Land's End to John O' Groats 12.6.-27.6.1999

Eine Radreise durch England, Wales und Schottland

Kapitel 6: Nordschottland

14. Tag, Freitag: Ullapool - Durness - Loch Eriboll
8.00-18.00, 121 km trp, 15.4 km/h avg, 55.3 km/h max, 1750 km total

Was mich am meisten freut - das Frühstück war übrigens wieder ausgezeichnet - heute darf ich zum zweiten Mal die steile Rampe hinauf schieben. Aber das ist am Morgen mit frischen Beinen ein anderer Schnack als ausgepowert am Abend. Dafür wieder eine kleine Beobachtung: ein Milchmann stellt die Flaschen an einem Gattertor eines entfernt liegenden Anwesens ab. Ein kleiner Hund wartet schon, und rennt sogleich freudig kläffend zu seiner Herrschaft, das Eintreffen der Morgenmilch zu vermelden. "Ist doch süß, oder?" würde meine liebe Frau sagen, an die ich ja auch hin und wieder mal denken muß (natürlich habe ich jeden zweiten Tag zu Hause angerufen, von den schönsten Telefonzellen der Welt).

Heute morgen interessiert mich, wie lange ich am Vorabend noch hätte fahren müssen, um ein Quartier zu finden. Das Resultat ist: genau 10 km, da ist ein Anwesen mit B&B sowie "Evening Meal available". Heute nützt mir das nichts mehr, dafür habe ich Probleme mit der Schaltung. Da geht nicht mehr viel. Man denkt sich dann, die Schaltzüge mögen sich durch die ständige Beanspruchung gedehnt haben. Kein Problem, das notwendige Werkzeug habe ich dabei, und schon sind beide Schaltzüge um ca. 1 cm verkürzt. Das hätte ich lieber lassen sollen. Kurz darauf knackt es vernehmlich im linken Schalter (der für die vorderen Kettenblätter) und dann ist Ruhe, d.h. man schaltet ins Leere. Die Kette läuft damit nur noch auf dem kleinen Blatt, dem Berggang. Da es oft bergan geht, ist das gar nicht mal schlimm, auf Ebenen oder Gefällestrecken betätige ich mich nun allerdings als "High Speed Pedailleur". Bald gebe ich das auf und trete gar nicht mehr,

Den technischen Eingriff habe ich an einer Telefonzelle vorgenommen. Dort liegt eine ausrangierte Tageszeitung, "Inverness News" oder so. Da wird über einen Unglücksfall mit tragischem Ausgang berichtet, der sich am "Strathy Point, near the Lighthouse" ereignet hat. Der Strathy Point liegt an der Nordküste, wo ich auch noch lang kommen werde, wenn alles gut geht, deshalb interessiert das. Eine Frau ist dort mit ihrem nicht angeleinten Hund spazieren gegangen, woraufhin der Hund über die Klippen (down the cliff) abrutschte und sich winselnd auf einem Felsvorsprung wieder fand. Den Versuch, den Hund zu retten, hat die Frau mit dem Leben bezahlt. Sie ist 30 m abgestürzt. Küstenwache, Rettungsdienste, Hubschrauber - es hat ihr nichts genützt. Den Hund aber hat man geborgen - unverletzt.

Nun gilt es wieder, die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten. Ich könnte sie beschreiben, aber sage lieber, es ist nicht so, daß sich irgend etwas wiederholt. Die Hochtäler, Berge und Küstenabschnitte haben jeweils ihren eigenen Charakter. Wenn ich das so genau beschreiben könnte, wie es in Wirklichkeit aussieht, dann brauchte ja kein Leser mehr dorthin fahren. Und das wäre schade.

So ein kleines Zwischenziel in dieser einsamen gegend ist der Ort Ledmore, da treffen drei Straßen aufeinander. Genau so viele Häuser gibt es hier. Es geht hinauf über einen kleinen Paß und dann hinunter zum Loch Assynt. Dort liegt an einer Kuppe die verwitterte Ruine von Ardvreck Castle. Da fragt man sich doch, welches Dasein haben in grauer Vorzeit die Menschen hier oben in dieser gottverlassenen Gegend gefristet. Da müßte man sich mal genauer mit der schottischen Geschichte befassen, im Augenblick bin ich nicht kompetent.

Es folgt wieder eine steile Steigung, damit muß man hier leben, aber ich habe ja meinen Automatik - Berggang, trotzdem muß man hin und wieder schieben. Hinunter zu dem schwierigen Namen Loch a' Chairn Bhain, wo eine flache Brücke hinüber führt. So geht das immer weiter, bis man die Laxford Bridge erreicht. Leider habe ich mir die näheren Daten auf der Schautafel nicht abgeschrieben, früher gab es hier mal eine Fähre, das ist sicher. Ein älteres Ehepaar auf dem Parkplatz, die packen gerade ihre Picknicksachen samt Klappstühlen aus. Wir wechseln ein paar Worte: "Interesting Place here" und so. Wenig später raste ich einmal wieder an einem Cattle Grid, da taucht am Horizont schwer bepackt eine Art fahrradfahrendes Hotel auf. Es handelt sich um eine Dame aus der Schweiz mit kompletter Campingausrüstung. Bald finden wir heraus, daß man sich auf Deutsch unterhalten kann. Das Gespräch ist hoch interessant. Man ist von Zürich nach Glasgow geflogen, dann mit dem Zug bis Thurso (diesen Ort werden wir noch kennen lernen, wenn alles gut geht), um die Orkney Islands zu besuchen. Nun geht es zurück nach Ullapool, um wieder den Anschluß an die Welt zu finden. Nun komme ich auch einmal zu Wort und schwärme von der Schönheit der Schottischen Landschaft. Da renne ich offene Türen ein, für eine Schweizerin erstaunlich, da ihr Land ja auch nicht gerade öde zu nennen ist, bekennt sie sich als absolute Schottland-Liebhaberin. Es gipfelt in dem Satz, den man besser nicht sagen kann: "Wenn ich einmal sterbe, werde ich glücklich sein, daß ich soviel schönes gesehen habe".

Der Ort Durness wird mir noch empfohlen, die Strände, der Sonnenuntergang, da bleibt man glatt einen Tag länger. Ungern trennen wir uns in unsere verschiedene Richtungen, und ich habe Gelegenheit, über den Satz nachzudenken "Wenn ich einmal sterbe...". Das ist jetzt ein wenig sentimental geworden. Um es spannend zu machen, wißt Ihr, daß mir heute Abend auch noch die Tränen kommen werden? Im Moment weiß ich es auch noch nicht.


Mäandrierender Fluß

Torfstich

Es geht auf der A838 auf das letzte Teilstück zur Nordküste Schottlands. Auf 180 m muß man etwa klettern und erlebt wieder die Urlandschaft satt. Von Wasserläufen durchfurchte Berghänge, Moorflächen, hier sind die Torfstecher zugange, die getrockneten Torfsoden dienen in den langen Wintern als Heizmaterial. Kurz vor der letzten Höhe steht ein Warnschild "Blind Summit" - will heißen: "Unübersichtliche Kuppe". Die ist so unübersichtlich, daß man von hier oben das erste mal SIE sieht, die See im Norden. Man muß nicht bis John O' Groats fahren, wenn man die Nordkante Schottlands erreicht hat und in Penzance gestartet ist, dann kann man sagen, wie der English Speaker zu tun pflegt: "I did it!". Bin ich schon wunderlich? Bei der Abfahrt zur Küste schreie ich hinaus: "I did it I did it I did it!!!".


Durness
Irgendwann wird die Balnakeil Bay erreicht. Nicht weit von hier bildet Cape Wrath die nordwestliche Ecke dieses kleinen Kontinents. Aber ich komme an in Durness, Schluß für heute. Nachdem ich vorhin gebeichtet habe, hier kaufe ich mein Viererpack Bier, falls man was zu feiern braucht. Und was ist: ich fremdele wieder. Ich mag nicht in Durness bleiben, es ist gegen 17 Uhr, die beste Zeit, Feierabend zu machen, nach allem! Ich fasse einen unsinnigen Entschluß, auf Risiko weiter zu fahren, denn es folgt kein gescheiter Ort mehr. Es geht vielmehr darum, das ganze Loch Eriboll zu umfahren, davon hat man schon in anderen Tourenberichten gelesen. Ich rechne mir aus, notfalls bis gegen 22 Uhr den Ort Tongue zu erreichen, bzw. einmal ausnahmsweise in der Botanik die kurze Nacht (23-4 Uhr) zu verbringen.

Einschub: Ich merke es wohl beim Niederschreiben, daß die Kapitel immer länger werden, seit ich Schottland erreicht habe. Das ist berechtigt, was hoffentlich der aufmerksame Leser bestätigen wird. Und nun muß ich ein eigenes Kapitel einfügen, weil das Ziel erreicht ist, weil ich einen unglaublichen Abschluß der Tour erlebe, weil mir das Herz überläuft. OK, wieder sentimental, aber das ist es - die kleinen Zeilen am Anfang mit Thanks und so, die stimmen!

Der Abend am Loch Eriboll

Wo waren wir stehen geblieben: beim Ausritt "Out of Durness". Und was sieht man, eine Küste wie in Cornwall, steile Klippen, alles wie gehabt? Aber der Weg ist das Ziel, was man gemerkt haben sollte. Zurück auf die Strecke, mein Weg ist ohne Ziel derzeit, ich fahre auf und ab auf Loch Eriboll zu. Da geht es bekanntlich einmal rund herum, und auf der anderen Seite kann man schon die Straße erkennen, wie sie sich wieder den Berg hinauf windet. Bis dahin sind es per Luftlinie eine Meile, auf der Straße aber 15 Meilen. Der einzige Ort, der nun noch kommt, heißt Laid. Der ist schnell erreicht. Und da steht B&B, Evening Meal available. Ich fahre vor mit dem Gedanken (wie in Durness nach der Regenfahrt), hier vertreibt mich keiner!

Ich gehe in das offene neu erbaute Haus, bis mich ein junger Mann empfängt, mir sogleich mehrere Zimmer zur Auswahl vorschlägt, worauf ich das mit dem Blick auf Loch Eriboll wähle, was aber nichts zur Sache tut, denn ich bin am Ziel, lade das Gepäck ab und bin geborgen. Übrigens steht gleich vor der Haustür wieder eine dieser Telefonzellen, die ich heute nicht brauche, weil ich erst gestern zu Hause angerufen habe, die aber trotzdem in die engere Wahl für die schönste Telefonzelle der Welt einbezogen werden muß.


Ruine am Loch Eriboll
Ich gehe duschen, was heißt, daß die Dusche gar nicht angeschlossen ist, dafür aber man sich mit der Badewanne aushelfen kann. Als ob das eine Rolle spielt. Mit meinem Gastgeber, der übrigens aussieht wie andernorts gut umschwärmte Surf- oder Tauchlehrer - Anfang 30 mit gepflegtem Schnurrbart - verabrede ich das Abendessen, gehe vorher noch ein Foto machen von einem verfallenen Anwesen, und werde dann auf das beste mit einer großen Tomatensuppe und einem Beefsteak bewirtet. Ist das nicht besser, als irgendwo mang dem Stechginster seine Nacht zu verbringen? Ich sollte mal runtergehen zum Loch, wird mir vorgeschlagen, gehört alles zum Anwesen, unten liege ein Schiff, "Without engine". Das Ding entpuppt sich dann als ein ausrangiertes Fährschiff auf dem Trockenen.

Und nun sitze ich da auf einem Felsblock, am Loch Eriboll bei untergehender Sonne, genieße das Farbenspiel, die Wellen plätschern. Was war das, diese Tour? Ein Traum oder Wirklichkeit? Benommen gehe ich zurück durch das Heidekraut, selbst Torfstechen kann mein Gastgeber auf seinem eigenen Grundstück. Und Austern hat er in durchlöcherten Plastikfässern ausgesetzt, 3 1/2 Jahre braucht es, bis man ernten kann.

Es kommt noch doller. Die Mutter von Hugh, so heißt mein Gastgeber, war Lehrerin und hat aus den Überlieferungen der Großmutter, einer großen Geschichtenerzählerin, ein kleines Büchlein zusammengestellt:

DOWN MEMORY LANE
By Catherine Mac Kay
Folklore Tales and Reminiscenses
of the West Side of Loch Eriboll
between Rispond and Faolimn

Einmal reingelesen und nicht mehr aufgehört. Da wird aus alter Zeit erzählt, als im Jahre 1841 die wohlhabenden Landlords die Einwohner zugunsten der lohnenderen Schafzucht umgesiedelt haben, "Clearances" nannte man das damals. Die armen Menschen haben dann das ihnen zugewiesene Land urbar gemacht, das Heidekraut gerodet, um Kartoffeln und Gemüse anzubauen. Viele Menschen lebten hier, über 40 Kinder gingen zur Schule. Heute gibt es nur noch an die 10 Leute hier. Aber damals, da gab es fahrende Händler, denen in diesem Buch ein Denkmal gesetzt ist, da gab es Auswanderer, die zurückkehrten aus Australien und mit einem Nugget beim Goldgraben ihr Glück gemacht haben, durch einen Mord aber auch den Spuk nicht los wurden, da gab es den Musikspieler (Chanter?) im Fresgil House hoch auf den Klippen, dessen Musik noch lange nach seinem Tod zu hören war, da gab es und da gab es...

Im übrigen ist es auch etwas traurig. Die Frau von Hugh, der früher zur See fuhr und dabei viel Geld verdient hat, ist mit dem Alkohol nicht klar gekommen, also Divorce = Scheidung, die Kinder blieben bei dem Vater. Hugh blieb zu Hause, aus Liebe zu den Kindern und zu seinem Land. Am nördlichsten Ende Schottlands an so einem Schicksal teilzunehmen, das ist schon etwas. In meine Notizen habe ich in großen Buchstaben eingetragen: "The best Evening of the Tour". Als mir Hugh am nächsten Morgen auf der gleichen Seite seine Adresse aufschreibt, muß er es gelesen haben, und ich denke, er hat sich gefreut.

Falls mal jemand dort lang kommt, kann er ja vorbei schauen bei:

Hugh Mac Lellan,
Rowan House, 90 Laid Sutherland.

15. Tag, Samstag: Loch Eriboll - Tongue - Thurso
8.30-18.30, 105 km trp, 12.6 km/h avg, 51.8 km/h max, 1855 km total

Es geht an die letzte Etappe, der letzte volle Fahrtag. Ich freue mich darauf, an der Nordkante Schottland von West nach Ost zu fahren, da ist der einkalkulierte Rückenwind eine Bank. Nach dem Frühstück verabschiede ich mich von Hugh, der mir noch nachwinkt. Nun muß man bekanntlich Loch Eriboll umrunden, das geht bis zur südlichen Spitze noch etwas beschwerlich vor sich, da der Wind von vorne kommt. Danach bläst einen der Wind geradezu den Berg hinauf. Ich habe noch einmal einen schönen Blick auf mein gestriges Quartier und die kleine Insel Eilean Choraidh, wo Mauerreste anzeigen, daß sie auch einmal besiedelt war.

Steil geht es nun aus dem Taleinschnitt hinauf. Oben haust ein Pärchen in einem Zelt und der Mann ruft mir ein paar aufmunternde Worte zu. Dann steigt ein Mann aus einem Wagen und es passiert etwas wunderbares, er schenkt mir eine Dose Bier als Belohnung für den Aufstieg. Er kommt aus Hull und will meine Lobpreisungen über Schottland gar nicht hören, das kennt er wohl schon. Jedenfalls freue ich mich mächtig über diese kleine Geste (das Bier wird natürlich erst am Abend seiner Bestimmung überführt).

Nun geht es zwar hinunter nach Hope, was wieder auf Meereshöhe liegt. Und ich muß feststellen, daß meine Kalkulation mit dem Rückenwind nicht aufgeht. Es herrscht ein ruppiger Südostwind, das heißt heute auf dem letzten Tag muß ich bezahlen für mein bisheriges Glück. Aber keiner soll denken, daß ich mich darüber ärgere. Aber der letzte Tag wird der härteste, so kann es kommen. Es liegt nicht nur am Wind, sondern auch daran, daß man mehrere male die Highlands erklimmen muß, um dann wieder auf Meeresniveau hinunter zu fahren. Das gibt natürlich Einblicke in die Steilküsten und weißen Strände, die es hier auch gibt. Zum Baden wird es einen hier hoch im Norden wohl nur selten gelüsten. Über eine Brücke erreicht man den Ort Tongue, dann geht es wieder hinauf - wie schon erwähnt, um dann wieder hinab zu dem Ort mit dem schönen Namen Bettyhill zu führen.

Auf der Hochfläche höre ich einmal ein lautes sausendes Geräusch und suche den Himmel nach einem Flugzeug ab. Es handelt sich aber um ein Windrad, das an einem Trinkwasser-Reservoir vor sich hin knattert. Daran kann man sehen wie stark der Wind heute weht. Ein anderes Mal kreuzt eine Schar Graugänse samt Nachwuchs die Fahrbahn, da sind alle Verkehrsteilnehmer sehr rücksichtsvoll. Ich komme dann auch irgendwann an jenem Strathy Point vorbei, wo sich vor einigen Tagen dieses Unglück mit dem Hund ereignet hat. An einer erhöhten Stelle kann man von der Straße aus hinten den Leuchtturm von Strathy Point erkennen, voraus sind die Bauten einer Industrieanlage. Ich nehme an, daß es sich man nun schon das Ziel Thurso im Viesier habe, habe mich aber getäuscht. Es handelt sich um das "Dounreay Nuclear Power Development Establishment" (dazu eine kritische Anmerkung). Ich wende mich lieber wieder den Kühen auf den Weiden zu.

Immerhin hat es nun mit den Steigungen ein Ende, dafür geht die Straße ewig schnurgeradeaus und will kein Ende nehmen. Und dann taucht sie doch auf, die Stadt Thurso, Wunschziel der End-to-End-Fahrer, sofern sie von Süden kommen. Das Ortsschild "Welcome to Thurso" ist ein Foto wert.

Heute fremdele ich nicht und frage ein paar Passanten in folgender Reihenfolge: Wo ist ein chinesisches Restaurant? Wo ist der Bahnhof? Wo finde ich ein Bed&Breakfast? Kein Problem, alles Gewünschte liegt nur wenige 100 m auseinander. Mein Quartier bekomme ich bei

Jean and Bill Brown, 26 Sinclair Street. Ich melde mich für zwei Übernachtungen an. Die Begrüßungworte: "You are the first German cyclist doing end-to-end who comes in. We always had crazy Englishmen". Damit bin ich mit "The German cyclist" eingeführt.

Wenig später marschiere ich los und nehme erst einmal die Parade einer Dudelsack-Kapelle ab, die anscheinend mir zu Ehren - wie ich mir einbilde - aufmarschiert ist. Die Spieler tragen Fellmützen und Schottenröcke - richtig zünftig! Dann suche ich eine Telefonzelle auf, um meinen Erfolg nach Hause zu melden. Meine liebe Frau: "Du fehlst mir so!". Und ich Esel antworte: "Du fehlst mir überhaupt nicht!". Soll heißen, es geht mir gut, ich komme gut zurecht, ich langweile mich nicht. Hörbar schluckt da aber jemand am anderen Ende der Leitung. Und ehe ich noch etwas sagen kann, ist die Münze aufgebraucht und es klickt.

Mit Gewissensbissen gehe ich zurück zur Dudelsackparade. Da habe ich eine großartige Idee. Hier steht auch eine Telefonzelle, da rufe ich doch gleich nochmal an und übertrage das Dudelsack-Konzert aus Thurso per Telefon nach Hause. 50 Cent finden sich, die Verbindung kommt zustande. In dem Moment ist die Musik zu Ende und die Dudelsackspieler packen ihre Sachen ein. Pech gehabt, "Du fehlst mir doch" ist dann aber das erste, was ich sage, um die Dinge wieder ins rechte Licht zu rücken.

Es gibt ein bekanntes Gedicht von Theodor Storm: "Du graue Stadt am Meer". Das fällt mir in Thurso ein. Doch wieviel unwirtlicher mag das Klima hier im hohen Norden sein, vielleicht paßt das Grau der Häuser da ja ganz gut dazu. Man kann auch ein rauhes Land lieben, was ich am Loch Eriboll so eindrucksvoll erfahren konnte. Wo ich diesen Abend beende? Wer bis hier gelesen hat, weiß es, im China Restaurant, wo ich schlemme.

16. Tag, Sonntag: Thurso - John O' Groats - Dunnet Head - Thurso
8.45-15.30, 80 km trp, 14.6 km/h avg, 40.0 km/h max, 1935 km total

Was ich heute machen muß, ist natürlich Unfug, aber ich muß es machen, weil es alle machen. Das heißt, die Tour offiziell am nordöstlichen Ende, das sich auch Duncansby Head nennt, zu dem offiziellen Abschluß zu bringen. Es ist bekannt, daß es da draußen nichts zu sehen gibt, das kann bestätigt werden - dennoch habe ich an diesem Tag einiges gesehen und möchte nichts davon versäumt haben.


Dunnet Head hinter Ginster

Alte Mühle
Der Tag ist grau bei gleicher Windrichtung wie gestern, d.h. ich fahre mit Gegenwind los und werde die Rückfahrt bequemer haben. Die Orkney Islands, gestern noch bei klarer Sicht gut zu erkennen, sind heute nur zu erahnen. Dunnet Head, der nördlichste Punkt mit seiner steilen Klippe hinter Ginster, wie das Bild zeigt. Was Lustiges: auf einer Weide sitzt ein kleiner Vogel auf dem wolligen Rücken eines grasenden Schafes. Vielleicht hat er kalte Füße. Und nun das Wiedersehen mit der sonderbaren Blume zwischen dem Lake Distict und Carlisle, hier blüht sie wieder, im Graben einer alten Mühle.

Hinter dem Ort Gills ist eine interessante Schautafel, die vorgelagerte Island of Stroma betreffend. Man kann von hier aus erkennen, wie weiß schäumend die Brecher an den Felsen hinauf lecken. Auf Stroma gibt es heute nur noch Ruinen, vor nicht langer Zeit haben dort noch mehr als 300 Einwohner gelebt. Ein Erwerbszweig bestand darin, passierende Schiffe durch die Tidenströme zu lotsen, die hier eine Geschwindigkeit von bis zu 10 Knoten erreichen. Das war in der Zeit der Segelschiffahrt eine gefährliche Sache.

Während ich in diese Informationen vertieft bin, fahren 3 muntere Radler vorbei, die ich dann an John O' Groats wieder treffe. Ich bin angekommen und halte damit nicht hinter dem Berg - warum auch! Die drei brechen gerade auf, in die andere Richtung, jetzt möchte ich doch nicht tauschen. Wir fotografieren uns gegenseitig, somit gibt es auch ein erstes und letztes Bild von mir an jenem denkwürdigem Ort. Aber sonst ist hier wirklich nichts los. Ich habe dann noch irgendwo gelesen, daß der Name dieses Ortes auf einen gewissen Jan de Groot zurückgeht, der hier im 15. Jahrhundert eine Fähre unterhalten hat.


Der Sieger

Die Starter

Ich verabschiede mich von den drei Radlern mit den besten Wünschen, sie nehmen meine Internetadresse auf, damit man vielleicht irgendwann einmal voneinander hört. Sie haben die ganze britische Insel vor sich, ich nur den Rückweg nach Thurso mit dem Wind im Rücken. Das macht man sich am besten nicht so leicht, Zeit genug habe ich ja. Und so lasse ich mich vom Wind noch nach Dunnet Head hinauf blasen. Man kann auch auf einer kleinen Straße entlang der felsigen Küste entlang radeln. Wer auf die blödsinnige Idee gekommen ist, die End-to-End-Tour mit John O' Groats enden zu lassen, weiß ich auch nicht, Dunnet Head wäre ein viel würdigerer Ort.


Leuchtturm auf Dunnet Head

Die nördlichste Klippe Britanniens

Erst einmal ist die Anfahrt beeindruckend, durch eine mit Heidekraut bewachsene Urlandschaft, häufig kommt sogar das Knabenkraut vor, erklimmt man den Berg mit dem Leuchtturm auf der Spitze. Da ist zu lesen, daß bei Sturm schon mal kapitale Brecher die Steine 105 m hoch hinauf schleudern und es vorgekommen ist, daß Fenster des Leuchtturms zerschlagen wurden. Ich habe auch das Glück, zwar keinen Sturm aber unwirtliche Verhältnisse anzutreffen, indem es zu regnen beginnt. Das kann mich nun nicht mehr sonderlich schrecken. Und ich kann zu Füßen von Dunnet Head noch ein letztes Foto schießen, auf meiner langen Fahrt durch Schottland hat es sich nicht ergeben: einen kapitalen Bullen der Spezies Highland Cattle.

Im Regen fahre ich schließlich wieder auf der schon bekannten Straße zurück und muß lachen, der kleine Vogel sitzt noch immer (oder wieder) auf jenem Schaf. Durchgeweicht komme ich wieder da an, wo ich für heute hin gehöre und werde empfangen mit "You must be sucked wet!". Das ist richtig, meine Regensachen habe ich aus Bequemlichkeit nicht benutzt. Man hat hier - ein Lob dem technischen Fortschritt - beheizte Handtuchhalter, da ist das alles kein Problem.

Damit es spannend bleibt, bekomme ich nun noch einige Dämpfer. Mit meinen Gastgebern kann ich klären, daß ich bereits morgen um 6.30 mit dem Zug aufbrechen muß. "But if the conductor doesn't want you with your bike, you better come back!". Da guckt aber einer verdutzt. Ich habe nämlich nichts vorgebucht, das ist im Bahnhof von Thurso auch gar nicht möglich, weil das derzeit eine einzige Baustelle ist. Dann sollte ich doch mein schottisches Geld beizeiten verbrauchen, damit habe ich mich gerade erst gestern bei der Royal Bank of Scotland eingedeckt. Meine Wirtsleute sind in der glücklichen Lage, die Scheine mit der Aufschrift Bank of Scotland in Banknoten umzutauschen, wo die Queen drauf ist - wie es sich gehört. Und ein Lunchpaket würde man mir vor die Tür stellen.

Damit - und mit dem Schlemmen beim Chinesen - endet meine End-to-End-Reise. Einen nicht funktionierenden Wecker kann ich noch reparieren (Batteriekontakte), und schlummere dann einer noch ungewissen Heimreise entgegen. Damit kann der geneigt Leser die Lektüre abschließen, obgleich es noch einiges zu erzählen gibt.


Kapitel 7: Rückreise
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