Kapitelindex
Kapitel 1: Von der Weser an die Elbe
Kapitel 3: Pyritz und Inselhopping
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Sonntag, 11.8. Rosslau - Jüterbog 72 km

Beim Frühstück bekommen wir zu spüren, daß es heute am Sonntag wohl keine frischen Brötchen gibt. Die, die uns aufgetischt werden, fassen sich an wie Gummibälle und sind ungenießbar. Die Butter hat wohl in der Sonne gelegen und ist ganz schrumpelig. Drei in Plastik eingepackte Würste sehen auch nicht sehr appetitlich aus. So sind wir bald wieder auf Tour.


Königskerze
Auf der B187 geht es schnurstracks nach Wittenberg. Der Verkehr ist erträglich, weil Sonntag ist. Die Sonne scheint und die Blumen blühen schön. Es ist uns auf der ganzen Fahrt schon aufgefallen, daß man an den Straßenrändern Brachstreifen stehen läßt, wo sich nach und nach eine Artenvielfalt entfalten kann. Da gibt es immer was zu gucken, wenn die Landschaft nicht so reizvoll ist.

In Coswig bekommen wir die Elbe mal wieder kurz zu Gesicht. In Wittenberg ist die Innenstadt verkehrsfrei und es herrscht eine angenehme Ruhe. Auf dem Marktplatz wird ein Weinfest abgehalten, aber da ist noch nichts los. Wir umrunden die Kirche, da hat doch Martin Luther im Jahre 1517 die 95 Thesen angenagelt. Neugierig gucke ich mir die Kirchentüren an. Aber da bin ich auf dem falschen Dampfer, es war nicht an der Stadt-, sondern an der Schloßkirche. Dort ist gerade Gottesdienst. Gegenüber ist ein Cafe mit einem Pavillon, der sieht noch aus wie aus alten Zeiten. Wir trinken ein Spezi. Dann können wir im Informationsbüro noch ein paar Unterlagen über die Sehenswürdigkeiten von Wittenberg einheimsen.


Wittenberg: Marktplatz

Stadtkirche
Das genügt uns, und wir suchen im Zickzack zwischen Bahngleisen herumirrend den Weg in die Botanik. Wir geraten wie geplant auf die Straße nach Zahna. Große Getreideflächen, ein Feld sieht aus wie Hirse, Kiefernwälder. An der Straße stehen meistens Akazien. Der Ort Zahna macht ganz den Eindruck einer Ackerbürgerstadt, vielleicht ist sie es ja auch. Wegen des groben Kopfsteinpflasters rollen wir auf dem Bürgersteig.

Die weitere Strecke gibt nichts erwähnenwertes her, weiter Felder, bis wir nach Dennewitz kommen. Was wir natürlich nicht gewußt haben, hier hat es die berühmte Schlacht bei Dennewitz gegeben. Wer gegen wen, können wir erstmal nur raten, wir tippen auf Preußen gegen Napoleon. Damit liegen wir richtig, wie wir später sehen werden. Neben der Kirche steht ein Gedenkstein mit zwei Figuren. Ein Befehlsgeber weist einen kampfbereiten Grenadier mit gezücktem Bajonett ein, in welche Richtung er zu kämpfen und ggf. zu sterben hat. Auf der Rückseite eine Inschrift: "Man drup, dat geiht fört Vaterland".


Denkmal in Dennewitz
Nur wenig weiter passieren wir ein rechterhand liegendes verlassenes Militärgelände. Da wachsen die Bäume schon aus den Barackendächern, und das ist sicher gut so. Wir finden uns auf dem Marktplatz von Jüterbog wieder. Das Informationsbüro im Rathaus hat geöffnet. Ich frage die Dame dort, wo es lohnender sei zu verweilen, hier oder in Luckenwalde. Natürlich sagt sie "Hier, in Jüterbog". "Das müssen Sie als Einwohnerin ja sagen" antworte ich. Luckenwalde, 15 km weiter, sei eine reine Industriestadt, erfahre ich dann.

Es ist zwar erst 15 Uhr am frühen Nachmittag, aber nach einem kurzem Studium des Informationsmaterials sind wir uns auf der Stelle einig: hier bleiben wir heute. Wir haben nämlich gelesen:"Jüterbog, die mittelalterliche Stadt im Fläming". Und das hört sich gut an! Gleich am Marktplatz liegt das hübsche und preiswerte "Hotel zur Post", da lassen wir uns von einer älteren Dame das Quartier zuweisen. Wir finden auch ein Blättchen über die Schlacht bei Dennewitz. Da wurden also am 6. September 1813 unter dem Befehl der preußischen Generäle Bülow und Tauentzien die Truppen Napoleons vernichtend geschlagen. 10.000 Tote, wie viele auf jeder Seite ist nicht angegeben.

Und dann stehen wir auf dem geräumigen und quadratischen Marktplatz. Heidi setzt die Lesebrille auf und dirigiert mich auf den im Infoblatt vorgeschlagenen Stadtrundgang. Das schöne Rathaus aus Backstein, darin befinde sich das "Fürstenzimmer", ein Meisterwerk spätgotischer Baukunst. Dann in eine Gasse, die heißt "Wursthof". Dahinter ein griechisches Lokal, aber das ist teuer und kriegt die rote Karte. Dann nehmen wir weiter die historischen Sehenswürdigkeiten zur Kenntnis, als da sind: Stadtmauer, Mönchenkirche, Dammtor usw.


Jüterbog: Rathausgiebel

Kirche
Leider wird der Himmel schwarz und schwärzer, aber wir können den Regenguß unter dem Vorbau eines Geschäfts für Wohnküchen mit Blick auf das Zinnaer Tor abwarten. Vorbei an der Nikolaikirche streben wir wieder dem Marktplatz und dem Restaurant "Schmied zu Jüterbog" zu, wo ich mir eine "Märkische Forelle" gönne. Heidi hatte wohl ein Schweinesteak.

Der nun anhaltende Dauerregen kann uns nicht mehr stören.

Montag, 12.8. Jüterbog - Storkow 98 km

Wenige km nördlich von Jüterbog liegt das Kloster Zinna. So verlassen wir diese Stadt durch das Zinnaer Tor und sind schnell vor Ort. Die Klosterkirche ist geöffnet, wir gehen auch rein, aber jetzt weiß ich gar nicht mehr, was es da zu sehen gab. Im "Kunstführer DDR", in dem ich jetzt nachschlage, steht einiges drin, aber das ist uns wohl alles nicht aufgefallen.


Kloster Zinna
Wir fahren auf der B101 weiter bis Kolzenburg, wo uns ein paar freundliche Leute eine verkehrsfreie Strecke durch Wiesen und Felder erklären. Das hätte man nach der Karte gar nicht gefunden. Wir befinden uns nun im "Baruther Urstromtal", die Region nennt sich "Niederfläming". Die Straße, auf der wir fahren, ist wohl gerade erst mit einem frischen Teerbelag versehen worden, das rollt nicht schlecht. Einmal kommt uns ein Gefährt entgegen, das malt schnurgerade einen blendend weißen Strich am Fahrbahnrand. Rechts liegt ein Höhenzug, das ist der "Golmberg" mit beachtlichen 178 m Höhe. Einmal finden wir einen grünschillernden Käfer auf der Straße, der wird in Sicherheit gebracht und fotografiert. Schöne Alleen, alles Natur, mehr gibt es nicht zu berichten.


Smaragdkäfer
Wir erreichen den Ort Baruth. Da gibt es zu unserem Glück ein Geschäft und eine Apotheke. Die brauchen wir wegen der lästigen Mückenstiche, denen Heidi besonders ausgesetzt ist. Wir erstehen zwei Mittel für "Vorher" und "Nachher". Wir suchen die Burg auf, aber das ist auch mal wieder nur eine Ruine. Für eine Rast ist die Bank vor der Kirche besser geeignet. Ich fotografiere einen Gedenkstein an einen hiesigen Küster, der weist einen bemerkenswerten Text auf. Er habe mit seiner Ehefrau zwar ohne Kinder, aber nicht ohne Vergügen gelebt. "Er starb den 12. Januar 1743 da er 53 Jahr, 4 Monate und 22 Tage gelebet. Wie wohl ist ihm!".


Gedenkstein
Für die Weiterfahrt haben wir uns ein vielversprechendes Seengebiet ausgeguckt. Dazu müssen wir erstmal auf der vielbefahrenen B96 nördlich fahren. Leider finden wir die erlösende Abzweigung nach dem Ort Zesch nicht und fahren einen "Zinken", das sind so an die 5 km Umweg. In Zesch kann man auf dem Ortsplan erkennen, daß es den vorgesehenen Weg geben muß, aber nun ist es zu spät. Zesch liegt an zwei Seen, von denen wir keinen zu sehen bekommen. Stattdessen schieben wir bergauf durch Kiefernwald, bis auf 98 m Höhe, wie der Karte zu entnehmen ist. "Pilzig" sieht es hier aus, aber es ist zu trocken. Dann geht es in sausender Fahrt nach Teupitz, wo wir uns sogleich auf den Weg zum Wasserschloß machen. Das ist diesmal keine Ruine, sondern das Gegenteil. Man hat die alten Gemäuer durch moderne Ergänzungsbauten verhunzt und nun das exklusives Schloßhotel eingerichtet. Wir belegen eine Bank am See, "Nur für Gäste" ist da zu lesen. Trotzdem löffeln wir unsere Joghurt-Becher aus und lassen den Blick über den Teupitzer See schweifen.

Auf dem weiteren Weg verlieren wir erst leicht, dann schwer die Orientierung. Laut Karte geht es immer an den Seen lang, die alle Augenblicke ihre Namen ändern: Kl. Köriser S., Hölzerner S., Schmölde S. Das Problem ist, daß die Ufer vollständig annektiert von Angler-, Bootsvereinen oder Privatanwesen sind. Alles eingezäunt. Der Weg windet sich weitab der Wasserflächen durch die sandigen Kiefernwälder. Wir befragen einen herumstehenden Herrn, der guckt schon etwas über Kreuz. "Nach Prieros?" fragen wir. Immer da lang, wird uns gewiesen, bißchen sandig. Man merkt es bald, das war hier ehemaliges Militärgelände, da führen alle möglichen Wege in alle möglichen Richtungen. Einmal treffen wir eine Bautruppe, die heben Gräben aus. "Wir sind auch nicht von hier, dahinten geht es nicht wieter". Das glauben wir nicht. Vor einem verschlossenen Gittertor "Kanuclub" müssen wir klein beigeben. Alles zurück, den nächsten Weg probiert - und der geht auch noch bergauf. Aber dann geht es immer geradeaus, immerhin sieht man links mal eine See blinken, soweit sind wir wenigstens noch halbwegs richtig.

Als es dann immer so weiter durch den Wald geht, bekommt man dann doch mehr und mehr Bedenken. Endlich erscheint links eine helle Fläche zwischen den Kiefern. Das muß ein Hausgiebel sein. Wo ein Haus ist, gibt es auch eine Fahrstraße - so ist das doch in Deutschland. Der vermeintliche Hausgiebel entpuppt sich als ansteigender Sandweg, da müssen wir schieben. Nun aber hört man Motorgeräusche, sonst sind wir nicht so versessen darauf, diesmal aber ist es die Erlösung. Als wir auf einer Kreuzung mit Wegweisern rauskommen, reiben wir uns die Augen. Und wir sind tatsächlich dort, wo wir hin wollten, ein seltenes Ereignis. Es taucht auch jemand auf, den wir fragen können, der hat eine leichte Sprachhemmung und weist uns auf die "Fernverbindung B246", die können wir jetzt brauchen.

Im "Wald Restaurant Tiefer See" unterbricht die Wirtin ihre Arbeit an der Wäschemangel und serviert uns Kaffee und Kuchen. In Groß Schauen passieren wir die Äal Hütte", da kann man auch übernachten, aber wir wollen nach Storkow. Dem Namen entsprechend begrüßen uns gleich zwei Störche, die über uns am Himmel kreisen. Wir fragen einen Mann nach einer Übernachtungsmöglichkeit, der ist allerdings nicht so ganz vertrauenswürdig. Verwittertes Gesicht, Vollbart und ein Strick um die Hose. Wir schlagen uns zum Hotel "Karls Lust" durch, vorbei an der Burgruine. Das Hotel ist stattdessen nagelneu, 160.- DM wollen die für ein Doppelzimmer haben. Äber da ist doch Frühstück dabei" sagt die Bedienung auf meinen Protest. Alles muß man sich ja nicht gefallen lassen und wir fahren zurück zum Marktplatz. In einer Seitenstraße ist die Info, da gibt es ein umfangreiches Quartierverzeichnis. Wir wählen die Pension Domichowski. "Ich habe aber nur ein Zimmer mit Ehebett" sagt der Wirt zu mir. "Ich bin zufällig mit meiner Frau unterwegs" kann ich wahrheitsgemäß antworten. Damit sind wir wieder einmal bestens untergebracht.

Heidi will noch die Kinder anrufen, da verwechseln wir beinahe die kleinen Glashäuschen der nahen Schleuse mit Telefonzellen. Im Wasser stehen Poller aus Kiefernstämmen, an denen sind noch die V-förmigen Streifen der Harzgewinnung erkennbar. Während wir noch nach einer Telefonzelle suchen, fällt uns ein Knabe der Techno-Generation auf. Der lehnt genüßlich an seinem Luxusmobil, zählt lautstark dem oder (der) Telefonpartner(in) die Fehler seines (ihres) Lebens auf und schielt ständig zu seinen Kumpels in dem gegenüberliegenden Fitnesscenter, ob die wohl auch alles mitbekommen.

Gegenüber der Kirche ist ein kleines Lokal, da lassen wir uns unter einem Sonnenschirm nieder. Es ist das preiswerteste Lokal der ganzen Reise, alle Gerichte unter DM 10.- , die Portionen sind trotzdem mehr als reichlich. Am Nebentisch finden interessante Gespräche statt, einer ist wohl Pastor, seine Schwester auch. Ich belasse es bei dem Detail, daß denen das Wernersgrüner Bier nicht so recht schmeckt.

Als es so richtig zu pladdern beginnt, wird es uns auch unter dem Sonnenschirm zu ungemütlich und wir verziehen uns in unser Zimmer mit Ehebett.

Dienstag, 13.8. Storkow - Schwedt (Bahnfahrt)

Die ganze Nacht rauscht es draußen. Als wir aufstehen, rauscht es immer noch. Wir nehmen erstmal das Frühstück ein. Der Wirt versichert uns, daß wir das Zimmer nicht gleich räumen müssen, gerne könnten wir auch noch eine weitere Nacht oder mehrere bleiben. Danach steht uns der Sinn allerdings nicht, obwohl Heidi sich eine Erkältung eingefangen hat und erklärt, heute nicht radfahren zu können. Wir schauen eine Weile aus dem Fenster dem Regen zu, es pladdert so richtig runter und große Pfützen sind auf der Straße. Dieses Gebiet ist ohnehin schon so seenreich, daß wir auf diese Seen gerne verzichten könnten. Ich rufe beim Bahnhof an. Da nimmt keiner ab. Dann versuche ich es in der Information, da kann man mir einen Zug sagen, der in knapp einer Stunde nach Frankfurt/Oder fährt.

Wir packen unsere Siebensachen, tauchen unter den Regenumhängen ab und schieben zum Bahnhof, Zeit genug haben wir ja. Als wir auf dem Bahnhof eintreffen, steht ein Zug außerplanmäßig abfahrbereit auf dem Bahnsteig. "Fährt der nach Frankfurt?" fragen wir die Schaffnerin. "Ja, aber wir sind eigentlich schon weg!". Aber heute ist der 13., da klappt wohl nicht alles so, der vorangehende Zug sei liegengeblieben, den müsse man nun auch noch mitnehmen. So können wir einsteigen und die Fahrkarten in aller Ruhe von der Schaffnerin ausstellen lassen. Wir lösen gleich durch bis Schwedt an der Oder, von wo es ein Katzensprung nach Pyritz ist. Die Fahrt durch den Oderbruch heben wir uns für ein andermal auf.


Scharmützelsee
Vorbei am Scharmützelsee gondeln wir dann über Buckow und Breeskow durch Kiefernwälder nach Frankfurt. Natürlich hat der Regen längst aufgehört und die Sonne scheint sogar zuweilen. Ich habe eine gute Idee entwickelt. In Frankfurt kann man doch bestimmt erfahren, welche Hotels es in Pyritz gibt und evtl. auch schon vorbuchen. Also rollen wir in Frankfurt hinunter in die Innenstadt und suchen die Touristeninformation auf. Es ist 14 Uhr, der Laden macht gerade auf. "Pyritz, wo liegt denn das?" werde ich gefragt. "Bei Stettin". Äber das ist doch in Polen". Da hätte man keine Informationen, hier würden nur die Frankfurter Lokalitäten vermittelt. Wenigstens kann ich eine Landkarte von Westpommern erstehen. Da sind auch die ehemaligen deutschen Namen der Ortschaften verzeichnet. Wir amüsieren uns über die beigefügte Lupe. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Ausgabe speziell für betagte und damit gemeinhin sehschwache Heimatgucker. Soviel Respektlosigkeit gönnen wir uns und haben unseren Spaß - wir werden es noch bereuen.

Heidi vermeldet, ihr gehe es gar nicht gut, so richtig grippig. Sie besorgt sich in einer Apotheke ein paar Mittel, und die helfen, bevor sie eingenommen sind, weil der Glaube Berge versetzt. Wir suchen nun noch ein wenig nach Frankfurter Sehenswürdigkeiten - ohne Erfolg. Stattdessen stehen wir plötzlich vor dem Grenzübergang über die Oder. Den haben wir ja schon vor vier Jahren einmal benutzt und kehren schleunigst um. Zwei Stunden noch bis zur Abfahrt unseres Zuges, wir schieben trotzdem zurück zum Bahnhof, wo es schön warm ist. An der Auskunft lasse ich mir nochmal eine Verbindung nach Schwedt raussuchen. Das geht alles mit dem Computer, die Verbindung wird sogleich ausgedruckt. Wir erfahren, daß es eine schnellere Verbindung über Berlin gebe, vor allem müssen wir dann nicht fast zwei Stunden hier auf dem Bahnhof rumhängen.

Bevor unser Zug in Frankfurt abgefahren wäre, sind wir schon in Berlin Hbf. Beim Aussteigen sehen wir gleich, da steht der Zug nach Schwedt abfahrbereit auf demselben Bahnsteig. Es bleibt aber noch Zeit für eine seltsame Beobachtung. Schon in Frankfurt waren uns große Stapel von Kartons aufgefallen, die auf allen Bahnsteigen herumstanden. Auch hier sieht man sie überall. Hier sind aber auch Leute zugange, die sie aufmachen und hektisch in anscheinend speziell angefertigte Taschen umladen. Es handelt sich um Unmengen von Zigaretten in Stangenpackungen. Wir geraten ins Grübeln, sind die alle geschmuggelt? Aber dann doch nicht in aller Öffentlichkeit auf dem Berliner Hauptbahnhof? Das Rätsel bleibt ungelöst.

Bald gondeln wir in gemütlicher Fahrt nach Schwedt. Die Landschaft huscht vorbei, es prägt sich dabei nichts so intensiv ein, wie beim Radfahren, wo man sich die Gegend ja regelrecht erarbeiten muß. Auch von Angermünde, das wir gerne kennengelernt hätten, sehen wir nur wenig. Der Kirchturm grüßt weit über das Land.

Angekommen in Schwedt suchen wir sogleich die Information auf, die im alten "Ermelerspeicher" untergebracht ist. Als ich das Büro betrete, werden gleich zwei Damen munter und huschen im Zickzack durch den Raum, um Informationsmaterial zusammenzustellen. "Erstmal würde ich gern ein Hotel in Pyritz vorbestellen" bringe ich mein dringendes Anliegen vor. "Das machen wir telefonisch" - in mir geht die Sonne auf. Man blättert behende in einem Hotelverzeichnis, aber da steht Pyritz nicht drin. Äch so, das liegt in Polen!" ist die verwunderte Reaktion. "Ja, aber nur 40 km von hier" - aber das nutzt auch nichts, man kennt den Ort nich einmal.

Erfolgreicher sind wir mit der Buchung eines Quartiers in Schwedt selbst. Bei dem genannten Preis runzele ich die Stirn. Das wird telefonisch übermittelt. Daraufhin reduziert sich der Preis um 30 DM und man ist sich einig. Wir müssen nur um ein paar Ecken radeln, dann beziehen wir mal wieder ein schönes Zimmer, Betten diesmal getrennt. Das ist bei Heidis Zustand mit Schnupfen und Husten vielleicht auch besser.

Ausgestattet mit dem umfangreichen Informationsmaterial begeben wir uns auf den Stadtgang. Man muß einmal einfügen, wie die Situationder Städte ist, über die der Krieg hinweggegangen ist. Oft sind große Teile der Ortskerne zerstört worden. Wenn man Glück hatte, sind einige Gebäude halbwegs unzerstört geblieben und - restauriert oder nicht - noch vorhanden. Die ursprüngliche Atmosphäre der Stadt findet man jedoch nicht wieder. So ist hier in Schwedt eine riesenbreite Paradestraße, das Schloß existiert nicht mehr, an dessen Stelle ist zu DDR-Zeiten eine Festhalle entstanden (In Braunschweig ist es das Kaufhaus Horten).


Schwedt: Alte Seifenfabrik

Berlischky Pavillon
Da Schwedt an der Oder liegt, ist es natürlich auch umkämpft worden und hat seine Wunden erhalten. Dennoch fühlen wir uns wohl und haken die markanten Punkte ab. Stellvertretend für alle anderen erwähne ich nur die Tabakscheune, weil der gegenüber ein ausgezeichnetes Chinesisches Restaurant anzutreffen ist. Dort nehmen wir ein Mahl ein, das sicher nicht gerade typisch für die Küche von Uckermark oder Oderbruch ist.

Wir wollen noch telefonieren, und suchen eine Telefonzelle auf. Dort breitet ein junges Mädchen gerade ihr Leben in den Telefonhörer aus. Wir werden ungeduldig. Nach zwanzig Minuten ist sie endlich fertig und schickt sich an, die nächste Nummer anzuwählen. Da hat sie die Rechnung nicht mit meiner Gattin gemacht. Die meldet resolut die Rechte der wartenden Bevölkerung an, die zwar nur aus uns gebildet wird, aber wir brauchen ja auch nur zwei Minuten für unser Gespräch. "Das ist doch eine öffentliche Telefonzelle, und ich habe kein Telefon zu Hause" beschwert sich das Mädchen. "Es ist aber auch keine private Telefonzelle" weiß ich ausnahmsweise schlagfertig zu antworten. So endet diese Affäre ohne Schlägerei und wir können zurück in unser Hotel dackeln. Zu Hause ist alles in Ordnung.


Kapitel 1: Von der Weser an die Elbe
Kapitel 3: Pyritz und Inselhopping

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