Land's End to John O' Groats 12.6.-27.6.1999
Eine Radreise durch England, Wales und Schottland
Rückreise
1. Tag Rückfahrt, Montag: Thurso - Inverness - Edinburgh -Newcastle, Bahnfahrt
Ein moderner Mensch plant, bucht, reserviert, telefoniert, faxt und mailt. Ich habe nichts dergleichen getan, weiß nur, daß Dienstags ein Schiff der Scandinavian Seaways von Newcastle nach Hamburg verkehrt. Und daß um 6.30 der erste Zug von Thurso nach Inverness abfährt. Nach unruhigem Schlaf wache ich rechtzeitig auf, um den Wecker zu kontrollieren, der pflichtgemäß seinen Dienst tut. Mangels Frühstück habe ich noch genügend Zeit, mir drei Tassen Nescafe rein zu ziehen. Man hat in den meisten Quartieren die Möglichkeit, sich Wasser heiß zu machen und einen Tee oder Kaffee aufzubrühen. Das habe ich bisher versäumt zu berichten, und mache auch erst heute das erste mal Gebrauch davon. Pünktlich bin ich am Bahnhof, es regnet in Strömen. Außer mir finden sich noch vier weitere Radfahrer ein, die haben alle den Radtransport reserviert. Ich hülle mich in Schweigen und bin nach Einfahrt des Zuges der erste im Gepäckabt eil. Das Fahrrad wird an einen Haken gehängt und man verzieht sich schnell in das nächste Abteil.
Eine Fahrkarte habe ich natürlich auch noch nicht. Das erledigt sich aber alles bestens, der Schaffner setzt sich zu einem, zückt einen mittelgroßen Apparat, mit dessen Hilfe sich sogar per Scheckkarte bezahlen läßt. Von meinem Fahrrad sage ich nichts. Ich greife vor - das Fahrrad ist kostenfrei bis Newcastle gereist. Nachdem die Formalitäten erledigt sind, kann man sich der Landschaft widmen. Die Bahnroute führt geradezu im Zickzack durch Nordschottland, überquert mehrere Pässe zwischen Bergen mit Schneefeldern, berührt mehrmals die Küste - und das bedeutet: man hat was davon. Da es aber nicht die Gelegenheit gibt, zu verweilen und die Landschaft auf sich wirken zu lassen, verzichte ich auf eine detaillierte Beschreibung. Sicher ist, an die Großartigkeit der Westküste kann die Landschaft hier nicht heranreichen.
Neben mir sitzen zwei Deutsche Rucksackreisende, die müssen furchtbar eingeregnet gewesen sein, nun tupfen sie mit Papierhandtüchern aus der Toilette an ihrem Zelt und Gepäck herum, das sieht aus, als wenn ein verwundetes Tier sich die Wunden leckt. "They build up their tent here" sagt diehaffnerin. Und zwei Reihen weiter sitzt ein famos aussehender junger Mann, der sieht aus wie Richard Gere - eigentlich noch besser. An dem kommt die Schaffnerin einfach nicht vorbei und man kann zugucken, wie Flirten geht.
In Inverness muß man umsteigen. Ein Bahnbeamter fragt, ob das Fahrrad angemeldet sei. "Yes, Sir" sage ich und verschwinde im Gepäckabteil. Und fahre auf das Angenehmste nach Edinburgh. Von dort fährt alle halbe Stunde ein Zug nach London Kings Cross, doch ich will ja nur nach Newcastle, da muß man vorher aussteigen, wie mir der Schaffner erklärt. Als ich lache, weiß er, daß ich seinen Scherz verstanden habe. Natürlich passiert noch etwas, als der übliche Wagen mit Getränken und Snacks durch den Gang rumpelt. Ein gegenüber sitzender Herr wünscht ein Getränk, worauf sich der Wagenschieber fuchtelnd in die Tiefen seiner Vorräte versenkt. Und da gibt es einen Knall, eine Coaldose mit klebrigem Inhalt ist hochgegangen, woraufhin sich der gegenüber sitzende Herr mit triefenden Händen und befleckter Kleidung zur Toilette begeben muß. "I never had that" sagt der Wagenschieber.
Na ja, ich steige in Newcastle aus, da ist die Touristeninformation gleich am Bahnhof. Wo ich denn nun ein Ticket für das Schiff nach Hamburg bekommen könnte, will ich wissen. Wenig weiter sei ein Reisebüro, Thomas Cook, da ginge das. Und einen Stadtplan mit Unterkunftmöglichkeiten bekomme ich auch noch. Da stehen leider nur schwindelerregende Preise zur Auswahl. Also erst mal in das Thomas Cook Büro. Da weiß man von nichts. Es bedient mich allerdings eine junge hübsche Dame, die noch in der Lehre tätig ist. Ein paar Kollegen müssen ihr zu Hilfe kommen, und man klärt zunächst, daß an besagtem Tag das Schiff nicht verkehrt, sondern einen Tag später, das wäre der Mittwoch. Irgendwie habe ich mir diese Rückfahrt auf See in den Kopf gesetzt, an Kosten spare ich auch nicht - und wenn man das nicht tut - gelingt einem alles auf der Welt. Auch nicht so gut, sowas.
Nach einigen Telefonaten mit der Reederei, Ausfüllen von diversen Formularen, Abbuchen, Quittieren, Passport - Registrierung und so weiter, mein Lehrling hat schon ganz rote Backen, ist die Prozedur endlich abgeschlossen. Mit "This was a good lesson for you" verabschiede ich mich, um einen guten Betrag ärmer, aber mit einem wohlwollenden Lächeln bedacht. Nun gilt es ein Quartier zu finden, sowie einen Tag in Newcastle zu gestalten, da ist man ja auch nicht darauf vorbereitet.
So langsam bin ich es leid, immer nur von meinem Glück zu berichten, aber ich habe es einfach. Nicht weit entfernt von der Universität finde ich in einer Straße, die rein äußerlich nach B&B Möglichkeiten aussehen mag, tatsächlich das Herron's Hotel, 40 Jesmond Road. Bevor ich da rein gehe, blättere ich lieber noch mal in dem Quartierverzeichnis, was das denn hier kosten mag. Aber Herron's Hotel ist nicht aufgeführt. Da geht die Tür auf und es heißt in harschem Ton: "I don't want you here with your bike". Das ist Dave, und er lacht. Zwei Minuten später sitze ich mit ihm in der Laundry bei einem Kaffee. Dave ist eine Plaudertasche, auf der ganzen Tour mußte ich nicht soviel Konversation machen. Wir kommen sogar ins Politische, Europäische Gemeinschaft und so. Logo, daß ich mein Zimmer bekomme, bei der zentralen Lage, sogar in einem Haus aus der Georgian Period, zu einem annehmbaren Preis (£ 21.-).
Mein Rundgang hat hauptsächlich das Ziel, ein gutes Restaurant aufzusuchen, Ihr wißt schon was. Und nun finde ich genau das Richtige für den hungrigen Reisenden. "Charlie's Chinese Buffet", wo man so viel essen kann, wie man will. Ein Zeitungsartikel über diese Angelegenheit ist am Schaufenster ausgehängt.
Brücken in Newcastle |
Die Stadt bietet sonst das übliche, was in jeder Großstadt anzutreffen ist. Im Moment scheint gerade Rush-Hour für die abendlichen Vergnügungsausgänge zu sein. Wieder Scharen von leicht bekleideten Mädchen, frieren tun die hier wohl nicht. Zurück in meinem Zimmer plane ich für den morgigen Tag. Anstatt mir irgend welche Museen anzusehen fahre ich lieber an die Küste, mal sehen, was dort zu sehen gibt.
Dienstag/Mittwoch: Tynemouth, Whitley Bay, Earsdon,
Heimreise
63/33 km trp, 2031 km total
Das ist ganz was neues: ohne Gepäck und Ziel losfahren. Ein Ziel habe ich allerdings, als vorsichtiger Mensch will ich die Anfahrt zum Ableger des morgigen Schiffes erkunden. Was man mir im Reisebüro erzählt hat: mit dem Fahrrad käme man da gar nicht hin, am besten ginge es mit der Metro oder dem Shuttle Bus vom Bahnhof - das ist alles Unsinn. In der Metro darf man keine "Fahrräder und andere sperrige Güter" mitnehmen. Mit dem Shuttle Bus dürfte das noch schwieriger sein, das sind nämlich die guten alten Doppeldecker. Und wenn man die ca. 10 Meilen mit dem Fahrrad rausfahren will, gibt es dafür den "Hadrians Weg" immer am Fluß entlang. Auf dem fahre ich nun und mache allerhand Entdeckungen.
Der Name Hadrian kommt hier an jeder Ecke vor. Der römische Imperator Hadrian ließ in der Zeit um 150 n.Chr. als nördliche Grenze des römischen Reiches gegen die "Barbaren" ein Bauwerk errichten, das unter dem Namen Hadrianswall bekannt ist. Nähere Informationen unter Hadrians Wall. Immerhin komme ich einmal an den Resten einer römischen Anlage vorbei, im übrigen wimmelt es hier davon.
Es geht raus nach Tyne Mouth, auf dem Wege treffe ich immer mehr Radler, die kommen alle von einem Schiff, das gerade aus Amsterdam angekommen ist. Die habe ihre Reise noch vor sich. Als ich an der Schiffsanlegestelle eintreffe, ist schon wieder alles wie ausgestorben, aber ich weiß, wo ich morgen hin muß. Die Fahrt zur Mündung des Tyne ist wunderschön. Hie endet eine C2C (Coast to Coast) Route am äußeren Ende der Flußmündung. Dort befindet sich auch die Ruine einer ehemaligen Befestigungsanlage. Als ich eine kleine Steigung rauf fahren will, reißt nun endlich auch der rechte Schaltzug ab, das ist mir jetzt ziemlich egal.
Mit der Whitley Bay trifft man auf einen wunderschönen Teil der Küste. Das Juwel ist St. Mary's Island, ein paar Häuser und ein Leuchtturm auf einer vorgelagerten Felsinsel. Bei Ebbe kann man trockenen Fußes hinüber gehen. Auf der Wiese fällt ein Gedenkstein ins Auge, da steht was interessantes drauf, und da ich heute Zeit habe, schreibe ich das ab. Es handelt sich um Curry's Point:
On 6 th Sept. 1739 Michael Curry was executed for the
murder of
the landlord of the Three Horseshoes Inn, Hartley.
His body was
afterwards hung in chains from a gibbet at this spot, within sight of
his crime.
Ever since that gruesome event this headland has been known as
Curry's Point
St. Mary's Island |
Curry's Point |
Seaton Delaval Hall |
Church of our Lady |
Farewell my wife and children dear, |
1921 aged 77 Thomas, |
Ich komme dann in den Ort Earsdon, dessen deutsche Partnerstadt ist Oer-Erkenschwick. Da gibt es auch wieder etwas zu entdecken. Es gab in dieser Gegend früher eine oder mehrere Kohlegruben, da hat man einen Lehrpfad (Countryside Trail) angelegt, der die Spuren aus jener Zeit aufzeigt. Nicht zu übersehen ist natürlich die alte Abraumhalde. Auf dem Friedhof steht ein großes Monument, der Hinweis darauf lautet:
In 1862 204 miners lost their lifes at Hartley colliery in a way which haunts the imagination like a nightmare - by burial alive.
Auf dem Monument steht über die Unglücksursache nur etwas von "Broken Engine Beam". Das heißt so viel wie Bruch der Maschinenwelle, aber daraus läßt sich keine Erklärung ableiten. Es kann ja wohl nicht sein, daß es sich um die Fördermaschine gehandelt hat und man die Bergleute nicht mehr auf andere Weise herauf holen konnte? Was hat sich da abgespielt? Wenn man die vielen Namen und Alterszahlen der Verunglückten liest, ist man schon erschüttert, die meisten waren 20-30 Jahre alt.
Nachtrag: Wenn man im Internet nach "Hartley colliery" sucht, gibt es eine Menge Hinweise auf diese Katastrophe. Die herabstürzende Welle hat die gesamte Schachtverkleidung mit in die Tiefe gerissen und den Schachtzugang für die Bergarbeiter durch einen meterhohen Berg von Trümmergewirr unzugänglich gemacht. Erst nach einer Woche konnten Retter zu den Eingeschlossenen vordringen. Diese wurden unverletzt aufgefunden, doch waren inzwischen alle an Sauerstoffmangel oder giftigen Gasen gestorben.
Durch diesen Unfall wurde in England die Vorschrift erlassen, dass jede Schachtanlage über mindestens einen zweiten Rettungsschacht verfügen musste.
Auf der Weiterfahrt treffe ich ein holländisches Radlerpaar, die sind auch wieder auf einer ausgearbeiteten Route unterwegs. Es gibt in der Reihe ... Kettler das Buch "England per Rad". In diesem sind nicht mit einem Wort die C2C und National Cycle Routes erwähnt, obwohl gerade das zum Radfahren in England eine wichtige Information wäre.
Die Rückfahrt bis in das Zentrum von Newcastle ist wegen des dichten Verkehrs weniger erbauend. Am Abend sieht man mich bei Charly am Buffet, aber eins ist klar: chinesisch gegessen wird die nächsten Wochen nicht mehr.
Alte Drehbrücke in Newcastle |
Bridge to Nowhere |
Scandinavian Seaways |
Tyne Fähre |
Abschied von einer Reise |
P.S.
Eines muß ich noch erzählen, damit die Geschichte rund ist. Am Donnerstag komme ich gegen 19 Uhr gesund und unbeschädigt auf dem Braunschweiger Hauptbahnhof an. Und da fliegt es heran und wir liegen uns in den Armen und heulen. Weich ist das Holz, aus dem wir geschnitzt sind.