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Kapitel 1 Würzburg - Rothenburg
Kapitel 3 Bodensee

Es bestehen einige Zweifel, wie die weitere Tour verlaufen soll. Man kann hier nämlich elegant auf den Altmühlradweg wechseln, das bedeutet eine weitere gemütliche Talfahrt. Ich kann es durchsetzen, daß wir der Romantischen Straße treu bleiben. Die wird nun aber tüchtig bergig. Gehorsam folgen wir der Beschilderung und schieben bergan. Da hält ein entgegenkommender Treckerfahrer und informiert uns darüber, was uns erwartet. "Hier kommen drei Berge, fahren sie da unten rum, da kommt nur ein Berg".

Wir diskutieren. Wie der Esel zwischen den zwei Heuhaufen, der schließlich verhungern muß, weil er sich nicht entscheiden kann. Wir schieben schließlich weiter bergan, eigentlich wollen wir die Romantischen Straße erleben, und nicht irgendwelche Bundes- und Umgehungsstraßen. Im Nachhinein ist es dann doch ein Fehler gewesen, denn die drei Berge kommen wirklich. Nach dem schweißtreibenden Auf und Ab erreicht man das Krähennest Schillingsfürst hoch droben auf dem Berg. Zwischendurch rasten wir auf Baumstämmen, wo man die Einschlupflöcher des Borkenkäfers studieren kann. Das hilft auch nicht aus der Mißstimmung heraus, eben so wenig die Tatsache, daß sich in besagtem Krähennest der Bayrische Jagdfalkenhof und das Schloß der Fürsten von Hohenlohe befinden soll.

Schlauer, wie wir nun sind, folgen wir der Straßenbeschilderung bis Wörnitz und begeben uns dort auf die Bundesstraße B25, immerhin die Original – Romantische Straße. Darüber informieren die braunen Hinweisschilder, auf denen man nicht versäumt hat, die Route auch in japanischen Schriftzeichen als solche zu kennzeichnen. Nun verpassen wir natürlich Orte mit geheimnisvollen Namen wie Wittum, Ratzendorf oder Zischenhausen. Auch das Fahrradmuseum in Zumhaus liegt weitab von der Strecke.

"Na siehste" sagt Heidi angesichts der Tatsache, wie gut wir nun voran kommen. Tüchtige Straßenbauer haben sich natürlich bemüht, bei der Trassierung dieser Bundesstraße unbequeme Geländeunebenheiten weitgehend weg zu bügeln.

So rollen wir schließlich auf Feuchtwangen zu, unserem heutigen Ziel. Zu guter letzt biegen wir wieder reumütig auf den Radweg ein, feuchte Wiesen und Feuchtwangen, für heute ist es geschafft. "Ich kann auch nicht mehr" sagt Heidi. Das Verkehrsbüro am Marktplatz hat leider schon geschlossen. In dem Buchladen nebenan hat man aber auch ein Quartierverzeichnis und schickt uns auf den Weg zum Gasthof Ballheimer mit angeschlossenem Biergarten. Damit sind wir wieder einmal gut untergekommen. Wie jeder Radfahrer weiß, hebt sich dann die Stimmung schlagartig.


Marktplatz in Feuchtwangen
Bald verfügen wir wieder über genügend Kräfte, eine Stadtbesichtigung vorzunehmen. Ein niedliches Städtchen, da läßt sich trefflich bummeln. Um etwas zum Lesen dabei zu haben, erstehen wir in besagtem Buchladen einen Konsalik: Transsibirien Express. Das paßt doch in die Gegend! ("Der größte Schund", lautet Heidis späteres Urteil).

Da in Bayern immer alle Kirchen geöffnet sind, haben wir auch in Feuchtwangen die Gelegenheit genutzt, und meinetwegen der Stifts- und Johanniskirche einen Besuch abgestattet. Das ausliegende Informationsblatt beginnt sehr salbungsvoll, dafür weniger informativ, darf man zitieren?:

Lieber Besucher!
Ihr Weg hat Sie in die Stiftskirche geführt.
Sie haben sich ein wenig umgesehen und haben nun dieses Blatt in die Hand genommen.
Sie sind neugierig geworden, wollen mehr wissen, wollen vielleicht auch sicher sein, daß Ihnen nichts Wichtiges entgangen ist.
Dazu kann Ihnen dieses Blatt eine Hilfe sein.
Gleichzeitig will es aber auch mehr: es will Ihnen ein Gebäude vorstellen, das durch die Jahrhunderte gewachsen ist, ...

Um weiteres zu erfahren und zu sehen, sollte man selbst dieser Stadt einen Besuch abstatten.

Nun plagt uns der Hunger und wir finden uns in dem unserer Pension angeschlossenen Biergarten ein. Heute sitzen wir unter mehreren Bäumen: einer Linde, einer Esche, einer Zwetschge und - nach Befragen - einer Hainbuche. Und es schmeckt mal wieder, Leber auf Spätzle oder so.

Da der Abend so lind und lau ist, sitzen wir ein wenig länger. Nebenan poltert ein Anwohner mit einer motorisierten Kehrmaschine herum. Da gibt es was zu lachen. Aber als wir uns schon längst der Ruhe hingeben wollen, sind die Gäste an diesem linden und lauen Abend noch lange nicht aus dem Biergarten zu vertreiben. Bis lange nach Mitternacht dürfen wir den klugschwätzerischen Reden lautstarker Alleswisser lauschen.

"Das müssen sie uns aber im Preis nachlassen" meint Heidi. Davon kann ich sie gerade noch abhalten.

Sonnabend, Feuchtwangen - Harburg, 72 km, Die Halbwertzeit von Dinkelsbühl

Wir bleiben unserem Tick, auf der Bundesstraße zu fahren, erst einmal treu, so sind wir heute morgen im Nu in Schopfloch, verpassen aber einen Ort, der z.B. Heiligenkreuz heißt. Aber nun kann Entwarnung gegeben werden, was die Berge angeht, denn man erreicht das Tal der Wörnitz. Da geht es wieder gemütlich zu, durch die Talauen erreicht man Dinkelsbühl.


Dinkelsbühl
Was soll man nun wieder sagen? Stadtmauern, Tore, Türme, Fachwerkhäuser, prächtige Straßen – ein geschlossenes Ortsbild seit dem Mittelalter erhalten. Nicht so verwinkelt wie Rothenburg, eher großzüger, weiträumiger und einfach überwältigend, weil man nicht so darauf vorbereitet ist. Wieder das Informationsblatt vom Verkehrsamt, damit man weiß, wo man war. Aber Dinkelsbühl vergißt man nicht.

Kloster Maihingen



Aus mehreren Gründen. Den einen muß man vorsichtig angehen. Einer von uns hat es mit der Verdauung zu tun. Dafür gibt es Apotheken und das Mittel Dulcolax, Durchschlagzeit 5 Stunden. Das wird in Dinkelsbühl zum Einsatz gebracht. Danach verlassen wir diese schöne Stadt durch das Nördlinger Tor, also in der richtigen Richtung. Als die begleitende, die Berge ebnende Wörnitz nach links abschwenkt, wählen wir wieder den Kompromiß auf der B25. Rechtzeitig nehmen wir aber die Herausforderung wieder an, nämlich in Minderoffingen. Und das hat sich gelohnt, landen wir doch wenig später im Kloster Maihingen, völlig unvorbereitet, weil im Tourenführer nichts davon zu lesen ist. Also betrachten wir dieses Kloster als Eroberung und wälzen uns geradezu im Barock der Klosterkirche. Stuck, Gold, Deckengemälde - es blendet irgendwie alles.

Weiter geht es nach Wallerstein, das wir sicher wieder nicht richtig zu würdigen verstehen. Liegt das Augenmerk auch bereits auf dem Nördlinger Ries, einem Krater, der von einem Meteoreinschlag vor der Kleinigkeit von 15 Millionen Jahren herrühren soll. Die im Süden erkennbaren Berge lassen sich gut ausmachen, auf unserer Strecke bemerken wir den Anfang des Nördlinger Ries nicht.

Auch Nördlingen mit seiner kreisrund angelegten Struktur müssen wir für heute stiefmütterlich abhandeln, denn die Halbwertzeit von Dinkelsbühl beginnt abzulaufen. "Bloß ab in die Botanik" klagt der Betroffene von uns beiden.

Nun muß man sagen, daß es hier eine schöne Botanik gibt, vor allem viele Maisfelder. Kleefelder sind weniger vorteilhaft, da sollte man zumindest die weithin sichtbare weiße Mütze ablegen, wie der Nicht-Betroffene vorschlägt. So macht es einigen Spaß, hier am Rande des Ries dahin zu rollen, rechts grüßt die Kirche von Mönchsdeggingen.

Nun gibt es wieder eine kleine Geschichte am Rande. Auf der Straße zieht sich die ganze Zeit schon im Zickzack ein weißer Strich dahin. Es sieht so aus, als habe ein Markierungsfahrzeug einen Mittelstrich ziehen sollen, aufgrund übermäßigen Wirtshausbesuches des Fahrers vielleicht aber nicht die richtige Linie gefunden. So mutmaßt man jedenfalls. Einmal erblicke ich einen Mann im Rollstuhl, der in aller Ruhe die Landschaft betrachtet. Nachdem wir schon vorbei sind, fällt mir ein, den könnte man ja mal fragen. Schnell zurück, sichtlich erfreut über das Interesse fängt der alte Mann zu erzählen an.


Zwischen Kleinorsheim und Großorsheim
Ja, das rühre von einer Hochzeit her. Da hätte die Braut aber schon vorher einen Kavalier gehabt – "Sie verstehen". Da habe man sich den Schabernack erlaubt, nachts um drei den Weg zwischen Herkunftsort von abgewiesenem Kavalier und glücklichem Bräutigam in dieser Weise zu markieren. "Ein alter Brauch" sagt er noch, dann fahre ich strahlend Heidi nach, um zu berichten, was ich wieder alles raus gekriegt habe. Nun steht mit Kalk gemalt noch auf der Straße: "Pech gehabt". Da wohnt wohl der Kavalier. Wenig weiter: "Herzlichen Glückwunsch". Da wohnt wohl die Braut.

Damit haben wir die beiden Orte Kleinsorheim und Großsorheim hinter uns gelassen. Die Wörnitz hat uns den Gefallen getan, an dieser Stelle den das Ries umgebenden Kraterrand zu durchnagen. Ein paar Millionen Jahre hatte sie ja Zeit dazu. Heidi wählt die bequemere Strecke auf der Straße, ich hole mir die Erlaubnis ein, auf dem begleitenden Radweg den beschwerlicheren Teil über ein paar Hügel zu wählen. Und das lohnt sich. Liegt doch unvermittelt eine Märchenburg vor einem. "Müssen wir da rauf?" fragt Heidi bange. Natürlich nicht, ein Foto und dann ab nach Harburg, wo wir heute den Tag beenden wollen.


Die Märchenburg von Harburg
Eine Tankstelle bietet sich als Informationsquelle für eine Quartierempfehlung an. "Cafe Käferlein" lautet die Devise. Da sind wir alsbald, bekommen unser Zimmer – ist das wieder schön! Der Ort Harburg ist zwischen die Wörnitz und die darüber thronende Burg an den Berg geklebt. Die alte Brücke, die wurde im 2. Weltkrieg wohl aus strategischen Gründen gesprengt und danach von den Einwohnern im Originalzustand wieder aufgebaut. Das ist einer Schautafel zu entnehmen. Da hat man freiwillig und unentgeltlich "Spann- und Rückdienste" und dgl. geleistet. Ein Pegel zeugt von Hochwassern, da steht der Ort brusthoch unter Wasser. Achtzehnhundert – nochwas ist die höchste Pegelmarkierung, die zweithöchste war erst vor einigen Jahren.


Die alte Brücke in Harburg
Als wir uns auf die Treppe zum kleinen Kirchlein begeben, kommt unsere Wirtin vom Cafe Käferlein heran und empfiehlt uns den Aufstieg zur Burg (15 min), da könnte man herrlich sitzen, trinken und essen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, bei Heidi genügt zweimal sagen, und wir machen uns auf den beschwerlichen Weg. Geht es doch ganz schön luftig hoch, bald liegt das Tal der Wörnitz zwischen den Zehenspitzen, wenn man an der Kante hinunter schaut. An der Burgmauer findet sich eine kleine Pforte, dann hat man schon die Burg erobert. Da gibt es dann eine Vogtei, einen Diebesturm, Marstall, Kastenhaus usw. Hauptziel aber ist natürlich das Hotel Restaurant Fürstliche Burgschenke. Da lassen wir uns nieder, diesmal unter Rotdorn. Und so schnell stehen wir nicht wieder auf, das kann schon mal gesagt sein. Das ist ja eine Kulisse, mitten in so einem Burghof. Da gibt es einen Brunnen, der ist – auf Befragen – 157 Meter tief. Nur Wasser sei nicht mehr drin, teilt die Bedienung mit, seitdem man den Straßentunnel unter der Burg hindurch gebaut habe. Früher sei der ganze Verkehr durch den Ort unterhalb der Burg durch gegangen. Nun geht er unter der Burg durch.

Ausnahmsweise zitiere ich unsere Zeche, denn die hört sich nun doch sehr romantisch an:

3 Landsknechtbier
1 Weizen Dunkel
1 Jägerbraten
2 Salat v. Buffet
1 Lachsforellenfilet

Das ist doch wohl knapp über DM 50.- wert, Trinkgeld ist da auch noch drin. Am Nebentisch sitzt ein französisches Ehepaar, die fragen uns nach dem tieferen Sinn von Maultaschen und Spätzle. Auf Englisch können wir so halbwegs diese schwäbischen Spezialitäten umschreiben, mit noodles und so. Ein paar Japaner wuseln auch noch herum und fotografieren sich gegenseitig.

Glücklich wandern wir schließlich den steilen Weg zum Cafe Käferlein wieder hinab. Der Abend hat aber noch viel zu bieten. Gegenüber im Wirtshaus Zum Straußen findet ein Fest statt. Von unserem Zimmer aus kann man das gut einsehen. Was macht man in so einem Fall: Kopfkissen (um die Ellenbogen zu schonen) aufs Fensterbrett und gucken. Vor dem Wirtshaus befindet sich ein moderner Brunnen in Bronze, eine Bank ist auch da. Als die ersten Leute bemerken, daß wir da von oben gucken, ziehen wir die Ecken der Kopfkissen erst mal soweit ein, daß man sie von der Straße aus nicht mehr sehen kann. Heidi ist nun auch bald rechtschaffen müde, so gucke ich den Rest des Abends alleine aus dem Fenster.

Da könnte ich noch ein paar Seiten darüber berichten, die Romantik dieser danach benannten Straße überfällt einen heute Abend konzentriert. Da ist erst mal ein schwarzer Typ, der interessiert den Brunnen umkreist und jede der Bronzefiguren genauestens inspiziert. Da wackelt eine ältere Anwohnerin auf ihn zu: "Bischt Du's, der Rotzbub, jo meih!" Ein verlorener Sohn vielleicht?

Aus dem Wirtshaus klingt es nun:

Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein,
und das heißt: ERIKA!!

Und dann, sogar auf deutsch:

Zum Geburtstag viel Glück,
Zum Geburtstag, liebe ERIKA,
Zum Geburtstag viel Glück.

Auf der Straße schreit eine aufgeregte Frau wiederholt: Silkäh - Pause - Silkäh!! Die sucht wohl Silke. Die Kirchturmuhr schlägt 10 Uhr (22 Uhr an). Das geht hier so: vier Schläge für die volle Stunde, dann 10 Schläge volltönend, dann noch mal 10 Schläge in einer anderen Tonart, auch volltönend.

Die Kapelle im Wirtshaus intoniert nun mit neuem Schwung:

Es gibt kein Bier auf Hawai...
Marina, Marina, Marina...
Oh when the Saints go marchin in...
Hey Postman give me answer, is there Memphis Tennessie...

Dann werden die Fenster des Wirtshauses geschlossen und der Blick auf ERIKAS Geburtstagstisch mit den Gartenzwergen verstellt. Da gehe ich auch ins Bett.

Sonntag, Harburg - Friedberg, 73 km, Kirchentag

Das erste Stück heute morgen kürzen wir wieder ab, um eine unnötige Steigung zu vermeiden. Als wir wieder auf den Radweg einbiegen, ruft uns ein Mann mit Hund zu "Hier geht’s lang" und meint die Bundesstraße. Wir lassen uns aber nicht beirren und bestaunen wenig später eine kleine Kapelle hoch auf dem Berg in Wörnitzstein. Durch die Talauen im Morgentau erreichen wir Donauwörth. Diese Stadt kennen wir schon von unserer Donau-Radtour vor zwei Jahren. An der Mündung der Wörnitz in die Donau machen wir Rast.


Wörnitzstein

Zusammenfluß von Wörnitz und Donau

Kloster Holzen
Es folgt eine Strecke, die landschaftlich weniger interessant ist. Damit einem das nicht langweilig wird, wird man hinter Druisheim wieder einen Berg hoch geschickt. Dafür gelangt man wenig später zum Kloster Holzen. Zwei echte Nonnen kommen uns sogar entgegen. "Grüß Gott!" sagt man da am besten. "Werdens ausrichten" kommt leider nicht als Antwort, sondern auch "Grüß Gott!". Wir versuchen unser Bestes und betreten die imposante Klosterkirche.

Erst auf den zweiten Blick offenbart sich etwas Gruseliges. In den Seitenaltären sind Figuren aufgebart, die man anfangs für Skulpturen hält. Bei genauerem Hinsehen, zeigt sich eher, daß es sich um echte Leichname zu handeln scheint. Über die skelettierten Schädel ist jeweils eine strumpfähnliche Gaze gezogen. Dem Informationsblatt zufolge handelt es sich um die sterblichen Überreste des hl. Märtyrers Nikolinus, der hl. Aurelia, oder der hl. Theodora. Den einen Altar schmückt eine Knochensammlung, alles Reliquien, ein Herz ist auch dabei.


Stuckgewölbe

Eine Mumie
Ein Gästebuch liegt auch aus. Da hat so mancher seine geheimen Wünsche den div. hl. Vierzehn Nothelfern oder sonst wem offenbart.

...Hilf mir, daß ich die Statik-Vorprüfung bestehe.
Und mach, daß ich mit H.C.W. zusammen komme und er Anette vergißt...

Wir verlassen die Kirche etwas kopfschüttelnd. Aus der nahen Klosterschenke klingt es ganz profan von einer zünftigen Kartenklopperei nebst dem durch reichlichen Biergenuß verursachtem Gebrüll. Der Betroffene von uns hat immer noch mit der Halbwertzeit von Dinkelsbühl zu tun, das läßt sich hinter Büschen erledigen nach dem Motto, ...das Herrgöttle hat geholfen...


Bei Markt
Nun folgt wieder eine wunderschöne Strecke durch die Flußauen der Schmutter, einem eher unbekannteren Flüßchen. In dem Ort Markt grüßt eine Burgruine auf einem Berg.

Dann gelangt man nach Biberbach, wo mit der Pfarr- und Wallfahrtskirche Hl. Kreuz wieder eine prächtige Barockkirche aufgebaut ist. Vor der Kirche befindet sich eine Kreuzigungsgruppe, wo man beim Betrachten versucht ist, Haltungsnoten zu verteilen. (vgl. der Turner am Kreuz, G. Grass). Außerdem gibt es hier noch eine Lourdes-Kapelle. Wenn ich den Namen Lourdes höre, reicht es mir sowieso schon. (Das sind alles persönliche Meinungen !).


Kreuzigungsgruppe vor der Pfarrkirche in Biberbach


Friedhofsautomat
Bald nun quert man hinüber zum Lauf des Lech, der hier schnurgeradeaus dahin zieht. Eigentlich sind es zwei Leche, ein Kanal voller Wasser und ein weiß schimmerndes Schotterbett, dem natürlichen Flußbett. Zwischen diesen beiden Flußläufen befindet sich ein Damm, auf dem man nun dahin radelt. Dicht verfilzt ist der Auwald durch die üppigen Kletter- und Schlingpflanzen. Gut bekannt ist uns die Ackerwinde, die wir im eigenen Garten allerdings nicht so gern haben. Da wo sie hin gehört, ist sie schön anzusehen, besonders wenn sie blüht.


Kanalisierter Lech


Naturflußbett


Spannungsreicher Kontrast
An einem großen Umspannwerk wird einem wieder der spannungsgeladene Kontrast zwischen Natur und Technik demonstriert. Kurz vor Augsburg in den Parkanlagen bekomme ich mal wieder einen Platten, den ersten seit zwei Jahren auf einer Radtour. Zwei Reserveschläuche sind immer im Gepäck, nach 15 Minuten rollt es wieder. Natürlich müssen wir nun einen Abstecher in die Stadt Augsburg machen. Da muß es sowas wie untere- und obere Stadt geben, wir geraten an die Rückseite des Rathauses in der unteren Sadt, die Vorderseite scheint in der oberen Stadt zu liegen, denn da muß man eine Treppe hinauf. Die kann aber umfahren werden und wir landen – wie es sich gehört – auf der prachtvollen Maximilianstraße.


Maximiliansstraße in Augsburg


St. Ulrich und Afra
Gleich gegenüber liegt der Palast der Fugger, erkennbar an dem großen aufgemalten Wappen, wenig weiter befindet sich das Schaezler Palais. Am Ende der Straße liegen St. Ulrich und Afra. Bemerkenswert, daß der amtierende Papst in dieser Kirche eine Messe abgehalten hat, da gibt es eine vollständige Bildsammlung darüber. Ansonsten überrascht einen die Schlichtheit dieser Basilika-Kirche, nachdem man bisher von einer Barockkirche in die nächste gestolpert ist. Welche Verdienste sich die hier beigesetzten Hl. Ulrich und Hl. Afra erworben haben, erschließt sich leider nicht.


Rathaus in Friedberg
Damit ist unser Aufnahmevermögen erschöpft. An einem Kanal entlang fahren wir Richtung Friedberg, dem eine ganze Spalte in unserer Tourbroschüre gewidmet ist. Ein idealer Ort für die Übernachtung? Von der Lage schon, denn danach kommt eine lange Durststrecke den Lech entlang. Also wieder mal einen Berg rauf und rein in das mittelalterliche Ensemble. Das ist leider auf den ersten Blick nicht auszumachen. Wir fragen zwei Frauen nach einer Unterkunftsmöglichkeit. "Oh das ist net so guat hier in Friedberg" meinen sie, empfehlen uns aber den Gasthof zur Linde, wo dann auch alles nach Wunsch klappt.

Der Rundgang bietet wider Erwarten nicht so viel. Nur mühsam findet man Reste der Stadtmauer wieder, das meiste ist modern überbaut. Ein Stückchen vom hölzernen Wehrgang besteht noch auf ein paar Metern Länge. Zwei Wassertürme gibt es noch, die Kirche ist uns zu modern. Irgendwie klappt das heute nicht mit der Stimmung. Auch müssen wir immer wieder auf die Uhr schauen, weil die Zeit bis 17.30 so langsam vergeht. Dann öffnet nämlich das China-Restaurant Big Panda.

Den Abend verbringen wir anschließend wieder im Biergarten unter Linden. Dieser Biergarten liegt so verkehrsgünstig, daß man der vorbei wummernden Technomusik genauso lauschen kann wie den aufheulend beschleunigenden Motorrad-Assen. Gegen Abend wird es dann ruhiger, so daß wir erstaunlich gut schlafen.

Montag, Friedberg - Schongau, 85 km, Alpenausblick


Morgennebel
Beim Frühstück müssen wir sozusagen die Füße hochnehmen, weil der Gastraum noch gewischt wird. Es ist 6.30.

Wenn man früh am Morgen schon auf einen Ausblick auf die Alpen hofft, so wird man durch den Morgennebel in den Wiesen daran gehindert. Sind wir doch heute schon kurz nach 7 Uhr unterwegs. Schon wieder eine Kapelle mit dem Namen St. Afra, dann erreichen wir den Kuhsee südlich von Augsburg. Neben einem große Wehr ist die olympische Wildwasserstrecke, der Eisseekanal.

Danach geht es lange lange durch den Wald, von Staustufe 23 bis Staustufe 18. Einmal kann man 2 Wiesen studieren, die eine als Nutzwiese gedüngt und grün, die andere sich selbst überlassen mit Magerrasen und Artenvielfalt. Deren Farbe ist eher gelb.


Zwei Wiesen
Dann geht es auch schon mal aus dem Wald heraus und hübsch durch Maisfelder. In Pittriching gelingt es uns nach Befragen, einen Schlachter und einen Getränkemarkt zu finden. Danach findet eine ausgiebige Rast an einem munter plätschernden Brunnen statt. Weiter im Zickzack durch die Felder. Nach Staustufe 19 eine sportliche Einlage: da hat man den Radweg durch die Wallanlagen der Burgruine Haltenberg geführt. Man muß die Räder tragen, um hier durch zu kommen.


Durchblick
Man hat nun ein fast senkrecht abfallendes Steilufer zur Rechten. Eine Schautafel informiert einen über die Kleine und Große Schanze, das sind vorgeschichtliche Befestigungsanlagen. So erreichen wir den Ort Kaufering, wo vor dem Gemeindehaus eine Rast eingelegt wird. Oben lockt die Pfarrkirche St. Johann Bapt., wo ich auch noch schnell mal hinein schaue. Heidi läßt es diesmal ruhiger angehen. Ich dagegen kann vermelden: "Noch ne Barockkirche". Aber – und das ist das beste, von dort oben kann man die ersten blassen Konturen der Alpen erkennen.


Pfarrkirche in Kaufering
Als wir Kaufering verlassen, geraten wir vor die Wallfahrtskapelle St. Leonhard, die gibt es hier außerdem. Um die Kirche herum ist eine doppelte Kette gespannt, was das nun wieder bedeuten soll? Auf den ausliegenden Wunschzetteln steht z.B.:

...ich bitte Dich, daß es mit Herbert und mit mir wieder so wird wie früher...

Vor der Kapelle kurvt ein gelb bedreßter Rennfahrer herum, der hat sich wohl verfahren, die Kapelle interessiert ihn gar nicht. Er kehrt um, biegt auf die ansteigende Straße ein und – uns stockt der Atem, steigt ab und schiebt. Das machen wir dann genau so, aber wir sind ja auch nicht gelb bedreßt.


Wallfahrtskapelle St. Leonhard
Nächste Station ist Landsberg, vorher können wir noch einem Flugzeug der Bundeswehr bei der Landung zuschauen. Die üben heute Schönwetterfliegen, falls mal Kampfhandlungen bei schönem Wetter anstehen.


Oberhalb von Landsberg
Oberhalb von Landsberg ist eine Befestigungsanlage, dann geht es steil hinunter., schließlich durch ein Tor hinein in die Ortsmitte. Wir blinzeln ein wenig herum und biegen dann vor der Lechbrücke wieder ab ins Grüne. Man hat hier versucht, der Natur so wenig wie möglich ins Handwerk zu pfuschen. Das sind natürlich nur Alibi-Aktionen, wenn man bedenkt, was man insgesamt für Eingriffe am Flußlauf des Lech (und nicht nur diesem) vorgenommen hat.


Landsberg
Da liegt ein tonnenschwerer Felsblock am Wegesrand. Eine Schautafel erklärt: es handelt sich um einen Nagelfluhfelsen, der ist 1968 aus dem Hang heraus gebrochen. Es handelt sich um ein Konglomeratgestein aus Kalk und Kieseln, einem Naturbeton, wenn man so will. Interessant!

Bei Staustufe 15 treffen wir auf ein Ehepaar, die können uns einen wertvollen Tip geben. Statt die nächste Steigung des Radweges zu nehmen, sollten wir auf dem als R6 gekennzeichneten Weg bleiben. Das machen wir auch so, rasten noch einmal an einem schattigen Waldrand. Danach geht es sehr steinig zu auf grobem Schotter holpert man dahin. Bei der ersten Gelegenheit flüchten wir auf die Landstraße. Abgesehen von der brennenden Sonne ist es hier auch viel schöner als im Wald. Die Alpen liegen nun schon näher vor einem. Grüne Matten und Dörfer mit schmucken Kirchen, so stellt man sich das Allgäu vor, wo wir uns ja auch gerade befinden.


Allgäu
Auf einer Bank sagt Heidi "Hier könnte ich ewig sitzen". Bei der nächsten Steigung aber: "Das ist hier nicht meine Welt". Ich verstumme und bin sauer. Stellt sich mal ein Hochgefühl ein – schon kriegt man eins über gebraten. Nun geht es auch noch ganz steil hinunter zur Lechbrücke, damit man anschließend alles wieder hoch schieben kann. Es folgt dann doch noch ein wunderschönes Stück Weg von Hohefurch nach Altenstadt an einem Bach entlang. Ein altes Mühlrad bietet einen romantischen Anblick.


Ein altes Mühlrad
Unser Ziel ist Schongau, das wir nach diesem heißen Tag dann auch bald erreichen. Das Verkehrsbüro verkuppelt uns an den Gasthof Sonne. Was wir in Friedberg am Abend zuvor vergeblich gesucht haben, finden wir hier: Stadtmauer satt, ein fast geschlossener Wehrgang, Tore und Türme, historische Gebäude. Ein Rundgang ist in der Stadtbroschüre vorgezeichnet, die Orientierung danach übernimmt Heidi, da kann sie ihre Lesebrille immer gut zur Geltung bringen.


Schongau
Endlich sitzen wir am Marktplatz vor der alten Post. Heute gibt es Zigeuner-Steak und Forelle Müllerin. Weil Heidi statt Spätzle lieber Kartoffeln mag, mokiert sie sich über die 1.- DM Beilagenänderungsgebühr bei dem reichlich blasiert wirkenden Kellner. Der taut dann später noch ein wenig auf, als er 1.80 DM Trinkgeld kriegt. Wahrscheinlich ist er höhere Beträge nicht gewohnt.

Dienstag, Schongau - Füssen, 50 km, Königsetappe

Die letzte Etappe der Radtour Romantische Straße steht an. Kaum zu glauben, welche Diskussionen nun über den Ablauf derselben ins Haus stehen. Es gibt drei Möglichkeiten: Rechtsseitig vom Lech, da ist es bergig, Linksseitig vom Lech, da sei es schön zu fahren, sagt der Wirt vom Wirtshaus Sonne, und direkt auf der B17, das ist am bequemsten. Wir einigen uns auf die linksseitige Strecke. Dazu müssen wir aber wieder den Berg rauf, den wir gestern runter gekommen sind. Dazu habe ich keine Lust. Ich habe sowieso keine Lust heute.


Auf dem Weg zur Wieskirche
Weil ich ja meistens vorfahre, wähle ich für meinen Teil die Bundesstraße aus, damit man seine Ruhe hat. Da gibt es dann wenig zu sehen und noch weniger zu reden. Statt dessen versuche ich die Genauigkeit des Tachos an den Kilometersteinen zu eichen. Das klappt auch nicht so richtig, weil die Markierungspfosten wohl auch nicht so ganz genau gesetzt sind.

Trotzdem sind wir auf diese Weise schnell in Steingaden und werfen thriumphierende Blicke auf die Berge, wo der Radweg sich hindurch schlängelt. In Steingaden gibt es natürlich wieder ein Kloster mit einer - wer hätte das gedacht - prächtigen barocken Klosterkirche. Wer nun noch einen Mangel an barocken Sensationen hat, der macht sich auf den Weg zu der weltberühmten Wieskirche. Die liegt ein paar km entfernt in 871 m Höhe.


Die Wieskirche


Barocker Prunk
Als auch das geschafft ist, darf man sich wieder unter Menschen fühlen, aber es ist noch früh, da ist der größte Rummel noch nicht los gegangen. In der Kirche liegen wieder Wunschzettel aus, einer in japanisch, den können wir natürlich nicht entziffern. Wir staunen einmal im Kreis rum, begeben uns an den Platz, wo man standardmäßig seine Fotoaufnahme von der Kirche macht, und ziehen dann weiter. Es verschlägt uns noch auf nahezu 900 m Höhe.

Und dann kommt noch das Schlimmste: ein geschlossenes Gatter, dahinter glotzen so an die 30 Kühe, da führt der Weg hindurch. Während ich das Gatter hinter uns schließe, sehe ich Heidi schon in zügigem Tempo mit Hohlkreuz durch die Herde eilen. Ich feixe mir eins, fahre hinterher und schon sind wir durch das nächste Gatter wieder draußen. Man wird also auch nicht immer gleich in einen Stierkampf auf Tod und Leben verwickelt.

Der nächste Ort ist Trauchgau, dann fährt man auf dem Radweg der Bundesstraße am Bannwaldsee vorbei. Links voraus sieht man es schon, daß Romantischste der ganzen Tour: Schloß Neuschwanstein. Als wir uns endlich zu Füßen desselben nieder lassen, sind wir gar nicht so romantisch gestimmt, das ist manchmal so. Wir marschieren erst mal zum Schloß Hohenschwangau hinauf, das liegt näher. Als wir oben sind, sind die Kräfte verbraucht, nicht mal zum Zücken der Geldbörse für das Eintrittsgeld reicht es. Aber was interessieren schon Intarsienparkett, Kachelöfen und Biedermeiersofas oder was sonst man im Inneren so eines Schlosses besichtigen kann.


Neuschwanstein


Hohenschwangau
Warum wir heute so einen schlappen Tag haben, hat wohl zwei Gründe:

1. Es ist es das letzte Teilstück, da sinkt die innere Spannung ab, das haben wir auf früheren Touren auch schon erlebt.

2. Es ziehen dunkle Wolken auf, da scheint sich ein Wetterwechsel anzubahnen, und das spürt man dann eben in den Knochen.

Daher verzichten wir schweren Herzens auf einen weiteren Aufstieg hinauf nach Neuschwanstein (20 min) und fahren nach Füssen. Heidi will nun zum Bodensee, also fahren wir am besten zum Bahnhof. Da wird uns auch gleich eine Verbindung in der nächsten halben Stunde angeboten, zwei mal umsteigen. Die Fahrkarten werden gleich gelöst, der Fahrradtransport ist frei, und das freut einen dann ja auch.

Noch einen Kaffee in einem Biergarten, dann geht es schon los. Neben uns im Zug sitzt ein Ehepaar mit Kind, die haben 18.- DM für den Fahrradtransport bezahlt. "Vielleicht hat sie der falsche Schalterbeamte bedient" mutmaßen wir. Es stellt sich dann aber raus, daß sie genau eine Station zu weit fahren, der Freitarif gilt nur bis eine Station davor. So ist das mit der Deutschen Bahn, Ordnung muß sein. Zufrieden, daß wir alles richtig gemacht haben, lehnen wir uns zurück, schauen dem nun einsetzenden Regen und der vorbeigleitenden Landschaft des Allgäu zu.

In Kaufbeuren müssen wir umsteigen. Dort verpaßt uns nun die Deutsche Bahn einen Tiefschlag der besonderen Art. Wir erleben ja immer sowas beim Bahnfahren. Der Zug, der uns nur eine Station weiter nach Kempten mitnehmen wird, ist der Interregio Alpsee Berlin – Oberstdorf. Als wir die Räder in das Fahrradabteil verladen, steht die Schaffnerin schon parat mit der fröhlich machenden Auskunft: "Hier müssen Sie aber Reservierungs- und Transportgebühren bezahlen, das sage ich Ihnen gleich". Ich glaube das nicht so ganz, hat uns doch der nette Schalterbeamte nichts davon gesagt. Der Zug fährt schon längst, da finde ich im Kleingedruckten des Fahrplans den entsprechenden Hinweis, die Schaffnerin schreibt schon die Tickets aus. Für jedes Rad müssen wir 12.- DM nachbezahlen, obwohl wir nur eine einzige Station weit den IR benutzen. Da treibt es einem die Zornesröte ins Gesicht – die Schaffnerin bedauert den Tatbestand auch – aber Ordnung muß sein. "In Polen wär das nicht passiert" ist unsere einhellige Meinung, eine entsprechende Erfahrung haben wir ja im letzten Jahr auf der Fahrt von Stettin nach Swinemünde gemacht.


Kapitel 1 Würzburg - Rothenburg
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