Album 5    Panorama Album

16 Freitag, 3.6., Vatra Dornei, 92 km

Frühstück gibt es in dieser Unterkunft natürlich nicht, obwohl heute ein richtiger Karpatenpass, Prislop 1416 m, auf einen wartet. Und weiterhin diese leidige Betonpiste, immer bergauf. Schon bald merke ich, dass auf nüchternen Magen dazu die Kräfte nicht reichen werden. Die ersten Magazin Mixt - wie es hier heisst - haben aber schon früh um 7 Uhr geöffnet, sodass man mit Bananen, Keksen und Kuchen das Frühstück ersetzen kann. Oberhalb der Stadt Borsa hat man in einem grünen Tal, hier sieht es aus wie im Allgäu, wohl ein Touristenzentrum in Arbeit, jedenfalls wird viel gebaut. Aber im wesentlichen der Landschaft angepasst, keine Hotelkästen oder dergleichen.

Danach wird man in die Botanik entlassen. Es fahren kaum Autos, bis auf einige Fahrzeuge mit offener Ladefläche, die transportieren Kühe. Da handelt es sich um eine Art Almauftrieb - wie wir sehen werden. Zunächst geht es stetig bergauf im grünen Wald, die hoch oben brummenden Fahrzeuge zeigen an, dass man noch eine ganze Weile zu klettern hat. Also mal eine Rast an einem Bächlein, da kommen auch schon zwei klapperige Autos der Marke Dacia daher und halten an. Mich bemerkt man gar nicht - sie haben eine Panne. Den zwei Autos entsteigen drei Männer, drei Frauen und drei Kinder. An den bunten Gewändern der Frauen errät man sogleich, mit welcher Volksgruppe wir es hier zu tun haben. Ein Foto aus der Hüfte? Ich breche es ab, die Männer schauen herüber.

Im Rumänienführer ist zu lesen, dass man auf keinen Fall Zigeuner fotografieren sollte - aber das habe ich , glaube ich - schon weiter oben geschrieben. Für dieses Mal bin ich vernünftig und kann unbehelligt weiter ziehen.


Am Pass Prisop

"Almauftrieb"

Passhöhe 1416 m

Vier Stunden nach dem frühen Aufbruch heute morgen erreiche ich nach 25 km die Passhöhe. Da wird gerade so ein "Almauftrieb" abgewickelt. Die Kühe werden über eine Rampe von dem Transportfahrzeug herunter geführt und streben eilig den saftigen Weiden zu. Ein Hirtenjunge begleitet das wieder mit jenen melodischen Pfiffen, die o.g. Pirolvögel sind gar nichts dagegen. Auf der Passhöhe sind etliche Schulklassen einigen Bussen entstiegen, die machen wohl einen Ausflug. Einer der Busse hat eine heimatliche Aufschrift: "Ems - Dollart - Tours, Wessel Gruben". da fühlt man sich wie zu Hause. Sonst ist auf dieser Passhöhe nicht viel zu sehen.

Es geht an die Abfahrt in das Tal des Flusses Bistritja, und da ist die Strasse weder steil noch in zu schlechtem Zustand, sodass es einmal ganz nach Wunsch rollen kann. Das Tal der Bistritja (Bistritz) gehört nicht zu den vorgeschlagenen Radrouten - bis auf den oberen Teil -, hätte es aber verdient, und wir werden ihm nun über 100 km weit folgen. Das schöne ist, dass es die ganze Zeit leicht bergab gehen wird. Es herrscht hier schon wieder eine andere Kultur, was die Bauweise der Häuser angeht. Sie sind häufg verziert durch eine bemalte Querleiste. Nun fallen einem auch die oftmals kunstvoll gestalteten Brunnen auf, wo die Wasserversorgung mittels Handrad, Kette und Schöpfeimer vor sich geht.





Die Strassenverhältnisse bleiben erwartungsgemäss nicht so gut - bald trifft man auf Arbeitertruppen, die erst grosse  Flächen der schadhaften Stellen auffräsen und dann wieder verfüllen und neu asphaltieren. Leider sind diese Reparaturstellen dann aber auch Stolpersperren. Als Radfahrer hat man den Vorteil, einspurig auf zwei Rädern ggf. in Schlangenlinien um diese Hindernisse herumkurven zu können, sofern der Verkehr das zulässt. Die PKWs, auch Trabbis(!) darunter, und vor allem Busse und Schwerlaster tun sich da schwerer, die müssen ja immer zwei Spuren optimieren, und da kracht es dann manchmal schon gewaltig und man fragt sich, wie so manches betagte Fahrzeug hier nicht in kürzester Zeit verschlissen wird.

Tagesziel sollte der Ort Jacobeni sein, dessen Entfernung auf jedem Kilometersteinen dieser Strecke als verheissendes Ziel angekündigt ist.

Die Kilometersteine in Rumänien sind übrigens sehr informativ. In beide Richtungen werden die nächsten Ortschaften mit Entfernungsangabe angekündigt und oben drüber der Ort, der am Ende der jeweiligen Verbindungsstrasse liegt. Und das ist eben hier, wie erwähnt, Jacobeni. Leider ist dieser Ort eine Enttäuschung. Eine Unterkunftsmöglichkeit zeigt sich nicht, stattdessen einige Industrieanlagen. Andererseits ist hier der Ort der Entscheidung: hält man sich weiter nordöstlich (E576), würde man nach Campulung Moldovenese und bald danach in das Gebiet der Moldavischen Klöster mit den berühmten Aussenmalereien gelangen. Ich wollte aber nach Siebenbürgen und bleibe der Bistrijta treu, wo man nach wenigen Kilometern den Touristenort Vatra Dornei erreicht.

Da ist an Hotels kein Mangel, 15 an der Zahl sind auf dem Stadtplan verzeichnet, aber da bin ich schon im ersten besten - dem besten - Hotel Carol abgestiegen. Nach den vergangenen einfachen Quartieren eine Wohltat und unterm Strich, was den Durchschnitt der übernachtungskosten angeht, vertretbar. Dafür gibt es dort einen Fitnessraum (Folterkammer), die habe ich aber nicht nötig, oder eine Sauna, die nicht in Betrieb ist, und die habe ich auch nicht nötig. Nach Duschen und Wäsche machen (das Fahrradtrikot ist nach einer Stunde trocken, wenn man es ins Fenster hängt) breche ich auf zu einem denkwürdigen Abendessen. Wie so oft in eine Pizzeria, da weiss man, was einen erwartet. Weiss ich eben nicht - heute.

Denn ich bestelle eine Pizza GIANT, weil die ja wohl für den Hunger ausreichen wird. Dafür ist die Wartezeit etwas länger, die nach mir angekommenen Gäste sind schon am Essen. Und dann kommt der Koffer, der Tisch muss frei geräumt werden, und da steht nun so ein halber Quadratmeter Pizza vor mir. Die anderen Gäste gucken verdutzt, ich auch! Das war nun nicht zu erwarten gewesen, wie soll man das schaffen?

Das ist mir vor Jahren schon einmal in England (Monmouth) passiert, wo ich an eine "Familienpizza" geraten war, und ich mit den Worten verabschiedet wurde: "He must be hungry, I thought".

Es ist mir peinlich, dass mir das in diesem Land passiert, wo so viele Menschen nur für ihre leibliche Versorgung von morgens bis abends arbeiten müssen. Nun mache ich mich ans Werk und schaffe gerade etwas mehr als die Hälfte, wobei die Randteile auch noch ausgespart werden. Die Bedienung fragt dann auch ganz höflich "Shall I pack it?" Ich verstehe nur "Baghuette" und lehne dankend ab. Und doch erscheint sie wieder mit einem Pappkarton, aber was soll ich mit dem, der passt nicht in die Packtaschen, höchstens hochkant. Und morgen früh ist ein Frühstücksbuffet zu erwarten, da kann man auch nicht den ganzen Abend an einer Pizza rumkauen. Ich zahle (11 EUR mit Bier) und mache mich mit meinem geschwollenem Bauch aus dem Staube.

Weit komme ich damit nicht, in einem Internetcafe kann ich noch allen, die es interessiert, mitteilen, wie gut es mir geht. Und dass Rumänien gar nicht so rückständig ist, wie man immer denkt. Das ist nun reiner Sarkasmus - leider.

17 Samstag, 4.6., Bicaz, 132 km

Nach dem Frühstück, von dem ich mir mehr versprochen hatte, geht es bei bestem Wetter und prima Strasse weiter in besagtem Tal hinunter. Das ist reines Genussradeln in wunderschöner Landschaft mit urigen Dörfern.

Doch man muss man auch mal eine Rast einlegen. Dazu eignen sich hier immer sehr gut die kleinen Mäuerchen, die sich an Querbächen befinden, die sind kniehoch und man kann da prima darauf sitzen. Da kommt ein fideler Bursche heran geschlendert, begrüsst mich mit Handschlag und setzt sich daneben. Viel hat er zu erzählen, leider kann ich zwar alles prima finden, mehr aber auch nicht. Dann mache ich klar, dass es weiter geht.

Als ob wir uns nun schon eine Ewigkeit kennen würden, endet das mit einer Umarmung und er ruft mir in voller Lautstärke ins Ohr: "Drum Bull". Später entnehme ich einem Reisemagazin: "Drum Bun" und das heisst gute Reise. Also das war ja ein echter Kumpel! Dafür gibt es auch ein Foto nach bewährtem Muster: voraus fahren, Zoom rein, aus der Hüfte geknipst und dann ab die Post. Mein Kumpel hat wohl nichts dagegen und winkt fröhlich. Wir werden in dieser Sache heute noch ein anderes Erlebnis haben

Nun kann ich z.B. einen Angler ablichten, der steht mitten im Wasser und merkt nichts davon. Oder eine Graugans, der das auch nichts ausmacht. So geht diese Teilstrecke (87 km) auf angenehmste Weise unter den Rädern weg.

Dann wird der Stausee Lacul Izvorul Muntelui erreicht. Ich hatte schon davon gelesen, hier dümpeln entsorgte Plastikflaschen auf dem Wasser, aber das auch nur an einer Stelle. Trotzdem müsste das nicht sein! Genau hier gibt es auch ein Hotel mit Restaurant, Parkplatz usw.

Nun beginnt eine Panoramastrasse, die meistens hoch oben über dem See dahin führt und wunderschöne Ausblicke bietet. Das ist einigermassen "sportlich" denn bei einigen Zuflüssen muss man immer wieder hinunter auf das Niveau des Sees. In dem Ort Hangu gibt es laut Ausschilderung eine "Pension Intim", nicht dass da irgendwer etwas falsch versteht!

Nun steht das zweifelhafteste Abenteuer dieser Reise bevor. Voraus zieht ein Treck meiner geliebten Zigeuner des Weges. Das sind zwei Pferdchenwagen mit Kindern und habseligem Gepäck. Zwei bunte Frauen verschwinden gerade im Gebüsch, da schaut man lieber in eine andere Richtung. Als ich an dem Treck vorbei fahren will, läuft ein Busche neben mit her und bettelt aggressiv um etwas Essbares. Hätte ich doch die Pizzareste von gestern mitführen sollen? Aber anhalten ist besser nicht angesagt, schon gar nicht würde ich eine Tasche öffnen. Da es bergauf geht, kann ich mit einem kurzen Antritt der Geschichte entfliehen.

An der nächsten Kurve sticht mich der Hafer. Wie wäre es nun mit dem längst überfälligen Foto? Das hätte ich lieber lassen sollen! Erstens: das Foto verwackelt, weil die Truppe noch zu weit weg ist. Zweitens: sie haben das wohl bemerkt und drittens: plötzlich trabt das Pferdchen an und in unerwarteter Geschwindigkeit hinter mir her. Und kommt mit Galopp unter Pfiffen und Rufen immer näher? Nun könnt ihr einen erleben, der mehr Angst als Vaterlandsliebe entwickelt. Volle Pulle den Berg hinauf, das Herz rast. Und eine Weile kommt das Getrappel immer noch näher? Das Geräusch werde ich nie wieder vergessen! Nach zwei Kurven ist es überstanden, ein paar sicher nicht einladende Rufe werden mir hinterher gesandt und ich fahre mit unvermindertem Tempo weiter bergan, die Steigung will und will nicht enden. Was hätten die mit mir gemacht, wenn sie mich mit der Peitsche oder so eingefangen hätten? Vielleicht haben sie auch nur ein lustiges Wettrennen machen wollen? Glaube ich aber weniger!

Jede Steigung endet einmal, und bergab werde ich ja wohl den notwendigen "Sicherheitsabstand" zusammen fahren. Und nun ärgere ich mich mächtig über mich selber, wie kann man sich in so eine Situation bringen? Das wird mir nicht noch einmal passieren, und ich meine, das sollten auch alle beherzigen, die ähnliches zu unternehmen gedenken.

Die Reststrecke bis Bicaz (20 km) wird selbstredend ohne weiteren Aufenthalt und in zügigem Tempo absolviert. Die Strasse führt sogar über die Staumauer, die den Lacul Izvorul Muntelui abschliesst. Dann geht es schnell bergab und wir erreichen den Ort Bicaz. Der liegt zwar im schönsten Sonnenlicht da, ist aber ansonsten eine Enttäuschung, nachdem man auf so etwas wie gestern (Vatra Dornei) gehofft hatte. Ein paar unansehnliche Wohnblocks, das ist schon alles. Ich frage ein paar Leute nach einem Hotel, die wollen mich zur Staumauer zurückschicken, da gebe es eins. Da müsste man ja alles wieder zurück fahren und bergauf? Nein - es gibt auch ein Motel hier, mit Restaurant und Bar und Aussichtsterrasse. Da komme ich unter und werde in ein einfaches Zimmer einquartiert, ein grosser Schäferhund bewacht das Anwesen, aber der ist friedlich und nett. Meinen Ausweis muss ich abgeben.

Auf der Freiterrasse mit schöner Aussicht kann man dann auch sein Abendessen einnehmen, leider ist die Speisekarte nur in Rumänisch. Auf der Speisekarte wähle ich das erste Gericht der Fischkategorie, das heisst "Pastau Prajata" und bin gespannt, was da kommen mag. Und es ist - wie erhofft - tatsächlich eine gebratene Forelle. Nach deren Verzehr noch ein Rundgang. Während in dieser Motel-Disco-Bar die Musik an diesem Samstagabend schon mal lauter gedreht wird, erklingen aus der nahen Kirche pastorale Gesänge und vom angeschlossenen Friedhof kommt einer mit geschulterter Schaufel, der ist guter Dinge und wohl zufrieden mit seinem Tagewerk. Auf einer Bank schläft einer, der hat wohl ein wirksames Schlafmittel intus. Das wär's dann für heute!

18 Sonntag, 5.6., Niklasmarkt (Gheorgheni), 58 km

Dieses Motel ist ein 24 h Betrieb, das nennt man "Non Stop" hierzulande. Trotzdem habe ich gut geschlafen und von irgendwelchem Rämmidämmi nichts gehört. So versuche ich am Sonntagmorgen gegen 7.00 Uhr ein Frühstück zu bekommen. Die zuständige Dame händigt mir zwar meinen Ausweis wieder aus, um den ich schon gebangt hatte, setzt sich aber dann lieber wieder rauchend zu ihren Kumpels. Also mache ich mich aus dem Staube.

Es stehen heute drei Attraktionen auf dem Programm. Zunächst aber ein riesiges Betonwerk: Carpat Beton, offenbar liiert mit Heidelberg Zement - wie auch immer. Hoffentlich bauen die nicht auch noch die berühmte Bicaz-Klamm auseinander, die uns nun erwartet.

Zuvor kommen tatsächlich zwei Radtourer aus Deutschland mit Mountainbikes des Weges. Die sind das sechste Mal in Rumänien, da kann man denen nichts erzählen. Sie wollen zu den Moldawischen Klöstern, die mein Programm leider nicht enthält. Nun geht es durch besagte Klamm, wo die Felsen eng aneinander rücken und sich steil aufragende Wände beiderseits der Strasse auftürmen. Ob man da hochklettern kann - Freeclimbing und so? Leider ist kein derartiger Wagehals auszumachen. Stattdessen jede Menge Buden mitten in der Schlucht. Die bieten von Souvernirs, Töpefereiartikeln, Häkeldecken bis zu Korbmöbeln allerlei an. Das ist weniger romantisch.

Am Ende der Klamm führen einige enge Serpentinen aus der Schlucht hinaus, bis man den Roten See (Lacu Rosu) erreicht. Das ist ein Touristenzentrum mit allem, was dazu gehört. Die Besonderheit dieses Sees besteht darin, dass dort einige Baumreste aus dem Wasserspiegel ragen. Es hat im Jahre 1838 ein Erdrutsch stattgefunden und der dabei vernichtete Wald zeigt sich heute eben auf diese Weise, das Holz soll inzwischen versteinert sein

Damit befinden wir uns am Anstieg zu dem Pangarati Pass, 1256 m. Wie so oft bei Anstiegen schaut man sich da mal die Blumen an, und neben dem gefleckten Knabenkraut entdeckt man auch eine wildwachsende blaue Akelei.

So ist der Anstieg nicht so langweilig, die Passhöhe bietet nichts besonderes. Vorbei an Familien und Gesellschaften, die sich in der schönen Natur gelagert haben und Picknick- oder Grillaktivitäten entwickeln sind wir schnell in Gheorgheni oder Niklasmarkt. Und hier ist mal wieder ein Hotel nach Wunsch, direkt am zentralen Platz Pta Libertati, das heisst Hotel Rubin.


Niklasmarkt

Und diesen Nachmittag kann ich "abhängen", bin ich nun wirklich in Siebenbürgen angelangt? Ich hänge also eine Weile im Park herum, fotografiere Menschen aus der Hüfte, und mehr ist dann für heut nicht zu tun. Mit gegrillter Leber - lecker - wird der Fahrradtank aufgefüllt, und im Fernsehen gibt es Boxen.

Ein Anruf zu Hause: da verpasse man nichts, es sei kalt und regne andauernd. Hier geht aber auch gerade ein Gewitterguss nieder, aber bisher kann ich mich ja nicht beklagen.


Zimmerausblick mit Regen


Kapitel 6: Schässburg
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