.
Diesmal erreicht man 180 m
Höhe, bevor es hinunter geht nach Hauge und in den beschaulichen Ort Sogndalstrand.
Dort hat man mal kurz die gesamte Ortsdurchfahrt gesperrt, weil einer von einer
Hebebühne aus sein Haus zu streichen beliebt. Natürlich ist das mit dem Fahrrad
wieder kein Problem. Man passiert den Ort Nesvåg, dessen Bild viele
Prospekte der Gegend schmückt. Es folgt darauf eine wunderschöne hügelige
Strecke durch eine moorige Felslandschaft. Immer wenn es bergab geht, befindet
sich am tiefsten Punkt ein Gitter auf der Straße (engl.: Cattlegrid),
das verhindern soll, dass die Schafe und anderes Viehzeug in fremde Reviere abwandern.
Da muss dann auch der Radfahrer leider bei vollem Tempo abbremsen und
vorsichtig hinüber rattern. Den Abschluss bildet eine nicht ganz so komfortable
Schotterstrecke, bevor man die Landstraße erreicht. Auf der geht es weniger
schön aber schnell nach Egersund.
Obwohl ich mir diesen Ort
zunächst als Tagesziel vorgenommen hatte, fahre ich schnell durch (bis
auf den Supermarkt). Es ist noch zu früh am Tag, außerdem habe ich einen
respektablen Rückenwind, das muss man ausnutzen. Zunächst aber gilt es, die
alte Brücke Hestvad bru von 1843 zu bewundern. Danach genehmige ich mir
doch mal eine Abkürzung auf der Nationalstraße 44. Aber dann folgt mal wieder
ein Stück der historischen Westland-Hauptstraße, das zwar anstrengend ist, das
man aber auf keinen Fall auslassen sollte. Die Landschaft ist hier deutlich
eiszeitlich geprägt, mächtige glattgeschliffene Felspartien umschließen moorige
Becken mit einer vielfältigen Vegetation. Hin und wieder plätschert ein Bach
mit braunen Wassern dahin. Die Steigungen sind extrem steil, man muss das
Fahrrad wie einen Anhänger hinter sich her ziehen (am besten an der Sattelstütze).
Durch die faszinierende Landschaft strengt einen das komischerweise aber
überhaupt nicht an. Schließlich geht es zum Schluss noch einmal steil hinunter,
geradewegs auf die Glasfassaden eines Gewächshauses zu. Man stelle sich vor,
die Bremsen würden hier versagen...
Nun wird die Landschaft
unversehens eben, es folgen keine ernsthaften Steigungen mehr. Die Landschaft
ist eher untypisch für Norwegen und heißt Jæren. Obwohl es nun endlich eben ist, rollt
es einmal nicht so recht - aha, da ist frisch geteert und der Belag ist noch
klebrig. Dann kommt man wieder gut voran und ich weiß, das noch ein Höhepunkt
zu erwarten ist. Zunächst aber passiere ich das Kunst- und Kulturzentrum Hå
Gamle Prestegard. Dort stehen eine Menge Leute und lauschen einem
Vortragenden, sicher kulturell Ansprechendes. Da verpasse ich wohl ein
Hinweisschild und fahre an den Leuten vorbei an einer Natursteimauer entlang
bis in eine Wiese, und dann wieder zurück (an der Natursteinmauer entlang und
an den Leuten vorbei), hoffentlich habe ich die nicht zu sehr abgelenkt.
Der "richtige" Weg ist aber
auch nicht so vielversprechend, ein Trampelpfad an einem Flussufer. Aber da ist
sie schon - die Attraktion - eine abenteuerliche Hängebrücke über den Fluss Håelva.
Die bewältigt man besser zu Fuß. Dann ist man schon in dem Ort Nærland,
wo es ein Hotel geben soll. Das ist zunächst schwer vorstellbar, weil hier der
Hund verfroren ist. Aber nach einigem Herumirren finde ich es dann doch hinter
einer Fahnenstange: Nærland Gjestegard. Damit ist das Dach über dem Kopf
für heute gesichert und das Abendessen kommt wieder einmal aus der Tüte.
Man durchfährt heute
zunächst eine weite landwirtschaftlich geprägte Gegend, vorbei an dem See Orrevatnet,
einem Vogelschutzgebiet. Der Schutz gilt leider nicht auf der Straße, wo es
doch eine Menge Opfer zu beklagen gibt. Einmal sind drei Austernfischer
hintereinander - alles Jungvögel - plattgewalzt, eine kleine Möwe sitzt
flugunfähig am Straßenrand - ich kann ihr nicht helfen. An der Küste gibt es
einen langen Strand, das ist in Norwegen fast selten.
Just in Time - wie es so
schön heißt, erreiche ich schließlich den Ort Mekjarvik, wo die Fähre
hinüber zu den Inseln Kvitsøy und Karmøy um 13.50 ablegen soll.
Aber als ich um die letzte Landspitze biege, sehe ich die Fähre gerade
abdampfen, was das wieder soll? An der Anlegestelle klärt sich das schnell, ich
habe die Zeiten für die Gegenrichtung notiert, die richtige Abfahrtszeit wäre
12.15 gewesen, und das war gerade. Es braucht einige Zeit, bis ich den Fahrplan
richtig kapiert habe. Die nächste Fähre fährt um 15.25, aber dann nur bis zu
der Insel Kvitsøy, von da kommt sie zurück und fährt dann erst um 17.20 hinüber
nach Karmøy.
Gut, dass ich meine Zeit
nicht zu knapp eingeteilt habe, denn nun kann ich den ersten halben Tag "abbummeln".
Was kann man in den nächsten drei Stunden nun anstellen? Man kann sich die
Bohrinsel ansehen, die hier wohl zur Montage und Wartung aufgebaut ist. Da ist
man schnell mit fertig. Dann gibt es da noch den Leuchtturm bei Tungenes,
ein paar km entfernt. Also fahre ich da mal hin und gucke mich um. Ist auch
ganz schön da. Inzwischen ist die Sonne rausgekommen. Also fahre ich zurück zu
der Landzunge bei Mekjarvik und suche mir ein lauschiges Lagerplätzchen im
Schatten und mit schönem Ausblick. Gerade habe ich es mir gemütlich gemacht, da
ertönt Pferdegetrappel und unversehens taucht ein Mädchen auf einem Pferd aus
dem Gebüsch auf. Die machen eine Vollbremsung, wobei das Mädchen fast über den
Hals des Pferdes geht. "Sorry", da konnte man ja nicht mit rechnen. Dann aber
kann ich ungestört fotografieren, Notizen machen, Landkarten lesen oder dösen.
Schließlich ist es so weit
und das Schiff nach Kvitsøy geht ab. Bezahlen soll ich erst später bei der
Weiterfahrt nach Karmøy - wird mir gesagt. Also nehme ich mir die Insel Kvitsøy
für eine Inspektion vor. Da weht ein frischer Wind. Oben an der Kirche hat man
die beste Übersicht und im Windschatten einer Mauer kann man über die Welt
nachdenken. Als ich mich satt-gesehen und -gedacht habe, fahre ich wieder
hinunter zum Anlegeplatz, wo es nicht viel zu sehen gibt. Oder doch - da ist
einer mit seinem Boot in der Fähreinfahrt liegen geblieben, der muss erst von
einem anderen abgeschleppt werden. Danach kann ich den Mund wieder zumachen und
mich bei einsetzendem Nieselregen in einen Wartecontainer verziehen.
Irgendwann kommt mein
Schiff und bringt mich schließlich hinüber nach Skudeneshavn. Dass man
mich nicht noch einmal nach dem Fahrgeld fragt, stört mich weniger, das habe
ich quasi schon abgesessen. In Skudeneshavn gilt es Quartier zu machen. Bei dem
ersten Gästehaus sind alle Türen unverschlossen, man kann in dem Haus nach
Belieben herumgeistern, auch die Zimmertüren sthen offen. Aber es zeigt sich
keine Menschenseele, weder auf Klingeln noch auf Rufen. Also wieder raus, da
kommt ein junger Mann daher, den frage ich nach dem anderen Gästehaus
Reinertshuset. "Just here, I call the woman, if you really want to charge" sagt er.
Die nette Dame erscheint mit dem Schlüssel und so
gerate ich für eine Nacht in den Besitz eines dieser typischen alten weißen
norwegischen Holzhäuser. Bezahlt wird gleich, und am Morgen bei der Abfahrt
soll ich dann nur den Schlüssel stecken lassen. Ich bedanke mich für das
Vertrauen.
Einiges ist noch zu tun:
Geld besorgen, Einkaufen, Telefonieren. Bei Terje muss ich mich ja nun endlich
melden, und da heißt es "So weit bist du schon?". Wir bleiben bei unserem Plan
und ich kann es noch zwei Tage geruhsam angehen lassen. Den Rest des Abends
lasse ich es mir gut gehen. Im Gästebuch lese ich erfreut, dass hier auch
einige Teilnehmer der Eröffnungstour der Nordseeroute 2001 genächtigt haben.
So schreibe ich
auch meinen Beitrag in das Gästebuch: ...now I have a whole ancient house
for my own, I never had that before...
Der Morgen beginnt mit
einem Gewitter und einem Wolkenbruch, was ich noch in meinem gemütlichen Haus
abwettern kann. Heute habe ich alle Zeit der Welt, weil das Tagesziel Haugesund
fest steht und nicht so weit entfernt ist. Zuerst mache ich einen kleinen
Rundgang hinauf zum Aussichtspunkt auf einem Felsen im Park. Dort sitzt eine
Schülergruppe aus - sagen wir mal - Französisch Guyana, jedenfalls sehen sie so
aus, die kichern in einer Tour. Da bin ich schnell wieder weg und suche dann
noch den "Mondstein" auf. Das ist ein vielleicht faustgroßer runder Stein von anderer
Beschaffenheit als das umgebende Gestein.
Gegen 10 Uhr verlasse ich
das Haus, alles ordentlich hinterlassend, wie ich hoffe. Die Strecke führt an
der Westküste der Insel Karmøy entlang und bietet reizvolle Ausblicke. Meistens
fährt man auf der Landstraße. Man bezeichnet diese Gegend als so was wie die
Wiege Norwegens. Es ist zu lesen, dass
der König Harald Schönhaar nach der Reichseinigung um 872 hier
seinen Hauptsitz hatte. Von diesem Tatbestand schneiden sich einige Orte eine
Scheibe ab (Museen und so).
Nach wenig anstrengender
Fahrt komme ich schließlich an die Hochbrücke über den Karmsund hinüber
nach Haugesund. Auf der Brücke herrscht ein mörderischer Verkehr, aber es gibt
einen Fuß- und Radweg von 1 m Breite. Wenn da einer von vorne kommt, was macht
man dann? Da ist es auch schon passiert, eine Frau kommt mir auf ihrem Rad
entgegen. Gerade ist ein Schwerlaster vorbei gedonnert, danach kann man kurz
auf die Fahrbahn hinaus treten und die Frau passieren lassen.
In Haugesund verlasse ich
gerade die Touristeninformation, als ein heftiger Regenschauer los bricht. Der
freundliche Verkäufer in einem benachbarten Fischladen zerrt mich und mein bepacktes
Rad geradezu von der Straße hinein in seinen Laden, wo ich mich mit einem
großen Fisch in einem Bassin anfreunden kann. Als der Regen aufgehört hat,
suche ich das Best Western Hotel Neptun auf, das als fahrradfreundlich
eingestuft ist. Als Radfahrer werden mir 30% Preisermäßigung eingeräumt, womit
ich die Fahrradfreundlichkeit bestätigen kann. Ansonsten sind
Schlummerstündchen, Einkaufen und Abschlaffen angesagt. Am Abend wird im Fernsehen
das Fußballspiel Brasilien - Kamerun übertragen, und das endet 1:0 für Kamerun,
das sieht man auch nicht jeden Tag.
Heute ist der große Tag.
Man muss sich das mal vorstellen, man verabredet sich Wochen vorher auf einen
Treffpunkt irgendwo hier oben in Norwegen, und dann (wenn auch telefonisch
abgesichert) ist es endlich soweit und ganz konkret. 35 km sind es bis zur
Fähre auf die Insel Bømlo, das ist an einem kurzen Vormittag geschafft. Ein
bisschen Regen gehört auch dazu. Dafür gibt es ein Bushäuschen, das ich mir
diesmal mit einer schwarzen Schnecke teilen darf. Vielleicht werden wir auf die
Schnecken noch zu sprechen kommen. Diese wird nicht überrollt, wie das
Foto vermuten lässt, sondern das Fahrrad wird sorgfältig darüber weg gehoben,
als der Regen nachlässt. In dem Ort Buavåg erreicht man dann die Fähre
hinüber zu der Insel Bømlo. Dieses mal wieder just in time, die Fähre
kommt gerade heran. Auch hier genieße ich eine vernachlässigte Beachtung, indem
man mich beim Kassieren ignoriert. Da soll man nicht meckern. Nun bin ich schon
um 12 Uhr auf der Insel Bømlo. Ab 14 Uhr wollten Terje und ich uns entgegen
fahren (nachdem die Schule am letzten Schultag vor den Norwegischen
Sommerferien aus ist). Da muss ich wohl noch etwas Zeit abbummeln. Und dafür
gibt es hier einen Ort mit dem Namen Bømmelhamn. Das ist doch wohl der
geeignete Ort für so eine Tätigkeit? Richtig kalkuliert! Vor einem
Kaufmannsladen ist ein Tisch und Stuhl aufgebaut, wo man seinen Joghurtbecher
auslöffeln kann, der noch vom Frühstück in der Lenkertasche weilte. Außerdem
sind gerade ein paar Autos mit deutschen Touristen angekommen, die laden erst
mal ihr ganzes Angelgerödel aus.
Punkt 13 Uhr starte ich
dann von der Fähre Langevåg auf die restlichen 50 km, wo wir uns
irgendwo treffen werden - so hofft man. Die Landschaft ist wieder sehr abwechslungsreich,
Heideflächen und Felspartien und es geht ganz schön auf und ab. Der Regen
verschont einen auch nicht. Nachdem ich gut vorangekommen bin, kann man sich
ein Viertelstündchen in einem Bushäuschen leisten. Der Kulleseidkanal wird
überquert, und dann ist es endlich soweit. Da kommt ein Radfahrer mit hoher
Übersetzung eine Steigung herauf, und das ist Terje. Herzliche Begrüßung und
wenig später suchen wir uns einen Rastplatz für ein Begrüßungsbier. Wie wir
später ausrechnen, haben wir uns genau auf der halben Strecke getroffen.
Nun geht es ordentlich ran,
ich merke gleich, dass ich einen Zahn mehr zuschalten muss. Obwohl meine
Schaltung inzwischen alles andere als geräuschlos arbeitet. Vielleicht hätte
ich vor der Tour doch noch das Rad überholen lassen sollen? Aber nach Monaten
ohne Probleme war ich mit der Devise losgefahren "Never change a winning
team". Dazu später mehr. Inzwischen passieren wir gerade die zwei
spektakulären Hängebrücken hinüber auf die Insel Stord. Diese Brücken hatten
früher bei starkem Wind unangenehme aber angeblich harmlose Schwingungen. Das
hat man inzwischen durch die Montage von windabweisenden Spoilern abgestellt,
wie mein ortskundiger Begleiter sachkundig erklärt. Aber wir haben ohnehin Rückenwind,
das ist mir schon langsam unheimlich, dieser ständige Rückenwind - womit haben
wir das verdient? Am Ende der zweiten Brücke hat man als ökologische
Ausgleichsmaßnahme einen kleinen Tunnel angelegt, über dessen Überdachung ein
Austausch der Tierwelt ermöglicht werden soll zwischen den durch die
Straßentrasse zerschnittenen Landschaften.
Die Grasfläche über dem Tunnel sei die teuerste Weidefläche Norwegens,
sagt man.
Damit sind wir nun auf der
Insel Stord angekommen, die uns mit einem anhaltenden Regenschauer empfängt. Da
hilft ein Einkaufszentrum "auf der grünen Wiese". Wir setzen uns in einem
gläsernen Vorbau auf die ausgestellten Gartenmöbel, die wir auf diese Weise auf
Nassfestigkeit testen. Aber dann sind wir bald zu Hause und ich darf bei Turid
und Terje alle Annehmlichkeiten eines gastlichen Hauses genießen. Besonders
beeindruckt mich eine Landkarte von Südwestnorwegen, die mir Terje wenig später
(nach dem Duschen) zeigt. Da hat er alle Straßen der Region markiert, die er
schon befahren hat ("Mein Lebenswerk" sagt er). Und das sind flächendecken fast
alle großen, kleinen und ganz kleinen Straßen!! Da kann man nur staunen. Und
ich weiß, warum ich vorhin einen Zahn zuschalten musste.
Als Abendgericht
präsentiert Turid ein lecker zubereitetes Fischgericht, nach einigen sprachlichen
Schwierigkeiten finden wir heraus, dass es sich um Seeteufel handelt,
einen der delikatesten Fische überhaupt, das muss gesagt sein. Obendrein hat
Terje auch eigenhändig eine Torte gebacken, wo man auch kaum wieder aufhören
kann. Ist einem fast schon unangenehm, mit so einem Radlermagen. Aber Gastgeber
freuen sich ja immer wenn es einem schmeckt, so auch hier.
Also machen wir
abschließend einen Abendspaziergang. "So ungefähr 7 km" sagt Terje. Und wir
durchwandern das Naturreservat Hystadmarkjo,
das lange für die Öffentlichkeit unzugänglich war. Entsprechend urig ist es
hier, ein wilder Wald und sogar einige vorgeschichtliche Grabfelder aus der
Bronzezeit, die heute als Geröllfelder zu erkennen sind. Ein Ausblick auf die See ist romantisch,
hier könnte man Stunden sitzen und meditieren.
Schließlich holt uns der
Regen wieder ein und man ist glücklich einen ausgefüllten Tag mit so vielen
Eindrücken und Gastlichkeit erlebt zu haben. Ich schlafe dann wie ein
Murmeltier (Terje musste noch zu guter letzt in den Garten um die verhassten
braunen Schnecken einzusammeln, die - eigentlich ortsfremd - seit einigen
Jahren zugewandert sind und sich ungebührlich ausbreiten).
Natürlich bieten meine
Gastgeber ein Tagesprogramm an, man darf wählen zwischen einer Seefahrt mit
eigenem Boot oder einer Bergtour. Wir entscheiden uns für die Bergtour, weil
das Wetter unbeständig ist. Dazu geht es mit dem Rad ordentlich bergauf. "Hier fahre ich manchmal abends als Training" meint Terje. Nun
wundert mich schon gar nichts mehr, was seine Kondition angeht. Bei der hohen
Übersetzung, die er fährt, muss er Muskeln wie Stahlseile haben.
(Es handelt sich um ein
"Traditionsrad" von Nigel Dean - eben ein Rad "fürs
Leben" - s.u.)
Ich muss
leider öfter schieben, wenn es zu steil wird. Am Schluss sind wir auf
400 m Höhe angelangt.
Schließlich stellen wir die
Räder ab und setzen den steiler werdenden Schotterweg zu Fuß fort. So erreichen
wir unter anregendem Gespräch den Gipfel. Der Berg heißt Kattnakkjen und
ist 724 m hoch. Leider spielt das Wetter nicht mit, keine Aussicht durch die
herumziehenden Wolkenschwaden. Wir hocken uns auf ein paar Steine in eine
windgeschützte Ecke. Ein Foto mit dem Selbstauslöser und ich verspreche, dass
ich das auf meiner Internetseite einbaue, damit da mal ein aktuelleres Bild
erscheint.
Hinunter geht es recht
flott bis zu den Rädern, danach geht es noch flotter, allerdings sind wir dann
durch den Nieselregen doch einigermaßen durchnässt. Dafür gibt es zum Essen
Rentierragout mit Preisselbeeren - super. Nach der (nötigen) Ruhepause machen
wir noch einen Stadtgang. Auch die Beschaulichkeit der Stadt Leirvik mag
mit den modernen Neuerungen Einbußen erlitten haben. Architektonisch sind die
neueren Gebäude nicht alle Meisterwerke. Kleinere Geschäfte, sofern sie noch
existieren, haben es schwer. Vieles wird heute wie allerorten - auch bei uns in
Deutschland - in dem autogerechten Einkaufszentrum auf der grünen Wiese
erledigt. Auch das maritime Seewesen hat gelitten, seit dem Bau der Brücken
sind etliche Fährverbindungen eingestellt worden. Stattdessen fahren hier viele
mit Elektroautos herum, denn die dürfen die Brücken kostenfrei passieren.
Vieles erzählt mir Terje
über sein Land und seine Geschichte. Auch wenn ich alles behalten hätte, könnte
ich hier nicht alles aufschreiben. Inzwischen - so denke ich - sind wir (nicht
nur per Internet oder Email) Freunde geworden, morgen wird es sich beweisen.
Wir starten wegen des
Wetterberichts zeitig gegen 9 Uhr. Großer Abschied - wann kommt ihr zu uns nach
Deutschland? Auf jeden Fall "Auf Wiedersehen", was zunächst ja nur Turid gilt,
denn Terje fährt mit nach Bergen, wo wir auch in einer eigenen Wohnung zwei
Tage hausen werden.
Noch ein Bild am Wegsrand
mit meinem bewährten Fahrrad, dann ist Terje schon wieder eine Kurve weiter.
Gerade schalte ich wieder einen Zahn zu, da kracht es im Gebälk bzw. Schaltwerk.
Das Hinterrad blockiert, das ganze Schaltwerk befindet sich zwischen den
Speichen. Panik! Das Gepäck abladen, das Fahrrad auf den Kopf stellen, es sieht
böse aus. Terje kommt zurück, von weitem mache ich schon ein Zeichen: aus und
vorbei! Ein Versuch, alles wieder
hinzubiegen, endet damit, dass das ganze Schaltwerk abbricht. "Es fährt ein
Schiff von Bergen nach Hanstholm (Dänemark)" meint Terje. Ist die Reise zuende?
Auf der Straße flattert eine kleine überfahrene Meise. Tiefpunkt!
Was ist zu tun? Terje wird
zurückfahren und mit Turid das Auto bringen. Dann sehen wir weiter, ich solle
mir man schon mal was überlegen, wenn der Schock abklingt. Immerhin kann ich
mit dem Rad noch zurück rollern, bis sie mich aufgabeln und wir das Rad auf den
Dachträger laden. "Auf Wiedersehen" - hatten wir gesagt - da haben wir es
schon! Es stellt sich dann noch heraus, dass auch die Aufhängung des
Hinterrades im Rahmen verbogen ist. Da hat schon mal ein Lastauto drauf
gestanden, aber das ist viele Jahre her.
In so einem Ort wie Leirvik
kennt man sich, besonders den Betreiber des Radgeschäfts. Der erklärt sich zu
einer Begutachtung in seinem Betrieb bereit. Für das Fahrrad kommt nicht viel
dabei heraus, eine Reparatur wäre kostspielig, nicht so schnell zu machen, und
auch sonst ist das Rad recht verbraucht. (9 Jahre in Betrieb, mehr als 50.000
km auf dem Buckel). "Never change a winning team?”
Inzwischen habe ich mich entschieden, man hat ja eine
Kreditkarte: ein neues Rad, damit diese Traumtour nicht schon vorbei ist! "Du
musst ein Rad fürs Leben kaufen" sagt Terje. Dabei wäre mir momentan jede
Schlurre recht. Und es gibt das Rad - nach einigem Hin und Her - ob fürs Leben,
muss sich später zeigen. DBS Spinova aus norwegisch/schwedischer Produktion,
gar nicht so teuer. Das Zähne rauf und runter schalten ist ein Genuss. Also
dann!
Und nun gibt es Arbeit, die
wir irgendwie wie in Trance erledigen, denn wir wollen heute noch nach Bergen.
Wen es nicht interessiert, der sollte den folgenden Satz überlesen. Wir
demontieren bzw. anmontieren: Schutzbleche, Gepäckträger (der ist auch
angebrochen), Sattel samt gefederter Stütze, Tacho, Pedalen,
Lenkertaschenhalter, Luftpumpe, Akkuhalter, Reifen (Schwalbe Marathon Plus 37
"), ... Die Reste meines alten Fahrrads, das auch viel von Europa gesehen hat,
lasse ich für das Gnadenbrot bei Terje zurück. Wir werden vielleicht irgendwann
erfahren, welcher
Nutzung es noch zugeführt wurde.
Was ist nun zu tun? Danke
sagen dafür, dass Terje technisch perfekt geholfen hat, dass Turid noch ein
Mittagessen zusammenzaubert und dass beide ihre Zeit für mich geopfert haben.
Jetzt, wo ich dieses aufschreibe, darf ich vorausschicken: die weitere Tour
wird noch so großartig werden, dass ich noch einmal umso mehr froh sein darf,
dass das ganze Malheur sich in wohlbehüteter Umgebung abgespielt hat und nicht
irgendwo auf den Shetlands oder in den Highlands in Schottland. Wenn man denn
irgendwann dorthin gelangt...
Aber heute soll es noch
nach Bergen auf eine 70 km Strecke gehen und es ist inzwischen schon 16 Uhr. Um
diese Tageszeit bin ich noch nie zu einer so langen Strecke aufgebrochen. Doch
in Norwegen ist es um diese Jahreszeit lange hell und wir werden in der Wohnung
von Sohn Kjartan erwartet. Noch einmal "Auf Wiedersehen in Deutschland".
Soviel, wie ich möchte, kann ich mich gar nicht bedanken für die ganze
Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft. Nun geht es aber ordentlich zur Sache,
Terje mit seiner hohen Übersetzung und ich mit dem neuen Fahrrad "fürs Leben".
Aus Zeitgründen wählen wir die direkte Route auf der E39. Mit Bummeln und
Landschaft gucken ist natürlich nicht viel, aber wir haben unverschämtes Glück
mit dem Wetter, die Sonne scheint. Einen Tag früher oder später wäre die ganze
Sache weit unangenehmer ausgegangen. Unten im Meer, das ist hier der Langnuen
Fjord, hüpfen die Lachse - allerdings leider eingezwängt in ihre
Zuchtbecken.
Als wir uns der Fähre
nähern wird Terje schneller und hektisch, gibt Winkzeichen usw. Ich verstehe
erst was los ist, als wir am Anleger ankommen und die Fähre gerade ablegt. Nun
müssen wir eine halbe Stunde warten. Aber ich bin ganz froh über die Pause.
Schließlich sitzen wir gemütlich an Bord der Fähre nach Halhjem, die
einen in 50 Minuten über den Bjørna Fjord bringt.
Man sollte bei der Überfahrt etwas
essen, meint Terje. Mache ich natürlich nicht, habe gerade keinen Hunger. Dafür
überfällt es mich dann nach weiterem Auf und ab und kurz nach Osøyro, wo
Terje eine Abkürzung weiß:.
Unter Maschinengewehrfeuer (von einem Militärgelände) schlagen wir uns bis zu
den Ruinen des Klosters Lyse durch, wo man sich dann erfrischen und
historisch weiterbilden kann. Das Kloster wurde 1146 von den Zisterziensern
errichtet. Nach der Reformation diente es wohl eher als Steinbruch,
daher ist nicht mehr soviel davon übrig. U.a. ist der Rosenkrantzturm in Bergen
aus Steinen von hier errichtet.
Auf dem weiteren Weg sieht
man in der Ferne auch das Haus des Komponisten Ole Bull auf der Insel Lysøya
mit dem charakteristischen Zwiebelturm. Das ist in allen Prospekten über diese
Gegend zu sehen. Nun folgt die berüchtigte "Killersteigung" vor Bergen auf 230
m, laut Cykkel Guide die zweit anspruchsvollste Steigung seit Jossingfjord. Ich
muss dann auch das letzte Stück erwandern. Terje hat sich hoch gebissen, der
hat Ehrgeiz. Gemeinsam mit ein paar Midges lassen wir uns dann bei reizvoller
Aussicht auf der Höhe, die heißt hier Fanafjell, nieder. Bald geht es
wieder hinunter auf Meereshöhe, das hat man dann davon. Letzte Attraktion für
heute: die Fantoft Stabkirche. Die wirkt irgendwie nicht so ganz echt,
man musste sie für teures Geld allerdings auch erst wieder aufbauen, nachdem
Spitzbuben sie nieder gebrannt hatten. Deshalb ist heute alles eingezäunt und
abgeriegelt.
Nachdem wir gegen 22.30 Uhr
angekommen sind, endet der Abend mit einem Dinner aus der Tüte. Schließlich
sind wir nach dem ereignisreichen Tag wohl auch hundemüde.
10 Montag, 23.6.,
Bergen, 22 km
Der heutige Tag ist der
Stadt Bergen gewidmet, auch wenn uns diese nicht mit dem besten Wetter
beglückt. Zuerst muss das Ticket für die morgige Überfahrt zu den Shetland
Inseln besorgt werden, das macht man im Büro der Smyril Lines. Dann erst
hat man Muße, sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen, als da sind: die alten
Giebel an der Bryggen, der Hafen, die dunklen Hinterhöfe, der
Rosenkrantzturm, Mariakirche. Über der eigentlichen Innenstadt befinden sich noch
einige malerische Straßen mit weißen Häusern, so kann man es jedenfalls auf
Ansichtskarten sehen. Dazu kann man auch - wie wir es tun - zum "Gamle
Bergen Museum" fahren. Dort kann man im Inneren der Häuser herum stöbern
und etwa einen altertümlichen Kaufmannsladen oder eine Spielzeugsammlung
bewundern. Wir enden bei Nieselregen unter einem Dach und verzehren den
mitgeführten Proviant.
Zurück fahren wir auf dem
traditionsreichen Fjellveien, das ist ein Weg oben am Berg mit
reizvollen Ausblicken. An einer Stelle wird die Standseilbahn hinauf nach Fløyen
gekreuzt: guck mal, da kommt gerade eine! Über den Fjellveien soll es auch ein
Lied über eine unglückliche Liebe oder so was geben. Zum Schluss schlagen wir
uns durch den dichten Verkehr wieder zu der Wohnung durch. Heute können wir für
das Abendessen richtig einkaufen, es gibt Lachssteaks - man gönnt sich ja sonst
nichts. Inzwischen herrscht draußen Dauerregen. Aber ich muss noch dreimal
hinaus, bis ich mit dem Telefon zu Hause durchkomme Da macht man sich Sorgen
wegen des Fahrrad-Debakels. Ob das ein Unfall gewesen sei und so...
11 Dienstag, 24.6.,
Bergen - Lerwick (Shetlands)
Heute ist der Tag des
Abschieds gekommen. Terje kommt extra noch mit hinunter bis zum nächsten
Fahrradladen, wo wir einen neuen Gepäckträger montieren, damit auf der
Weiterfahrt nun wirklich gar nichts mehr passieren kann. Dann sagen wir Adieu,
durch unsere Email-Verbindung werden wir ja ständig in Kontakt bleiben. Wenn
wir mal Pensionäre sind, fahren wir zusammen zum Nordkapp, das steht ja wohl
schon einmal fest.
Das Schiff geht um 15 Uhr,
ein paar Stunden muss ich mir noch in Bergen und im Nieselregen die Zeit
vertreiben. Schließlich finden sich am
Anleger so nach und nach die Reisegäste ein, die Radfahrer sammeln sich an und
in einem Wartehäuschen, in dem es nicht so angenehm nach Toilette riecht. Ein
Radfahrer ist etwas merkwürdig wortkarg, man kann ihm entlocken, dass er nach
Island fahren will, aber auch, dass er gerade Sizilien - Nordkapp hinter sich
gebracht hat. Dabei sieht er aus wie aus dem Ei gepellt, glatt rasiert und wie
einem Schaufenster für Outdoor-Markenartikel entsprungen. Wir anderen Radfahrer
sehen eher aus wie Strauchdiebe, obwohl wir nicht von Sizilien aus unterwegs
sind. Ein norwegisches Ehepaar interessiert sich nur für die Orkney-Inseln. Ein
deutscher Radfahrer führt einen Trailer mit sich, wo er die Utensilien für sein
rollendes Hotel besser verstauen kann. Er war bei der Bundeswehr und ist seit
dem Lebensalter von 53 in Pension. So gut möchte man es auch mal haben.
Die Radfahrer werden heute
ziemlich spät abgefertigt und sind etwas durchgefroren. An Bord der Norröna,
die von Bergen zu den Shetlands und weiter zu den Faroer Inseln und Island fährt,
ist es aber warm. Die Norröna fahrt im Dienst einer Reederei auf den Faroer Islands, die
wiederum zu Dänemark gehören.
Nachdem das Schiff abgelegt hat und sich schon im offenen
Wasser befindet, folgen nach Anlegen eines Lotsenbootes (Pilot) einige seltsame
Manöver: Maschine Stopp, Rückwärtsgang. Was das nun wieder soll? Aber wir
fahren einem wolkenlosen Himmel über der See entgegen. Man kann sogar einen
Sonnenuntergang erleben, da klicken die Kameras, meine nicht, ich kann
Sonnenuntergänge irgendwie nicht so leiden -bzw. Bilder davon.
Für die Nachtstunden stehen
tief unten im Schiff sog. "Couchettes"
zur Verfügung, in denen man sich zumindest hinlegen kann. Bettzeug gibt es
nicht. Nach ein wenig Umschauen finde ich auch einen Raum für mich alleine - es
ist ja noch nicht Hauptsaison und das Schiff nur halb belegt. Gegen 1 Uhr
Ortszeit in der Nacht kommt das Schiff in Lerwick an. (Man hat wegen der
weiter westlichen Lage eine Stunde dazu gewonnen). Beim "Ausschiffen"
fragt ein Motorradfahrer im Laderaum einen Deckarbeiter nach der Jugendherberge
in Lerwick. Der weiß nichts, aber auf meiner Sustrans-Karte ist die
Jugendherberge eingezeichnet, außerdem hat der Motorradfahrer dort eine
Übernachtung angemeldet. Das hätte ich eigentlich auch machen sollen, aber was unterlässt
man nicht alles...
Mit dem Fahrrad, wie üblich
als erster von Bord, und bald schon ist trotz nächtlicher Dämmerung die
Jugendherberge gefunden. Und sie hat noch auf. Man zahlt seinen Obolus von 11 £
und kann sich dann in einen halb leeren Schlafsaal verziehen. "Crazy Time"
meint der Warden (Herbergsvater). Natürlich ist es ihm hoch anzurechnen, dass
er mitten in der Nacht einmal die Woche, wenn das Schiff aus Bergen
ankommt, sich um die Ankömmlinge kümmert. Als der Motorradfahrer und der Trailerfahrer
eintreffen, schlummere ich schon fast.
12 Mittwoch, 25.6.,
Shetland Mainland Circle, 89 km
Vor dem Frühstück am frühen Morgen gilt es Geld und etwas
Essbares aufzutreiben. Bei der Gelegenheit lernt man gleich etwas von dem
Ambiente des Ortes Lerwick kennen, das sich mit den grauen Steinhäusern und
einem kleinen Hafen recht niedlich präsentiert. Ein Laden hat auch schon
geöffnet und die allgegenwärtigen "Minibanken" für die Scheckkarten stehen ja
immer bereit. Mit Tee, Brötchen und Käse finde ich mich in der Jugendherberge
wieder ein und sitze bald mit dem Motorrad- und dem Trailerfahrer zusammen beim
Frühstück. Irgendwie ist das urgemütlich. Ein anderer Gast, angeblich Dipl.Ing.
für Bergbau aus Oesterreich, lässt sich erklären, wo in Schottland das Schloss
mit dem Gespenst liegt (Carbisdale Castle). Da wollte er schon immer mal
hin, sagt er. Der Motorradfahrer wird den Tag damit verbringen, bei allen
einschlägigen Banken den günstigsten Umtauschkurs zwischen Norwegischen Kronen
und Pfund Sterling zu ermitteln. Zu seiner Entschuldigung sei gesagt, dass er
so eine Art Aussteiger ist, in Norwegen Geld verdient hat und nun davon leben
muss. Der Trailerfahrer ist ganz stolz auf seine umfangreiche Ausrüstung, die
den Nachteil hat, dass man damit schlecht Rad fahren kann, besonders in den
Bergen. Er will den Tag damit verbringen, sein Zelt aufzubauen, das unter dem
Regen in Norwegen gelitten hat, und trocknen zu lassen.
Bei dem Wetter kann man auch etwas nahe liegenderes machen
und einen Teil der Inselwelt erkunden. Als Tagestour bietet sich der "Mainland
Circle" an, wie ich ihn nenne (von Lerwick A970 nach Norden, B9075 bis
Laxo, B9071 bis Twatt, A971 zurück nach Lerwick). Anfangs war mir nicht klar,
in welchem Umfang man diesen Kreis fahren kann, daher gibt es unterwegs viel zu
rechnen. Keinesfalls darf man das Schiff zu den Orkneys verpassen, das um 18
Uhr ablegt und dann erst wieder am übernächsten Tag fahren würde.
Die Landschaft der Shetlands nimmt einem gleich den Atem
(nicht nur durch die Steigungen). Gleich hinter Lerwick finde ich ein
Orchideenfeld (Early Purple Orchid) gleich hinter der Leitplanke,
sonderbar ist das manchmal. In den Gräben blüht eine gelbe Blume, die kenne ich
mittlerweile, sie heißt Gauklerblume (Monkeyflower, Mimulus luteus). Hin
und wieder sehe ich auch jenen Vogel mit dem langen Schnabel, der recht
auffällige Schreie von sich gibt (nein, nicht der Austernfischer), es ist der
Brachvogel (Curlew). Ansonsten baumlose grüne Mattenwiesen, gegliedert durch
endlose Steinwälle. Überall eine weite Sicht bis zum Horizont, wo sich Land und
Wasser geradezu verzahnen. In Laxo kommt gerade eine Fähre von einer der
vorgelagerten Inseln an, hinter der muss ich heute nun mal nicht herhecheln.
Die kleineren B-Straßen sind einspurig und so gut wie nicht befahren.
Ortschaften bestehen nur aus wenigen - mitunter urigen - Häusern. Schön ist
immer, was alt ist, auch hier sind die neueren Gebäude meistens weniger
interessant. Die Rastplätze am Straßenrand sind so schön, dass man kaum
weiterkommen würde, wenn man alles gebührend auf sich wirken ließe. Besonders
genieße ich die Aussicht an der Gonfirth Kirche, etwa dem nördlichsten
Punkt dieser Tour. Danach geht es dummerweise gegen den Wind zurück, auch
einige ordentliche Steigungen sind noch zu überwinden. Daher entfällt der
Zusatzabstecher nach Scalloway. Da ist wohl einiges zu sehen, aber ich
komme einigermaßen erschöpft zurück an den Anleger in Lerwick. Eigentlich hätte
ich auch ohne Gepäck fahren können, vielleicht wäre es dann ein wenig leichter
gegangen.
Beim Ablegen der Fähre "treffen wir drei wieder zusammen",
wie es so schön heißt (wir kommen später noch einmal auf die Phrase zurück).
Das Radlerehepaar aus Norwegen bekommt von uns alle restlichen norwegischen
Münzen ausgehändigt und das finden sie sehr lustig. An Bord traut man sich
endlich mal wieder, ein Bier zu bestellen, nachdem das in Norwegen eigentlich
unbezahlbar war. Unter Gesprächen vergeht die Fahrzeit sehr schnell und wir
steigen gegen 23 Uhr in Kirkwall, Orkneys aus. Der Motorradfahrer
verabschiedet sich, er bleibt an Bord und fährt nach Aberdeen weiter. Auch den
Trailerfahrer (aus Papenburg, Ostfriesland) werde ich nicht wiedersehen, der
verzieht sich auf den Campingplatz. Zu so später Stunde muss ich auch
versuchen, noch ein Quartier zu finden. Ein Backpackerquartier ist voll. Das
erste Hotel am Platz ist voll. Der Hotelier telefoniert freundlicherweise noch
in der Gegend herum, alles voll. Irgend ein Festival ist wohl schuld daran.
Guter Rat ist dies mal nicht so teuer. Von Stromness,
das ist 28 km von Kirkwall entfernt, geht schon morgens um 4 Uhr ein Schiff
hinüber nach Scrabster, Schottland. So findet man mich mitten in der
Nacht auf der Landstraße ohne Licht dahin eilend. An meinen Gepäcktaschen sind
hinten zwei große Reflektoren, die sind hoffentlich wohl unübersehbar. Ein Auto
kommt auch nur alle 15 Minuten um diese Zeit. Dann halte ich lieber an und
begebe mich an den Straßenrand. Ganz dunkel wird es auch nicht hier im Norden,
so kann man die Straße noch erkennen. Um 1.15 komme ich in Stromness an. Von
der Nachtluft ist man etwas durchfeuchtet und ausgekühlt.
Da ist es eine tolle Sache, dass die Abfertigungshalle der
Schiffsverbindung North Link sogar rund um die Uhr geöffnet und mit zwei
Personen besetzt ist. Ich kann gleich meine Fahrkarte lösen, verzehre dann die
letzten Reste meiner bescheidenen Vorräte, und lege mich schließlich
unauffällig auf eine Bank mit dem Rucksack unter dem Kopf. Man kalkuliert: ich
"gewinne" einen Tag, sehe dafür nichts von den Orkneys. Wo andere extra dorthin
fahren, um die zahlreichen geologischen und archäologischen Sehenswürdigkeiten
zu sehen? Auch der Ort Stromness sieht recht urig aus, soweit man das im
Dunklen erkennen kann. Über diesen Gedanken bin ich wohl eingeschlafen, denn
der Schalterbeamte kommt freundlicherweise heran und weckt mich, als es soweit
ist, dass man an Bord gehen kann.
Mit mir fährt ein Angestellter - der legt sich gleich auf
eine Bank und schläft, Aktenmappe unterm Kopf
- sowie ein verfrorenes Pärchen, dass sich im Fahrtwind an Deck
aneinander klammert. Ich schaue mir auch noch die atemberaubenden Küstenfelsen
an, die nun vorbei ziehen. Und da ist er ja: The old Man of Hoy, eine
herausgewitterte Felssäule. Könnte man den nicht mit der langen Anna auf
Helgoland verheiraten? Aber beide stehen (noch) zu fest auf ihren Füßen.
Und der Sonnenaufgang hat gerade statt gefunden, es gelingt sogar ein Foto, auf
dem nicht zu sehen ist, wie müde ich bin. In einem Sessel schlummere ich dann
noch ein Stündchen, und um 6 Uhr legen wir in Scrabster an.
Auf in den frischen Morgen. Und - denk mal an - diese
Strecke, die "Schottische Kante", wie ich sie nenne, bin ich vor vier Jahren
schon einmal gefahren, damals mit einem unangenehmen Südostwind gegen mich.
Heute weht der Wind aus der gleichen Richtung. Aber ich fahre dafür in die
andere Richtung: Ätsch! So geht es zunächst durch flaches Gelände, vorbei an
der denkwürdigen Atomanlage Dounreay. Der erste Einkaufsladen am Wege hat noch
geschlossen. Und nun fangen die Berge an. Die Sonne steht inzwischen hoch am
Himmel und ich habe weder zu essen noch zu trinken. Und es zeigt sich kein
Laden mehr, weder in Reay, noch Melvich, noch Strathy.
Gern hätte ich einen Abstecher nach Strathy Point mit dem Lighthouse
gemacht. Aber ich traue mich nicht, nachher bekomme ich noch einen Hungerast
oder Schwächeanfall, dehydriert oder kollabiert oder so was. Noch einmal 10
Meilen über die Berge. Was sind 10 Meilen lang! Und endlich - der Ort mit dem
schönen Namen Bettyhill empfängt einen mit einem erlösenden
Willkommensschild (Shopping), da wird gleich ein Foto gemacht. Und vom
Einkaufsladen wird auch ein Foto gemacht. Und schon sitze ich mit 2 Liter
Fanta, Brötchen, Wurst und Käse sowie Schokolade am Tisch in der Sonne. "What a
nice day" munkelt man unter den Einheimischen.
Da setzen sich zwei englische Radfahrer an den Nebentisch.
"End-to-Enders?" eröffne ich fachmännisch die Konversation.
"Yes on the last day up to John O’ Groats". Dann
frage ich nach einer Übernachtungsmöglichkeit auf dem weiteren Weg in die
Highlands. Hätte ich die Frage nicht gestellt, wäre mir (und vielleicht euch)
etwas entgangen. Da sei ein B&B in Altnaharra, schön gelegen mit
Blick auf das Loch Naver. Dabei zählt der Abschnitt zwischen Tongue
an der Küste und dem 60 km entfernten Lairg zu den einsamsten Strecken
in ganz Schottland, so wird gesagt. Mit meiner angepeilten Tagesstrecke würde
das Quartier in Altnaharra genau zusammen passen.
Nun gut gestärkt und guten Mutes sieht die Welt wieder ganz
anders aus. Und das ist bei der Beleuchtung heute mal wieder wie am Mittelmeer.
Unbeschreibliche Farben! Und das in Schottland, das viele nur grau in grau in
Erinnerung haben mögen (vielleicht auch, wenn sie den Whiskey-Trail absolviert
haben). Immer noch mit Rückenwind erledige ich den letzten Abschnitt bis
Tongue. Weit wäre es nicht mehr bis Loch Eriboll, wo ich vor vier Jahren mein
Shangrila erlebt hatte. Ich fahre einem neuen Shangrila entgegen, weiß es nur
noch nicht.
In Tongue wird die Küste verlassen und man wendet sich nach
Süden. Dies ist die offizielle - weil schönere - Route, denn von Bettyhill
führt auch eine kürzere Strecke nach Altnaharra. Und auf diesem Teilstück geht
es gegen den Wind, das gibt es also auch. Der Verkehr ist sehr spärlich, die
Autofahrer sind sehr rücksichtsvoll und passieren einen möglichst nur an einer
der Ausweichstellen. Außerdem grüßt hier jeder jeden. Man fährt zunächst am Loch
Loyal entlang. Dort herrscht geradezu ein richtiger Seegang bei dem
frischen Wind. Entsprechend oft mache ich eine Pause, meisten im Windschatten
einer Brücke. Am Ende von Loch Loyal eine letzte Brücke, da kommt gerade ein
anderer Tourenfahrer von vorn den Berg herab gebraust. Über diesen Berg muss
ich nun auch noch. Aber ich lasse mir Zeit, genieße noch etwas Sonne an einem
Waldrand und dann geht es hinab nach Altnaharra. Was ist nun mit dem B&B?
Da ist schon das Schild an der Straße und ich betrete das
dazu gehörige Haus. "Hallo" rufe ich, und da kommt schon jemand um die Ecke und
lacht, und das ist Mandy. Ich bin wirklich heute ziemlich erschöpft und
wunschlos glücklich, dass es nun so eine schöne Unterkunft hier gibt. Dann
kommt auch Mandy’s Gatte Lindsay von einem Rundgang zurück und wir
sitzen zusammen bei einer Kanne Tee. Ich werde auch ein Abendessen bekommen,
dann muss ich erst mal duschen, lege mich kurz aufs Bett und merke gleich, wie
die Schlafläuse an mir knabbern. Aber zum Abendessen erscheine ich pünktlich,
das mit Suppe, Codpie und Eis zum Nachtisch ganz ausgezeichnet ist. Auch zu
Hause kann ich anrufen, außerdem gibt es Internet und ich verspreche, dass ich
ordentlich Reklame machen werde. Das ist vielleicht gar nicht so nötig, denn
hier ist geradezu eine Schlüsselstelle für eine Übernachtung und - was sich
sicher lohnt - vielleicht einen Ruhetag mit Erkundung der Umgegend oder - wer
es ruhig mag - einen ganzen Urlaub zum Sinnieren.
Nach meinem Rundgang und den Fotos von der schönen Aussicht
sitzen wir in der Glasveranda beisammen und ich erfahre so manches aus der
Gegend. Mandy und Lindsay haben sich hier nieder gelassen, um dem hektischen
Treiben der Restwelt zu entkommen. Außerdem ist es nicht so weit zum Ben
Nevis, wo Lindsay im Winter dem Eisklettern nachgeht. Ein deutsches Ehepaar
hat sich inzwischen auch eingefunden, die besteigen jeden Tag einen anderen
Berg. Mich hält es nicht mehr so lange aufrecht nach den zwei vergangenen
verkorksten Nächten. Einen ruhigen Schlaf findet man hier, da kann man
sicher sein (in einem Radius von 5 Meilen leben hier 31 Menschen).
Beim Frühstück (das erste Full British Breakfast) sitzen wir
zusammen, als ob wir uns schon lange kennen würden. Das hat man auch nicht oft.
Da wir uns per Email verständigen können, werden wir in Verbindung bleiben und
man läuft nicht so einfach auseinander, wie das sonst meistens der Fall ist.
Für Lindsay ist heute Shopping-Tag und Mandy schreibt ihm einen Zettel. Ich
verabschiede mich und mache mich auf den Weg. Der Vollständigkeit halber muss
noch gesagt sein, dass es hier oben noch ein weiteres B&B gibt, noch
einsamer gelegen, das heißt Crask Inn. Bald darauf überholt mich ein
Auto, der Fahrer steigt aus und macht ein Foto von mir. Das ist natürlich
Lindsay auf seinem Weg nach Inverness zum Shopping. Für diese Strecke werde ich
den ganzen Tag benötigen.
Nach Lairg geht es schnell hinunter. Zwischendurch eine Rast
an einem Gattertor und man kann studieren, wie der an sich als sparsam geltende
Schotte eine Kette mit Vorhängeschlössern verlängert. Von Lairg aus geht es an
dem malerischen Fluss Shin entlang. Da sind die Shin Falls
angesagt, vom Parkplatz aus muss man einen Trampelpfad hinunter klettern. Da
stehen einige Leute mit gezückten Kameras und Camcordern. Vielleicht kommen da
ein paar Wildwasserfahrer längs? Während ich meine Fotos von den schäumenden
Wassern mache, schreien plötzlich alle auf. Ich kriege gerade noch ein
Schwanzstück mit: ein Lachs ist den Wasserfall hinauf gesprungen, erstaunlich,
welche Sätze die machen können. Man muss nun aufpassen, dass man nicht an jeder
Brücke anhält und dem "Lachsguck" verfällt. Mir ist das an der nächsten Brück
einmal passiert, ohne Erfolg. Dann folgt eine Eisenbahnbrücke in dem Ort
Invershin. Die wurde früher gern illegal überquert, wenn man auf dem Weg zu
besagtem Geisterschloss Carbisdale Castle war. Da ist nämlich auch eine
Jugendherberge untergebracht. Der Weg über Bonar Bridge ist 5 Meilen weiter.
Inzwischen hat man aber einen Fußgängersteg an die Brückenpfeiler angeflanscht
und das ist auch mit dem Fahrrad passierbar. Der folgende Trampelpfad mit
seinen Brennnesseln ist allerdings etwas abenteuerlich. Man kommt auf dem Zuweg
zur Geisterburg raus, dann geht es immer an der Bahn lang.
Meine Gastgeber hatten mir die Straße "The Struey"
(B9176) empfohlen. Die führt noch einmal über einen Berg und vermittelt einen
letzten Eindruck von den schottischen Highlands. Auf einem Parkplatz eröffnet
sich dann auch ein schöner Blick über dem Dornoch Firth. Ich komme mit
einem holländischen Ehepaar ins Gespräch, die wollen heute noch bis Lairg, wo
ich gerade her komme. Dann wird es voll. Ein Bus kommt an mit allerhand
Plakaten: End-to-End Runners. Wo sind aber die Fahrräder? Ach so, man
kann das auch ganz anders machen. Hier läuft immer einer 30 Minuten lang und
wird dann abgelöst, 18 Stunden am Tag. So schaffen sie den Britischen Kontinent
in 9 Tagen. Wie üblich geht es um Charity-Angelegenheiten: Home for Children
oder so was. Hinter der nächsten Kurve kommt dann auch die diensthabende
Läuferin angetrabt, begleitet von einem Radfahrer zur Sicherheit.
"Round the bend they are waiting for
you!" rufe ich ihnen zu. Danach kann ich das Lied von Tony Christie: I did
what I did for Maria nicht mehr aus dem Ohr kriegen: ... down in the
courtyard the’re waiting for me...
Die restliche Strecke für heute führt wieder hinab zum Cromarty
Firth. Da stehen einige Ölplattformen in der Gegend rum. Eine Brücke führt
quer über das Wasser, das wäre eine Abkürzung, aber der Verkehr ist zu stark.
Hinter Dingwall muss ich dann doch auf die Hauptstraße (A835)
ausweichen, bis man kurz vor Inverness wieder verkehrsfrei geführt wird. Über
die Kessock Bridge erreicht man Inverness, das von hier aus viel
Industrie und wenig Szenerie zeigt. Ich suche den Weg zur Touristeninformation,
wo ich gerade noch vor 18 Uhr eintreffe. Für die Vermittlung eines Quartiers
sind 8 £ Provision zu zahlen. Dafür bekomme ich eine Unterkunft im Cuchulin
Lodge Hotel, dem ältesten Hotel in Privatbesitz, heißt es. Das hört sich
teuer an, ist es aber gar nicht, und ein Teil der Vermittlungsgebühr wird auch
wieder von der Rechnung abgezogen.
Heute kann und will ich mal wieder in einem Chinesischen
Restaurant speisen. Da hat man mir eines in der Academy Street
empfohlen. Nach einem ordentlichen Marsch finde ich das Restaurant, bin aber
heute nicht so besonders begeistert. Am Nebentisch speist eine chinesische
Familie mit Stäbchen, aber denen fällt hin und wieder auch einiges runter...
Zurück im Quartier wird noch ein wenig gewaschen, dabei finde ich ein
vergessenes Paar Socken. Die werden gleich mit gewaschen und können als
Souvernir mit wandern.
Hinter Inverness führt die Strecke weg von der Küste durch
welliges Gelände durchsetzt von Wiesen, Wäldchen und kleinen Flüssen. Die
Strecke ist praktisch verkehrsfrei. Statt der bisherigen Urlandschaften hat man
es hier mit "normalem" landwirtschaftlich genutztem Terrain zu tun. So kommt
man in den Ort Nairn, wo eine schmale Brücke als Fotomotiv dient. Wieder
näher an der Küste folgt Brodie Castle, damit man auch mal eines dieser
legendären britischen Schlösser zu sehen kriegt. Der Ort Dyke gleich
danach bietet eine hübsche Kirche samt altem Friedhof und ein paar gepflegte
blühende Gärten. In der freien Natur blühen entlang den Flussläufen ganze Dschungel
der Herkulesstaude - die vielen Naturfreunden ein Dorn im Auge ist, weil sie
nicht Teil der heimischen Flora ist. Hier scheint sie niemanden zu stören.
Kurz vor Forres wieder eine dieser unverhofften
kleinen Brücken (Bailey Bridge). Dann aber komme ich direkt auf der
Hauptstraße raus, auf der die Stadt Forres
durchquert wird, bis bei dem Stichwort "Mill of Grange" die
Radroute wieder gefunden wird. Bei strahlender Sonne durchradelt man eine
farbenfrohe Landschaft. Spannend wird es dann in der Stadt Elgin. Da hat
man die Route so abenteuerlich am Fluss entlang verlegt, dass ich nach einer
regelrechten Schnitzeljagd den Radweg nur mit Mühe wieder finde.
Die nächste Attraktion ist eine alte Eisenbahnbrücke über
die verzweigte Mündung des River Spey. Gleich dahinter kann man einen
schönen Rastplatz an einem stillgelegten Flugplatz finden. Es ist interessant,
wie die Natur die einst weitläufig betonierten Flächen zurück erobert. Ein
Rehbock leistet mir bei der Rast Gesellschaft - d.h. nicht ganz, denn er
springt gleich wieder ins Gebüsch. Das letzte Stück für heute führt direkt an
der Küste entlang und bietet damit noch einen farbenfrohen Höhepunkt. In dem
Ort Buckie finde ich keineswegs ein B&B an jeder Ecke, wie ich es
erwartet hatte. Und das Hotel am zentralen Platz steht zum Verkauf, damit ist
es auch nichts. In einer Seitenstraße finde ich schließlich das The Old
Coach House Hotel und da komme ich gut unter. Obwohl hier gerade wieder ein
Festival abläuft, das heißt "Lost Weekend" oder so.
Noch ein Foto in der Abendsonne, dann flüchte ich vor den
herum geisternden Jugendlichen, die hier wie allerorten besonders an
Wochenenden ausschwärmen. Zu tun gibt es genug, mal wieder rasieren, Wäsche
waschen. Das ist überhaupt das Größte, das Waschen, da braucht man fast gar
kein Gepäck mehr, wenn man sich nur auf die unbedingt nötigen Kleidungsstücke
beschränkt.
Die Nacht ist hier nicht ganz so ruhig. Möwen sind
untereinander wohl nicht ganz so verträgliche Nachbarn, was man aus ihren
akustischen Kommunikationen ableiten kann. Aber da gewöhnt man sich schnell
daran, es gehört schließlich zum Flair eines Küstenortes.
Den ersten Abschnitt heute früh fahre ich auf der
Hauptstraße direkt am Meer. An einem Sonntagmorgen ist das kein Problem. Man
passiert Orte mit wundersamen Namen wie Portessie, Findochty oder Portknockie.
Irgendwo zwischen den Klippen (bei Cullen) hat man einen Golfplatz
angelegt. Da schlagen gerade zwei ab, beim ersten gibt es ein schales Geräusch
und der Ball trudelt nach 20 m oder so aus. Der zweite dagegen hat wohl voll
getroffen, denn ich sehe den Ball weder fliegen noch landen. Da fährt man
besser weiter, da ist noch ein schöner Eisenbahnviadukt, auf dem man nun
wandern oder radeln kann.
Dann geht es wieder über die Felder, und in dem Ort Fordyce
gibt es einige alte Gemäuer zu sehen. Dann kommt man nach Portsoy,
wo heute ein Hafenfest gefeiert wird. Das kostet natürlich Eintritt. Man kann
aber das kassierende Mädchen davon überzeugen, dass man nur auf der Durchfahrt
ist, und für ein Foto darf ich kostenfrei passieren. Hinter dem Ort Banff
geht es lange in einem Flusstal des River Deveron entlang und man kommt
dann in die größere Stadt Turiff. Von diesem Ort kriegt man nicht so
viel mit, da geht es einfach am Fluss lang. So geht es weiter bis zu dem Ort Maud,
wo es wieder spannend wird. Ab hier führt die Route auf der ehemaligen Buchanan-Bahntrasse
dahin. Stellenweise etwas grob geschottert, aber meistens gut befahrbar. Dann
geht es wieder durch die Felder bis ich ein Hinweisschild übersehe, geradeaus
weiter fahre und mich in einem Ort wiederfinde, der gar nicht an der Route
liegt. Es ist nur schwer, sich wieder richtig einzuordnen, es gelingt
schließlich mit Hilfe eines Flusses und dessen Strömungsrichtung. Aber so an
die 4 Meilen Umweg sind zu beklagen. Danach bin ich reif für ein Quartier und
bemühe mich in dem Ort Tarves um eine Bleibe. Man schickt mich einen Ort
weiter, der heißt Pitmedden. Wie so oft - hätte ich beinahe gesagt -
leider weil selten steht plötzlich ein Schild an der Straße mit der Verheißung Farmhouse
-B&B. Dann nichts wie hin. Eine freundliche Dame erscheint und der
Dialog ist: "Can I stay overnight here?" "Yes, you can". Der Hund namens Cate
begrüßt mich gleichermaßen freudig. Das ganze nennt sich Coulliehare Farm
und wird gastfreundlich von Evelyn Snidtker betrieben.
Am Abend fahre ich dann noch in den besagten Ort Pitmedden,
wo sogar am späten Sonntag noch ein Geschäft geöffnet hat und wo man
telefonieren kann.
Heute fahre ich bis an den Stadtrand von Aberdeen wieder mit
großem Genuss auf der alten Bahntrasse "Formatine and Buchanan Way". Oftmals
scheucht man scharenweise Hasen vor sich her, die hier in den Böschungen ihr
Eldorado finden. Nachdem man die Großstadt Aberdeen erreicht hat, wird man an
diese Hasenjagd erinnert, nur dass jetzt die Rollen vertauscht sind und man
selbst der Hase ist. Im dichtesten Verkehr muss man sich bis in die Innenstadt
vorkämpfen. Ich teile mit vielen anderen die Abneigung gegen Städte und pfeife
auf deren Sehenswürdigkeiten. Trotzdem lande ich genau vor der
Touristeninformation, und das ist entscheidend. Denn sie haben tatsächlich die
Sustrans-Radkarte vorrätig für das folgende Stück bis Edinburgh. Die Karte
würde ständig gekauft, meint die Angestellte. "I hope so" sage ich.
Über die Victoria Bridge und am Hafen entlang ist man
schnell wieder raus aus der Stadt und oben am Leuchtturm und der Nigg Bay
hat man endlich seine Ruhe. Es geht nun schön immer an der Küste weiter. In Portlethen
geht es in das Landesinnere, wobei man auf einem unwegsamen Steig an einem
Steinkreis vorbei geführt wird. Am originellsten sind dort die aufgestellten
Schilder (Beware Dogs in Field). Die Route windet sich danach ziemlich durch
die Landschaft, bis man den malerischen Küstenort Stonehaven erreicht.
Oberhalb der Stadt hat man eine schöne Aussicht über den Ort.
Wo die Hauptstraße näher an der Küste entlang führt, fahre
ich auf dieser - natürlich mit Rückenwind. Da kommt man doch sehr schnell
voran. Spätestens in Inverbervie bleibt einem sowieso keine andere Wahl,
weil der Weg an der Küste sehr grob geschottert ist. Vier alte Männer auf einer
Bank müssen noch aufs Bild. Ich murmele noch etwas von "Nice Place here" und
vernehme so was wie "If you sit here twenty years?". Dann bin ich schon um die
Ecke verschwunden. Nun geht es ruck zuck nach Montrose, und da erlebe
ich auch nichts weiter aufregendes. Der Verkehr in Montrose ist allerdings
wieder aufregend und man gelangt schließlich über eine Brücke wieder in
stilleres Fahrwasser.
Damit ist das letzte Teilstück für heute erreicht. Monoton
fahre ich dahin, es wird noch die Ruine des Red Castle passiert, die
sieht aus wie ein Pferdekopf. In Arbroath wird man über einen sog. Nature
Trail in den Ort geführt. Da läuft einem gleich das Wasser im Mund
zusammen, denn es scheint hier eine Menge Fischräuchereien zu geben. Aber erst
muss ich ein Quartier finden. Nach einigen vergeblichen Versuchen lande ich in
dem Guesthaus The Pend, das etwa den Eindruck einer
Backpacker-Unterkunft macht. Hauptproblem ist das Fahrrad, wo kann man das
lassen. Die Lösung ist schließlich eine benachbarte Kneipe, wo es in einem
Abstellraum landet. Zum Abendessen kann ich leider nicht von den Fischräuchereien
profitieren. Stattdessen gibt es Fish’n Chips vom Takeaway, die ich dann in
meiner Bude mit den Händen verzehre - gut, dass mir keiner dabei zusieht. Die
anscheinend größte Sehenswürdigkeit des Ortes: die Ruine der Abbey von 1148.
Beim frühstück wird mir die Frage gestellt, ob ich auch den
Ort Auchmithie - ein paar Meilen vor Arbroath - besucht hätte. Leider
nicht, der lag nicht direkt an der Route. Ob er mich hinfahren solle, fragt der
Chef, aber ich verzichte - neue Herausforderungen warten.
Bis Monifieth, das ist schon ein Vorort von Dundee,
kann man gut auf der Landstraße (A930) fahren. Dann kommt wieder ein Schloss
und das heißt Broughty Castle. Die Stadt Dundee kann man rechts liegen
lassen, wenn man sich immer am Wasser des Firth of Tay entlang hangelt.
Das verhindern dann aber einige Industrie- und Hafenanlagen. Schließlich findet
man sich unter der Autobrücke über den Firth wieder. Erst auf den zweiten Blick
finde ich den Aufzug, der für Kinderwagen, Rollstühle und Radfahrer
eingerichtet ist. Dann geht es endlich über die Tay Road Bridge, die ist
über 2 km lang, auf Betonpfosten erbaut
und die längste Flussbrücke auf der britischen Insel. Für den nicht
motorisierten Verkehr ist eine Spur in der Mitte vorgesehen. Rechts liegt die
Eisenbahnbrücke, über die es eine Geschichte gibt.
Darüber erfährt man am anderen Ende der Brücke auf einer
Schautafel. Die Eisenbahnbrücke, damals die längste Brücke der Welt, stürzte im
Jahre 1879 vier Tage nach Heiligabend während eines Sturmes ein, als gerade ein
Zug darüber fuhr. Es gab 75 Tote und keine Überlebenden. Es gibt darüber ein
schauriges Gedicht von
Theodor Fontane, und das beginnt mit dem Spruch von drei Hexen: "Wann
treffen wir drei wieder zusamm?".
So kann man mit etwas Gruselgefühlen die Stümpfe der alten
Brücke betrachten, die noch immer aus dem Wasser ragen. Nach so einer
Brückenüberquerung hat man immer das Gefühl, dass ein neuer Abschnitt der Reise
beginnt. Neu ist allerdings nicht, dass es wieder munter auf und ab geht, mit zum
Teil herrlichen Ausblicken auf den River Tay. In Newburgh ist
Schluss, ab da geht es wieder in das Land. Das Wetter hat sich eingetrübt und
meine Stimmung ist heute nicht ganz so gut, während das Bergmassiv West
Lomond auf einsamen Wegen umfahren wird. Obwohl die Berge nur um die 500 m
hoch sind, sind sie von Wolken umwabert. Bei Kinross passiert man das Loch
Leven, von dem aber auch nicht so viel zu sehen ist.
Eine Bergüberquerung ist noch angesagt, die ist ganz
angenehm zu fahren, dann wieder eine alte Bahnstrecke bei Dunfermline,
und irgendwann sieht man die nächsten großen Brücken vor sich. Es dauert aber
noch eine Weile, bis man durch die dichtbesiedelten Küstenregionen
durchgeschleust worden ist. Dann ist es endlich so weit, und man erreicht die Forth
Road Bridge. Auch die ist fast 2 km lang und war bei ihrer Erbauung 1964
die längste Hängebrücke in Europa. Noch eindrucksvoller ist die Eisenbahnbrücke
daneben mit mächtigen Fachwerkbögen, erinnert geradezu an die Brücke am Kway,
oder wie man sich die vorstellt.
Man kommt dann auf der anderen Seite des Firth of Forth in
Queensferry an. Von hier bis Edinburgh sind es noch an die 20 km, die ganz gut
geführt und ausgeschildert sind. Wieder auf einer Bahntrasse entgeht man dem
Verkehr. Bei der Ankunft in Edinburgh in der Nähe von Haymarket nehme ich mir
vor, die erste Übernachtungsmöglichkeit wahrzunehmen.
Das ist wieder ein Glücksgriff und heißt Glenerne, 4
Hampton Terrace. Es ist ein altes viktorianisches Haus mit entsprechender
Einrichtung und alten Gemälden im Treppenhaus. Ich bekomme ein geräumiges
Zimmer mit anschließendem Badezimmer. Vor 15 Minuten noch erschöpft und verschwitzt
auf der Straße, nun in der Badewanne im warmen Wasser liegend, finde ich wieder
einmal, dass die Welt doch sehr schön ist.
Obwohl gleich gegenüber ein Japan-Restaurant ist, bin ich zu
faul (und sparsam), um noch einmal hinaus zugehen. Stattdessen bewundere ich
die Gartenkulisse draußen vor dem Fenster, die vom letzten Licht der
untergehenden Sonne illuminiert wird.
Von meinem Quartier ist man schnell im Zentrum von
Edinburgh, Princess Street und
so. Hier kann man sich mit den doppelstöckigen Bussen anlegen, mit denen die
Cyclisten die Fahrspuren teilen. An einer Ampel anfahrend passiert es mir, dass
ich einen Bus zur Linken und einen zur Rechten habe, und die beiden sich dann
anschicken "zuzumachen", d. h. ich gerate um ein Haar in die Quetsche. Danach
fahre ich auf dem Fussweg...
Sonst will ich auch mit Edinburgh nichts zu tun haben und
vertraue darauf, wieder auf den ausgeschilderten Radweg zu stoßen, der die
Ausfallstraße irgendwo kreuzen muss. Das kriege ich natürlich nicht mit und
fahre viel zu weit raus. Immerhin kann ich dadurch berichten, dass sich hier
ungezählte Guesthouses, B&Bs und private Hotels angesiedelt haben.
Irgendwann beschließe ich zurück zu fahren, und das führt mich dann wieder ins
Zentrum bis zum Tevot Place, den finde ich endlich auf dem Stadtplan.
Trotzdem bleibt die Angelegenheit ein Mittelding zwischen Schnitzeljagd und
Ostereiersuchen. Schließlich erreicht man einen ehemaligen Eisenbahntunnel, wo
die Radreise nun richtig beginnen kann.
Das geht eine ganze Weile gut. Und dann kommt man doch an
eine Stelle, da ist die Route gesperrt und man wird auf eine Umleitung mit
Umweg gezwungen. Eine Weile geht es noch ein wenig mühsam durch die Vorstädte
von Edinburgh, bis man wieder auf eine Landstraße in freier Natur trifft. Dafür
sind alsbald Steigungen angesagt. Die beginnen hinter der Brücke über den River
South Esk hinauf in die Moorfoot Hills. Die Ausblicke auf die Küste
und die Stadt Edinburgh sind aber so faszinierend, dass man da ziemlich leicht
hinauf kommt. Schließlich erreicht man hinter einer Kurve die Passhöhe. Nun
öffnet sich ein langes grünes Tal, da geht es hinunter mit 40 km/h ohne bremsen
oder gar treten zu müssen. Die Berghänge zeigen keinen Baumbewuchs, einige Heideflächen,
die sich anschicken zu blühen. An einer Stelle ist schon eine große rot
überflorte Fläche, leider lässt die Beleuchtung kein Foto zu.
Unten an der Abzweigung der B709 und einem kleinen Fluss da
blühen wieder üppig meine Gauklerblumen. Am Hang liegt ein einsames Anwesen,
das nennt sich wohl Garvald Lodge. Es geht weiter in dem schönen kahlen
Tal, leicht ansteigend und dann am Leithen Water hinab nach Innerleithen.
Hier erreicht man nun den River Tweed, an dem entlang die weitere Route
zurück zur Küste führen wird. Unter der Straßenbrücke bieten sich einige
hübsche Szenen,. Hier kann ich auch endlich eine Nahaufnahme meiner
Gauklerblume machen, mit dieser Kamera wird die leider nur unscharf.
Das Tal, das man nun hinunter fährt, erinnert schon eher an
die Deutschen Mittelgebirge. Der River Tweed nimmt nach einigen Nebenflüssen
schnell an Breite zu. Man erreicht die Orte Galashiels und Melrose,
die etliche Sehenswürdigkeiten aufweisen. Leider bin ich wohl an den Ruinen der
berühmten Melrose Abbey vorbei gerauscht, sicher ging es gerade bergab
oder der Rückenwind hat mich vor sich her getrieben. Dafür bekommt man eine
Straße ganz für sich, da sie durch Gattertore für den restlichen Verkehr
gesperrt ist. Bei dem Ort Newton St. Boswells ist wieder eine spektakuläre
Hängebrücke. Gleich darauf wieder "eine der schönsten Telefonzelle der Welt".
Dort kann ich zu Hause anrufen, von unterwegs diesmal, Quartier findet man hier
an jeder Ecke - so meine ich. Wann ich denn nun wieder nach Hause käme, meint
Heidi. "Aber heute ist doch erst Mittwoch" sage ich. Da sind die eingeworfenen
Münzen auch schon aufgebraucht.
Ich habe danach einen Blackout, trotz eines Schilderwaldes
am Wege, das muss auch einmal gesagt sein. Ich bilde mir ein, auf der falschen
Strecke zu sein und fahre nach etlichen Steigungen eine knappe Meile zurück. Da
stelle ich fest, dass die Richtung doch stimmte. So bin ich an einem Garten mit
einem freundlich grüßenden Gentleman schließlich dreimal vorbei gekommen, was
der sich wohl gedacht hat.
Weiter die Felder, an einsamen Gehöften
vorbei. Einmal passiere ich ein Individuum, das ist ein alter Mann mit nur
einer Plastiktüte als Gepäck. Der studiert gerade angelegentlich seine
Wanderkarte. Da er mich nicht zur Kenntnis zu nehmen beliebt, fahre ich lieber
an ihm vorbei und kann nun nichts Näheres über die Lebensumstände dieses
"Tramps" berichten. Schnell ist man dann in der Stadt Kelso, wo ich nach
einem Quartier Ausschau halte. Zu regnen beginnt es außerdem.
Wieder einmal blitze ich ordentlich bei verschiedenen
B&Bs oder Guesthouses ab. Angeblich haben die alle "full". Erst im "The
Queens Head Hotel" erfahre ich von einem freundlichen Herrn den Grund:
es findet gerade eine Ralley im
Gedenken an den Autorennfahrer Jim Clark statt, der hier aus der Gegend stammt
und 1968 auf dem Hockenheimring bei einem unbedeutenden Rennen ums Leben
gekommen ist. Nun ist in dieser Stadt alles vor- und ausgebucht. Nur dieses
Hotel wurde bis vor kurzem noch renoviert, da gab es keine Vorbuchungen. Ich
darf "just in time" einchecken. Mal wieder großes Glück gehabt.
Beim Herumsuchen hatte ich ein "Pizza Take Away" erspäht,
das ist heute für die Abendverpflegung ausersehen. Eine Seafood Pizza, 10 Zoll
Durchmesser oder so, wird mir eingepackt, nachdem ich die Wartezeit mit einem
Blick auf die Flussauen des River Tweed, einem auf den Eingang zum Park des
Floors Castle und einem auf die Kelso Abbey überbrückt habe. Dann mit der
Pizzatüte schnell an dem freundlichen Herrn an der Rezeption vorbei gemogelt,
und in meinem Zimmer verzehre ich die Pizza mangels Besteck mit Taschenmesser
und Teelöffel. Geht prima und schmeckt hervorragend.
Hinter dem Hotel steht inzwischen auf einem Anhänger ein
aufgebockter Porsche, der hat wohl auch noch just in time eingecheckt.
Statt der offiziellen Route (immer noch R1) auf
verschlungenen Pfaden durch die Felder und Anhöhen zu folgen, entscheide ich
mich für die Hauptstraße A698, die immer am River Tweed entlang führt. Bald hat
man in dem Ort Coldstream schon ein ordentliches Wegstück hinter sich
gebracht. Kurz darauf überquert man auf einer Brücke (leider geht mir bei dem
Panoramafoto beim letzten Teilbild der Batteriestrom aus) erstmals die Grenze
nach England. Damit kann man mit Norham Castle das erste Überbleibsel
eines englischen Schlosses bewundern. Statt Eintritt zu zahlen und mich
um Einzelheiten dieser Merkwürdigkeit zu kümmern, wechsele ich die Batterien in
der Kamera aus und ziehe weiter meines Weges.
Es folgt aber noch eine große Überraschung. Die längste
Hängebrücke der Welt! Das glaubt ja keiner. Sie heißt Union Suspension
Bridge und wurde 1820 erbaut. Und damals war sie die längste und erste
ihrer Art in England. Eine schöne Schautafel berichtet über die Feierlichkeiten
der Einweihung. Nachdem man die Brücke überquert hat, befindet man sich wieder
in Schottland. Aber nur kurz, ade Schottland, dann sind wir in Berwick Upon
Tweed, einer malerischen Hafenstadt. Da gibt es etliche Brücken für
Autobahn, Eisenbahn usw. Am schönsten ist wie immer die älteste der Brücken aus
steinernen Bögen errichtet. Auch die wird andächtig überquert, denn nun beginnt
endgültig der englische Abschnitt der Route.
Und es wird sportlich, ziemlich sportlich. "Take care on
narrow path" ist auf der Karte zu lesen. Ein geschotterter Pfad führt über den
Klippen entlang, natürlich mit herrlichen Ausblicken. Ein Herr mit Hund wandert
an mir vorbei, als ich gerade wieder ein Panoramafoto produziere bzw. Rad und
Gepäck eine Steigung hinauf schleppe.
"A nice place here" sage ich. "Oh yeah" antwortet er - oder war’s
der Hund? Dann geht es auf eine Wiese, da glotzen einem plötzlich so an die
zwanzig dunkelbraune Rindviecher entgegen. Die stehen mitten auf dem Pfad,
sofern man diesen noch so nennen kann. Ich beschließe, mutig zu sein und nähere
mich vorsichtig dieser offensichtlich gerade in Beratung befindlichen
Konferenz. Zögernd gewährt man einen Durchlass, durch ein Schlammloch muss man
auch noch. Erst als ich einigen Abstand zu diesem House of Parliament
gewonnen habe, traue ich mich, ein Foto zu
machen. Dann folgt ein Gatter und an einem Anwesen mit dem originellen Namen Sea
House ist man wieder in Sicherheit.
Dabei ist man gar nicht so von der Zivilisation
ausgeschlossen, denn man fährt immer entlang einer Bahnstrecke, wo die Züge
dahin donnern. Und so gerät man einen Bahnübergang (Level Crossing) mit
Schilderwald und Gebrauchsanweisung. Es sind zuerst beide Gatter zu öffnen,
vorausgesetzt dass kein Warnlicht aufblinkt und kein Warnsignal ertönt. Dann
habe man sich in beide Richtungen zu überzeugen, dass kein Zug herandonnert
oder in Sichtweite ist. Vom Ohr auf die Schienen legen ist leider nicht die
Rede. Nach dem Überqueren der Schienen sind beide Gatter wieder zu
verschließen. Nun ist das alles viel einfacher, als vorhin die Kuhherde...
Nur der folgende Schotterweg ist nicht so schön. Aber dann
kommt man an die Straße, wo es nach Holy Island geht, aber nur bei Ebbe.
Das tue ich mir natürlich nicht an, nachher 6 Stunden warten, bis man wieder
zurück kann? Im Gegenteil, ich versuche die stark befahrene Küstenstraße A1,
solange diese einen Seitenstreifen aufweist. Aber dann hat man doch bald genug
von dem Krach und es geht wieder geruhsam auf der Radroute weiter.
Bald wird die Küstenlandschaft immer schöner und es wird
demzufolge touristischer. In Bamburgh gibt es wieder ein Castle, bzw.
was davon noch übrig ist, und eine Menge Busse kurven herum. Jetzt folge ich
der B1340 und stelle fest, dass der Wind mich wieder vor sich her treibt. Dann
finde ich mich auf der Höhe von Dunstanburgh Castle auf einem Feldweg
wieder und lege eine Rast ein, um die verbliebenen Mauerstümpfe dieses Castles
aus der Ferne zu bewundern. Ein Herr mit Hund nähert sich, der heißt Carmen
(der Hund) und ist ein Rottweiler. So nennt man diese Rasse auch hier.
"When I was young and wild we did
100 miles the day on the bike" erzählt mir der Herr. Dabei ist der
bestimmt jünger als ich, schätze ich mal.
Eine schöne Aussicht hat man dann auf die Bucht bei Alnmouth,
jetzt bin ich auf der A1068 unterwegs, auch wieder eine etwas waghalsige Sache.
Bis jetzt habe ich für heute dank Rückenwind einen sagenhaften Schnitt. Darauf
sollte es ja eigentlich nicht ankommen, aber ab und zu braucht man das mal.
Schaffe ich heute 100 Meilen? Zur Beruhigung: ab dem Ort Amble geht es
verkehrsfrei immer an der Küste entlang durch den Druridge Bay Country Park,
Dünen und eingesprenkelte Binnengewässer. Eine Abzweigung verpasse ich dennoch
und lande über eine "Private Road" hinter den Scheunen einer Farm, finde
aber wieder zurück auf die Radroute.
Aber am Horizont voraus wachsen einem hohe Schornsteine und
Industrieanlagen entgegen. Eigentlich müsste das schon die Gegend in der Nähe
von Newcastle sein. So ist es schließlich auch. Man fährt auf allerdings
gut geführten Radwegen entlang vierspuriger Schnellstraßen - so addieren sich
die Kilometer heute mehr und mehr. Die Stadt Blyth soll mich erlösen.
Nach einigem Hin und Her und dem Entschluss, bei der ersten
Unterkunftsmöglichkeit für heute aufzuhören, gerate ich an ein Hotel in der Hafengegend.
Das ist für Malerarbeiten eingerüstet und sieht nicht übermässig teuer aus. Ich
bekomme ein riesiges Zimmer nach tatsächlich mehr als 100 Meilen Tagesleistung. Und es ist
sogar die preiswerteste Unterkunft bisher (18 £). Hier kriegt mich heute keiner
mehr raus und ich genieße den Ausblick auf Kräne, Gabelstapler und
Container.
Das Full English Breakfast ist auch hier - wie immer - die
gute Wegzehrung für den größten Teil des Tourentages und man bricht - auch wie
immer - wohlgestärkt und unternehmungslustig auf. Auf einem geschotterten Weg
geht es auf und ab durch eine Dünenlandschaft. Da tummeln sich die
Hundebesitzer, deshalb sollte man den Blick auf den Weg und kleine Hindernisse
nicht vernachlässigen. Die Hunde sind alle schwarz, meistens recht fett
und sehen ziemlich gleich aus, so eine Art
Labrador. Aber das kann mir egal sein. Als ich der Insel mit St. Mary’s
Lighthouse ansichtig werde, erfreuen mich die Erinnerungen an 1999, als ich
schon einmal hier entlang gefahren bin. Erstaunlich, was sich aus den tieferen
Gehirnfalten wieder entblättert, wenn man eine Gegend nach einigen Jahren
wieder sieht.
So ist es ein besonderer Genuss, entlang der Whitley Bay
bis Tynemouth zu radeln, wo man mit der Fähre nach South Shields
übersetzt. Mit der unberührten Natur ist es dann nicht mehr so weit her, es ist
alles dicht besiedelt und der Verkehr ist entsprechend. Trotzdem ist an einer
Stelle ein Felsen in der See rabenschwarz von Kormoranen. Mindestens 50
Exemplare sind das. Bald darauf verschluckt einen die große Hafenstadt Sunderland
geradezu. Die Brücke über die Mündung des River Wear kann wegen der
gerade stattfindenden Bauarbeiten nur mit Mühe überquert werden. Im dichten
Verkehr und bei dunstiger Sicht (deshalb gibt es keine Fotos) schlage ich mich
nach Seaham durch. Eine belebte Fußgängerzone, aber ich suche den
Einstieg zu der weiterführenden Bahntrasse, die wieder Genussradeln verspricht.
Es handelt sich um ehemalige Verbindungen für Kohlentransporte und dgl.,
offenbar hat man hier früher Kohlegruben (Collieries) unterhalten. Etliche
Schautafeln informieren über Hintergründe und Besonderheiten der Region. Damit
man nicht zu schnell unterwegs ist, hat man hin und wieder komplizierte Sperren
auf der Strecke eingebaut. In einem Fall sogar richtige Felsbarrieren, die nur
im Zickzack umfahren werden können. Dann sind wieder Teile der Strecke
regelrecht abgesoffen und es breitet sich eine Sumpf- und Wasservegetation aus.
Da darf man dann über hölzerne Stege fahren. Das macht natürlich einen großen
Spaß, und es ist schade, dass dieser Abschnitt dann in der großen Stadt Hartlepool
ein Ende findet.
Dort wird man per Beschilderung nach einigen Hin und Her zum
Hafen und auf die Seepromenade geleitet. Das ist fein! Weniger fein ist dann
allerdings, dass der weitere Weg nach so einem Kilometer - vielleicht war es
auch eine Meile - wegen Instandsetzungsarbeiten gesperrt ist. Da muss man ganz
in die Stadt zurückfahren und dann auf die Hauptstraße. Nun ist es sowieso
egal. In Richtung Middlesbbrough, das man sonst auf verschlungenen
Wegen erreichen würde, ist am Ende der A178 auf der Karte eine Transporter
Bridge über den River Tees eingezeichnet. Dazu muss man auf besagter
Hauptstraße bleiben. Der Verkehr ist gerade noch erträglich. Links liegen
ausgedehnte Industrieanlagen, rechts ist ein Naturreservat - so ergänzt sich
das.
Schneller als gedacht bin ich an der Transporter Bridge. Da
stehen schon Leute und fotografieren, unter einem hohen Stahlgerüst fährt
gerade ein Schiff durch. Bei einer Dame erkundige ich mich: "And where is the
bridge?" "Just on the other side" sagt sie.
"But I don’t see it" sage ich. "It will soon come over” sagt sie. Sie
hat recht. Da kommt so eine Art Schwebebahn heran, oder eine Fähre durch die
Luft an Stahlseilen aufgehängt. Das ist nun endlich mal was anderes als immer
diese elendigen Brücken wie bisher. So ist man schnell im belebten Zentrum von
Middlesbrough. Meine Sustranskarte "Three Rivers Cycle Route" endet
hier. Also gleich die nächste kaufen, die hier südlich anschließt. Am besten in
der Touristeninformation? Doch da ist die Karte "The White Rose Cycle Route"
vergriffen. Ein großer Buchladen ist ein paar Ecken weiter, und da - oh Wunder
- bekomme ich das letzte Exemplar. Also kann die Reise weiter gehen.
Erst mal setze ich mich und mein Fahrrad auf dem Victoria
Square zur Ruhe und studiere die Karte. Die Route ist zunächst gut
ausgeschildert - bis in die Vororte. Dann fehlt wohl ein Schild und ich suche
mir einen Trampelpfad in die Botanik aus. "Nature’s World" steht da irgendwo,
doch der Golfplatz liegt rechts statt links, wo er laut der Karte sein müsste.
Und der Weg wird immer unwegsamer. Statt umzukehren schalte ich auf stur,
irgendwo wird man schon rauskommen. Dem ist nicht so, am Ende macht der Pfad
eine Schleife und es geht wieder zurück. Nur etwas runter getretenes Gras über
eine Wiese lässt noch Hoffnung aufkommen. So endet man schließlich an der Ecke
eines riesigen Sportgeländes. Das ist von einer hohen Umzäunung umgeben.
Und doch finde ich eine kleine Lücke, wo der Zaun niedriger
ist und man drüber steigen kann, nachdem alle Packtaschen vom Fahrrad abgebaut
sind. Meiner Spürnase Richtung Golfplatz vertrauend finde ich tatsächlich
zurück auf den offiziellen Radweg. Wie gut, dass mir das ohne Begleitung
passiert ist, sonst wäre ich wieder unten durch - wie damals bei der
Donauversickerung,
einem inzwischen geflügelten Wort bei uns für solche Eskapaden.
Trotzdem ist es nicht so einfach, der Beschilderung zu
folgen, gar zu leicht verliert man sie zwischen den verwinkelten Sträßchen aus
den Augen. Erst auf der freien Strecke herrscht wieder klare Sicht. Die
herrscht übrigens auch wettermäßig, es ist inzwischen keine Wolke am Himmel und
voraus liegen schöne Berge, ob man da auch noch drüber muss?
Heute jedenfalls nicht mehr, ich versuche in einem kleinen
hübschen Ort namens Hutton Rudby ein Quartier zu bekommen. Keine Chance,
hier feiert man gerade Village Summer oder so was. Mir wird ein Hotel
einen Ort weiter, der heißt Potto, empfohlen. Und da komme ich unter,
viele weitere Unterkunftsmöglichkeiten hätte es in dieser Gegend nicht gegeben.
Das Hotel heißt "The Dog and Gun" und ist sehr ordentlich. Das
Restaurant hat offensichtlich sogar einen ausgezeichneten Ruf, denn auf dem
Parkplatz finden sich mehr und mehr Fahrzeuge mit Gästen zum Dinner ein. Ich
sitze natürlich wieder auf meinen Brötchen mit Roastbeef und Käse. Für morgen
stehen tatsächlich die Berge voraus auf dem Programm, dabei handelt es sich um
Teile des North York Moors National Park. Das hört sich gut an.
Aus dem Plan wird leider nichts. Es herrscht ein leichter
Sprühregen und die Berge sind total verhangen. Je höher man fahren würde, desto
weniger würde man sehen und um so nasser würde die Angelegenheit obendrein. Man
kann das ganze elegant umfahren, allerdings auf der belebten A172 und noch
belebteren A19. Natürlich kommt man schnell voran und ich habe es überlebt. Man
findet sich in der Marktstadt Thirsk wieder. Von dort bietet sich eine
Querverbindung auf der A170 an und dann trifft man wieder auf die Radroute.
Leider bleibt es die ganze Zeit diesig, so dass man von der Landschaft nicht
viel hat. Man kreuzt nun mehrmals eine Bahnstrecke, die wie mit dem Lineal
durch das Land gezogen ist.
Und da stehen sie wieder, die Bahnfreunde mit Stativen und
Kameras. Das habe ich schon einmal erlebt - wenn ihr euch erinnert
(Jacobite-Steam-Train,
1999 in Schottland). Wieder frage ich einen, der sehnsüchtig die Bahnstrecke
entlang schaut. "There will be
the Orient Express, starting at York at 12 o’ clock with a steam engine, quite
unusual for this area”. Aha. Und es ist jetzt 5 nach 12. Also hole ich
auch die Kamera heraus, wahrscheinlich kommt der Zug ja doch nicht pünktlich.
Doch da pfeift es schon vernehmlich und ich stelle mich in Positur. Und da
kommt die Steam Engine dampfend heran, eine Reihe Pullmannwagen hinten dran.
Und dann die Mogelpackung: eine Diesellok am Ende des Zuges. Aber ich habe mein
Foto und freue mich wieder für Terje - den Eisenbahnfan.
Die weitere Fahrt nach York ist wieder ein Genuss durch die
Auen des River Ouse. Ansonsten finde ich mich in York nicht
zurecht. In einem Bookshop weiß man gar nicht, was eine Fahrradkarte ist,
stattdessen bekomme ich kostenfrei einen detaillierten Stadtplan der Stadt.
Nachdem ich die Touristeninformation auch nicht finde, mache ich mich auf die
Socken. Andererseits wäre diese Stadt wegen ihrer Sehenswürdigkeiten sicher
einen Besichtigungstag wert. Aber ihr kennt mich ja inzwischen...
Wir fahren jetzt ganz auf Eisenbahn ab. Vorher müssen wir in
York allerdings noch das Geläuf der Pferderennbahn queren. Doch dann ist man
schnell auf der Trasse des Trans Pennine Trail, dem ersten Fernrad- und
-wanderweg in England. Das soll mal auf einer E8 genannten Route bis
Istanbul(!) führen. Ich will heute nur nach Selby, und daführt diese
aufgelassenen Bahnstrecke schnurgerade darauf zu. Schöne Brücken, Unter- und
Überführungen, keinerlei Steigungen. Zur Erbauung hat man hier das Sonnensystem
bzw. Planetensystem nachgestellt, indem in den entsprechenden Abständen der
Ekliptik Schautafeln für die einzelnen Planeten aufgestellt sind.
Auch Selby ist eine lebendige Stadt mit einer schönen
Kathedrale. Noch einmal bemühe ich mich um eine weiter führende Fahrradkarte.
Man kann mir nur einen Glovebox Atlas Britain andrehen, damit man
wenigstens weiß, wo man ist. Wie es nach Süden weiter gehen soll, ist mir nicht
ganz klar, mir schwebt so die Gegend von Lincoln vor. Aber es kommt dann doch
ganz anders. Auf dem Weiterweg am River Ouse entlang verfahre ich mich heute
noch zweimal. Einmal stehe ich wieder vor einer Horde von Jungstieren auf dem
Deich, das muss man nicht unbedingt haben. Danach wähle ich eine falsche
Abzweigung und muss ein gutes Stück Weges zurück fahren. Schließlich lande ich
in Goole und habe das Gefühl, mitten in einer Industriegegend
zu sein. Im Briar Croft Hotel, Clifton Gardens komme ich gut unter.
Ich weiß auch nicht, wie es gekommen ist. Anstatt mich einer
der A-Straßen zu überantworten finde ich mich auf dem Bahnhof wieder, wo gleich
ein Zug nach Doncaster abfährt. Dann geht es Schlag auf Schlag. Von Doncaster
fährt gleich ein Zug nach London, wo man von Kings Cross nach Liverpool Street
wechseln muss. Von da fährt gleich ein Zug nach Harwich - als ich dort ankomme
ist gerade Mittag und ich reibe mir die Augen. Von Harwich geht am Nachmittag
ein Schiff nach Esbjerg. Obwohl nebenan die "Grandeur of the Sea", ein
Traum aus Stahl und Glas, abfahrbereit am Pier liegt. Aber die wollen mich
nicht haben, da geht es über Norwegen/Schweden durch die Ostsee nach
Petersburg.
Ich bin am nächsten Morgen in Esbjerg, von dort wird eine
Fahrkarte gelöst und schon geht es ab nach Hause. Bald treffe ich einen anderen
Radler, der hat die Route Berlin - Kopenhagen abgefahren und ist nicht so
begeistert. Wir können eine Menge Erfahrungen austauschen und so vergeht die
Zeit schnell. Um 21 Uhr bin ich zu Hause, keiner hatte mich so schnell zurück
erwartet.
Das bedeutet nicht, dass ich keine Lust mehr hatte. Das
Problem waren die fehlenden Streckenkarten. Mittelengland im Maßstab 1:500 000
ist nicht so attraktiv. Aber die Fahrt war auch lang genug, irgendwann erlahmt
die Aufnahmebereitschaft, und so mag es zum Schluss nach den vielen gemeinsamen
Erlebnissen auch dem Leser dieses Berichts gehen.
Im Übrigen kann ich eigentlich den Abschnitt Calais - Holland -
Ostfriesland - Hamburg als bereits absolviert betrachten. Das habe ich bereits
1985
abgeradelt, als noch niemand von so etwas wie der heutigen großartigen
Nordseeroute zu träumen wagte.
5 Mittwoch, 18.6., Nærland - Skudeneshavn 62
km (79 km mit Rundfahrten)
6 Donnerstag, 19.6., Skudeneshavn -
Haugesund, 60 km
7 Freitag, Haugesund - Leirvik, 87 km
8 Samstag, 21.6. Leirvik, 22 km
9 Sonntag, 22.6., Leirvik - Bergen, 76 km
13 Donnerstag, 26.6., Thurso - Altnaharra, 98 km
14 Freitag, 27.6., Altnaharra - Inverness, 120 km
15 Samstag, 28.6., Inverness - Buckie, 118 km
16 Sonntag, 29.6., Buckie - Tarves, 115 km
17 Montag, 30.6., Tarves -
Arbroath, 142 km
18 Dienstag, 1.7., Arbroath - Edinburgh, 136 km
19 Mittwoch, 2.7., Edinburgh - Kelso, 137 km
20 Donnerstag, 3.7., Kelso - Blyth, 166 km
21 Freitag, 4.7., Blyth - Middlesburgh/Potto, 124 km
Samstag, Potto - Goole, 133 km
23/24 Sonntag/Montag, 6./7.7., Rückreise