"Beim Zwiebelmarkt in Weimar, da wackelt heut' die Wand...", oder ähnlich werden wir schon am Morgen über das Radio angeheizt. Einige Reportagen berichten von den Aktivitäten in Weimar, unserem heutigen Tagesziel. Erstmal müssen aber alle Sachen gepackt werden, die Räder werden wieder auf das Autodach geschnallt, dann fahren wir los. Damit wir noch einen Teil des Thüringer Waldes zu sehen bekommen, fahren wir auf schon bekannter Strecke über Oberhof zum Rennsteiggarten. Von hier führt eine wenig befahrene Straße auf dem Kamm entlang, eine ganze Weile parallel zum Rennsteig. Man passiert den großen Beerberg, die höchste Erhebung des Thüringer Waldes mit 982 m. Dann geht es hinunter, man erreicht den Talgrund in Stützerbach. Richtung Norden fahrend gelangt man dann auf den Spuren Goethes, der hier ehemals rumgekickelt hat (über allen Wipfeln ist Ruh...), in das Städtchen Ilmenau. Hier machen wir eine Pause.
Auf der Marktstraße ist wieder allerhand los, viele Verkaufsstände. Da am morgigen Sonntag die ersten Landtagswahlen stattfinden werden, sind auch die Parteien mit von der Partie. Bei der SPD gibt es schöne Panoramakarten von dem neuen Gesamtdeutschland, da holen wir uns ein paar Stück. Heidi geht gleich auf die los: "Also eines muß hier ja schleunigst geändert werden, da zahlt man beim Geldabheben per Scheck eine Mark fünfzig, obwohl die Bank dem Deutschen Giroverband angeschlossen ist...". Daß noch vieles geändert werden muß, wird auch gern bestätigt. Die hier ansässige Glasindustrie liegt auch am Boden, das meiste qualifizierte Personal ist in den Westen abgewandert und kurzfristig nicht zu ersetzen. Für die Wahl rechnet sich die SPD nicht viel Chancen aus, "alles über 20% ist Gewinn". Man wählt anscheinend lieber das Geld oder sucht sich die Politiker nach deren Leibesumfang aus.
Von Ilmenau fahren wir auf der Bundesstraße direkt nach Weimar. Ich befürchte wegen des Zwiebelmarktes Verkehrsprobleme, auch ein Quartier ist womöglich schwer zu bekommen. Doch wir folgen den Hinweisen der Parkwächter (gebührenpflichtig). Auf einer Wiese bekommen wir einen Parkplatz an einer Friedhofsmauer. Neugierig marschieren wir los.
Zwiebelmarkt |
Es geht immer an der Friedhofsmauer lang. Man kommt auf dem Wielandsplatz raus, da steht auch ein Denkmal - von Wieland. Eine Ecke weiter der Frauenplan, hier befindet sich das Goethehaus. Nun beginnt auch der Trubel. Eine Popgruppe versorgt von einem Lastwagen herunter die Gegend mit Lärm. Viele Stände mit Zwiebelzöpfen, von denen der Zwiebelmarkt seinen Namen hat. Freß- und Imbißbuden, da geht einem das Herz auf. Wir eilen erstmal zur Information und fragen nach einem Quartier. Gestern sei gegen Abend alles ausgebucht gewesen, aber heute gibt es noch was. Ruck zuck ist die Sache erledigt, bei Familie B. im Stadtteil Ehringsdorf, Am Anger. Da brauchen wir uns erst nach 18 Uhr zu melden. Prima, das hat geklappt.
Jetzt können wir unbeschwert bummeln. Man fühlt sich ja doch irgendwie "klassisch", dazu noch der Zwiebelmarkt, da ist viel zu bestaunen und eine schöne Stimmung in der Stadt. Erstmal über den Markt am Rathaus vorbei, dann erreicht man den Herderplatz.
Marktplatz Herderplatz |
Da steht Herder - als Denkmal. Daneben seine Kirche, in die kann man hinein. Ein Flügelaltar gemalt von Cranach d.Ä. und gleichfalls von d.J. Draußen wird gerade die Musik einer weiteren Popgruppe unterbrochen, weil der Schlagzeuger ein Bier wegbringen muß. Wir gehen durch die Rittergasse, überall sind Verkaufsstände aufgebaut. Dann kommt der große Augenblick, da stehen sie, die beiden Unsterblichen. Nebeneinander auf einem Sockel müssen sie sich auf ewig vertragen. Vor kurzem habe ich eine Fernsehsendung über dieses Schillernde Goethestandbild gesehen, nun erlebt man das leibhaftig. Dahinter ist das Theater, dort sind gerade "Die Räuber" uraufgeführt worden, die weiteren Vorstellungen sind auf Wochen ausgebucht.
Theater |
Zu Füßen von Schillern und Goethen musiziert eine Gruppe Studenten und singt flotte Lieder aus dem Mittelalter. Das macht sich alles prima. Auch eine Thüringer Bratwurst für DM 1.60 mundet ausgezeichnet.
Von diesem denkwürdigen Platz zweigt die Schillerstraße ab, eine baumbestandene Fußgängerstraße. Man kommt dann direkt auf das Schloß zu, hier wird das Gedränge noch dichter. Dicht umlagert ist ein Stand mit Apparaturen zum Verzieren und Zerkleinern von Gemüse, ein Dauerbrenner wie die Weimarer Klassiker. Da fliegen die Scheine aus den Geldbörsen, daß es eine Lust ist. "Kapitalist" ruft einer dem Gemüsezerkleinerer zu, aber das ist nicht böse gemeint. Für die Kinder finden wir endlich auch was Passendes zum Mitbringen, hölzerne Rauchermännchen aus dem Erzgebirge.
Wir drängen uns weiter Richtung Schloß. Durch einen Torgang betritt man den viereckigen Innenhof. Die Besichtigung einer Bildergalerie kostet DM 6.- Eintritt. Da sind wir nicht dabei. Vor dem Schloß sammelt sich gerade eine Busgruppe, der Reiseführer versucht die Leute zu zählen. Dann ruft er "Hat jeder seinen Neben- und Vordermann". "Das merken wir erst im Bus", "Wer fehlt, soll sich melden" wird geantwortet. Ich könnte da stundenlang zusehen. Wir bummeln weiter herum und werden schon zielloser. Wieder auf dem Theaterplatz erstehen wir den Zwiebelzopf, ohne den man nicht nach Hause fahren kann. Zwei Betrunkene - diesmal von der niedlichen Art - bahnen sich ihren Weg wie Pat und Patachon. Der Kleinere muß vom Großen gestützt werden, er droht beim Gehen ständig einzuschlafen. Wir ziehen uns in einen Hinterhof zurück, wo man Kaffee an Gartentischen trinken kann. Es gibt metallene Teelöffel aus einem edlen Material, denn sie sind federleicht. Heidi will sie einstecken, aber ich kann sie davon abhalten. "Bald gibt's sowas nicht mehr, da wird das dann wertvoll". Schließlich geht sie zu dem Kaffeeausschänker und fragt, was so ein Löffel kosten würde. "Nehmen Sie nur mit, wieviel wollen Sie haben?" So ziehen wir mit drei Alu-Löffeln ab.
So langsam geht es zurück, noch ein Bummel über den Marktplatz, dann zum Goethehaus. "Wegen Überfüllung geschlossen", eine Warteschlange steht vor der Tür und wird schubweise eingelassen. Über dem Eingang ist die Jahreszahl 1913 eingraviert. Da kommen wir dann doch ins Grübeln, da muß nochmal nachgeforscht werden Nun wählen wir für den Rückweg den Gang durch den Friedhof. Wir kommen an eine Russische Kirche, davor ein Gebäude mit einer Gruft. In der Gruft befindet sich eine Tafel, auf der die hier Beigesetzten verzeichnet sind. Es sind viele Kinder dabei, alle Personen entstammen Adelsgeschlechtern aus vergangenen Jahrhunderten. Die zum Teil schön verzierten Sarkopharge sind wie alte Möbel in die Ecken geschoben. In der Mitte des Raumes stehen zwei große Särge, auf dem einen steht "Schiller", auf dem anderen "Goethe", auf jedem der Särge eine frisch geschnittene Rose. Da bleibt einem dann doch die Spucke weg, hier so unvermittelt vor den sterblichen Resten der beiden unsterblichen Geister zu stehen, - ob die noch da drin sind? Eine Antwort
Wo wir schon mal da sind, gehen wir auch gleich in die Russische Kirche. Die ist reich verziert mit viel Blattgold, einige sicher wertvolle Ikonen. Die Aufseherin bemüht sich, einen Nelkenstrauß in eine enge Vase zu zwängen, hilfsbereit eile ich hinzu und bin behilflich. So können wir auch guten Gewissens wettmachen, daß das Ganze eintrittsfrei ist. Aufgestellte Spendendosen übersieht man ja leicht. Wir bummeln weiter bis in die Gegend, wo das Auto steht, es findet sich sogar ein Ausgang, sodaß wir nicht über die hohe Friedhofsmauer klettern müssen.
Es ist noch viel Zeit bis 18 Uhr, da können wir noch dem Schloß Belvedere einen Besuch abstatten, das liegt sowieso auf dem Weg. Die Schloßgebäude sind zum Teil gerade instand gesetzt und in einem guten Zustand. Von innen kann man nichts mehr besichtigen, es ist schon nach 17 Uhr. Neben einem schönen Park mit mächtigen Bäumen gibt es den Englischen und den Russischen Garten. Diese sind symmetrisch im Barockstil angelegt. Heidi wird schon wieder nervös und pusselt an Ablegertrieben und Samenkapseln herum. Ich erlaube mir die Bemerkung, daß sie wohl auch in der Schiller-Goethegruft einen Puschen aus dem Sarkopharg gezuppelt hätte, wenn das gegangen wäre.
Solchermaßen erheitert begeben wir uns endlich Richtung Zimmerquartier. Wir inspizieren gleich die Speisekarte des Lokals "Hainfels" an der Belvederer Allee, bis 20 Uhr geöffnet. Unsere Zimmerwirtin Frau B. ist anwesend und zeigt uns das Zimmer. Es ist einfach eingerichtet, aber das ganze Haus ist sehr geschmackvoll möbliert, es ist sehr viel Holz verarbeitet worden. Auf sowas ist man hier gar nicht gefaßt. Frau B. erzählt auch, daß es sehr schwierig gewesen sei, das alles zu bewerkstelligen. Zum Essen empfiehlt sie uns das Lokal "Fiaker" hinter dem Bahnhof von Oberweimar. Dorthin seien es 20 Minuten zu Fuß.
Nachdem wir uns eingerichtet haben, machen wir uns also auf den Weg. Die Straßen sind finster, um die Laternen wabert der Dunst. Wir ziehen die Bahnhofstraße von Oberweimar hinauf, endlich kommt der Bahnhof. Eine Diesellok klötert vorbei - die "Taigatrommel". Hinter dem Bahnhof scheint die Welt zuende zu sein. Nach ein paar hundert Metern neben einem Bauhof dann doch ein schwach erleuchtetes Haus, das Lokal "Fiaker", doch die Gasträume sind dunkel und die Außenbeleuchtung ist nicht angeschaltet. Wir finden aber eine Tür, die offen steht, dort gelangen wir an den Toiletten vorbei in einen Küchenraum. Frisch gehackte Fleischstücke lassen darauf schließen, daß die Sache doch irgendwie in Betrieb sein muß. Endlich zeigt sich ein Mensch und bedeutet uns, daß erst ab 19 Uhr geöffnet ist. Das ist noch eine halbe Stunde hin. Ich schlage vor, diese Zeit auf dem Bahnhof zu verbringen, das ist doch immer interessant. Doch dann einigen wir uns, daß wir genausogut zurückgehen können, und das Auto holen, dann ist nachher Ruhe.
Also wird zurückgetippelt, wir erzählen Frau B. kurz unser Mißgeschick und fahren dann zum zweiten Anlauf los. Pünktlich sind wir vor dem Lokal, da stehen einige Leute mit merkwürdig ratlosen Gesichtern herum. Sogleich geht es uns nicht anders als sich herausstellt, daß anläßlich des Zwiebelmarktes hier heute ein Tanzabend veranstaltet wird, an dem man nur nach Voranmeldung teilnehmen kann. Außerdem habe ich Sandalen an den Füßen. Nun gibt es nur eins, zurück zu dem zuerst observierten Restaurant, das nur bis 20 Uhr geöffnet hat. Kurz nach halb acht sind wir auch da, wir atmen auf daß wir noch etwas bestellen dürfen. Im Gastraum ist ein großes Buffet aufgebaut, wahrscheinlich für Salate und Gemüse. Heidi ist schon geistig am Sortieren, was sie sich alles aufladen will. Während ich mir die Angelegenheit so betrachte, kommt mir plötzlich das Lachen, am Nebentisch tagt nämlich eine etwa 20-köpfige Gesellschaft, und für die ist die Platte aufgebaut. Wie wäre das gewesen, wenn wir ganz frech uns da auch bedient hätten ...? Nun hat Heidi Hirschbraten, ich Wildschwein bestellt. Das mit dem Hirsch bereitet keine Probleme. Mir dagegen werden der Reihe nach ein Gericht nach dem anderen unterbreitet, keins davon Wildschwein. Nach dem vierten Gericht - an den Nebentischen wird schon mitgelacht - nimmt sich endlich eine Kellnerin der Sache an. So bekomme ich heute auch noch etwas zu essen.