Album 6    Panorama Album

19 Montag, 6.6., Schässburg (Sighisoara), 112 km

Es gibt ein gutes "Früschtück" - so steht es auf der Speisekarte. Heute fahren wir wieder auf der Radstrecke Nr. 2, die durch eine einsame Waldgegend führt. Zunächst muss man noch einen kleinen Pass bewältigen, der heisst P. Sicas und ist 1000 m hoch. Pech ist nur, dass man etwa auf Passhöhe sozusagen durch einen Steinbruch führt und ab da die Strecke auf 40 km Länge nicht mehr befestigt ist. Das bedeutet ein Schlagloch nach dem anderen, die so dicht liegen, dass sie nicht umfahren werden können. Dafür herrscht hier kein Verkehr, man wird wissen warum. Der anfängliche Nieselregen wächst sich nun auch noch zu einem regelrechten Fadenregen aus, da sind die Schlaglöcher natürlich mit Wasser gefüllt und man könnte deren Tiefe nur durch Loten ermitteln. Da müsste man allerdings oft absteigen. Doch das muss ich nun doch, denn ein paar Waldarbeiter ziehen gerade mit einer Zugmaschine und Seilwinde Baumstämme quer über die Strasse. Als sie eine Pause machen, kann ich das Fahrrad hinüberwuchten und schlage dabei mit dem Schienbein an. Bei der nächsten Rast ist festzustellen, da ist Blut geflossen, aber es ist nicht weiter schlimm.

Die einzig mögliche Fahrweise auf dieser Strecke ist die, sich möglichst eng an die Grasnarbe am Rand der Strasse zu halten. Oftmals auch nur auf der linken Seite, aber das spielt hier keinerlei Rolle. Vorteilhaft ist allerdings, dass man bei etwas Gefälle kaum zu treten hat. Was wäre das für ein Genuss, hier bei gutem Wetter und guter Strasse hinunter zu fahren. Die Landschaft ist nämlich wunderschön, immer durch Wälder, ab und zu eine verschlafene Ortschaft. Wir erreichen schliesslich einen Stausee, danach ist die Strasse wenigstens befestigt, wenn auch weiterhin ziemlich holperig. In einer Ortschaft sehe ich eine Kreatur, wie ich sie noch nie zu Gesicht bekommen habe. Ist das ein Schaf? Nein, es ist wohl ein Hund, der noch nie beim Friseur war. An dem hängen halbmeterlange Zotteln herunter und vorn und hinten kann man nur an der Richtung des Ganges unterscheiden. Leider ruht der Fotoapparat in der Gepäcktasche.

So kommen wir endlich in eine Stadt, die drei Namen hat. Der erste ist wohl der rumänische, der zweite ungarisch, da hier auch viele Ungarn siedeln bzw. gesiedelt haben. Der dritte ist der deutsche Name. Wie wir wissen, hat das Land Siebenbürgen 700 Jahre lang eine deutsche Kultur geprägt. Und die letzten 15 Jahre nach dem Ende des Sozialismus haben genügt, dieser langen Tradition ein Ende zu machen. Da sind sie alle in den "goldenen Westen" abgewandert. Schade eigentlich, denn dieses Land ist so schön.

Ach ja, damit man mal wieder seine Sprachfähigkeiten probieren kann, die Stadt heisst Odoheiu Secuiesc oder Szekelyudvarhely oder Oderhellen. Sonst kann ich da nichts berichten, denn man steht nur wie ein begossener Pudel herum. Von dort geht es immer an dem Fluss Tarnava Mare entlang. Der führt heute bei dem Regen einige Wassermassen zu Tale. Einmal mache ich auf einer Brücke halt, doch als zwei Lastautos gleichzeitig über diese rattern, wird einem das Erzittern der Brücke zu bedenklich. Anscheinend hält sie es aber aus.

Wir durchfahren noch die Stadt Kreutz, da sehe ich auch nichts bemerkenswertes. Nach schnurgerader Strecke und weiterem Geholper stösst man dann endlich auf die E60, wo man mal wieder daran erinnert wird, was eigentlich eine Strasse ist. So ist man am Schluss dann doch schnell in Schässburg. Diese Stadt empfängt einen mit unschönen Wohnblocks aus der Ceaucescu-Zeit, aber das ist in diesem Land bei fast allen Städten so, mögen sie in ihrem Kern noch so schön oder gar Weltkulturerbe sein. So muss ich bei dem ersten Foto der Stadtkulisse die Kamera hoch genug halten, um den ringsumher brausenden Verkehr auf der Europastrasse nicht mit in das Bild zu bekommen.


Schaessburg

In der Hautgeschäftsstrasse wird es dann ruhiger. Die heisst übrigens Str. H. Oberth, weil jener Weltraumpionier hier seine Schulzeit verbracht hat. Deswegen hat man es in der Raumfahrt wohl so weit gebracht...

Ich bin auf der Suche nach einem Hotel, die gibt es hier zahlreich. Ein Mann spricht mich an, dem wohl mein Gepäck und der sich unschlüssig drehende Kopf aufgefallen ist. Der will mich gleich vermitteln oder einladen, aber wir können uns nicht verständigen, in Ungarisch vielleicht? Habe ich leider mit Frau Josefne (s.o. in Tokaj) auch schon vergeblich versucht. So zockele ich weiter die Strasse entlang und finde genau, was ich suche: Hotel Claudiu, und dort buche ich für zwei übernachtungen, es muss mal ein Ruhetag eingelegt werden, noch dazu in dieser schönen Stadt, die eines der Ziele dieser Reise ist. Als ich das Zimmer betrete, muss ich gleich ein Foto machen, ehe das ganze Gerödel aus den Packtaschen die Szene verunziert.


Hotel Claudiu

Kommunizierende Dachrinnen

Ein Zimmer, wo alles stimmt...

Hier stimmt alles, vom Zahnputzbecher bis zur Minibar. Da kostet übrigens eine Flasche Wodka 3 EUR, aber da lasse ich die Finger davon. Eine Flasche Bier kostet 1.50 EUR, da sollten sich die "westlichen" Hotels mal ein Beispiel nehmen. Dort benutzt man die Minibar angesichts der horrenden Preise nämlich lieber nur als Kühlschrank für Getränke aus dem Supermarkt. Auch der Ausblick ist interessant, zwar nicht über die Dächer der Stadt, aber auf einen Hinterhof mit einer interessanten Konstruktion von - sagen wir mal - kommunizierenden Regenrinnen.

Danach lande ich wieder in einer Pizzeria und gehe noch einmal um den Stundturm, dem Wahrzeichen Schässburgs. Eine gründlichere Besichtigung hebe ich mir für morgen auf, da werde ich genügend Zeit haben.


20 Dienstag, 7.6., Schässburg

Hier gibt es sogar ein Frühstücksbuffet und die Rezeptionsdame kommt extra mit hinunter in das Restaurant, um mein Treiben diskret hinter der Bar zu überwachen. Danach begebe ich mich in einen Internetladen, denn wir verpassen nichts - es regnet leicht. Nun kann ich endlich die zahlreichen Spam-Mails löschen und Grüsse an zu Hause, Freunde und (ehemalige) Kollegen schicken.

Im Laufe des Tages klart es auf und der fällige Rundgang kann stattfinden. Hinter dem Stundturm ist ein kleiner Platz mit Souvernirbuden. Da steht auch das Dracula-Haus. Die omnipräsente Legende um Dracula hängt mir allerdings zum Hals raus, deswegen bin ich nun wirklich nicht hier. Also links ab und bergauf, da steht man schon vor dem "Schülergang", das ist eine überdachte Treppe hinauf zu der "Deutschen Bergschule". Für heute ist der Gang gesperrt, da finden Filmaufnahmen mit einer Theatergruppe statt. Also muss man aussen rum und gerät dabei auf den Bergfriedhof, der einer der schönsten Siebenbürgens sein soll. Wahrhaftig haben die hier ruhenden (alles deutsche Namen) eine schöne Aussicht. Aber ihre Hinterbliebenen werden wohl inzwischen in deutschen Landen weilen?

Dann geht es in die Bergkirche, da muss ein geringes Eintrittsgeld gezahlt werden. Fotografieren ist aber nicht erlaubt. Das wohl, weil man lieber die Ansichtskarten verkauft, und unsere fernöstlichen Freunde, die hier auch schon hergefunden haben, bedienen sich auch eifrig. (Trotzdem ist ein Foto vom Altar der Bergkirche irgendwie in die Kamera geraten) So müsste man sich hinsetzen und aufschreiben, was man so sieht. Oder abschreiben, denn man bekommt ein Blättchen mit Informationen mit auf den Weg, muss es hinterher aber wieder abgeben. Belassen wir es einmal mit einer Sammlung kostbarer Truhen (Henndorfer Truhen und so...), die man aus dem ganzen Lande zusammengetragen hat und hier ausstellt, nachdem sie z.T. mit Hilfe von Exkursionsgruppen aus Deutschland (z.B. Hildesheim) restauriert worden sind.

Nun aber zum Stundturm, den muss man ja bestiegen haben. Auch das ist nicht umsonst, aber es gibt ein Vergünstigungsticket für "Foreigners", damit kann man auch die angeschlossenen Museumsräume besichtigen. Ein Raum ist jenem legendären Herrmann Oberth gewidmet, wie er an allerlei Raketen herum gebosselt hat. Auch in Peenemünde war man - wie wir wissen - mit nicht ganz so hehren Zielen zugange. In einem anderen Raum ist ein interessantes Modell der mittelalterlichen Stadt zu sehen. Die Stadt ist von einer Befestigungsmauer mit etlichen Wehrtürmen umgeben und befindet sich eben auf diesem Berg. So viel scheint sich seit früheren Zeiten nicht verändert zu haben - deswegen Weltkulturerbe. Beim weiteren Aufstieg sieht man einmal das Uhrwerk der Turmuhr, sowie die hölzernen Figuren, die Stunden und Wochentage anzeigen. Die haben ein "Hohlkreuz", soll heissen, sie sind hinten ausgehöhlt, vielleicht um Gewicht einzusparen?

Nun hat man aber eine tolle Aussicht über die alten Dächer, das ist schon eine recht verwinkelte Sache dort unten.


Ausblick vom Uhrturm

Zum Abschluss ein Blick in die Folterkammer, da werden auf Schautafeln "technische Zeichnungen" jener Zeit erläutert. Streckbank, Fingerquetsche, Stachelwalzen, alles da, auch den Galgen hat man nicht vergessen, mit dem dann wohl die Folterqualen abgeschlossen wurden. Da haben die Menschen jener Zeit Heiligtümer und zeitlose Kunstwerke geschaffen, und dann so was?

Damit sind wir wieder unter den Lebenden, es gibt noch ein Omelett mit Käse. Schliesslich klingt dieser Tag in Schässburg aus und man darf schon wieder weiter planen.


Kapitel 7: Kirchenburgen und Brasov, Rückreise
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