Der Tag beginnt nicht so sonnig. Ich sondiere vorsichtig, bis ich
meine Gelüste für eine Erkundung per Rad ausreichend artikuliert habe.
Da kein weiterer Lust hat mitzufahren, heißt es "um so besser, kann
ich machen, was ich will". Auf geht's, erstmal oberhalb der Steilküste
auf holperigen Wegen über Stock und Stein, bergauf, bergab. Nach einer
Weile eine Art Rummelplatz mitten im Wald. Dieser entpuppt sich als der
Eingang des Campingplatzes von Ückeritz. Das ist der vermeintlich
längste Campingplatz Europas, so an die 5 km zieht er sich an der
Ostseeküste entlang. Zwischen den Kiefern stehen die Zelte, hinter
ein paar Dünen beginnt gleich der Strand. Diese Ortslage ist sicher
nicht die schlechteste, mir kommt aber angesichts der beduinenhaften
Behausungen doch das Grausen. Einen Tag später lese ich in der
Bildzeitung, daß auf diesem Platz in Block 4 ein blaues Steilwandzelt
stehe, dessen Eigentümer nachts durch Trinkgelage und johlendes
Geschrei auffielen. Das jedenfalls bleibt übrig von einem angeblichen
Skinhead - Terror zwischen Bansin und Ahlbeck, gegen den sich sogar
eine Bürgerwehr formiert habe.
Trotzdem kann ich ungeschoren das Gelände durchradeln.
Am Ende ein großer
Parkplatz, zwischen den Bäumen ist der Waldboden teilweise
umgepflügt, um den allzu ausufernden Zeltbetrieb in Schranken zu
halten.
In Erwartung, bald den Badeort Bansin zu erreichen, fahre ich einen
asphaltierten Fahrweg durch den Wald entlang. Aber erst über ein
Stück der B 111 und ein paar Sandwege finde ich nach Bansin. Die
Häuser sehen hier aus wie wir sie von Rügen kennen, alles ist
eben schon mehr auf den Betrieb als Badeort zugeschnitten. Der
Strand ist breit und weiß, viele Strandkörbe, aber nicht der urige
Naturstrand wie bei uns "hinterm Haus".
Die drei Orte Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck gehen direkt ineinander
über. Teilweise kann man die Strandpromenade entlangradeln, sofern
man nicht zu vielen Sonntagsspaziergängern in die Quere kommt. In
Ahlbeck wird es am vornehmsten, in einer Kurmuschel wird musiziert,
Straßencafes vermitteln das Bild von einem mondänen Badeort.
Schließlich auch die berühmte "Seebrücke" - in jedem Bildband über
die Ostsee enthalten. Entsprechend eifrig surren auch die
Fotoapparate und Videokameras. Ich klicke mit, mangels Oma, Tante
oder Enkel geraten meine Fotos aber ohne nennenswerten Vordergrund.
Sonntag, 4.8.
Eigentlich wollte ich nun wieder zurückfahren, aber wenn einen die Neugier packt, geht das nicht so einfach. Man könnte ja nun noch die wenigen Kilometer an der Küste bis zur polnischen Grenze erkunden. Auf halber Strecke endet die Promenade, dann führt ein Sandweg bis an die Grenzanlagen heran. Ein paar Stacheldrahtverhaue und Beobachtungsstationen, die gehißten Flaggen der beteiligten Nationen, aber keine Menschenseele. Schnell wird ein Foto geschossen, dann schnell weg. Mit einem älteren Herrn komme ich ins Gespräch und schiebe mein Rad eine Weile neben ihm her. Wieder wird mir ein Stück Lebensgeschichte erzählt, der Herr stammt aus Stolp und trauert wie so mancher Vertriebene der Vergangenheit nach. "Das hier ist mein Wald" und zeigt in die Umgegend, womit er meint, das ist seine Landschaft, wie er sie aus der Jugend kennt. Ich lausche andächtig, denn ich habe ja auch nicht weit von hier das Licht der Welt erblickt, habe aber zu besagten Zeiten kein nennenswertes Verhältnis. So wird auch diesmal nichts aus unserem Besuch in Stettin und Pyritz, der Stätte "meines früheren Wirkens". Das Wetter ist zu schön und der Verkehr zu furchterregend, da trauen wir uns nicht.
Mittlerweile sind der ältere Herr, die Seinen und ich durch den Wald trottend in die Nähe des Grenzübergangs geraten. Ich verabschiede mich von den netten Leuten und "mache" - schwupps - mit dem Fahrrad hinüber. Damit bin ich, hier sei es festgehalten, mit dem Rad nun auch in Polen gewesen. Nahziel ist nun Swinemünde, heute mit dem Namen "Swinoujscie" gesegnet, - wie immer man das aussprechen mag. Auf der bereits bekannten Taxirennstrecke am Polenmarkt vorbei gelangt man auf den Marktplatz von Swinemünde. Dort steht ein Zwitter aus einer Kirche und einem Wohngebäude. Der zugehörige Geistliche im Talar steht vor der Tür seiner Pfarrbehausung und schäkert mit Passanten. Über ihm ist an der Wand ein Bild von "Woijtila", seines Zeichens amtierender Papst, aufgehängt. Sicher ist man auf diesen prominenten Landsmann stolz. Vorne blinkt Wasser, bis dort fahre ich. Hier scheint der Hafen zu sein, hinten liegen Kriegsschiffe am anderen Ufer. Trotzdem waage ich wieder ein Foto. Eine Stimme von links "Darf man hier fotografieren?". Ich zucke zusammen, es ist aber nur ein weiterer Radtourist, der hier auch seine Endstation erreicht hat. Er befindet sich bereits in Rente und vergondelt seine Pensionärszeit auf dem Fahrrad - soweit die Kräfte reichen. Er ist in Travemünde gestartet und hat zur Zeit sein Quartier auf dem Campingplatz Ückeritz. Neben ihm seien ein paar Mädchen aus Berlin, die hätten schon um die 2000 km durch Polen bis hinauf nach Masuren und zurück an der Ostseeküste abgeradelt. Mein Gesprächspartner will auf dem Rückweg noch Station auf Rügen machen. "Dann grüßen Sie mir Rügen schön" sage ich, worauf er mit "Recht herzlichen Dank" antwortet, als ob ich einen lieben Bekannten grüßen lassen würde.
Einmal hält ein Auto und fragt uns auf Polnisch nach einer Auskunft. Mehr als ein Achselzucken läßt sich da nicht antworten. Zwischen leerstehenden und verfallenden Häusern bahne ich mir den Weg zurück zum Marktplatz. Dort herrscht ein buntes sonntägliches Treiben, Einheimische und Touristen aus Ost und West bilden ein buntes Durcheinander. Zurück zum Polenmarkt, ich erstehe eine Stange Zigaretten, um für später einen entsprechenden Spruch draufzuhaben. Dann geht es bei Gegenwind auf der B 111 zurück, in einer guten Stunde werden die 20 km abgespult. Wer mich nun fragt, wo ich gewesen sei, dem antworte ich nur: "Zigaretten holen".
Blumen |
Am Strand, wo die anderen inzwischen verweilen, sage ich aber "Ihr wißt gar nicht, wie schön ihr es hier habt" eingedenk des Campingplatzes und der belebten Strandflächen in den vollen Badeorten. Nun tut Erholung not, denn am Abend soll es noch einmal zum "Waterblick" am Achterwasser in Loddin gehen. Heute können wir nur Plätze an getrennten Tischen bekommen. Dafür sind hinterher alle einhellig der Meinung, daß man uns mit dem Essen mengen- und qualitätsmäßig gründlich über's Ohr gehauen hat. Die arme Bedienung bekommt einiges zu hören. Wie man munkelt, sei das Essen später wieder besser geworden.
So ist es nur recht und billig, daß wir den Abend im Biergarten beschließen und uns bei einer Portion Pommes entschädigen.