Die Fortsetzung der Harzrand - Rundreise läßt nicht lange auf sich warten. Schon einen Samstag später das gleiche Theater: der arbeitende Teil der Bevölkerung unserer Familie grenzt mich erneut aus. Ausgrenzen heißt nicht ausbremsen, heute kräht der Wecker um halb fünf. Eigentlich wollte ich nun heute morgen nach Ellrich fahren, anscheinend aber bin ich wieder nicht richtig wach und lande kurz vor sieben Uhr in dem Ort Ilfeld bei Nordhausen. Das liegt daran, daß es die Straße von Rothesütte im Harz nach Ellrich anscheinend nicht gibt – jedenfalls nicht für mich.
Ich stelle das Auto in also in Ilfeld ab und grüble nun darüber nach, wie die Tour zu starten ist. Nach Appenrode, dem Endpunkt der letzten Tour sind es von hier aus gerade 5 km. Der Harzrundweg verläuft aber genau auf der Straße, da kann man nur hin und zurück auf der gleichen Strecke fahren. Um nichts zu verpassen und in meiner Chronistenpflicht nichts zu unterschlagen, fasse ich das also als morgendliche Trainingseinheit auf und mache mich auf den Weg. Rings umher ist noch alles grau verhangen, erst kommt ein Teich, dann geht es steil hoch durch einen Wald, dann noch steiler hoch an einer blöd glotzenden Rinderherde vorbei. Am Ortseingang von Appenrode geht es steil hinunter. Das gönne ich mir dann nun doch nicht, denn das müßte man ja nachher wieder hoch.
Wird es schon Herbst bei den Schwalben von Ilfeld ? |
Weiter geht es an einem Waldrand sacht bergauf, dann krebst man entlang des Krebsbaches ein paar geschotterte Serpentinen hoch. Der Weg ist weiterhin etwas abenteuerlich mit seinen Schlaglöchern, in Hermannsacker erreicht man kurz die Zivilisation, noch ist alles verschlafen. Ein Bachtal hinunter, dann stößt man auf die L27, die hier einen aufgestauten Teich umkurvt. Man selbst findet sich aber – der radelnden Hexe folgend - auf einer grob geschotterten Straße im Anstieg begriffen wieder. So geht das bis Rödishain, da wird kräftig an netten Häuschen in landschaftlich reizvoller Lage gebaut. Alles was man bisher aufgestiegen ist, muß man nun wieder hinunter, wobei der Radfahrer nicht auf die frisch geteerte, sondern auf die Schlaglochstrecke geschickt wird.
Dieser Teil der Strecke dient denn wohl auch eher der Selbstkasteiung, aber wer es gern holperig und bergig hat, der mag seine Freude daran haben. Es macht auf jeden Fall mehr Spaß, als bequem auf der L27 dahin zu rollen, die einen schließlich nach Rottleberode bringt. Rechterhand liegt ein frisch erbautes Stadion mit englischem Rasen, Tartanbahn und Flutlicht – alles vom Feinsten. Der Ort wird längs durchfahren, hinter’m Bahnhof geht’s rechts ab Richtung Alter Stolberg, so heißt dieses kleine Gebirge hier. An einer Seite wird tüchtig genagt, da bauen die Knauf-Werke Gips ab.
Nun geht es auf einem sehr gepflegten Weg zwischen blühenden Wegrändern dahin, bis man die Attraktion der Gegend, die Schauhöhle Heimkehle erreicht. Wir waren 1990 schon einmal hier, als uns Christel und Reinhard Völker auf eindrucksvolle Weise in diese uns seinerzeit völlig unbekannte neue Welt eingeführt haben. Einer Schautafel ist zu entnehmen, wie die Höhle entstanden ist: im wasserführenden Teil der Gipsformationen wird durch beständige Lösungstätigkeit Material abgeführt, die entstehenden Hohlräume brechen nach und nach ein, und so hat sich hier allmählich eine der größten Gipshöhlen überhaupt gebildet.
Während die dienstbaren Geister sich auf den Tagesansturm der Gäste vorbereiten, fahre ich über die Brücke der Thyra, vorbei an der Pulvermühle. Pyrotechnik steht da auf einem Schild. Muß was mit Sylvester und Feuerwerkszauber zu tun haben. Unser Hund Ajax steht da besonders drauf, der würde sich bei solchen Anlässen am liebsten noch unter den Teppich verkriechen.
Hinter Uftrungen kommt nun eine besonders schöne Strecke. Sie ist zwar auch nicht befestigt, aber gut zu fahren. Dafür hat man es kaum mit Autos zu tun. Es geht durch ein herrliches Wald- und Wiesental, ein Rastplatz liegt so idyllisch, daß ich mich doch glatt zu einem Käsebrot hinreißen lasse. Hinter Breitungen dann heißt es aufpassen, hier gibt es eine weitere Sensation: den periodischen See Bauerngraben. Als rechts eine Gipssteilwand auftaucht ist schon klar, da muß es sein. Ein undurchdringlich zugewuchertes Bachbett führt schnurstracks dorthin. Nur einen Weg gibt es nicht. Laut Karte kann man aber am Waldrand dorthin gelangen, in der Ferne sehe ich auch Leute und einen Hund.
Ich fahre eine Weile den Weg am Waldrand entlang und treffe dann auf das Ehepaar mit Hund. Laica heißt er, hat ein Glöckchen und eine Rot Kreuz Weste an. Ich frage mal vorsichtig, ob man hier zum Bauerngraben käme. "Das ist er, da genau vor Ihnen". Verdutzt schaue ich durch die Bäume auf eine grüne Senke. Natürlich – um die Jahreszeit ist da natürlich kein Wasser drin. "Wir gehen da jetzt runter wenn sie wollen, kommen Sie gleich mit". Da lasse ich mich nicht lange bitten. Wir diskutieren ein wenig über die Besonderheiten dieser Gipskarsterscheinung, ein bißchen Ahnung habe ich ja auch selbst.
Der Bauerngraben |
Daß das Wasser verschwindet, ist plausibel, daß es zurückkehrt, weniger, es sei denn, die Zugänge bilden einen Überlauf der unterirdischen Hohlräume. Wir kennen so was in unserer Gegend in der Nähe des Ortes Alt Wallmodem, dort heißt die Angelegenheit Kirschensoog. So gibt es unter der Erde noch manches zu entdecken, denn es ist wenig über die hydrologischen Verhältnisse des Untergrundes bekannt.
Ich bedanke mich bei dem netten Ehepaar und mache mich wieder auf den Weg. Zeit zum Ausrechnen der verlorenen Zeit bei dieser Besichtigung bleibt nicht, erreicht man doch auf der Abfahrt nach Questenberg eine neue Rekordgeschwindigkeit: 55 km/h. So geht es in sausender Fahrt an der hübschen Fachwerkkirche und der Abzweigung des Rundweges vorbei. Spätestens am Ortsausgang aber merkt man den Irrtum, kehrt reumütig um, macht dann auch das Foto von der Kirche, wie es sich gehört und folgt brav der Radlerhexe, die einen nun gründlich ins Schwitzen bringt. Wir befinden uns hier genau auf dem Karstwanderweg, Hinweistafeln klären einen über die geologischen Besonderheiten auf. Hier hat man es mit den Bachschwinden des Hasel- und Dinsterbaches zu tun, wenig weiter mit einem Aufschluß des Kupferschiefers. Hinter Hainrode bedarf es keines Hinweisschildes, da liegen eine Menge ehemaliger Pingen, das sind kleine kegelförmige Abraumhalden, mit Bäumen bewachsen.
Questenberg |
Auf einer weiteren Schautafel, an denen unser Weg scheinbar reich gesegnet ist, läßt sich einiges über den Sangerhäuser Bergbau in Erfahrung bringen. Da hat man den Röhrigschacht 163 m tief auf den Wasserlösungsstollen "Segen - Gottes" nieder gebracht. Dieser wiederum wurde um 1854 von Sangerhausen vorgetrieben, bis man auf eine mit Wasser gefüllte Höhle stieß. Das brauchte dann Monate bis diese leer gelaufen war. Aber man hat einmal gesehen, wo das ganze Wasser der Bachschwinden, periodischen Seen usw. ab bleibt.
Schautafel |
Inzwischen hat das zweite Käsebrot seinen Weg gefunden. Ein Blick auf die Landkarte, man muß den Rückweg im Auge behalten. Zwar kann man mit der Bahn von Sangerhausen zurück fahren, aber dann hat man eigentlich nicht viel geleistet. Da wieder Ostwind herrscht, kann man gut mit Rückenwind zurück. Erst mal geht es wieder hoch und auf einem Höhenweg mit beiderseitigem Ausblick dahin. Nach rauf wieder runter nach Obersdorf, wo man erstaunt feststellt, daß man immer noch auf dem richtigen Weg ist, obwohl die radelnde Hexe sich rar und rarer macht. Man kann aber gut nach der Karte fahren. Der direkte Weg würde einen sogleich nach Wippra führen, der Wanderweg dagegen führt auf zwei großen Schleifen durch den Wald bis auf über 400 m Höhe. Nachdem man die Hohe Äbtissin - so heißt ein Berg - umrundet hat, stößt man auf ein Wirtshaus. Heute steht hier ein Bus und Jugendliche mit Schlafsäcken und Rucksäcken steigen aus. Da hat man wohl eine Schulklasse hierher verbannt.
Bei der Weiterfahrt kommt mir der Weg bekannt vor, frisch bepflanzt sind die Spuren vom Verlegen einer Versorgungsleitung. Das hatten wir doch schon mal bei der Rückfahrt von unserer Wippertour vor ein paar Jahren? Bald erscheint auch ein Schild: Alte Kohlenstraße. Genau da sind wir damals lang gefahren. Inzwischen hat man an einer Stelle Köhlerhütten und einen Kohlenmeiler aufgebaut, um wiederum per Schautafel die Hintergründe des Köhlerhandwerks nahe zu bringen. Damit ist der Name Kohlenstraße wohl hinreichend erklärt. Noch eine Eigentümlichkeit. Im Jahre 1926 hat man eine Versuchsstrecke mit Holzpflaster aus (womit?) getränktem Buchenholz angelegt. Die ist noch heute erstaunlich gut erhalten.
Nach der höchsten Stelle des Weges (428 m) darf man die Abzweigung nicht verpassen, die natürlich genauso wenig wie die nächste ausgeschildert ist. Auf frisch geteertem Waldweg kann man dahin rauschen in der Hoffnung, seine Höchstgeschwindigkeit noch einmal zu verbessern. Doch da heißt es schon in die Eisen zu gehen, Schotter voraus, unvermittelt endet die Teerstrecke. Mit 50 km/h in ein Schlagloch brausen, ob das gut gehen würde?
Schnell wenn auch durchgeschüttelt bin ich nun in Wippra, dem heutigen Endpunkt der Tour auf dem Harzrandweg. Zurück fahre ich am besten über die Landstraßen des Ostharzes, die kennt man noch nicht gerade wie seine Westentasche. Bald läßt sich feststellen, Wippra liegt tief unten im Loch, denn die Straße windet sich hoch hinauf auf die unbewaldete Hochebene. Da erreicht man die B242, die Harzhochstraße. An der Kreuzung zeugen ein paar Erdwälle und eine Schautafel (!) von Auseinandersetzungen zwischen den Häusern Mansfeld und Anhalt, wo es um ein Schloß geht, das um 1546 hier errichtet werden sollte, wozu es – wie man sieht – nicht gekommen ist. Der Platz nennt sich konsequent "Das neue Schloß".
Wippra |
Auf dem Weiterweg frage ich zur Sicherheit noch mal, und man bestätigt mir die Richtigkeit. Es geht allerdings eine abenteuerliche Schotterstrecke hinunter in eine Richtung, die mir nicht behagt. Da ich das Umdrehen inzwischen beherrsche, fahre ich den ganzen Weg wieder zurück. Ich frage nochmal einen Mann, der mir den Weg erklärt. Was da auf der Karte so glatt aussieht, ist ein Wanderweg, der das Tal der Wipper quert. Das bedeutet, steil hinunter, über eine Knüppelbrücke, und dann wieder steil hinauf.
Nachdem ich das alles bewältigt habe, habe ich ganz schön Zeit liegen gelassen. Aber Zeit ist nicht Geld, sondern der Weg ist das Ziel. Die Hochebene um den Ort Hayn herum ist wunderschön und bietet einen weiten Blick. Der Ort liegt auch hübsch anzusehen auf einer Kuppe.
Ich habe mir noch den Umweg über die Europastadt Stolberg vorgenommen, der besteht in erster Linie aus 6 km bergab ohne Treten und Bremsen. Ich rausche dann in dem sorgsam restaurierten Fachwerkstädtchen bis zum Marktplatz, wo gegenüber vom Rathaus ein drittes Käsebrot dran glauben muß. Das mehrstöckige Rathaus ist in soweit kurios, als es nicht über Innentreppen verfügt, sondern man außen herum über die Treppen den Schloßberg hinauf in die oberen Geschosse gelangen kann. So viel zu Stolberg, hier gibt es so viel zu sehen, daß man in Ruhe herum wandern sollte, aber das haben wir ein andermal schon erledigt und werden es ein anderes Mal wieder tun.
Rathaus in Stolberg |
Im Vorbeifahrenan dem hübschen Ort Neustadt fällt noch ein bemerkenswertes Stadttor ins Auge, das auch ein Foto wert ist. Da sieht man wieder, daß ein schnelles Durchfahren eines Ortes noch lange nicht all seine Geheimnisse offenbart.
Der Rest der Rückfahrt geht zügig vonstatten. Bemerkenswert ist noch der große Erdfall in dem Ort Buchholz. Aufmerksam wird man wiederum durch eine Informationstafel, die den geologischen Untergrund erläutert. Man ist mit Renaturierungsarbeiten beschäftigt, Leitung: Ingenieurbüro R. Völker, Heimkehle 2. Da hat ein Karstforscher seine Passion zum Berufsinhalt gemacht, aber das war bei ihm und seiner Frau wohl immer schon so, als sie noch das Museum Heimkehle aufbauten und sich um die Beschilderung des Karstwanderweges kümmerten.
Wieder am Auto zeigt der Tacho 140 km an, 11 Stunden bin ich unterwegs gewesen. War wieder prima, mit diesem Training können wir (jedenfalls ich) guten Gewissens in der nächsten Woche auf unsere Radtour entlang der Romantischen Straße gehen.