Kapitel 1: Ankunft, Markttag in Ierapetra
Kapitel 3: Lasithi, Kritsa
Kapitel 4: Festos, Matala
Kapitel 5: Ag. Nikolaos, Spinalonga

Fahrt nach Sitia

Wir finden uns pünktlich zum Frühstück ein, heute wollen wir mit dem Linienbus nach Sitia fahren. Das sind knapp 50 km Fahrt, der Bus wird gut eine Stunde für die Strecke brauchen. Als wir einsteigen, sind eine Menge Schulkinder im Bus, die im benachbarten Ferma an der Schule ausgeladen werden. Die Schule mit einem asphaltierten Basketballfeld geht nahtlos in die Kirche über. Es geht weiter in Richtung Osten an der Südküste entlang. Hier ist auch touristisch schon einiges entstanden, aber nicht so massiv wie an der Nordküste. Die Straße biegt dann ab nach Norden in die Berge und quer über den Ostteil der Insel.

Bei der forschen Fahrweise des Busfahrers scheinen die vielen Kurven einem Busgast nicht bekommen zu sein, da wird mit Tempotaschentüchern und Feudeln hantiert, wie wir aus sicherer Enfernung beobachten. Aber der Blick hinaus in die Landschaft läßt alle Unannehmlichkeiten vergessen. Wenn man hoch in die Berge fährt, wird die Vegetation üppiger, weil da oben mehr kostbares Wasser zur Bewässerung zur Verfügung steht und das Klima nicht ganz so heiß ist. An den Hängen dehnen sich die Olivenhaine aus, Artischockenanpflanzungen, Weinterrassen und urige Bergdörfer. Der höchste Ort ist Lithines, das liegt malerisch auf einer Bergkuppe. Bald sieht man voraus das Meer im Norden und es geht hinab nach Sitia. Dort erledigen wir erst mal das Geschäftliche. Geld vom Postsparbuch abheben geht in Griechenland nicht, soweit ist man mit dem vereinigten Europa noch nicht gekommen. Also bei der nächsten Bank einen Euroscheck einlösen, und ich darf mir auch ein Paar Sandalen kaufen, weil die alten bald auseinander fallen werden.

In einer Geschäftsstraße treffen wir ein radelndes Ehepaar mit Gepäcktaschen. Es interessiert mich, wie so eine Radtour auf Kreta funktioniert und ich spreche sie an. Es sind Schweizer aus Zürich und sie sind schon eine Woche von Herakleion unterwegs. Übernachtungen sind im Bereich der Küste kein Problem. Und in der größten Hitze fände sich immer ein Olivenbaum, wo man sich in den Schatten legen könne. Berge gebe es reichlich, aber das haben wir auch schon gemerkt. "Gute Weiterfahrt" und wir machen uns auf zum venezianischen Kastell. Sitia liegt an einem Hang über der Bucht, da führen hübsche Treppengassen hinauf.

Das Kastell ist verwaist, da gibt es nichts zu besichtigen. Wir bummeln zur Kirche, wo auch hier sich eine Schule und ein Basketballplatz anschließen. Die Kirchentür ist verschlossen und wir wenden uns schon ab. Da ruft einer "Hallo" hinter uns. Es gibt noch eine Tür und die ist offen. Der Kirchenkalfaktor guckt uns erwartungsvoll an. Da rücken wir ein paar Münzen raus und kriegen dafür zwei dünne Kerzen in die Hand gedrückt. Die Kerzen werden an einer anderen Kerze, wahrscheinlich einer geweihten, angezündet und dann in eine Schale mit Sand gesteckt. "Nun sind wir verlobt" sage ich zu Heidi (unsere jüngste Tochter macht gerade Abitur).

Beschwingt begeben wir uns wieder zum Hafen hinunter, kaufen Apfelsinen und diese kleinen Bananen an einem Gemüsestand und beschließen den Besuch von Sitia mit einem Cappuccino.

Zu Sitia ist noch zu sagen, es ist keine alte Stadt, sondern wurde erst Ende des letzten Jahrhunderts angelegt. Dafür hat es einiges an Atmosphäre mit seinen verschachtelten Häusern, die aussehen wie übereinander getürmte Streichholzschachteln.

Am Busbahnhof löse ich am Schalter die Fahrkarten nach Koutsouras und wundere mich, daß die Rückfahrt weniger als die Herfahrt kostet. Wenig später merke ich bei einem Blick auf die Landkarte, unser Ort heißt ja Koutsounari. Nun ist es zu spät, vielleicht merkt der Kontrolleur ja nichts. Wir besetzen für die Fahrt die Sitze ganz vorn, da kann man durch die Frontscheibe alles noch viel besser sehen. Aus dem Seitenfenster möchte ich den Ort Lithines fotografieren. Da verlangsamt der Busfahrer auf schnurgerader Strecke plötzlich seine Fahrt, bis ich abgedrückt habe. Ein erster - wenn auch bescheidener - Beweis der kretischen Gastfreundschaft. Auch der Kontrolleur ist sehr aufmerksam. Als wir nach Passieren des Ortes Koutsuras immer noch auf unserem Platz sitzen, erscheint er protestierend. Natürlich wollen wir ihn nicht übers Ohr hauen und bezahlen anstandslos den Differenzbetrag. Schließlich steigen wir in Koutsounari aus, wo wir hingehören.

Dienstag

Heute genehmigen wir uns das erste Mal einen Liegeplatz am Kiesstrand. Der ist gebührenpflichtig (Drs 1.400). Das kann man sich schon leisten. Gegen Mittag erscheit dann auch Stefanos, wie man seinem Ansteckschild entnehmen kann, und kassiert gegen Quittung. Wie wir aber auch beobachten, schert er sich nicht um Liegeplätze, deren Bewohner sich gerade im Wasser oder dem angrenzenden Restaurant befinden. Vielleicht sollte man das nächste Mal ein offenes Auge haben, oder aber den Betreibern die bescheidene Einnahme gönnen. Wir sind eher für letzteres.

Da wir nun genug Lesestoff haben, mal der Sonne zu- mal abgekehrt liegen, mal im azurblauen Meer schwimmen, bleibt nur zu berichten, was sich da so bei dem benachbarten Club (Alles Inclusive) abspielt. Man kann die Uhr nach den angebotenen Programmpunkten stellen. Punkt 10 Uhr geht es los mit Wasserski. Da gibt es Dilettanten, die kommen gar nicht erst auf die Beine bzw. Ski, aber auch Cracks, die weite Kurven oder gar Drehungen fabrizieren. Parallel versuchen sich die Surfer im ständigen Segelhochziehen, um das Stehen bei Flaute zu üben. Manchem geht bei dem ständigen Rückwärts- oder Vorwärtsüberschlag die Puste aus, die müssen dann zu Fuß zurück durch den tiefen Kies waten. "Wer sein Surfbrett liebt, der schiebt".

Ein blonder Holländer gibt vom Strand aus wohlfeile Ratschläge, er hat ein T-Shirt an, da steht "Animation" drauf. An einem Nachmittag mit steifem Wind sehen wir ihn einmal wie ein Pfeil dahinsausen, der kann es, "ein Genuß" sagt Heidi. Dann ist noch Paddeln und Segeln angesagt. Ab und zu kentert auch ein Segelboot, da gibt es dann was zu gucken.

Am Nachmittag geht es dann mit Discomusik weiter. Irgendwelche Spiele finden statt, man hört Trillerpfeifen und Anfeuerungsrufe. Wer mehr das Feuchte liebt, kann sich aber auch rittlings auf einer Art Gummibanane mit einem Affenzahn über die Wellen ziehen lassen. Gestandenes Mannsvolk hopst und juchzt und kreischt, daß es eine Lust ist. Der Fahrer im Boot legt es nur darauf an, die Gummibanane umzuschmeißen, was ihm meistens gelingt. Manchmal schleppt er seine Banane aber auch mit ganz gemäßigtem Tempo dahin, da sitzen dann die Muttis drauf.

Ein einziges Mal in diesen 14 Tagen haben wir uns aufgerafft, und auch mal einen Blick in das Innere dieser Clubanlage zu werfen. Es gibt dort mehrere Pools, vornehme Liegen mit Zieharmonika-Verdeck als Schattenspender. Im Beach-Restaurant findet gerade ein Quiz statt, da wird nach dem Aussehen der bulgarischen Flagge gefragt. Ich bleibe vor der Mountainbike-Abteilung stehen, da werden die Räder zentriert, geölt, poliert und gewienert. Wer hier was zu sagen hat, trägt das Animations-T-Shirt. In die Gebäude können wir nicht reingehen, weil wir ja in Badekleidung vom Strand gekommen sind. Unter unserem Sonnendach aus blauangestrichener Gartenschlauchspirale fühlen wir uns jedenfalls auch sehr wohl.

Damit hoffe ich, daß Heidi für einen Tag auch ohne mich genügend Abwechslung hat. Ich hole mir das Mountainbike für den nächsten Tag ab, damit ich wegen der Hitze möglichst früh starten kann. "Wo willst Du denn hin" fragt mich die Frau, perfekt Deutsch spricht sie. "Da oben über die Dörfer!" Das sei herrlich da oben, aber alles Schotterstraßen. Beim Abendessen sehe ich einen Burschen, der hat ein Hemd an mit dem Aufdruck "7. Kapruner MTB Rennen". Da halte ich mich lieber raus.

Sieben Bergdörfer

Trotz meines ungewissen Vorhaben schlafe ich gut und bin um 6 Uhr morgens startbereit. Heidi macht schlaftrunken ein Auge auf und wünscht mir alles Gute. Sie hat ein wenig Angst, ob die Bremsen auch in Ordnung sind? "Wird schon werden, runter kommt man immer".

Ein bißchen aufgeregt bin ich auch, aber das gibt sich, wenn man los rollt und die große Freiheit spürt. Heute werde ich schwitzen, mich verfahren, bergauf schieben, bergab schieben, über Geröll holpern - und keiner wird meckern. Vorsicht ist geboten wegen Hitzschlag, Sonnenstich oder zu wenig Flüssigkeit. 1.5 L Sinalco habe ich im Rucksack, ein paar Salzstangen und Nüsse, das Frühstück findet für mich heute nicht statt.

Nun geht es los, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Einen Kilometer hinabrollen zur Abzweigung nach Agios Ioannis, ein Dörfchen wie ein Schwalbennest am Ende eines Tales.

Auf einem Spaziergang haben wir es von der Küste aus schon hoch oben gesehen. Es geht gleich so steil los, daß ich lieber schiebe, und das ganz langsam. Was man am wenigsten gebrauchen kann, ist jetzt schon ins Schwitzen zu kommen. Flachere Stücke kann man dann wieder fahren, mit der Schaltung komme ich gut zurecht. Bald liegen die letzten Häuser von Koutsounari hinter bzw. unter mir, eine steile Linkskurve hinaufgeschoben, dann taucht das Dorf auf, 9 km entfernt.

Die Straße schlängelt sich am Hang entlang, meistens kann man gut fahren, wenn Quertäler umrundet werden. Man ist allein, kein Auto oder sonst etwas. Ab und zu ein Geräusch im Gebüsch. Aber es handelt sich dann nur um ein zischendes Leck in den schwarzen Bewässerungsschläuchen, die parallel zur Straße verlaufen. Man hat hier oben wohl jeden Wasseraustritt und jede Quelle angezapft, um das Wasser zu sammeln und der Bewässerung der Olivenhaine zuzuführen.

Nach gut einer Stunde überhole ich zwei Wanderer, das Ziel Ag. Ioannis ist schon ganz nah. "Kann schon mal den Kaffee bestellen" höre ich im Vorbeifahren. Ich belasse es bei "Guten Morgen" und bin dann gelackmeiert, weil die Straße wieder steiler wird und zu beweisen ist, daß man dort locker hinauffährt. Nach der erlösenden Kurve, die einen außer Sichtweite bringt, kann man sich dann endlich verpusten. Als ich das Dorf erreiche, kommen die beiden Wanderer auch schon um die Ecke. Die Sonne geht auf und taucht das Dorf in das erste Licht. Um ein ansprechendes Foto zu machen, klettere ich auf eine Mauer. Da habe ich die Rechnung ohne ein Paar Hunde gemacht, die glücklicherweise angekettet sind, aber lautstark Protest anmelden. Da muß ja da ganze Dorf aufwachen. Ich beeile mich, weiterzukommen. Bei genauerem Hinsehen hat man den Eindruck, daß dieses Dorf gar nicht so recht bewohnt ist, viele Häuser machen einen verlassenen Eindruck. Die beiden Wanderer sehe ich noch im Dorf verschwinden, gern würde ich auch die Nebengassen erkunden, aber rastlos wie immer geht es lieber weiter (wir werden später noch sehen).

Bisher war die Straße asphaltiert, nun beginnt die angekündigte Schotterstraße. Und da sehe ich vor mir, was ich mir erhofft hatte, ein bärtiger Mann auf einem Esel reitend. Schnell überhole ich ihn "Moin Moin", 50 Meter weiter springe ich ab, Fotoapparat raus und ein Bild von dem Eselreiter, das gehört nun mir. Er reagiert gar nicht und biegt auf einen Bergpfad ab.

Die Straße führt nun sonderbarerweise wieder steil hinunter. Das hat man nicht so gern, wenn man schon mal so hoch geklettert ist. Vielleicht ist oben, wo der Eselreiter abgebogen ist, der richtige Weg? Nun ist es zu spät, immer weiter runter, womöglich lande ich gleich wieder unten an der Küste? Mehrmals gibt es Abzweigungen, man kann die Hauptstrecke kaum von Neben- und Wirtschaftswegen unterscheiden, die dann in irgendwelchen Olivenhainen enden. Ich orientiere mich an Reifenspuren im Schotter, die mögen schon wissen, wo sie hinführen.

Eine kleine Schlucht wird gequert, dann geht es wieder bergauf. Am Hang oben krapselt eine schwarze Frau zwischen den Kräutern. Ein Technikdenkmal tut sich auf, da hat man einem ausgedienten Lastwagen als Schottermühle das Gnadenbrot gegeben. Am Hang stehen Baumkrüppel, das sind Kiefern und Opfer eines Waldbrandes. Wie mühevoll sie die Wurzeln in Felsritzen auf der Suche nach dem lebenderhaltenden Wasser gekrallt haben, wie viele Jahre sie dafür gebraucht haben? Abgebrannt sind sie dann innerhalb von Minuten. In den Zeitungen liest man nur Zahlen, wie viele Hektar Wald durch solche Brände vernichtet werden, hier sieht man in jeder Baumleiche ein tragisches Schicksal.

Unversehens erreiche ich ein Dorf, ich habe schon die Hoffnung aufgegeben, meinen Tagesplan zu erfüllen und weiß absolut nicht, wo ich mich befinde. Eine alte Frau guckt aus einem schwarzen Türloch, verschwindet wieder - man fühlt sich als Eindringling. Was hat man hier zu suchen? Andererseits sollen doch die Bergbewohner so gastfreundlich sein? Man muß ein wenig nachdenken, was sich geändert hat. Früher waren alle arm, konnten aber leben, und hatten immer etwas für einen Gast übrig. Heute ist man hier oben immer noch arm, da unten, an der Küste aber, da wird das große Geld verdient. Da sind die Menschen scheu geworden. So stelle ich es mir jedenfalls vor. Auch in diesem Dorf sind viele Häuser verlassen und verfallen. Ein Foto, dann finde ich über Treppenstufen, die für Esel gemacht sind, die Schotterstraße wieder.

Das Ortsschild taucht dann doch noch auf mit dem schönen Namen: Skinokapsala. Genau da wollte ich hin. Es kann also wie geplant weitergehen, die nächste Teilstrecke ist einfacher. Man erreicht wieder eine asphaltierte Straße, die ein schroffes Hochtal hinauf führt. Auch hier wieder die schwarzen Rohrleitungen, die aus den Höhen das Wasser sammeln. Man lutscht die Berge geradezu aus. Vom Umweltstandpunkt erscheint das zunächst weniger bedenklich, denn ehe das Wasser ins Meer fließt oder verdunstet, ist es für die Bewässerung besser verwendet. Einmal höre ich aber Frösche quaken, geradezu ein Luxus, wenn man sich solche Feuchbiotope leistet. Und gerade die sind dem Untergang geweiht, wenn man das herabfließende Wasser in Rohre zwängt. Aber man muß leben, ich darf mir kein Urteil darüber erlauben.

Es geht hinauf zu dem Dorf Orino. Immer noch der verbrannte Wald an den Hängen. Aber auch Glockenblumen und Mohn - und dann die Orchideen, auf die ich schon lange warte. Es sind die Blütenstände des Knabenkrauts, das hebt die Stimmung. Dann kommt mir ein Pickup entgegen, ich schiebe gerade wieder bergan. Der Pickup hält extra an: "How you feel, where you go" werde ich durch das runter gekurbelte Seitenfenster gefragt. "Orino, and the way on" kann ich antworten. "Keep right, good time" damit hat man wieder ein nettes Erlebnis und schiebt freudig weiter bergan.

Es wird Zeit, mal nach der Sonne zu gucken. Die steht fast senkrecht. Ich empfinde gar nichts. Keine Anstrengung, keine Erschöpfung, keine Hitze, keinen Hunger. Die Sinalco zische ich aber weg, damit man nicht austrocknet.

Das Dorf Orino liegt in einem Hochtal, ringsum hat man Terrassen angelegt, die Vegetation ist üppig. Über dem Dorf ragt ein Bergkegel auf, gelb beblüht, vielleicht Ginster. Dieses Dorf scheint noch zu funktionieren, erscheint gepflegt und voll Aktivität. Das merkt man zumindest an den Pickups, die man auf Kreta allerorts zu sehen bekommt. Pickups sind kleine Fahrzeuge mit einer Ladefläche hinten dran, da werden Apfelsinen, Baumaterialien, Ernteerzeugnisse und auch Ziegen transportiert. Den Ziegen macht das offensichtlich einen Mordsspaß. Der Pickup ist der technische Ersatz des Esels, sofern die Wege es zulassen. Es fällt auf, das diese Fahrzeuge an allen vier Ecken oftmals recht abgerundet wirken. Da ist kein Vorder- oder Rückscheinwerfer, selbst die Stoßstange mehr in ihrem funktionsfähigen Zustand. Um die Herstellerfirmen nicht zu kurz kommen zu lassen, steht auf der Heckklappe in breiten Lettern: Honda, Suzuki, Mitsubishi, Fujitsu, Toyota, Mazda, Nissan, oder Subaru. Hier hat die Kfz-Industrie des vereinigten Europas glatt einen lukrativen Markt verschlafen.

Zu dem Dorf Orino gibt es noch etwas bemerkenswertes nachzutragen. Einige Wochen später - längst wieder zu Hause - blättere ich in einer Buchhandlung in einem Reiseführer über Kreta. Da stoße ich auf eine Seite über dieses Dorf und lese Erstaunliches. Es gibt hir eine "Schmetterlingsschlucht", in der man so um die Mitte Mai gegen Mittag tausende von Schmetterlingen bewundern kann, die in dem erwachenden Sonnenlicht lebenslustig und farbenfroh herum gaukeln. Und ich Ahnungsloser bin so um die Mitte Mai zur Mittagszeit in Orino und mache mir Gedanken über die "Pickups"...

Von dem Ort Orino geht es im Zickzack steil hoch über einen Paß. Ist man oben, ist guter Rat teuer. Entweder man wählt einen Hangweg, der in ein Hochtal führt, oder man stürzt sich wieder im Zickzack in die Tiefe. Unten ist auch schon ein Ort zu sehen, ein Wegschild gebt es aber nicht. Also dann lieber in die Tiefe stürzen. Damit ist es aber nicht weit her, denn der Schotter ist so grob, daß es stellenweise eine Wohltat ist, bergab zu schieben. Außerdem schmerzen bald die Hände vom vielen Bremsen.

Das Dorf kommt näher und unversehens findet man sich auf dem Dorfplatz wieder. Der ist überschattet von der Krone einer uralten Platane. Darunter sitzen an einem Tisch Karten spielende Männer, auf einigen Bänken hocken weitere Figuren, die sind auch nicht fleißiger. Als wenn man bei jemand in die Wohnstube gehagelt wäre, so kommt man sich vor. Ich kaufe mir erst mal im Laden ein paar Dosen Fanta für die Weiterfahrt. Bei der Kontrolle des Dorfnamens stelle ich fest: Stavrohori, also verläuft die Fahrt immer noch wie geplant.

Danach verpasse ich allerdings eine geschotterte Abzweigung, weil die geteerte Straße einladender ist. Man landet in dem Ort Lapithos, von wo es immer weiter in die Berge und auf die nördliche Inselseite geht. Da muß ich umkehren und die steile Schotterabzweigung hinaufschieben. Bald aber rollt man wieder schön dahin, zwischen Oliven und Zisternen, ein weiter Blick hinüber zur Küste, wo der Übergang des blauen Meeres zum Himmel nicht erkennbar ist.

Ich erreiche den Ort Ag. Stefanos, hier könnte man wieder hinabfahren zur Küste. Aber es ist zu schön, einen Ort weiter kann ich noch. Der heißt Pefki. Links oben liegt eine Kapelle auf einem spitzen Berg, Wie man da wohl hinauf kommt?
Hinunter an das Meer kommt man jedenfalls auf höchst angenehme Weise, angesichts der Angst vor einer weiteren ekligen Schotterabfahrt. Man hat die Straße gerade erst geteert. Das hat sich wohl noch nicht herumgesprochen, denn ich habe die Straße ganz für mich alleine. So fliegt man geradezu hinunter und muß sich zwingen hin und wieder für ein Foto anzuhalten. Eine Felsgruppe, aus der man einen Ziegenstall gemacht hat, ein netter Rastplatz, dann bin ich unten.

Knapp 20 km sind nun noch auf der Küstenstraße zurückzufahren, der leichte Gegenwind ist als Kühlung eher angenehm. Um 15 Uhr bin ich am Ziel, 60 km in 9 Stunden, mehr als 1000 Höhenmeter und das bei der Hitze. Da kann man zufrieden sein, ich verspreche meiner Ehegattin wahrheitsgemäß, daß ich für den Rest des Urlaubs vom Radfahren genug habe.

Ich habe mir gerade das Salz vom Schwitzen aus dem Gesicht geschwommen, da kommen zwei bekannte Figuren um die Ecke: Heidi und Peter. Sie haben von Anfang an ein Auto gemietet, nun hat es sie in den Osten der Insel verschlagen. In unserem Hotel ist gerade noch ein Zimmer frei, da können sie über Nacht bleiben und wir können uns auf einen gemütlichen Abend einrichten. Schnell wird im Supermarkt ein geeignetes Weinsortiment zusammengestellt.

Nach dem Abendessen machen wir noch einen kleinen Rundgang, um unser Paradies vorzuführen. Mit der einbrechenden Dunkelheit finden wir uns auf unserer Terrasse wieder, wo wir uns mehr und mehr weinselig die bisherigen Urlaubserlebnisse erzählen. Durch ein paar Teelichter zaubern wir auch ein wenig Stimmung herbei, wenn man mal vom Sternenhimmel und dem Vollmond absieht.


Kapitel 3: Lasithi, Kritsa