Land's End to John O' Groats 12.6.-27.6.1999

Eine Radreise durch England, Wales und Schottland

Kapitel 3: Mittelengland, Lake District und Nordengland

6. Tag, Donnerstag, Bishop's Castle - Wrexham - Chester - Liverpool - Crosby
8.30-19.00, 145 km trp, 16.2 km/h avg., 124.7 km/h max
(kann nicht stimmen), 766 km total

Heute und für die weitere Tour wähle ich wieder das übliche Frühstück, "Without Sausage" allerdings.

Der heutige Tag ist für "Streckemachen" vorgesehen. Wenn man nicht gerade auf End-to-End-Tour wäre, könnte man sich besser noch näher mit der schönen aber auch anstrengenden Landschaft von Wales beschäftigen. Alles kann man nicht haben, so geht es auf der B4385 zunächst geruhsam nach Montgomery mit dem gälischen Namen Trefaldwyn. Dort ist gerade Markttag, aber zu viele Autos verstellen eine fotogene Szene (wäre ja auch sowieso egal gewesen - ihr wißt schon...). Die Sonne scheint auch nicht, ein paar Regentropfen ab und zu, als ich merke, daß ich mich leicht verfahren habe. Es ist aber nicht schwierig, wieder auf die richtige Strecke zurück zu finden, die Straßenkarte und die Beschilderung sind ausreichend.

Ich befinde mich schließlich auf der stark befahrenen A383, wieder Rückenwind - da muß man durchziehen. Nächstes Ziel ist Ostwestry, eine hübsche Einkaufsstadt, und schon geht es weiter Richtung Wrexham. Der Verkehr wird stärker, die Straße immer ähnlicher einer Autobahn. Vierspurig werden per Hochbrücke mehrere tief eingeschnittene Flußtäler überquert, das spart natürlich Zeit und Mühe. Der landschaftliche Genuß ist aber gleich Null, und als ein entgegenkommendes Polizeifahrzeug hupt - gilt das mir? - kommen einem Bedenken.

Am nächsten "Roundabout", sprich Kreisverkehr, kann man endlich wieder auf eine Nebenstraße ausweichen, diesmal bieten sich als Rastplatz die Halden eines stillgelegten Bergwerks an, bevor man auf ausgeschilderter Radroute Wrexham erreicht. Dort suche ich wieder das Informationsbüro auf, um in Erfahrung zu bringen, ob es eine fahrradgerechte Strecke nach Liverpool gibt und ob eine Fähre über die Bucht des Mersey existiert. Die erste Frage ruft wieder Ratlosigkeit hervor, die Fähre dagegen existiert. Das Zentrum von Wrexham ist derzeit eine einzige Baustelle, da geht es schnell weiter auf einer Nebenstrecke Richtung Chester.

Ich treffe auf einen Ort der heißt Cuckoo's Nest. Und plötzlich, ich kann gerade noch bremsen, zur Rechten ein vergoldetes Tor, eine kilometerlange schnurgerade Auffahrt dahinter, und ganz hinten erkennt man die Konturen eines Schlosses. Da mache ich es mir vor dem Tor erst einmal gemütlich. Ein Schluck aus der Flasche, ein paar Stücke Schokolade, ein Foto - kann man was erkennen? "Eaton Hall" nennt sich dieses Anwesen. Plötzlich erkenne ich eine winzige Überwachungskamera zwischen den Torstangen. Während ich so ins Grübeln gerate, öffnet sich plötzlich das Tor wie von Geisterhand. Und da rauscht schon ein Landrover auf der langen Auffahrt herbei, ich suche lieber das Weite, bin aber doch gespannt, ob vielleicht ein Mitglied der königlichen Familie oder so vorbei kommt. Nichts da, zwei livrierte Herren steigen aus inspizieren das Tor, äugen in meine Richtung, schließen das Tor wieder und rauschen mit ihrem Landrover zurück. Da s tehe ich nun und kann mir keinen Reim darauf machen. Vielleicht hat man mich als Terrorist taxiert? Die Internet-Suche nach Eaton Hall, Chester ergibt, dass es sich hierbei um den Sitz des Duke of Westminster handelt.

Es geht weiter in einen Ort namens Eccleston. Hier soll es laut Karte eine "Roman Road" geben, leider finde ich keine Hinweise darauf. Trotzdem gerate ich auf angenehme Weise in die Stadt Chester. Auch hier suche ich wieder das Touristenbüro auf mit der bekannten Frage und dem bekannten Ergebnis. Es folgt also eine Strecke, die man nur im Unterbewußtsein bewältigen sollte. Das ist die A41, vierspurig, eine Ausweichroute gibt es für den Ortsunkundigen nicht. Einzige Motivation: Ich will nach "John O' Groats", da muß man hier durch. Da ich ja - habe ich es schon erwähnt? - Rückenwind habe, sause ich diese fürchterliche Straße Richtung Birkenhead entlang und zähle die Meilen. Da ich dabei Zeit zum Denken habe, ein Einschub:

Einschub: Die Entfernungen werden in England bekanntlich in Meilen angegeben. Da uns Kontinentaleuropäern mehr die Kilometer liegen, rechnet man ständig um.

Es ist: 1 Meile = 1.6 km.

Das bedeutet, wenn man z.B. 13.5 Meilen präsentiert bekommt, das mit 1.6 zu multiplizieren, und wer kann das schon ohne Taschenrechner. Da habe ich einen Trick gefunden, irgendwann auf der langen Reise, während der es mir bekanntlich nie langweilig wurde. Und das geht so (am Beispiel 13.5 Meilen) nach der Formel 100% +50%+10%:

13.5 M =13.5 + 6.75 + 1.35 = 21.60 km

Gegenprobe für 10 Meilen:

10 M = 10 + 5 + 1 = 16 km -- stimmt!

Wer mich jetzt für wunderlich hält, hat recht, trotzdem hat die Rechnerei eine Menge Spaß gemacht. Gerade auf dieser Strecke bis Birkenhead zählt man ungeduldig die Meilen. Als die Hinweise auf die Fähre nach Liverpool auftauchen, hat man es geschafft. Und eine gewisse Melodie breitet sich im virtuellen Gehör aus:

Oh Ferry, cross the Mersey... (Gerry and the Pacemakers).

Liverpool

Just in time at Birkenhead - d.h. ich kann geradewegs auf die Fähre auffahren und bin nach 20 Minuten in Liverpool. Da wollte ich eigentlich über Nacht bleiben, aber irgendwie komme ich mit dieser Stadt nicht klar. Straßenschluchten, hektischer Verkehr, Beatle Museum (nichts gegen die Beatles!). Ich frage erst mal einen wohlgekleideten Gentleman nach einem Bed&Breakfast. Das versteht der gar nicht erst und verweist mich auf die einschlägigen Hotels, die sündhaft teuer sind. Ein anderer Passant, nun schon normaler gekleidet, gibt den Tip, raus in den Vorort namens Crosby zu fahren. Da das schon so Richtung Schottland liegt, mache ich mich auf den Weg und bin dann endlich, wieder über vierspurige Straßen, dort angelangt, nicht ohne sogleich ein China Restaurant im Augenwinkel zu registrieren.

Ein Hinweis auf ein geeignetes Quartier fällt einem aber hier nicht in den Schoß. Als ich mit dem Befragen von Passanten beginne, habe ich gleich ein kleines Grüppchen um mich versammelt. Eine Frau rennt aufgeregt zu ihrem Auto und holt eine Brieftasche voll mit Zetteln herbei. Während sie in ihren Zetteln blättert, vergißt sie mich anscheinend. Man weist mir den Weg zum Post Office, dort sei ein Aushang mit einer B&B Adresse. Also fahre ich zum Post Office.

Und da steht sie schon wieder, die Dame mit ihren Zetteln und blättert schon wieder erfolglos in ihrer Tasche herum. Dann ist sie aber so hilfreich und erklärt mir den Weg zu der B&B Adresse, macht sogar eine kleine Skizze und fährt dann mit dem Auto noch ein Stück vorweg. Obwohl ich mich köstlich amüsiert habe muß ich doch sagen, soviel Hilfsbereitschaft findet man selten.

Nun stehe ich also schließlich in einem Vorort von Liverpool vor der für mich momentan einzigen Möglichkeit, eine Übernachtung zu finden. Es handelt sich um ein gepflegtes Reihenhaus inmitten eines Wohnviertels. Ich klingle und rechne damit, daß niemand zu Hause ist. Dem ist nicht so. Eine nette Dame öffnet, und ich erfahre als erstes, daß ihr Name Liz sei. "My name is Martin" antworte ich, schon wissend, daß damit die Unterkunft gesichert ist. Als ich den Preis vernehme, muß ich allerdings kurz schlucken.

Nun muß ich mich noch ums Essen kümmern. Liz will mich überzeugen, daß man mit der Metro ganz einfach nach Liverpool gelangen kann. Danach steht mir nicht der Sinn, ich kutsche lieber mit dem Rad zu dem vorher ausgeguckten China Restaurant. Heute schmeckt es mir besonders gut, und auf die obligatorische Frage des (nicht chinesischen) Kellners nach dem Wohlbefinden will ich ihm eine Freude machen und sage "Pretty Good!". Das quittiert er mit einem säuerlichen Grinsen, denn in Deutsch klingt das so wie "Na ja, geht so". Man ist eben kein Native Speaker.

7. Tag, Freitag, Crosby - Preston - Lancaster - Windermere, Lake District
8.30-19.00, 140 km trp, 16.8 km/h avg., 51.4 km/h max, 906 km total

Beim Frühstück stellt sich zur Überraschung heraus, daß Liz über einen PC mit Internetanschluß verfügt. Da schicke ich gleich mal eine Mail an mich selbst und verrate Liz meine HomePage, damit sie weiß, mit wem sie es zu tun hat. Und daß ich über den Ausgang der Reise berichten werde, verspreche ich auch. Die offizielle Adresse der Unterkunft lautet übrigens:

The Blundellsands Bed&Breakfast Service
9 Elton Avenue Blundellsands Liverpool

Für die Weiterfahrt hat Liz eine Skizze angefertigt, nach der ich auf eine schöne Strecke abseits der Straßen fahren soll. Die Arbeit hätte sie sich sparen können, wenige Straßen weiter bin ich schon gänzlich durcheinander. Es kommt aber viel besser, weil ich mich zur Küste durchschlagen und dort auf einem schönen Weg durch die Dünen radeln kann. Allerdings wird der Weg nach und nach abenteuerlicher, und eine Spaziergängerin kann mir auch keine Auskunft geben, sie wohne erst seit ein paar Monaten hier. Deshalb schiebe ich lieber durch den Sand bis zu den nächsten Häusern und bin damit in dem Ort Hightown. Ein kleines Stück muß man doch wieder auf die Hauptstraße, aber vor Southport zweigt die "Touristic Route" seewärts ab, da bin ich richtig. Nicht lange darauf bekomme ich Begleitung. Es ist ein sportlicher Herr auf Tagesausfahrt, er heiß Peter, wie ich später erfahre. Wir unterhalten uns angeregt und

Peter wartet geduldig. Auf den Einwand, ich wolle nicht seine Zeit stehlen, antwortet er "Zeit ist mein Kapital". Er beneidet mich sehr um die Big Tour, "I will think of you" versichert er. Ich gebe ihm meine Internetadresse und hoffe, Peter wird eines Tages die Englischversion dieses Berichts lesen, in dem er sich selbst für ein paar Meilen auf der End-toEnd-Tour wieder findet.

An der A565 trennen sich unsere Wege und ich muß auf die Strecke. Das ist bis Preston kein Vergnügen, neben der Fahrbahn hat man aber teilweise einen Radweg eingerichtet. In Preston halte ich mich nicht lange auf, das ist mir zu geschäftig da. Bei einer Bank versuche ich vergeblich zu Geld zu kommen, mein Konto sei nicht gedeckt, verkündet der Automat. Später bei der "Royal Bank of Scotland" in einem Vorort klappt das dann besser mit der Scheckkarte.

Bald nach Preston wird es dann wieder richtig schön, indem man auf B-Routen (B6430/B5272) dem Verkehr entrinnen kann. Einmal taucht recht voraus ein kleines Schloß auf einem Hügel auf. Ich lehne das Rad an eine Hecke und versuche ein Foto, was aber wegen einer Hochspannungsleitung nichts wird. Eine Kirche mitten zwischen den Weiden zur Linken dagegen bietet ein besseres Motiv. Als ich mich der Auffahrt des zuvor gesehenen Schlosses nähere, spüre ich ein Schlingern im Vorderrad: ein Plattfuß. Dessen Reparatur kann ich nun genau auf dem gepflegten englischen Rasen von Crookhey Hall in Angriff nehmen. Ein Auto fährt vorbei, sicher mit seiner Lordschaft am Volant, man würdigt mich keines Blickes.

Schnell ist die Sache erledigt, um es vorweg zu nehmen, der einzige Platte der ganzen Tour, und hier bei Sonnenschein auf dem vornehmen Rasen taufe ich ihn einen "Platten der guten Art". Hat man nicht auch schon bei Regen auf vierspurigen Straßen das Vergügen gehabt? Nur daß diesmal bei der Weiterfahrt der Tacho nicht mehr geht. Na ja, ich habe das Vorderrad verkehrt herum eingebaut, das ist dank Schnellspannern an der nächsten Sitzbank mit einem Handgriff behoben - man ist ja kein Anfänger!

Den nächsten Höhepunkt bietet die Stadt Lancaster. Genauso stellt man sich eine quirlige "typisch englische" Stadt vor. Malerische Häuser mit farbenfrohen Fassaden, die beiden beschädigten Fotografien mögen einen Eindruck ahnen lassen. Im Zentrum ist allerhand los, da wird musiziert und getanzt, aber auch gebettelt. Einige Tänzer sind in ein Oktupus Kostüm geschlüpft, eine Schlagzeugtruppe gibt dazu den Takt. Aber es stehen auch Polizisten mit Videokameras herum, die dem Treiben aufmerksam doch sichtlich amüsiert folgen. Gerne würde man hier länger verweilen, doch ich möchte heute noch bis in den vielgerühmten Lake Distrikt kommen.

Das ist bei dem weiterhin günstigen Wind kein Problem. Es wird langsam bergiger, voraus sieht man schon die bis zu 1000 m hohen Gipfel der Cumbrian Mountains. Rechts oben auf einem Bergkamm hebt sich deutlich sichtbar die Gestalt eines Mannes ab, der dort in luftiger Höhe dahin wandelt. Der Einstieg zum Lake Distrikt ist in meinem Fall die Stadt Kendal. Es ist sehr verkehrsreich dort, es gibt aber auch ein paar verschwiegene und malerische Gäßchen. In einem Woolworth Laden kann ich zwei Filme zu annehmbaren Preisen kaufen, denn ich kann mir ausrechnen, daß mein Filmvorrat bis Schottland nicht reichen wird. Ein Film kostet in England normalerweise um die 3 Pfund = DM 15, da bekommt man in Deutschland mindestens drei Filme dafür. Die beiden Wooli-Wooli-Filme kosten nur zwei Pfund zusammen.

Um heute noch eines Sees ansichtig zu werden, bleibt mir noch genug Zeit, bis Windermere weiter zu fahren. Das ist anfangs noch ganz hübsch auf einer Nebenstraße, dann fährt man die letzten Kilometer bzw. Meilen doch wieder verkehrsumtost auf der Hauptstraße (A591). Nach einer rasanten Abfahrt erreiche ich mein Tagesziel. Um ein Quartier zu bekommen, muß ich mehrere male vergeblich fragen, bis ich an einem Haus namens "The Cottage" das erlösende Schild entdecke: "Single Room only". Ich klingele die Hausdame herbei: "My name is Barbara" und sage in Hinblick auf den Aushang: "You are the right for me and I am the right for you, I am looking for a single room". Na ja, Ihr wißt schon, Aufatmen ist angesagt.

Und - Windermere ist ja kein Nest, auch ein chinesisches Restaurant liegt um die Ecke. Nach dem Essen kaufe ich mir in einer Tankstelle eine Straßenkarte von Schottland: Michelin No. 401, Scale 1:400 000. Als ich diese Karte dann später in ihrer ganzen Größe auf dem Bett ausbreite, bekomme ich doch einige Bedenken: Schottland ist riesig.

8. Tag, Sonnabend: Windermere - Kirkstone Pass - Carlisle - Dumfries(Schottland)
8.30-19.00, 135 km trp, 16.0 km/h avg, 61.1 km/h max, 1041 km total

Bei Barabara im "The Cottage" bekomme ich ein ausgezeichnetes Frühstück, besonders die Grapefruites vom Buffet haben es mir angetan. Eine gute Grundlage ist wichtig, denn ich habe mir den Kirkstone Pass vorgenommen, der einen genau nach Norden führt. Man kann die Cumbrian Mountains durchaus mit den Alpen vergleichen, nur ist alles ein bißchen kleiner. So ist auch der Kirkstone Paß nur ca. 500 m hoch, aber auch da muß man erst mal hinauf kommen. Die Berghänge sind bald unbewaldet und mit grünen Matten überzogen, wo die Schafe ihr Revier haben. Einige von ihnen kennen die Lücken in den aufgeschichteten Mäuerchen und suchen sich den Weg in die Freiheit. Damit man sie wieder dem ordnungsgemäßen Besitzer zuordnen kann, sind sie durch bunte Farbpunkte auf ihrem Wollkleid gekennzeichnet. Leider habe ich ein wenig Pech mit dem Wetter, die Berge sind verhüllt, doch wenn ein paar Sonnenstrahlen durch die Nebel dringen, ergeben sich eigenartige Lichteffekte.

Das letzte Stück hinauf zur Paßhöhe fährt man in dichtem Nebel. Da oben ist ein uraltes Wirtshaus mit Tradition, wie man sich denken kann. Heute sind die Außenlaternen erleuchtet und man denkt es wäre Nacht. Bei der Abfahrt ist man schnell aus der Wolkendecke heraus und sieht vor sich ein grünes (was auch sonst) Tal, bis man in sausender Fahrt den See Ullswater erreicht. Hier ist wieder alles touristisch geprägt, Souvernirläden und so. Zum Glück ist heute morgen noch alles recht verschlafen. Ich biege ohnehin nördlich auf die A5091 ab und verlasse den Lake District damit. Schließlich lande ich auf einer ganz kleinen Nebenstraße entlang der nördlichen Ausläufer der Cumbrian Moutains. Hier ist man ganz allein mit der Landschaft, dem Stechginster und den Schafen. Es wird so langsam schwierig, die jeweiligen Landschaften zu beschreiben. Doch ich habe an einem "Cattlegrid" einen neuen Film eingelegt. Das bedeutet, lieber Leser, ab jetzt sind wir nicht mehr blind, wir haben wieder gelungene Fotos und sind nicht mehr auf nur verbale Schilderungen angewiesen.

Fototechnischer Einschub: Die Analyse sieht so aus: die letzten drei Bilder des ersten Films sind durch Lichteinfall verdorben. Der zweite Film ist praktisch ganz verdorben. Und die ersten 5 Bilder des dritten Films sind auch noch vom Lichteinfall befallen. Ab da keine weiteren Probleme. Womöglich war die Kamera nicht richtig verschlossen, aber ich kann mir keinen Reim darauf machen. Wenn die nun noch folgenden Aufnahmen (4 Filme =120 Aufnahmen) auch alle versaut gewesen wären, dann hätte mir der bisher glückbringende Vogelschiß das Gegenteil beschert. Darum nachträglich trotzdem noch einen Dank an den Gott der Fotomacher.


Unbekannte Blume
Ein vernebeltes Bild muß ich Euch aber noch zumuten. In einem Graben blüht eine Blume, die ich bisher noch nie gesehen habe. Wir werden sie auf unserer Tour noch einmal finden, aber da müßt Ihr noch lange lange warten. Die Blume hat gelbe Blütenblätter mit roten unregelmäßigen Flecken, in meinen Bestimmungsbüchern ist sie leider nicht zu finden. (Spätere Recherchen ergeben: es handelt sich um die Gauklerblume, Mimulus luteus, die auch der edlen Gesellschaft der Bachblüten angehört, Eigenzüchtung Sommer 2000).

Nach dieser wunderschönen Strecke "allein mit den Schafen" geht es nun vorwiegend bergab Richtung Carlisle. So langsam beginnt es zu regnen. In einem kleineren Ort vor Carlisle parke ich das Rad in einer Toreinfahrt und gehe einkaufen. Da will man mir eine Rabattkarte für Stammkunden andrehen. Zurück in der Toreinfahrt kommt eine junge Dame herbei und fragt mich "Are you local?" Die will wohl irgend etwas erfragen. Ich frage mich, warum man mich hier so herzlich aufnimmt, da steht man in der Regenjacke herum und nur die nackten Beine gucken unten raus?

Es geht nicht anders, ich hocke unter meiner (eigentlich ausrangierten) Gore Tex Jacke in der sicheren Gewißheit, wasserdicht geschützt zu sein und passiere die große Stadt Carlisle. Hier ist das westliche Ende des Hadrian's Wall, wir werden später, viel später noch darauf zurückkommen. Ich habe nun auch beim Niederschreiben Zuordnungspobleme. Habe ich doch an einem Ort eine der letzten original erhaltenen Relikte der römischen Kultur angetroffen, eine Art Altar mit dem Namen Minerva Schrein. War das nun in Carlisle oder Lancaster? Alles rauszukriegen, wenn man sich der Mühe unterzieht, einen Reiseführer zu Rate zu ziehen.

"Out of Carlisle" passiert es das erste und letzte mal, ich fahre auf einer Nebenstrecke und ende im Nichts. Da beginnt wohl irgendein Naturreservat, ein Autofahrer taucht auch noch auf, der sieht dem derzeitigen Gatten der Prinzessin Caroline von Monaco täuschend ähnlich. Sein Kommentar: "From here you should swim". Aber was finde ich hier an diesem gottverlassenen Ort: ein verwittertes Schild mit einer rätselhaften Aufschrift. Und da meine Kamera wieder funktioniert hat, kann ich den Text dem Rest der Welt präsentieren:


Poem an den Fährmann Will

Ere Metal Brig or Rail were thowt on.
Here Honest Will the Boatman rowt on.
Gentle and simple he did guide
to either Scotch or English side.
Wi' them on horseback he did ride
An' boat the footman.
An' none did ever dread the tide
wi' Will the Boatman.
Now tho' Will's work is done an' o'er
An' Will himself lies quiet,
yet lives his SPIRIT here - step in an' try it.
Ne'er Time nor Tide can half so pure supply it.

In dieser Sprache scheint man es zu lieben, gewisse Konsonanten zu unterschlagen.

Mein kleines Malheur bringt noch eine weitere charmante Begegnung mit sich. Zwei hübsche Radlerinnen, die - zwar auch etwas verregnet - sich auf einer Coast-to-Coast-Tour befinden. Ich muß natürlich prahlen, daß ich schon von Land's End her komme, inzwischen kann man ja auch so langsam stolz darauf sein. Wir haben eine netten kleinen Chat und mit "Nice to meet you" trennen wir uns wieder - leider.


Grenze nach Schottland
Ich hätte die Girls mitnehmen sollen, denn wo lande ich nun: in Gretna Green, dem legendenumwobenen Heiratsparadies. Anscheinend funktioniert das immer noch, wie den Plakaten zu entnehmen ist, "Marriage Paradise" und so. Man überquert eine Brücke und ist in Schottland! Jedenfalls geografisch.

Ich muß ankündigen, es folgt nun die Schilderung einer Regenfahrt, die sich gewaschen hat. Zunächst denke ich noch unter meiner Gore Tex Behausung trocken zu sitzen, muß aber doch ein Bushäuschen aufsuchen, um mich wärmer einzukleiden. Da prasseln die Regenschauer auf das Dach, der Wind heult in den Bäumen. Der Wind weht von Süden - also von der linken Seite, das geht noch so. Warum ich nicht aufgebe und mir ein Quartier in der Stadt Annan suche, weiß ich bis heute nicht. Ich fahre einfach weiter, monoton, den größer werdenden Wasserlachen auf der Straße ausweichend. Ich fahre und fahre, hier beim Aufschreiben sind es wenige Zeilen, in der Wirklichkeit waren es zwei Stunden, bis ich die Stadt Dumfries erreiche. Dort finde ich das Ortszentrum zunächst nicht, eine farbige Passantin hilft mir weiter: "You will find an accomodation down the river". Jetzt merke ich erst, daß ich durchnäßt und unterkühlt bin , weil die Zähne aufeinander schlagen. Und am River leuchtet ein einziges Schild B&B. Hier gehe ich nicht mehr weg, denke ich, muß zuvor aber eine steile Treppe hinauf und finde eine offene Tür vor. Ein älteres Ehepaar kommt aus der Küche oder sonst wo her, beruhigt zwei heftig kläffende Yorkshire Pinscher und bittet mich zum Kaffee!!! "I am certainly out of shape now" bemühe ich mich und das wird verstanden. Ich darf das Gepäck abladen, mich umkleiden und dann mit aufgeweichten Händen die warme Kaffeetasse umklammern. Die armen Leutchen, sie mögen über 80 Jahre zählen, werden gar nicht wissen, was sie mir gutes tun.

Einschub: Meine Gore Tex Jacke mag wasserdicht sein, aber die Feuchtigkeit hat sich von unten her durch das Gewebe der Fahrradhose bis hinauf über die Gürtellinie in den Pullover hinauf gearbeitet. Ein anderer Teil ist durch die Ärmel und Kragenöffnung eingedrungen, so daß ich praktisch aufgeweicht bin. Nun hat ein professioneller Radfahrer wenigstens wasserdichte Gepäcktaschen, so daß trockene Kleidungsstücke verfügbar sind, mangels Pullover - der ja naß ist - ziehe ich heute für den Abendausgang schon mal meine Schlafanzugsachen unter.

Wer ist schon mal im Schlafanzug in Dumfries, Schottland zum Essen gegangen? Aber kariert ist hier ja angesagt, da bin ich im Trend. Natürlich gibt es in Dumfries ein chinesisches Restaurant, und mehr will man ja gar nicht. Und was erklingt dort aus dem Lautsprecher über mir: "It's a rainy night in Georgia..."


Kapitel 4: Südschottland
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