Auch die Fortsetzung unserer Fahrt, von Thomas und mir, lässt immerhin noch einiges erwarten.
Der Abschied - unabänderlich - Thomas und ich fahren über die
Brücke
linksrheinisch,
Rainer rechtsrheinisch. Als wenn wir es
heraufbeschworen hätten, Wetter und Windrichtung haben sich geändert.
Nach 10 km Gegenwind legen wir in St. Florent eine Pause ein. Von einem
kleinen Park aus hat man eine schöne Aussicht über den Fluss. Ein Mann
ist mit seinem Hund unterwegs und spricht ein wenig englisch. Wir
erfahren, dass Regen angesagt ist, also weniger gute Aussichten für die
Weiterfahrt.
Eine Weile fahren wir noch in Richtung Westen in Sichtweite der Loire. Thomas' Rad läuft leichter als meins, da hänge ich meistens an seinem Hinterrad und nütze den Windschatten aus. In Champtoceaux wird die weitere Route beraten. Bei dem Wind sollte man mehr die südliche Richtung einschlagen, dann kommt der Wind wenigstens von der Seite. Eine Nebenstrecke ist schnell ausgesucht. Es wird nochmal eingekauft, Baguette, Camembert, Äpfel, Thomas verfällt auf einen Liter Milch. Den muss er ganz alleine trinken, weil man mich mit Milch in die Flucht schlagen kann.
Die weitere Strecke führt durch plattes Land, aber nur auf der Karte. Es geht ganz schön rauf und runter, oftmals zwischen grossen Anbauflächen von Wein. Die Rebstöcke sind kurz gehalten, etwa kniehoch, ein Wunder, dass man da reiche Ernten erzielt. Bewirtschaftet werden die Felder mit hochrädrigen Spezialfahrzeugen, hinten befindet sich eine grosse Düse zum Ausbringen der chemischen Keule.
Den landschaftliche Hochgenuss hat man auf dieser Route nicht. Mechanisch vor uns hin fahrend passieren wir Ortschaft um Ortschaft. Diese allerdings sind recht nett, französische Provinz, wie man sie sich vorstellt. Irgendwann sind wir wieder reif für eine Rast. Zu Füssen einer hübschen Kirche lassen wir uns auf einer Bank nieder. Vor uns befindet sich ein Kriegerdenkmal der beiden Weltkriege. Diese Denkmäler sind recht realistisch gestaltet: ein schneidiger Soldat schreitet mit geschultertem Gewehr und entschlossenem Blick einer Heldentat entgegen. Zu seinen Füssen sind die Opfer der Heldentaten namentlich aufgezählt. Bei einer mittelgrossen Ortschaft sind das an die hundert Namen für den ersten, etwa halb so viele für den zweiten Weltkrieg.
Man kann das heute gar nicht mehr begreifen, dass diese beiden Kriege zwischen unseren immerhin doch zivilisierten Nachbarstaaten möglich waren. Auch die Opfer des dritten, oder besser ersten Krieges 1870/71, bekannt auch als Leipzig/einundleipzig, sind noch nicht vergessen.
Weniger beschaulich gestaltet sich die Fortsetzung, besonders bei Thomas. Eben noch die besinnlichen Gedanken, dann schlägt die Milch durch. Gerade noch rechtzeitig stürmen wir eine Dorfbar. Ich übernehme die Bestellung, Thomas stürzt durch die Küche in die hinteren Gefilde. Erleichtert kehrt er zurück, höchste Zeit war es wohl.
Weiter nach Süden, was ist von dieser Strecke noch in der Erinnerung hängengeblieben: eine Wiese mit Jungputen, eine gewaltige Pinie am Rand der Strasse, Blumen mit dem Namen Affodil, die kenne ich eigentlich nur von Mallorca. Auch Orchideen am Strassenrand, leider nehme ich mir nicht die Zeit für ein Foto, später auf dieser Strecke kommen keine mehr.
Endlich erreichen wir die Stadt La Roche sur Yon, wo die Mühen des Tages ein Ende haben. Erstmal in ein Sportgeschäft, ein passendes Fahrradtrikot finde ich wieder nicht. La Roche hat einen geräumigen rechteckigen Platz, von dort aus sind alle Strassen schachbrettartig angelegt. In einer Nebengasse finden wir das einfache Hotel für unsere Ansprüche.
Der Abend endet in einer Pizzeria. An dem einzigen noch besetzten Tisch des Restaurants wird gespeist, als wir eintreten. Als wir das Lokal verlassen, wird dort immer noch gespeist. Der Franzose ist ein Gourmet, der Deutsche ein Banause.
Als der Regen nachlässt, geht es weiter, alsbald haben wir wieder die uns genehme Nebenstrecke unter den Reifen. Und auf einmal ist die Landschaft wieder schön, grün und üppig. Aber der nächste Regen kommt bestimmt, gerade noch finden wir eine Scheune als Unterstand. Eine Dame will wohl gerade zum Einkaufen fahren, nickt uns freundlich zu, wir dürfen also. Als wir uns umsehen, entdecken wir Regale voll Flaschen mit unbekanntem Inhalt. Gerätschaften zur Bienenhaltung liegen herum, auf der angrenzenden Wiese sind auch einige Bienenstände zu erspähen. Vielleicht stellt man hier den Met her? Wir sind natürlich anständige Menschen und probieren weder eine von den Flaschen noch lassen wir eine mitgehen, was gar nicht aufgefallen wäre.
Dann kommt die Sonne raus, wir können weiterfahren. Die
Spannung steigt, man nähert sich dem Atlantik. Der ist aber von einer
Anhöhe aus noch nicht in Sichtweite.
Nirgendwo1
Nirgendwo2
Stattdessen verfransen wir uns mal wieder gründlich. "Route des Vins" -
steht verheissungsvoll an den Wegschildern, wir aber enden, einen
Graureiher aufscheuchend, in einem Sumpfgelände. Da geht es nicht vor -
sondern nur zurück.
In Lucon wieder das ersehnte Restaurant. Ein Denkmal von Richelieu beherrscht die Szene auf dem Kirchplatz. Wir kramen in unseren Geschichtsfalten, Thomas tippt auf die französische Revolution. Kardinal war er und trug einen Spitzbart, soviel weiss ich. Auf dem Denkmalsockel ist alles nachzulesen, sogar in deutsch. Anfang des 17. Jahrhunderts war Rechelieu hier in Lucon Bischof.
Die Reststrecke des Tages - mehr ein Alptraum. Der scharfe Westwind weht von der Seite, die Strasse führt schnurgeradeaus wie durch Ostfriesland. So sieht es hier auch aus. Offiziell nennt sich das Gebiet Parc Regional de Sevre.
Die letzten Kilometer nach La Rochelle kann man wieder auf einer Nebenstrasse etwas abwechslungsreicher fahren. Ein paarmal zeigt sich der Atlantik weit hinten in einer enttäuschend braunen Farbe. In der Stadt ist das Hotelangebot reichlich, schliesslich ist hier touristisch ein zentraler Punkt. Mitten im Zentrum wählen wir das Hotel de la Paix.
Alle Geschäfte haben noch geöffnet, da lässt sich schön ein Stadtbummel machen. Ich kann zwar kein Fahrradtrikot, aber ein neues Armband für die Swatch-Uhr kaufen. Thomas kauft sich auch gleich eins in Lila, das gebe es in Deutschland nicht, meint er. Auch eine deutsche Zeitung bekommt man. Der Formel I - Rennfahrer Ayrton Senna ist tödlich verunglückt, sein Konterfei lacht einem lebensfroh von den Titelseiten entgegen.
An historischen Gebäuden steht einiges herum. In einer ehemaligen Fischhalle schauen wir uns um, jetzt ist hier ein Kulturzentrum mit Ausstellungen und Künstlercafe untergebracht. Ein modernes Glasdach überspannt das Ganze.
Der Weg führt uns zum Hafen, wo der Wind tüchtig um die Ecken bläst. Der Zugang zum Hafen wurde früher von zwei Wachttürmen geschützt, nachts hat man Ketten in der Zufahrt gespannt, um unliebsame Besucher abzuhalten. Die Seeräuberplage muss in diesen Gefilden mal gross gewesen sein. Im Reiseführer ist auch zu lesen, dass der Herr Richelieu - in Lucon hatte man ihm ja ein Denkmal gesetzt - im Jahre 1628 die Stadt 15 Monate lang belagert hat. Dabei sind 5/6 der Bevölkerung verhungert. Welchen Bevölkerungsschichten das überlebende 1/6 angehört hat, und ob diese Stadt dem Herrn Richelieu auch ein ehrendes Gedenken bewahrt, wird leider nicht berichtet.
In Hafennähe befinden sich unzählige Restaurants, die die maritimen Köstlichkeiten der Gegend bereithalten. Durch die Fenster kann man allenthalben die festlich gedeckten Tische sehen. Ab und zu kann man zuschauen, wie Platten mit Austern, Muscheln, Langusten und allerlei anderen Schalentieren für die abendlichen Schlemmerorgien vorbereitet werden. Die Preise sind allerdings auch gesalzen. Wir überlassen die Genüsse der Fressmeile den Bustouristen und suchen eine Pizzeria auf.
Diese enttäuscht uns nicht, hier sitzen viele Einheimische und ausser uns kaum Touristen herum. Da denkt man immer, einen Geheimtip aufgetan zu haben. Ich bestelle wie immer Pizza Fruits de Mer. Thomas versucht sich an Muscheln, lernt dabei ein wenig vom Sand des Atlantik kennen.
Wir diskutieren über Fortsetzungsmöglichkeiten der Fahrt mit der Bahn. Nach Thomas' Aussage ist die weitere Route an der Atlantikküste nicht so interessant. Wir suchen den Bahnhof auf. Eine geeignete Zugverbindung in Richtung Süden gibt es nicht. Also fahren wir weiter ins Landesinnere in Richtung Saintes, wo man die zentrale Nord-Südverbindung erreicht.
In Tonnay passieren wir eine alte Hochbrücke über den Fluss namens Charente. Die Brücke ist für den Autoverkehr gesperrt, weil ihre Holzbohlen einen recht morschen Eindruck machen. Mit den Rädern kommen wir aber heil hinüber und geniessen die Aussicht über das grüne Land. Ein Stück weiter scheint ein Schiff durch die Wiesen zu gleiten.
Die Weiterfahrt über die Dörfer ist schön, der Wind steht
günstiger.
Einen Rastplatz wählen wir hinter einer Kirche, deren Turm einen
eigenartigen raketenähnlichen
Anbau besitzt.
Am Nachmittag kommen wir in Saintes an. Sofort begeben wir uns zum Bahnhof. Dort kann man uns einen Zug nach Bordeaux und von dort weiter nach Morcenx, tief in den Wäldern von Les Landes offerieren. Dort käme man gegen 22 Uhr an. Ob es ein Hotel gibt und ob man noch ein Quartier zu so nachtschlafender Zeit bekommt, das macht Thomas keine Sorgen, mir etwas mehr. Wir lösen die Fahrkarten, der Fahrradtransport ist kostenlos, das freut einen dann wieder.
Eine Stunde haben wir noch Zeit für eine Ortsbesichtigung. Zuerst werde ich aber magisch von zwei Fahrradgeschäften angezogen, wo die Fahrradtrikots aber alle zu poppig sind. Saintes hat eine sehr reizvolle Innenstadt, auch Reste römischer Kultur sind vorhanden, wie man den feilgehaltenen Postkarten entnehmen kann. Wir erholen uns in einem Strassencafe.
Wenig später durchstreifen wir schauend die engen Gassen der Altstadt, als Thomas in Panik ausbricht, seine Lenkertasche mit den erheblichen Wert- und Barbeständen befindet sich nicht mehr in unserer Gesellschaft. Im Eiltempo zurück zum Cafe - Thomas rast hinein und kommt ganz cool mit seiner Tasche wieder heraus. Aufatmen!
Nun aber ab zum Bahnhof, wir entern unseren Zug und finden es toll, dass man extra Abteile für die Unterbringung der Fahrräder vorgesehen hat. Zwei Stunden gondeln wir bis Bordeaux, die Abendsonne scheint noch. Wieder haben wir eine Stunde Zeit. Thomas lotst uns stadteinwärts bis zu einem grossen Platz. Dort steht ein grosser Torbogen, mal im Reiseführer nachlesen, was es damit auf sich hat.
Heute sind wir ganz zünftig und verköstigen uns im Mac Donald's Restaurant. Da gibt es bekanntlich diverse Macs, wo einem beim Reinbeissen die Tomatensosse die Mundwinkel hinunter läuft. Beachtlich ist der Anfall an Wegwerfmaterial in einem Mac Donald's Restaurant. Alles ist verpackt, eingewickelt und auf Einweggebrauch eingerichtet. Grosse Müllbehälter sind für die Entsorgung aufgestellt. Der geplagte Familienvater einer fünfköpfigen Schar am Nebentisch muss zweimal gehen, bis er den Müllberg vom Tisch hat.
Nachdem wir die Atmosphäre dieses Platzes in Bordeaux in uns aufgenommen haben, fahren wir auf Einbahnstrassen, manchmal in verkehrter Richtung, zurück zum Bahnhof. Unser Zug wartet bereits, wir machen es uns für die restliche Etappe des Tages gemütlich. Bald geht es durch die endlosen Waldgebiete von Les Landes. Längs der Bahn versucht man, riesige Flächen mittels künstlicher Bewässerung für den landwirtschaftlichen Anbau zu kultivieren.
Darüber wird es dämmrig, wir erreichen Morcenx in dunkler Nacht. Der Bahnhofvorplatz ist eine aufgerissene Wüste. Wir fragen einen vor sich hin grinsenden Mann nach einem Hotel. "Hotel, Bar, a gouche, ferme" ist alles, was wir verstehen. Also links halten und dann ein geschlossenes Hotel vorfinden, das heisst das doch wohl.
So ist es dann auch, ein Hotel ist da, die Tür verschlossen. Aber innen ist Licht. Wir klopfen. Ein Mann kommt herangeschlurft und öffnet misstrauisch die Tür. Weil aber Hotelräuber selten mit bepackten Fahrrädern vorfahren, werden wir aufgenommen und beziehen glückstrahlend unser Zimmer. Selbst eine Dusche gibt es, die haben wir nötig. Nur die Spülung des WC arbeitet nach einer eigenartigen Technik, da hat man so seine Probleme, deren Einzelheiten wir hier nicht diskutieren wollen.
Wir brechen in den strahlenden
Morgen und in die Wälder auf. Keine Autos, Ruhe, die Räder
rollen unter den Bäumen dahin - wir spüren, schöner kann man nicht
radfahren.
Der gewundene Lauf eines Baches
bestanden mit üppigen Lilien. Grün in allen Variationen.
Kleine Ferienhäuschen zeigen, dass sich hier mancher wohl fühlt, der
seine Ruhe sucht.
An einer Waldlichtung neigt sich der Wipfel einer Kiefer, dann fällt sie und schlägt krachend auf. Motorsägen heulen auf. Also auch hier hat man alles im Griff, holzt ab und forstet wieder auf. In einem Dickicht entdecken wir eine Gruppe Waldarbeiter, die mit langen Schneidegeräten Licht in das Unterholz bringen.
Mitten in der Wildnis stossen wir auf die N-10, wo die Urlauber gen Süden an die Badestrände des Atlantik rasen. Ein paar Kilometer müssen wir uns einreihen, dann geht es wieder in die tiefen Wälder. In Leon lotst mich Thomas zu dem dort befindlichen See, dort hat er mit seiner Familie einmal Campingurlaub gemacht. Fortan erfahre ich alles über die rundumbefindlichen Attraktionen von Land und Leuten. Am Marktplatz von Leon nimmt uns ein freundliches Cafe mit noch freundlicherer Bedienung auf.
Nun sind wir im Einzugsbereich der Atlantikküste mit ihren
Stränden, Tourismus und Verkehr. Die Weiterfahrt gestaltet sich aber
sehr angenehm,
weil man eine Radwegtrasse
durch den Wald gelegt hat. Im Sommer bei Hochsaison ist das wohl eine
Ameisenstrasse, jetzt kann man ungestört radeln.
In Messanges Plage sehen wir den Atlantik in seiner ganzen Schönheit. Dies war das Ziel eines anderen Campingurlaubs der Thomas-Familie. Der Atlantik rollt in weissen Wogen heran, bis zum Horizont in beide Richtungen längs der Küste nichts als Strand und blaue See. Und im Süden, was sieht man: die ersten Berge der Pyrenäen, blau verschwommen. Wieder haben wir ein Teilziel unserer Tour vor Augen.
Thomas lässt nicht locker, auch der Campingplatz vergangener
Urlaubstage muss besichtigt werden.
"Das war unser Klo"
überrascht er mich mit dem Hinweis auf ein Gebäude unter Bäumen. Ich
kontere mit einer Betrachtung über Sätze, die mit "Das ist/war
unser..." beginnen, wenn man die Fotos zurückkehrender Urlauber gezeigt
bekommt.
Wir radeln weiter nach Süden, nun nähern wir uns Hossegor. Grosse Aufsiedlungen mit Appartementhäusern, immerhin aber nicht mehr als dreigeschossig, lassen erahnen, welch ein Trubel zur Hauptsaison hier herrscht. In Hossegor blinkt ein blauer See wie eine Lagune im Sonnenlicht. Pechschwarz strömt es aus einem Saugrohr. Da spült man Strand auf, der sicher zunächst grau, dann vom Sonnenlicht gebleicht auch mal weiss erstrahlen wird. So stellt man es sich jedenfalls vor. Am Ortseingang ist ein Fahrradgeschäft, die Trikots sind mir alle zu poppig.
Nach der Enttäuschung wieder ein Cafe, hier schon teurer in den Preisen. Am Nebentisch sitzt ein junger Bursche, der ist von einem Brandunfall fürchterlich entstellt, das Gesicht ist nurmehr eine Maske. Aber man sieht, wie er sein Leben, Sonne und Zigarette geniesst, man wird nachdenklich dabei.
Die nächsten Ziele sind Bayonne, Anglet und Biarritz, drei Städte, die ineinander übergehen. Der Verkehr ist mörderisch, keine Nebenstrassen bieten sich an. Thomas fährt das einzige Mal auf dieser Fahrt mit dem Sturzhelm. In einem Supermarkt erholen wir uns, dort ist alles klimatisiert und einen Kaffe bekommen wir auch.
In Bayonne entdecken wir die pittoreske Altstadt, nur flüchtige Eindrücke können wir aufnehmen. Im Strassengewirr dieses Labyrinths finden wir auf die Anhöhe, wo ein Leuchtturm über Biarritz thront. Unten ist eine malerische Bucht, in die hat man wie zum Trotz eine hässliche Hotelburg hineingeklotzt.
Wir versuchen, in einem hochgelegenen Hotelkomplex Quartier zu nehmen. Das einzige Mal der Fahrt erfahren wir hier eine Abfuhr. Es handelt sich zufällig um das Hotel der Golfanlage von Biarritz. Eine billige Unterkunft bekämen wir unten neben dem alten Casino, wird uns vorgeschlagen. Also billig muss es sein, das scheint man uns anzusehen.
In Biarritz braucht es nur 10 Minuten, dann haben wir ein unseren pekuniären Ansprüchen gemässes Hotel gleich neben der Kirche im Zentrum gechartert. Eingerichtet, geduscht und umgezogen, schon sind wir auf dem Rundgang.
In Biarritz sind es die vorgelagerten Klippen, die man zu besuchen hat. über Treppen und Brücken gelangt man auf die vorgesehenen Aussichtspunkte. Oben thront eine Madonnenstatue, durch ein Sperrgitter gegen Kletterkünstler gesichert. Unten berät sich eine Tauchergruppe in Gummihosen über die Fehler, die man vielleicht gemacht hat, oder ob womöglich einer fehlt. "Die machen Briefing ", weiss Thomas beizusteuern.
Eine Pizzeria mit Blick auf das Meer bietet sich an. Pizza Oceano wird es wohl gewesen sein, was mir zusagt. Thomas ist auf dem Abnehmetrip und nippt nur hin und wieder am Rotwein. Die Sonne geht am Horizont des Atlantik, leicht verstellt durch ein Verkehrsschild (gefährliche Rechtskurve) unter. Ab und zu säuselt ein Porschefahrer über den vorgelagerten Parkplatz.
So geniessen wir Biarritz, ziehen uns erlebnisschwer in unser Hotel Antalayes, zwei Sterne, Zimmer mit WC, Badewanne und Bidet, zurück.
In der Markthalle besorgen wir uns jeder eine Tüte Langusten. Die knackt man wie die Krabben, doch weil sie grösser sind, hat man mehr Fleisch. Zwischen Fischernetzen auf einer Hafentreppe sitzend geniessen wir das ganz zünftig. Bis uns der Regen in ein Cafe vertreibt.
Dort nun dürfen wir zwei Stunden sitzen und trüben Sinnes durch die Fenster in den Dauerregen schauen. Thomas besorgt sich in einer Bäckerei gegenüber Kuchen und verzehrt ihn unauffällig aus der Tüte unter dem Tisch zum Kaffee. Nach einer Weile haben wir eine Zeche von DM 18 für vier Kaffee, so ein Regentag kann teuer werden.
Gegen 15 Uhr halten wir es nicht mehr aus und starten in Richtung der regenverhangenen Berge. Der Regen hat vorerst einmal aufgehört. Nur von den Pyrenäen, denen wir uns erwartungsvoll genähert haben, ist ausser grauen Schleiern nichts auszumachen.
Der Verkehr ist mässig, heute hat wohl keiner Lust auf Ausflugsfahrten. Der Regen setzt mal wieder ein, mal hört er wieder auf. So haben wir genug mit dem Auf- und Abrüsten der Regenklamotten zu tun. Bei einer Abfahrt - Thomas fährt vorne - flattert mir sein grüner Regenumhang von Wiglo- Wunderland für DM 3.50 entgegen. Thomas lobt meine soziale Einstellung, als ich ihm das Teil überreiche, er hätte den Verlust gar nicht bemerkt.
In einem Ort, wo wir uns vor dem Regen unterstellen, zieht ein Ehepaar mit vorne und hinten prall bepackten Rädern seines Weges. Ein Kinderanhänger hoppelt hinterher. Da möchte man nicht tauschen.
Wir leisten uns ein Missverständnis, indem ich, ohne dass Thomas es merkt, vorausfahre. Vorfahren tue ich immer gern, da Thomas mit seinem Rennrad etwas zügiger fährt. Diesmal schaue ich mich nach ein paar Kilometern immer häufiger um, kein Thomas in Sicht. Noch eine scharfe Steigung hoch, dann stelle ich mich unter, um zu warten. Nach Verzehr eines halben Baguette tut sich immer noch nichts.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als zurückzufahren, um die Situation zu klären. Also die scharfe Steigung wieder runter, immer weiter zurück bis zu der Stelle, wo wir Rast gemacht haben. Da sitzt Thomas seelenruhig in der Bushaltestelle und harrt der Dinge. Da er nicht mitbekommen hatte, dass ich vorausgefahren war, hat er mich in dem Ort gesucht. Den Ärger stecken wir weg, durch strömenden Regen fahren wir die Reststrecke bis Cambo.
Im Hotel Bellevue kehren wir triefend vor Nässe ein. Man nimmt uns wie immer sehr freundlich auf, wir dürfen sogar die Räder durch das Hotel hinter das Haus in die Garage schieben. Danach geht es uns gut, die Heizungen sind angestellt, ein heisses Bad ist das Schönste, was man jetzt haben kann. Die Glieder wohlig ausgestreckt im warmen Zimmer, draussen hält der Himmel seine Schleusen weit geöffnet.
Wir finden uns in dem vornehmen Speisesaal ein. Thomas belässt es bei einer Fischsuppe. Ich genehmige mir aber ein Menue. Die Vorspeise besteht aus einem pechschwarzen Sud von Tintenfischen, da wird sogar mir blümerant. Das Hauptgericht ist auch undefinierbar, eine Spezialität der Gegend angeblich. Irgendein gefülltes Hohlgemüse, was weiss man.
Die ganze Nacht pladdert der Regen an die Fensterläden.
Unter dem Motto "Grün ist das Tal" geht es los, entlang dem Fluss Nive, der heute natürlich ordentlich geladen hat. Die unbewaldeten Berge sind wie mit einem grünen Polster überzogen. Besonders malerisch eine Wiese mit Schafen auf einem Bergrücken. Eine Bahnlinie begleitet uns durch das wilder werdende Tal. Wir hören juchzende Schreie vom Fluss herauf, da sind Schlauchbootfahrer zwischen den Stromschnellen zugange. Wir werden Augenzeugen, wie einer über Bord geht, aber bald wieder aufgeangelt wird.
Weniger erfreulich sind die vielen Kröten, die auf der Strasse ihr Leben lassen mussten. Schliesslich weitet sich das Tal wieder und wir erreichen St. Jean Pied de Port. Wir befinden uns nun mitten im Land der Basken, wie man unschwer an der typischen Kopfbedeckung der Einheimischen erkennt. In den engen Gassen marschiert eine Musikkapelle auf, man kommt vor Menschen gar nicht weiter. Ein etwas depperter Passant versucht ein Gespräch mit uns, was aber wegen der mangelnden Sprachkenntnisse beiderseits bald scheitert.
Ein Restaurant bietet sich an, mal wieder ein Glückstreffer. Nicht was das Käsesandwich oder den Kaffee angeht. Nein, hier findet sich ein Original nach dem anderen ein. Zwei der Typen verfügen unter der obligatorischen Baskenmütze nurmehr über ein halbes Ohr. Ob sie Opfer eines hier üblichen Naturkampfes sind, grübelt man da. Hier geht es aber um was anderes. Ständig wird mit Geldscheinen und Wettzetteln hantiert. Anscheinend schliesst man Wetten auf Pferderennen ab, wo immer die stattfinden mögen.
Thomas bestellt einen Teller Oliven, auch mal etwas anderes.
Schliesslich brechen wir wieder auf, der erste Pass wartet auf uns: der
Col de Osquich, 500 m hoch. 400 Meter davon müssen wir hinauf. Wir
kurbeln schwitzend vor uns hin, ich mit meiner kleinen Übersetzung,
Thomas schwer tretend.
Bild 1
Osquich
Endlich erreicht man ein Gasthaus, aber das ist noch nicht die
Passhöhe. Weitere zwei Kilometer hinauf, dann hat man es geschafft. Die
Aussicht über die Vorberge der Pyrenäen belohnt einen für die
Anstrengungen. Und natürlich die Abfahrt, bei der man bremsend die
mühsam erklommenen Höhenmeter wieder vernichtet.
Der Blick auf die Zentralkette der Pyrenäen ist verhangen, immerhin erkennt man schneebedeckte Berge. Bald sind wir in Mauleon Licharre und wir fallen über eine Bäckerei her. Mit Heisshunger ziehe ich mir drei Stücke Kuchen rein, das baut auf.
Gemächlich rollen wir die Reststrecke ab nach Oloron St. Marie. Hier gibt es eine bemerkenswerte Kirche (Reiseführer), aber die ist von einer Baustelle umgeben, ausserdem haben wir nur Augen für den Hinweis auf ein Hotel. Centre Ville - Ortszentrum, das ist in solchen Fällen angesagt. Im Hotel Bristol steigen wir ab.
Der Fahrradfahrer stellt nach einem anstrengenden Tag keine grossen Ansprüche, immer wieder ist man von einem Glücksgefühl erfüllt, wenn man eine Unterkunft hat, sei sie auch noch so einfach. Hier ist das Haus dunkel und muffig, aber sauber. Die Legende von Wanzen und anderem Ungeziefer in südeuropäischen Regionen müssen wir ganz entschieden zu rückweisen, immer war es sauber und die Duschen spendeten stets wunderbar heisses Wasser.
Hier sind die Verhältnisse also etwas einfacher, in der Bar an
der Strasse versitzen wir den Abend dann wieder auf angenehme Weise.
Ein Baske ist von dem anstrengenden Tag gezeichnet und wird hinter der
Theke immer kleiner. Was heute für ein Feiertag sei,
Kranzniederlegungen und so, darüber grübeln wir noch nach. Thomas
meint, Ende des Zweiten Weltkriegs. Ich bin der Meinung, das Kriegsende
sei im August oder so. Wandelnde Bildungslücken! Inzwischen habe ich im
Lexikon nachgesehen, am 7. Mai 1945 hat Generaloberst Jodl in Reims die
bedingungslose Kapitulation unterzeichnet.
Denkmal
Zunächst geht es heute immer rauf und runter, erst im Tal der oder des Gave du Pau fährt man ohne Steigungen. Eine Rast am Strassenrand: in dem Tankschacht einer ehemaligen Tankstelle huschen die Ratten, die wundern sich über den warmen Regen von oben.
Wir passieren die Grottes de Betharam, eines der grossartigsten Höhlensysteme der Region. Auf Werbeplakaten werden alle Sportarten, die man in dieser Gegend ausüben kann, angepriesen: Höhlentouren, Klettern und Bergsteigen, Kanu- und Schlauchbootfahrten, Mountainbiking usw. Normales Wandern ist schon out.
Gegen Mittag erreichen wir Lourdes, das verspricht wieder einen Höhepunkt an Eindrücken, wie auch immer. Die Partnerstadt von Lourdes in Polen ist Tschenstochau, Sitz der schwarzen Madonna. Das passt ja wie die Faust auf's Auge, "Da können die Gemeinderäte immer gemeinsam beraten, wie sie die Pilger am besten behumsen" meint Thomas dazu.
Wir schlüpfen in das heilige Gelände durch ein unverschlossenes Hintertor in einem Drahtzaun. Vor der heiligen Grotte drängen sich die Gläubigen. In dieser Grotte soll eine Dame namens Bernadette im Jahre 1858 eine Marienerscheinung gehabt haben. Wer's glaubt, wird seelig!
Ich ziehe mir meine Trainingshose über, um auch einen Fuss in die geweihte Stätte zu setzen. Leute in Rollstühlen werden vorbeigeschoben, viele grüssen und singen Choräle vor sich hin. Die Rollstühle kann man mieten, mit Anschieber. Hier und dort wird ein privater Gottesdienst abgehalten. Man sieht den Leuten an, dass sie restlos glücklich damit sind, am Ziel ihrer Wünsche zu sein.
Ich reihe mich in die Reihe der Pilger ein. Die Beobachtungen dabei entfachen eine regelrechte Wut. Viele küssen die Steine. Eine Frau führt in einem Korb Brot mit sich. Dieses reibt sie nun an den heiligen Felsen wohl in der Annahme, das Brot dadurch zu weihen oder ihm Heiligkeit zu übertragen. Andere entzünden Kerzen und fügen sie einer Pyramide hinzu, die ständig zusammenzubrechen droht und von einem eigens dafür Ver antwortlichen bewacht wird.
Über der Grotte ist ein Draht gespannt, da hängt ein Satz von Krücken und anderen Geh-Instrumenten: das sind wohl die Zeugen von Wunderheilungen. Mich klärt später jemand auf: für eine Wunderheilung muss man sich vorher ein Attest besorgen, das einem bescheinigt, an einer unheilbaren Krankheit zu leiden. Wenn es dann mit der Heilung geklappt hat, darf man sich unter Vorlage des Attestes wieder melden und den Antrag auf Anerkennung des Wunders stellen. Wenn das auch wieder gut geht, wird man in die Liste der Wunderheilungen aufgenommen.
Nebenan ist die Abfüllstelle für das heilige Wasser. Überall kann man Flaschen, Behälter und Kannister kaufen. Die schönsten davon sind in der Form der Marienstatue gehalten.
Das alles kann man wohl nur als Götzentum in Reinkultur bezeichnen! Dass eine Kirche der Neuzeit sowas duldet und sogar noch unterstützt, das ist schon erbärmlich. Aber Geld kann man damit verdienen...
Als ob man unsere Gedanken gelesen hätte, ein Wächter erscheint und macht uns unmissverständlich klar, dass wir mit den Fahrrädern hier nun absolut gar nichts verloren hätten. Äber die fahren doch auch Rollstuhl" - aber das ist ein makabrer Scherz. Die vielen Kranken können am wenigsten für den Hokuspokus hier, viele haben sicher lange gespart, um sich diesen Wunsch erfüllen zu können. Eine Pilgergruppe aus Irland mit Transparenten, Spruchbändern und mitgeführtem Priester an der Spitze des Zuges zieht singend an uns vorbei.
Wir leisten murrend dem Wachmann Folge und befinden uns sogleich draussen vor der Tür. Hätten wir vorhin nicht die Hintertür gefunden, wir wären gar nicht hineingekomen, es ist alles streng bewacht.
An die heilige Meile schliesst sich die Souvernirmeile an. Was es da an Andenken und frommem Schnickschnack zu kaufen gibt, ist an Kitsch nicht zu überbieten. Froh, an einem anständigen Bäckerladen zu landen, sind erstmal ein paar Stück Kuchen fällig, da weiss man, was man hat.
Das nächste Ziel ist die Stadt Bagneres di Bigorre. Wir zeigen dem geschäftigen Treiben bald den Rücken, man muss weiter bergauf klettern, und darf dann eine rauschende Abfahrt hinunter zu der etwas maroden Abtei d' Escaladieu (Zisterzienserkloster, 12. Jahrh.) geniessen. Natürlich geht es sogleich wieder hinauf zu dem Ort Mauvezin, oben auf dem Berg thronen die Reste einer Trutzburg. Unsere Hoffnung auf eine Bleibe erfüllt sich nicht. Trotz schöner Lage mit Rundblick nach allen Seiten gibt es hier kein Hotel. Dafür geht es wieder hinunter, das letzte Stück über eine Nationalstrasse fahrend erreichen wir Lannemezan.
Und nun geschieht das Wunder. Ein Fahrradgeschäft hat noch geöffnet. Nun darf ich den geneigten Leser von der Plage erlösen, die Suche nach einem Fahrradhemd mit zu erdulden. Ich kann ein Hemd erstehen, das genau die Farbe meines Fahrrads hat. Wie ich später feststelle, kosten die Hemden bei uns so um das Doppelte. Man kann also jedem empfehlen, sein Fahrradhemd in Frankreich zu kaufen, wenn er die Geduld dazu hat. Ein Hotel finden wir auch, der Abend ist gerettet.
St. Bertrand Wir passieren die Kathedrale über St. Bertrand, die ist imposant. Eine Ausgrabungsstätte römischer Grundmauern erinnert daran, dass es laut Reiseführer hier eine römische Siedlung namens Lungdunum gab, klingt ganz nach Asterix!
In Aspet setzen wir uns an dem sonnenüberfluteten Dorfplatz an den Tisch einer Bar und verzehren Sandwich und Salat. Am Nebentisch sitzen zwei Zecher bei ein paar Flaschen Rotwein. In der prallen Sonne sind sie aber bald fix und fertig und lassen die Hälfte des Weins unverzehrt zurück. Auf dem Platz steht wieder eines dieser eindrucksvollen Kriegerdenkmäler. Der forsche Held trägt diesmal eine dezent in Stein gemeisselte Handgranate wurfbereit beim Vorwärtsstürmen.
Wir nähern uns dem Fluss Salat, an dessen Ufern wir Richtung St. Girons rollen. Die schneebedeckten Gipfel der Zentralpyrenäen leuchten voraus. In einem Vorort wird Kuchen nachgetankt. Ein paar Männer mit Baskenmützen streunen herum, die machen einen etwas verlotterten Eindruck. Die Sache klärt sich auf, indem hier wohl irgendwo in der Nähe sich ein Altersheim befindet.
Dann macht sich Thomas plötzlich auf die Socken. Er kurbelt durch verwinkelte Gassen steil hinauf, ich immer hinterher. Endlich erreiche ich ihn keuchend. "Wo soll es denn hingehen?" "Ich dachte, hier gibt es ein Cafe!" Wir stehen aber zu Füssen einer Festung, die wir nicht auch noch erobern wollen.
Wir holpern über Kopfsteinpflaster durch das Burgtor wieder
hinunter in die lebendige Stadt St.
Girons.
An einem grossen Platz, bestanden mit Platanen, nehmen wir endlich
unseren Kaffee ein. Was ist heute noch zu tun? Die nächste Etappe nach
Foix beläuft sich über 44 km auf einer vielbefahrenen Strasse, das muss
heute nicht mehr sein. In bewährter Weise suchen wir uns unser Hotel,
diesmal gibt es ein Zimmer mit Balkonterrasse und Blick auf den
rauschenden Fluss.
So war dieser Tag die Königsetappe, nicht was die Länge der zurückgelegten Strecke angeht, aber die Landschaftseindrücke waren überwältigend.
Nach einem Stadtbummel landen wir in einem Restaurant mit brüllendem Fernseher. Es wird ein Fussballspiel übertragen und die interessierten Zecher an der Theke wenden den Blick nicht vom Geschehen. Eine Mikrowellen-Pizza, die kann man vergessen. Dann setzen wir uns auch zu Füssen der Fussballspieler und beobachten ganz unvoreingenommen das Gemetzel auf dem grünen Rasen: Halbfinale der französischen Pokalmeisterschaft, St. Etienne gewinnt 2:0 (glaube ich).
Als alle Tore und solche, die es hätten werden können, gezeigt sind und die Interviews mangels Sprach- und Personenkenntnis uns auch nicht den wahren Durchblick gewähren, sind wir in unserem vom Rauschen des Flusses erfüllten Etablissement gut aufgehoben.
Eine nette Dame, zum Glück des Englischen mächtig, macht sich auch sogleich ans Werk und liefert über die Bahnauskunft eine Verbindung von Carcassonne über Nimes und Strassburg in das heimatliche Land, wo die ICE-Züge brausen. Der darob verfasste Zettel mit Notizen nimmt sich zwar etwas chaotisch aus, aber Thomas verwahrt ihn sorgfältig.
Erleichtert geht es an die Weiterfahrt. Ich habe noch die ganze Woche vor Pfingsten Urlaub und mache mir meine eigenen Gedanken.
Jetzt müssen wir erstmal die am Vortag verschmähte Durststrecke über 44 km nach Foix bewältigen. Eine Nebenstrecke bietet sich nicht an, so spulen wir das eben ab. Einen Pass, Col du Boich mit 739 m bietet die Strecke ausserdem. Der Pass ist kein Problem, nach mässigen Steigungen erreicht man ihn unverbraucht. Dann geht es schnell hinab nach Foix.
Angesichts der drei imposanten Festungstürme der Burgruine kommt man wieder zur Besinnung. Hier in der Gegend wurden - so steht es in einem anderen Reisebericht - im Jahre 1244 Abtrünnige der katholischen Kirche (die Karthaer) monatelang belagert, um dann Hand in Hand und Lieder singend auf dem Scheiterhaufen zu enden. Das Gute siegt eben doch immer zuguterletzt.
Foix besitzt wieder eine verwinkelte Altststadt, die wir, einen Bäckerladen nicht verschmähend, durchradeln. An der Kirche setzen wir uns - wo wohl - in einem Cafe nieder. Ich gehe auch noch in die Kirche hinein, weil sie gerade auf ist. Im Reiseführer ist leider nichts über diese Kirche vermerkt.
Diese Orte muss man eben studieren, der Radfahrer aber scharrt beständig mit den Hufen, weiter muss es gehen. So verlassen wir Foix wohl zu eilig, die für uns ausersehene Nebenstrecke verpassen wir glatt. Nur noch bergab geht es und nur noch nach Toulouse, wo wir gar nicht hinwollen. Neben der Autobahn tasten wir uns allmählich an eine Korrektur heran, die uns auf die richtigen Pfade zurückführt.
Dabei haben wir sogar einen weiteren Pass ausgespart und erreichen in Laroque wieder die geplante Route. Dunkle Wolken dräuen am Himmel, aber wir müssen weiter. Immerhin schiebt uns der Wind voran. Trocken erreichen wir noch Chalabre, eine dunkle Ortschaft unter Platanen.
Beim Bewältigen der anschliessenden Steigung regnet es sich ein, die Regenkleidung umhüllt unsere dampfenden Körper. Bei der Abfahrt hellt es sich wieder auf. Der letzte Pass des Pyrenäenvorlands, der Col de St. Benoit, 614 m, muss noch bewältigt werden, dann geht es nur noch hinunter, viel zu schnell!
Auf Passabfahrten erreicht man für gewöhnlich gar nicht so grosse Geschwindigkeiten, weil der Strassenverlauf meist unübersichtlich ist. Das grösste Tempo erzielt man auf kürzeren aber gut einsehbaren Teilstücken, wenn der Strassenbelag mitspielt. Mein Höchsttempo liegt bei 57 km/h. Thomas ist bei Abfahrten wegen seines grazileren Fahrrades immer vorsichtiger, obwohl er einen Sturzhelm dabei hat, den er bloss nie aufsetzt.
Unser Tagesziel - Limoux - ist schon in Sichtweite, da bricht der Regen richtig los. Schon durchnässt wird die Regenkleidung übergestülpt. In Limoux angekommen hat sich Thomas mal wieder in ein Nichts aufgelöst. Diesmal warte ich unter einem Torbogen und schaue den gurgelden Wassermassen in der Gosse zu.
Thomas taucht wieder auf, er hat schon mal nach einem Hotel Ausschau gehalten. Ein paar Gassen schieben wir noch weiter, dann haben wir unser Hotel. Das ist diesmal eine Baustelle, von unten bis oben wird das Haus umgekrempelt. Mit uns hat man wohl Mitleid, triefend vor Nässe werden wir zwischen den Handwerkern hindurch gelotst. Über eine unvollständige Treppe können wir die oben gelegenen Gastzimmer erreichen. Da findet sich alles so vor, wie es wohl seit hundert Jahren war.
Das zentrale WC ist ein Thron, der als Zentrum des Stockwerks über eine kleine Treppe erreichbar ist. Wenn man dort oben sitzt, möchte man eine Rede halten. Wenn die Tür geschlossen wird, geht das Licht durch einen Kontaktschalter automatisch an. Eine warme Dusche ist auch intakt. Was will man mehr.
Wie immer nach anstrengender Fahrt packe ich zuerst meinen Schlafsack aus und wärme die durchgefrorenen Glieder. In den sonderbar festgezurrten Laken der französischen Lager habe ich mich von Anfang an nicht wohl gefühlt. Man wacht dann nachts auf, inmitten von einem Durcheinander von Laken und zweifelhaften Zudecken, oder ist zwischen Ober- und Unterdecke hoffnungslos eingeklemmt. Hier steht das Bett nach Verlust eines Fusses auf einer Würstchendose.
Nach der Regenerierungsphase in diesem Hotel, das man in diesem Zustand nie wieder zu sehen bekommen wird, landen wir in einem ganz originellen Restaurant am zentralen Platz des Ortes. Hohe Stuckdecken und Spiegelwände vermitteln einen Eindruck der zwanziger Jahre. Etwas verloren sitzt man da herum, seinem eigenen Spiegelbild ausweichend. Wieder plärrt der Fernseher. Am Nebentisch spielen die Einheimischen verbissen ein uns unbekanntes Kartenspiel.
Heute ist übrigens Himmelfahrt oder Vatertag, fällt uns irgendwann ein. Verstärkt begegnen uns nämlich Radfahrer, die in sportlichem Dress durch die Gegend eilen. Auch eine Familie im ordentlichen Verband befindet sich auf Radtour. Aber das ist die Ausnahme, normalerweise gibt sich der Franzose, wenn er schon Rad fährt, auf die sportliche Art.
Die Felder dampfen vom Regen der Nacht. Die Pyrenäen leuchten weiss, sicher hat es bis unter 2000 m hinunter geschneit. Wir fahren nun nordwärts und müssen von den Bergen Abschied nehmen. Aber die Ablösung ist schon in Sicht, hinter Carcassonne bauen sich neue Berge auf als Montagne Noir oder Haut Languedoc. Thomas wird das nicht mehr betreffen, er ist schon innerlich auf dem Abflug. Aber ich wetze noch die Messer.
Carcassonne steht und fällt mit der Cite, der mittelalterlichen Oberstadt. Umschlossen von gewaltigen Stadtmauern bietet sie dem Touristen ein einzigartiges Ziel. Busse aus allen Teilen Europas treffen sich auf dem Busparkplatz. Eine Führung wird auch in deutsch durchgeführt, ich horche kurz hinein. Da wird erklärt, dass die französischen Friedhöfe vorwiegend aus Stein gebaut sind, die Blumen in den heissen Sommern schnell verwelken, und dass in den Befestigungsgräben sich früher Wasser befunden habe. Mehr brauche ich nicht für meine Bildung anzuhören.
Wir wandeln ein wenig durch die engen Gassen. Klar, dass hier wieder hauptsächlich der Souvernirhandel dominiert. Ganz nette Restaurants gibt es auch noch, aber wir können nur eines ausprobieren. In diesem bestehen die Beschläge und Wasserhähne auf der Toilette aus massivem altertümlichen Messing.
Und nun zu guter Letzt zum Bahnhof. Auf dem Weg dorthin macht Thomas einen Versuch, bei einer Busgesellschaft, sagen wir mal Sauter-Reisen, für die Heimfahrt unterzukommen. "Hallo Ihr Sauters " ruft er den Gästen zu. "Ich will nach Hause". Aber die fahren noch nicht zurück nach Deutschland. Am Bahnhof gibt es allerdings einige Verständigungsprobleme. Der Schalterbeamte weigert sich kategorisch, in einer anderen Sprache zu verhandeln, nicht in Englisch und schon gar nicht in Deutsch.
Bei einem Hintereingang finden wir zwei Bahnbeamte, die sind hilfsbereiter. Besonders der eine, der hat wohl schon ordentlich getankt. Jedenfalls wird Thomas' Fahrrad erstmal als Gepäckstück abgefertigt. Er hat noch nicht einmal bezahlt, da ist das Rad schon in den gerade abfahrenden Zug nach Paris- Austerlitz verladen. Eine Fahrkarte nach Strassburg besorgt er sich anschliessend, dann bleibt eigentlich nur noch, sich zu verabschieden, ich scharre schon wieder vernehmlich mit den Hufen.
Während Thomas noch an seinen Sachen herumrödelt, rolle ich aus dem Bahnhofsgelände, der neuen Freiheit des Einzelfahrers entgegen.