Sonnabend: Eine Radtour, die sich im Nachhinein als lebensgefährlich erweist
Ich starte um 6.45 Uhr mit Verzicht auf das Frühstück in einen lauen und bedeckten Morgen. An Verpflegung habe ich Erdnussflips und eine Flasche Fanta dabei. Wie soll die Radtour verlaufen? Die ultimative Tour von Plakias aus ist eine Rundtour durch die Berge bis Hora Sfakios im Westen und dann zurück an der Küstenstraße. So sieht es jedenfalls auf der Karte aus. Es mögen allerdings über 100 km sein, und es geht an einer Stelle oberhalb der Imbros Schlucht bis auf c.a. 1000 m Höhe. Das wäre vielleicht unter idealen Bedingungen zu schaffen, aber die habe ich heute nicht.
Kotsifos Schlucht |
Bergdorf Mountros |
In der Annahme, noch auf der richtigen Route zu sein, rausche ich weiter talwärts und passiere ein zunächst namenloses Dorf. Das nächste Dorf aber hat ein Ortsschild und heißt Roustika. Und voraus ist schon das Meer im Norden zu sehen. Das bedeutet, ich muss die ganze flotte Abfahrt bergauf wieder zurück, und das gegen den Wind. Das namenlose Dorf bekommt nun den Namen Mountros und liegt fotogen wie ein Schwalbennest in den Hang gebettet. Die folgende Steigung ist nicht fahrbar gegen den Wind, der einem wie eine Bretterwand entgegen bläst. Manchmal habe ich Angst, dass es mir sogar die Brille von der Nase haut – und die war teuer (die Brille). Rechts oben steht weithin sichtbar ein Kran auf einem Berg, und der ist sogar in der Wanderkarte eingezeichnet: quarry crane. Das habe ich nicht richtig abgelesen, sonst wäre das Malheur nicht passiert. Bis ich wieder oben in dem tosenden Wind bin, habe ich eine Stunde "verloren". Natürlich ist eine solche Sache nicht "verloren", wenn man in der Landschaft Kretas unterwegs ist, aber mit der ultimativen Tour wird das nun wohl nichts. Zumal ich nicht einschätzen kann, ob auf dem Rückweg über die Küstenstraße mit Rücken- oder Gegenwind zu rechnen ist.
Die Schieberei den windigen Berg hinauf hat dann ein Ende, als ich an der verpassten Abzweigung angekommen bin. Da steht sogar ein Hinweisschild. Nun bleibt mir nur, die weitere Strecke so weit zu erkunden, bis die Umkehr angesagt ist. Man fährt nun tatsächlich durch einen lieblichen Talkessel, vorbei an einer weiteren Schlucht bei dem Dorf Velonado. Dann schiebt einen der Wind geradezu den Berg hinauf. Bei knapp 10% Steigung braucht man kaum zu treten – das habe ich bisher noch nicht erlebt. Man stößt dann auf die Straße, die aus der nördlichen Tiefebene bei Episkopi herauf führt. Aber dort will ich ja nicht hin und wende mich bergwärts.
Die Straße windet sich an einem Berghang entlang. Bei jeder Hangrippe, die einem die weitere Sicht verstellt, denkt man, da muss ich noch hin. So geht es eine Weile bis die Ansiedlung namens Miriokefala vor einem liegt. Eine Gruppe Biker, alle mit gleichen Helmen und Rädern, kreuzt auf und hinter denen rollt zur Sicherheit ein Bus mit einem Fahrradanhänger. Die haben es gut. In Richtung Kallikratis verzweigt sich die Straße, eine führt den Berg hinauf, eine hinunter. Beschilderung Fehlanzeige. Welche Straße ist nun die richtige? Und über dem Berg zieht eine Wolke auf, die ist lila! Da wird es mir unheimlich. Es ist 11 Uhr, und ich kann ausrechnen, dass ich in angemessener Zeit auf der bekannten Strecke zurück fahren kann. Außerdem muss ich an meine liebe Frau denken, die sich heute die Zeit wohl kaum mit Sonnenbaden vertreiben kann.
So fällt es nicht schwer, in den sauren Apfel zu beißen, mit der ultimativen Tour wird es nichts! Ich rolle vor der violett gefärbten Wolke her und erreiche gerade ein paar Häuser, als es donnert und ein Regenguss herunter kommt. Ich finde ein Vordach und zwei Stühle vor einem geschlossenen Laden. Da sitzt man im trockenen. Es taucht ein Lieferwagen mit einem dröhnenden Lautsprecher auf. "Baboutzki" oder so was wird angeboten. Der Fahrer hält neben mir an und betrachtet mich und mein Rad mit Interesse. Eine zahnlose Oma schlurft auch noch herbei und redet auf mich ein. Ich lache und zeige zu der dunklen Wolke hinauf. "Afrika" sagt der fahrende Händler.
Dann ist der Spuk auch schon vorbei. Die Regentropfen haben auf der Brille und dem Rad gelbe Staubreste hinterlassen – das also ist Afrika aus einer dunklen Wolke. Die weitere Rückfahrt verläuft problemlos, auch wenn ich den oberen Teil der Abfahrt, den ich vorhin in Minuten herab gerauscht bin, komplett hinauf schieben muss. Ab da aber heißt es nur noch: Höhenmeter vernichten. In der Kotsifos Schlucht überrascht mich noch einmal der Regen, aber ich kann mich gerade noch unter einen überhängenden Felsen retten, wo eine Kapelle sich an die Felswand schmiegt. Wieder dauert der Regen nur Minuten, danach scheint endlich die Sonne.
Südküste Richtung Westen Die Rampe |
Meine liebe Frau hatte nicht so einen angenehmen Tag bei dem miesen Wetter. Immerhin hat sie ein paar Kontakte zu anderen Gästen geknüpft, so zu einem Ehepaar aus Göttingen, die in Plakias Stammgäste sind. Über dieses seltsame Tier, das wir vom Balkon aus gesehen haben, wissen sie zu berichten, dass man diese sehr häufig überfahren auf der Straße sehen kann. Einen einsamen Krankenpfleger aus Elmshorn gibt es auch noch, der weiß nicht so richtig, was er mit seiner Zeit hier anfangen soll. Beim Abendessen setzen wir uns an seinen Tisch und erfahren ein wenig über die Pflege von Schwerstbehinderten.
Nach dem Abendessen bringe ich das Rad zurück. Da machen wir eine haarsträubende Entdeckung. Ein paar Mädchen wollen für den nächsten Tag auch Räder mieten und inspizieren fachkundig das verfügbare Material. Wie denn mein Rad wäre, das als einziges eine gefederte Vordergabel hat und am schmucksten aussieht. "Das ist prima, da bin ich den ganzen Tag mit rum gefahren. Nur das Vorderrad schlackert" sage ich. "Aber da ist der Schnellspanner ja gar nicht angezogen" stellt eines der Mädchen fest. Ich kriege eine Gänsehaut. Tatsächlich, der Schnellspanner baumelt lose an der Nabe. Welche Bilder einem da durch den Kopf gehen, brauche ich nicht zu beschreiben. Bin ich doch mit 60 Sachen an Steilhängen ohne Leitplanke entlang gedüst? Und das mir – der nicht gerade das erste Mal mit dem Rad unterwegs ist? Ich schäme mich und bin froh, dass ich noch am Leben bin.
Sonntag: Ruhetag
Einen "Ruhetag" hat man sich wohl verdient, zumal das Wetter mit spielt. Zunächst wird der erste voll geknipste Film weg gebracht, die Bilder kann man dann abends schon abholen. Dann verbringen wir ein paar Stunden am Strand, bis Wind und aufziehende Wolken uns und andere vertreiben. Auch am Pool ist es nicht auszuhalten. Ein kleiner Spaziergang und dann unter die warmen Decken zum Lesen und Dösen. Als wir die Bilder in Empfang nehmen, können wir feststellen, wie schön es hier sein kann.