Nach 18 Uhr sind wir schließlich in Lindau, wo wir in einem mittelmäßigen Hotel absteigen. Am Bodensee ist eben schon mehr Tourismus, da wird es eng und teuer. Unser Rundgang wird dann noch ganz nett, obwohl es windig und ungemütlich geworden ist. Nichts mit Biergarten heute, wir finden uns im Rössle ein. Wir bestellen Hering und Bodenseefelchen, haben damit der Insellage von Lindau Tribut gezollt.
Es war nicht ganz unser Tag heute: Dafür haben wir einen Abschnitt der Reise abgeschlossen und können unbeschwert ein neues Ziel ins Auge nehmen. "Der Leistungsdruck ist weg" sagt Heidi und meint damit wohl die Berge.
Mittwoch, Lindau - Konstanz, 82 km, Um den See rum
Wir haben nun noch drei Tage Zeit, in denen wir die vollständige Umrundung des Bodensees natürlich nicht schaffen werden. Als erste Teiletappe bietet sich von Lindau aus die Schweizer Seite an, die für uns ja auch Neuland ist. Obwohl es in der Nacht noch tüchtig geregnet hat, starten wir in einen frischen und sonnigen Morgen.
Lindau |
Wir folgen einem Schild: Innenstadt, weil wir uns Bregenz angucken wollen. Es ist damit aber der Ort Lochau gemeint, den wir uns nicht angucken wollen. Also wieder zurück zur Straße am See, bis Bregenz ist es noch ein Stückchen. Man kommt dann auch direkt beim Bahnhof raus, sozusagen auf dem Bahnsteig. Der Abstecher in die Innenstadt fällt dann auch nur kurz aus, denn lieber möchten wir dem Verkehrsgewühl entfliehen und freuen uns mehr auf den Radweg am See.
Seebühne Bregenz |
Seeblick |
In der Botanik |
Der weitere Weg wird nun ein wenig unübersichtlich. Wegen der Orientierung fahre ich einmal rechts auf den Bürgersteig und ramme um ein Haar einen Mopedfahrer, der mich rechts überholen wollte. Der hat aber schon gestoppt, ich entschuldige mich, er sich auch, nur meine Ehefrau, die maßregelt mich tüchtig. "Du guckst auch immer nicht richtig" oder so was. Ich fühle mich im Recht, muß man denn damit rechnen, auf dem Bürgersteig rechts überholt zu werden?
Zur Strafe - für wen auch immer - geht es nun einen Berg rauf, das nennt sich nun Rorschacherberg. Es ist nicht heraus zu bekommen, warum man den Berg nicht seeseitig umfahren kann. Natürlich geht es danach wieder runter nach Rorschach, wo man wieder sozusagen auf dem Bahnsteig des Bahnhofs landet. Der Name dieses Ortes ist bekannt durch den Rorschach-Test. Dieser wird bei psychologischen Gutachten angewandt, indem ein wenig Tinte auf ein Blatt Papier gekleckst wird. Das wird dann zusammengefaltet und es entsteht eine sog. Klecksografie. Bei der sich darbietenden Figur muß man sich etwas möglichst unanständiges vorstellen und dem begutachtenden Psychologen beschreiben. Je unanständiger das dann ist, um so glücklicher ist dabei der Gutachter. (Der Name des Tests stammt lt. Brockhaus von dem schweizer Psychiater H. Rorschach, 1884-1922).
Rorschach hat noch eine Macke: es ist durch die Eisenbahnlinie vom Seeufer abgeschnitten. Glücklich, wer in der Nähe eines Bahnübergangs sein Quartier hat. Es folgen bekannte Orte wie Arbon, Frasnacht - nicht zu verwechseln mit dem ähnlich klingenden Synonym für Fasching - dann Romanshorn. Da gibt es einen Hafen, von wo aus man sich in alle möglichen Richtungen einschiffen kann. Das kommt für uns heute nicht in Frage, blendendes Wetter, der schöne Radweg, der blaue See, "Das ist meine Welt" läßt Heidi verlauten.
Ein Ort |
Malerisches Salatfeld |
Gegenüber sind jede Menge Feuerwehrfahrzeuge aufgefahren, sogar eine Einsatzleitung gibt es. Hätten wir nun vor gehabt, im Hotel Halm abzusteigen, das wäre nicht gegangen, das brennt gerade. (Es ist ein wenig anders, darauf kommen wir später). In der Info empfiehlt man mir dieses oder jenes Hotel. Inzwischen hat Heidi draußen auf der Übersichtstafel das Hotel Zeppelin ausgeguckt, da gebe es einen separaten Innenhof für Fahrräder. Es gibt hier vor dem Konstanzer Bahnhof auch eine sehr nützliche Einrichtung: da kann man nach Drücken diverser Tasten und Eingabe einer Kennummer kostenfrei eine telefonische Verbindung mit dem gewünschten Quartier herstellen. Das praktizieren wir nun mit dem Hotel Zeppelin, es funktioniert sogar. Zwei Übernachtungen melden wir gleich an, da kann man nämlich morgen einen Ruhetag einlegen, um eine Fahrradtour zu machen.
Der erste Eindruck von Konstanz ist überaus positiv. Eine schöne Fußgängerzone und viele alte Häuser. Zu denen gehört auch das Hotel Zeppelin, das sich durch eine üppig bemalte Fassade hervor tut. Nun war ich vor etwa 15 Jahren anläßlich einer Dienstreise ja auch schon mal in Konstanz und habe in einem Hotel genächtigt, das eine Fassadenbemalung aufwies, soweit es mir in Erinnerung ist. War das womöglich sogar hier? Ich gerate ganz aus dem Häuschen.
Hotel Graf Zeppelin |
Sei's drum, wir brechen auf um das übrige Konstanz zu erkunden. Das besteht gewohnheitsgemäß darin, die aushängenden Speisekarten für das Abendessen in Augenschein zu nehmen. Immerhin wird aber auch Heidis Wunsch entsprochen: ein Cafe am See, mit Meerblick und angenehmer Atmosphäre. Das alles bietet ein altes Fachwerkhaus am Hafen, es nennt sich Konzilgebäude, besteht seit 1388, hat seitdem verschiedenen Verwendungszwecken gedient und ist heute zu einem modernen Fest- und Tagungsgebäude umgestaltet. Da tagen wir nun bei Kaffeee und Eisportion (mit Sahne).
Hier legen auch die Schiffe der Weißen Flotte an, wie sie von Usedom bis Genfer See genannt wird. Wir ergötzen uns an den an Land eilenden Touristen, zählen die anlandenden Radfahrern oder lauschen Gesprächen am Nebentisch, wie es unsere Art ist. Als uns der Hunger plagt, machen wir uns auf zu einem noch nicht feststehenden Lokal.
Wie mit der Schnur gezogen geraten wir auf einen Platz, der heißt Obermarkt. Und da ist das Hotel Barbarossa mit bemalter Fassade. Das war es - jetzt weiß ich es wieder - da bin ich vor 15 Jahren abgestiegen. Schon sitzen wir unter einem Sonnenschirm, auch wenn es schon dunkelt. Was soll man sagen, schlecht ist es uns an diesem launigen Ort nicht gegangen. Wir haben sogar noch was raus gekriegt. Die Bedienung ist eine Studentin aus Breslau, die findet hier alles prima. Nebenan parkt ein Auto mit Mafiosis, wie wir meinen. Aber da hat wohl nur einer seine Frau aus der Boutique abgeholt.
Eines ist noch zu klären: die Brandkatastrophe beim Bahnhof. Das erledigen wir nun auch noch. Vor Ort ist noch immer einiges los, man wirft gerade das gesamte Innere der Brandstätte vom Dach aus auf die Straße. Das ist einigermaßen gruselig, was da alle herab segelt und auf die Straße kracht. Zudem glimmt es noch recht deutlich oben im Gebälk. Wir fühlen uns verantwortlich und machen einen Polizisten auf das Geglimme aufmerksam. "Das hat die Feuerwehr im Griff" werden wir abgefertigt. Ein Anwohner weiß - auf Befragen - zu berichten, daß dort oben zweifelhaftes Volk gehaust habe, die wegen einer Kündigung Rache durch Brandstiftung verübt hätten. Zweie hätte man schon, zwei weitere würden noch gesucht.
Am nächsten Morgen kann man alles in der Zeitung nachlesen. Es hat jedenfalls nicht das berühmte Hotel Halm gebrannt, sondern dort ist nur der Rauch aus den Lüftungsschächten gekrochen, wodurch der Brand überhaupt erst entdeckt wurde. Eine Million Schaden hat es dennoch gegeben, und wir haben Konstanz an diesem denkwürdigen Tag erlebt.
Donnerstag, Mainau - Überlingen - Meersburg, 30 km, Regen
Heute können wir ganz gemütlich ohne Gepäck um den See gondeln. Es bietet sich der Überlinger See an, da gibt es die Insel Mainau und auch sonst noch einiges zu sehen. Wir packen die Badesachen ein, besser hätten wir aber die Trainingsanzüge mitnehmen sollen. Um die Insel Mainau zu erreichen kann man den Hinweisschildern folgen, oder - wie wir - sich einen eigenen Weg möglichst nahe am Ufer suchen. Hinter dem Ortsteil Petershausen gerät man dann zwischen einem Thermal- und einem Freibad in einen Park, aus dem man nur durch eine Drehtür oder eine spezielle Pforte heraus kommt. Die Pforte ist wahrscheinlich für Kinderwagen gedacht, ein Fahrrad paßt nicht ohne weiteres durch. Erst wenn man verschiedene Kippwinkel ausprobiert hat, mag es einem gelingen, das Rad diagonal verkantet und schräg gekippt durch die Öffnung zu lavieren. Oder man baut das Rad auseinander...
Wir kommen jedenfalls zum Ableger der Fähre nach Meersburg und sind damit wieder in der Zivilisation. Auch auf den Parkplätzen vor dem Eingang zur Insel kann man sich nicht über Einsamkeit beklagen. Der Eintritt ist nicht ganz billig, wie zu erwarten. Mit einer Broschüre in der Hand kann man sich dann aussuchen, ob es einen mehr zu den Rosen oder Dahlien zieht, ob man das Schmetterlingshaus - das größte in Deutschland - besichtigen will, eine Schloßführung mitmachen will usw. Wir gucken ein paar Papageien zu, wandern dann an bemerkenswerten Mammutbäumen entlang. Da kann man auch Jahresringe zählen, wenn man lange Weile hat.
Insel Mainau |
2 Papageie |
Bald darauf setzen wir über nach Überlingen. Graue Regenschwaden ziehen über den See. Eine Weile stellen wir uns in Überlingen beim Verkehrsverein unter, dann schlagen wir uns - wohin wohl - zur Stadtpfarrkirche St. Nikolaus durch. Hier blendet einen weder Barock noch Rokoko, sondern es handelt sich um Gotik, da kommt man ganz durcheinander.
Ueberlingen |
"Noch ne Barockkirche, müssen wir deswegen unbedingt da rauf?"
"Aber das ist doch Birnau, eines der Wahrzeichen vom Bodensee!"
"Na gut, sonst bist Du wieder nöckelig."
"Und wenn wir da rauf fahren, bist DU nöckelig."
Kloster Birnau |
Meersburg |
Abends essen wir beim Griechen, das Restaurant liegt gleich um die Ecke, da kommt man einigermaßen trocken hin. Der Salat wird gebracht - ein wenig Dressing würde ihm gut tun, meint Heidi. Sie bedient sich einer Flasche mit rotem Inhalt, wird wohl Essig sein. Der Salat schmeckt dann wohl auch etwas sonderbar. Als dann wenig später der Kellner jene roten Flaschen, sie stehen auf allen Tischen, mit dem Feuerzeug in eine illuminierende Tischbeleuchtung verwandelt, haben wir wieder etwas zu lachen. Als Lampenöl entpuppt sich also das vermeintliche Dressing. Fragt sich nur, was für eine Durchschlags- oder Halbwertzeit es hat. (Zur Beruhigung: es ist nichts weiter passiert).
Zur Belohnung für dieses Ungemach bereitet uns die Abendsonne nach dem Regen eine eigenartige Beleuchtung: die Häuser und Kirchen um den Stefansplatz glühen auf.
Freitag, Konstanz - Singen (Hohentwiel), 53 km, Annäherung an Stein am Rhein
Das Ziel der letzten Etappe unserer Tour bedarf eines Kommentars. Wir müssen letztendlich mit der Bahn zurück nach Würzburg gelangen, das haben wir uns für den Sonnabend vorgenommen. Um Kosten zu sparen, kann man das mit dem Wochenendticket für 35.- DM erledigen. Man muß nur sorgfältig darauf achten, daß man nicht wieder in einem InterRegio Zug landet, wie wir gesehen haben. Von Singen aus gibt es eine ideale Verbindung: ein RE (Regional Express) fährt nach Stuttgart, von dort ein weiterer nach Würzburg.
Also müssen wir an diesem Tag nur von Konstanz nach Singen radeln. Für die Strecke gibt es auch wieder einige verschiedene Varianten, die ich diesmal nicht alle durch diskutiere. Wir entscheiden uns für die Schweizer Variante am Südufer des Unteren Sees. Der Untere See gehört genaugenommen nicht mehr zum Bodensee, weil ein Stück Rhein dazwischen liegt. Auf der anderen Seite liegt das NSG Wollmatinger Ried. Dort mögen die Wolpertinger her stammen, die, wenn einmal erlegt, gern als gehörnter Hasenkopf in waidbewußten Gasthöfen als Wandverzierung dienen.
Weder des NSG noch der Wolpertinger werden wir ansichtig, während wir uns - nun wieder in der Schweiz - voran arbeiten. Wir haben es nun mit einem tüchtigen Gegenwind zu tun. Gegenüber der Insel Reichenau machen wir in Ermatingen eine Rast. Die Insel Reichenau ist durch ihren Gemüseanbau bekannt, wie man nachlesen kann. Wir haben aber auch ein Feld mit Mohrrüben gefunden, aus dem Heidi mit einem ordentlichem Rübenbüschel wieder auftaucht. Das kommt einem bei so einer Rast dann zu Gute. Ein freundlicher Schweizer Kanalarbeiter schickt sich an, einen Wasserschacht neben unserer Rastbank auszuspülen, und empfiehlt uns eine nahe gelegene andere Bank, damit wir nicht naß werden.
Ermatingen |
Ortsdurchfahrt Berlingen |
Blick über den Unteren See |
Annäherung an Stein am Rhein |
Rheinbrücke |
Altstadt |
Da wir nun mehr in Richtung Norden fahren, ist uns der Wind freundlicher gesinnt. Dunkle Wolken ziehen auf. In dem Ort Ramsen ist eine Tankstelle, die wir bei einsetzendem Regen gerade so erreichen. Eine Radlerin spricht uns in Original Schwyzerdütsch an, wir verstehen kein Wort. Darauf wechselt sie auf "normales" Deutsch, das klingt für unsere Ohren schon besser. Sie und ihr Partner wollen den kürzesten Weg nach Schaffhausen wissen, sie hätten ihre Gruppe verloren. Das seien so 30 Leute, aber die haben wir auch nicht gesehen. Als der Regen nachläßt, fragt sie noch, ob wir als "versierte Velofahrer" beurteilen könnten, ob man nun losfahren solle. Wir stimmen zu und fahren selber weiter.
Es ist nicht mehr weit bis zur Grenze und dann nach Singen. Am Bahnhof wird gleich das Wochenendticket und die Fahrradkarten für morgen besorgt. Dann schieben wir durch das Gewühl des gerade stattfindenden City-Festes hindurch. Im Verkehrsamt bekommen wir auch gleich ein Quartier zugewiesen: Singener Weinstube heißt es.
Nachdem alles versorgt ist, führt uns der Rundgang hinunter zu einem Flüßchen namens Aach. Als wir von der Brücke so in das Wasser schauen, geht mir plötzlich ein Licht auf. "Weißt du, was das hier für Wasser ist?" frage ich Heidi. "Das ist Wasser von der Donau!" kann ich sie belehren. Ganz in der Nähe liegt nämlich die berühmte Aachquelle, die größte Karstquelle Europas, wo ein Teil des Wassers aus der Donauversickerung zu Tage kommt. Mit jener Donauversickerung haben wir auf unserer Radtour vor zwei Jahren ja ein mittleres Fiasko erlebt. Aber das ist heute schon Geschichte.
Die größte Berühmtheit von Singen ist der Hohentwiel. Das ist der schroffe Rest eines Vulkankegels, der gleich neben der Stadt aufragt. Obendrauf hat man seit Urzeiten eine Festung nach der anderen errichtet, die jeweils als uneinnehmbar galten. Wie man sich denken kann, bringen wir die Energie nicht mehr auf, dort hinauf zu wandeln, sondern wir wenden uns dem City-Fest zu. Später halten wir uns an das Chinarestaurant Fung Wong, wo es mal wieder prächtig schmeckt. Damit ist die Radtour beendet, nach 10 Tagen unterwegs sind wir diesmal auch ganz froh. Die Eindrücke waren gerade auf dieser Strecke so vielfältig, daß man manches nur noch anhand der Aufzeichnungen auf Reihe bekommt.
Zurück in Würzburg |
In Würzburg steht unser Auto wohlbehalten unter einem grünen Baum. Wir bedanken uns bei der Chefin des Hotels für den Sonderservice, es kostet nicht mal was. Obwohl oder weil man nach der Autofahrt zurück nach Braunschweig nicht gerade taufrisch ist, versacken wir an diesem Abend beim Waschefest, das ausgerechnet heute in unserem Dorf stattfindet.