Ich verabschiede mich bei dem Pensionsbetreiber, der guckt etwas kariert, sorgt aber dafür, dass ich auch die dritte ausgeschlagene übernachtung mit bezahle. Nun soll es in Richtung Osten weiter gehen. Zuerst wieder runter an die Moldau, inzwischen kennt man die Schleichwege. In Richtung Osten gibt es eine Ausfallstraße, die heißt Podebradska, die als nächstes angepeilte Stadt dagegen Poděbrady. Nach einigen sprachlichen überlegungen und Kombinieren entscheide ich mich für die Podebradska - und sie enttäuscht mich nicht. Außer dass sie sich sehr lang hinzieht, bis man so was wie einen äußeren Stadtrand von Prag erreicht. 28 km stehen schon auf dem Tacho, bis es so weit ist.
Wieder auf der Strecke Plakate Bushäuschen |
Die Straße 611 verläuft parallel in Sichtweite einer Autobahn, daher ist hier kaum Verkehr. Es geht aber schnurgeradeaus, bis zum Horizont keine Kurve. Wenn der Rückenwind nicht wäre, würde wohl leicht Langeweile aufkommen. So aber kommt man schnell voran. Wenn auch die Landschaft hier nicht so viel zu bieten hat, erfreuen das Auge doch die farbenfrohen Laubbäume. Wie man weiß, zeichnet sich vor allem der Ahorn durch ein ganz besonderes Farbenspiel aus. Daher ist wohl auch das Ahornblatt im Wappen von Kanada zu finden, was wiederum wegen seines "Indian Summer" ein beliebtes Ziel um diese Jahreszeit ist. So was geht einem dann hier in einem ganz anderen Teil der Welt durch den Kopf.
Podebrady Chlumec |
In Poděbrady endlich wird die erste Rast eingelegt, da sind schon 75 km absolviert. Prächtig präsentiert sich hier wieder der große zentrale Platz. Nebenan ist so was wie eine Burg. Die könnte man sich ja auch mal ansehen, aber ich bin wieder zu rastlos und breche bald wieder auf, damit einen nicht wieder die Dunkelheit überrascht.. Bis Königgrätz (Hradec Králové) sind es noch gut 50 km. Da hat man Zeit, über die Geschichte und Namensgebung dieser Orte zu philosophieren. Königsgrätz hat doch wohl mal in den Napoleonschen Kriegen eine Rolle gespielt? Oder war es noch früher zu Zeiten des Friedrich des Großen? Und was heißt Hradec? Hört sich an wie Hradschin, damit hat es wohl was mit Königlich zu tun. Kralove muss dann Grätz heißen.
Das kann man nicht so stehen lassen. Unser Freund
Terje
schreibt dazu:
... Jetzt werde ich ein paar von deinen
Überlegungen kritisieren. Bei tschechischen Namen kann man nicht
mathematisch davon ausgehen, dass die Reihenfolge der einzelnen
Wortteile mit der deutschen Reihenfolge übereinstimmt. Man muss
versuchen bei den einzelnen Teile eines Wortes die sprachlichen Wurzeln
zu erkennen. Die Tschechen haben bei dem Namen Königgrätz die
zwei Teile ganz vertauscht. Hradec-Králove. Kralove bezieht sich
auf den König. In slawischen Sprachen stammt der Begriff für
König vom Karl dem Großen, genau wie Cäsar Pate zu den
Begriffen Kaiser und Tsar stand. Hradec hat etwas mit Burg zu tun.
Hradcany (Hradisch) in Prag ist also eine Ableitung
von hrad (Burg) Auf Deutsch ist der letzte Teil vom
Königgrätz -grätz. Ich frage mich, was Grätz
eigentlich bedeutet. In einem deutschen Wörterbuch kann
ich das Wort nicht finden. Ich habe aber die Vermutung, dass grätz
einfach das slawische Wort für Burg ist, also grad. Im
Tschechischen hat eine Lautverschiebung g zu h. stattgefunden. Deshalb
heißt es dort hrad- mit h. In anderen slawischen
Sprachen steht dort ein g (grad-). Nördlich einer
Lautverschiebungslinie, so wie in Polen, hat es diese
Lautverschiebung nicht gegeben, und es kann sein, dass die
Österreicher das örtliche Wort für Burg (grad)
übernommen haben und davor König gesetzt haben.
Weiter nachgeforscht:
Königgrätz
(Hradec Králové), Stadt in Tschechien. In der Entscheidungsschlacht des preußisch-österreichischen
Kriegs am 3. 7. 1866 (auch nach Sadowa benannt) besiegten die
preußischen Truppen unter H. von Moltke die österreichisch-sächsische
Nordarmee unter L. von Benedek und stießen
in der Folge gegen Wien vor.
Nebenstrecke - nach Libcany |
Damit merke ich so langsam, dass ich zu spinnen beginne. Das mag auch an dem zunehmenden Verkehr liegen, der auf der weiterhin schnurgeraden Strecke schon wegen des Lärms mittlerweile unerträglich wird. Wir passieren noch den Ort Chlumec, wo wohl gerade eine Kirmes oder so was abgehalten wird. Ich finde mich für eine Rast in einem mit Müll angereicherten Bushäuschen wieder. Man kann es nicht immer schön haben.
Noch ein Stück weiter auf dieser hektischen Straße und dann hält man es nicht mehr aus und biegt in die Botanik ab. Das hätte man schon viel eher tun sollen, aber dann hätte das mit dem "Vortrieb" nicht so gut geklappt. Aber nun geht es durch Orte wie: Libčany, Hvozdnice, Hřibsko, Plačice. Das zergeht auf der Zunge! Dafür ein Kirchlein, Wein- und Obstberge, Alleen. Das erfreut das Auge! Damit ist man dann unversehens in den Randbereichen der Stadt Hradec Kralove angelangt. Es war heute morgen noch nicht sicher, ob das in einer Tagesetappe zu schaffen ist.
Königgrätz Barockkirche ? Arkaden |
Als ich den Marktplatz erreiche, bin ich im Paradies. Keine Touristen, ein Hotel (Pod Vezi) und ein chinesisches Restaurant gleich um die Ecke. Das Hotel ist nagelneu renoviert, man fühlt sich, als wäre man der erste Gast. In besagtem Restaurant um die Ecke verzehre ich einen Berg laut Speisekarte "Knusprig gebackenes Ente" nebst zwei Bier für 8 EUR. Und der anschließende (nötige) Rundgang beschert auch noch romantische Eindrücke, ob mit - oder ohne Beleuchtung. Es ist alles perfekt, damit bekommt Königsgrätz vorab die goldene Palme dieser Tour!
Kirche vom Heiligen Geist im Abendlicht und in der Nacht |
Zurück in dem gemütlichen Hotelzimmer kann man auch per Satellit Receiver Deutsche Programme empfangen. Ich ziehe mir statt Pilcher (ZDF) ein paar Hits rein (MDR): "You win again" (Bee Gees), oder "Distant Lands are not so far away" (The other ones)! Wenn man das auf sich selbst bezieht, kommen einem fast die Tränen.
Mo, 25.10. Sumperk (Mährisch Schönberg)
Nach diesem angenehmen Aufenthalt in Königgrätz werden wir uns heute den westlichen Partien der Sudeten nähern. Man hat auch gelernt, dass die Hauptverbindungsstraßen unbenutzbar sind. Nach gründlichen Kartenstudium kann man aber auch immer Nebenstraßen finden, die nicht nur verkehrsärmer sondern auch noch landschaftlich wesentlich reizvoller sind.
Dennoch muss man aus der Stadt raus die Landstraße 11 benutzen bis zu dem Ort Tyniste, da geht es dann auf den Strecken 305, 317, 315 über Chocen, Usti, Lanskroun und Zabreh nach Sumperk. Bis Usti geht es entlang des Flusses Ticha Orlice, einem Nebenfluss der Elbe. Leider scheint heute die Sonne nur spärlich, da ergeben sich nicht so viele Möglichkeiten zum Fotografieren. Besonders am Ende der heutigen Etappe sind die ersten ernsthafteren Steigungen zwischen Lanskroun und Zabreh zu bewältigen, die Berge rings umher erheben sich mittlerweile so an die 600 m. Besonders schön ist ein Wiesen- und Waldttal entlang des Flüsschens Moravska Sazawa, das dann als Morava in Bratislava in die Donau mündet. Damit hat man gerade eine Wasserscheide Elbe/Donau überschritten. Hier muss man nun über einen Berg, dann hinunter in ein Quertal und gegenüber alles wieder hinauf.
Windmesser Herbststrecke Ein trauriger Ort |
So kommt es, dass man in Sumperk für heute auch wieder einmal genug hat. Die Touristeninformation ist in einem alten Gebäude (Paulinenhof, Pavlinův dvůr), wo auch das Museum untergebracht ist. Man empfiehlt mir für die übernachtung die Villa Ancora gleich um die Ecke. Das ist wieder ein Haus erster Klasse, die übernachtung kostet etwa 30 EUR. Dafür kann man hier sein technisches Talent an einer High-Tech Duschkabine erproben. Durch "Learning by Doing" findet man schließlich den richtigen Hebel heraus, nachdem man unabsichtlich die eine oder andere Hochdruckdüse betätigt hat. Das "Goody" auf der Bettdecke ist aber leider nur Seife.
In der Info hatte man mir ein P in den Stadtplan gemalt, und P steht für Pizzeria. Die heißt Farao und ist recht schummrig. Auf dem Rückweg mache ich noch ein paar Schleifen durch das Zentrum, leider wird es nun immer so früh dunkel, dass man nicht mehr so viel davon hat. Da sitzt eine Frau auf einer Bank, etwas verrenkt. Die kann man ruhig ansprechen, die tut einem nichts - denn sie ist aus Bronze.
Im Fernsehen kann man "Wer wird Millionär" gucken - das Wissensniveau der Kandidaten scheint sich nicht besonders gehoben zu haben. Derweil zerschneide ich die überdimensionale Karte der östlichen Tschechei, den ganzen südlichen Teil werde ich gar nicht brauchen. Die Weiterfahrt wird entworfen, da gibt es eine abenteuerlich aussehende Straße genau auf der Grenze zu dem Natur- oder Nationalpark CHKO Jeseniky. Wenn das Wetter mit spielt, könnte man sich morgen mal um diese Angelegenheit kümmern.
Es ist sehr dunstig, aber trocken, da kann man das mit dieser Zickzackstraße zwischen Sumperk und Rymarov ja einmal versuchen. Dazu muss man bald nach Sumperk links abbiegen und fährt durch das lang gezogene Dorf Novy Malin stetig bergauf und in den Wald. An Wegekreuzungen sind Wegweiser aufgestellt und man kann die Höhenmeter, auf denen man sich gerade befindet, ablesen. Erst sind es so um die 400 m, dann über 600 und am Schluss hat man dann die Höhe von 770 m erreicht. Und das fast gänzlich verkehrsfrei, auf diese Straße verirren sich heute höchstens ein paar Pilzsucher.
Und so geht es wie immer: wenn man gerade richtig auf der Höhe ist muss man alles wieder runter, dieses Mal nach Rymarov (Römerstadt) auf 590 m Höhe. Hier fungiert ein Tabak- und Zeitschriftenladen als Touristeninformation. Ich frage nach einer Unterkunft auf der weiteren Wegstrecke, die mir allerdings keineswegs schon klar ist. Ja, nach Jesenik sollte man fahren, eine größere Stadt, allerdings auf der anderen Seite des Gebirges, Altvatergebirge heißt das wohl. Aber auf die andere Seite wollte ich eigentlich auch, ich wusste nur noch nicht wie. Die ursprünglich geplante Mährische Pforte über Ostrava (Mährisch Ostrau) bedeutet eine erheblich längere Strecke und die führt wahrscheinlich auch durch ausgedehnte Industriegebiete.
Rymarov |
Von Rýmarov nach Jesenik geht es etwa 40 km quer durchs Gebirge auf den wenig befahrenen Straßen 445 und 450. Durch das Tal der Moravice geht es immer leicht aufwärts. Hier ist man touristisch auf der Höhe bis hin zu mondänen Sporthotels, die vorwiegend im Winter zum Skisport frequentiert werden. Schließlich erreicht man hinter dem Ort Karlova Studanka über 1000 m Höhe, muss dann allerdings unfreiwillig wieder ein paar hundert Höhenmeter runter und findet sich in Vildly wieder, das ist nur eine Ansammlung von wenigen Häusern. Wenn man hier Rast macht, gefällt das einigen Dackeln nicht, die lautstark protestieren. Man muss nun noch einmal bis auf 930 m Höhe klettern, dann hat man diesen "Doppelpass" geschafft.
Die restlichen 20 km bis Jesenik auf 523 m Höhe geht es dann bei mäßiger Steigung hinunter, da braucht man weder treten noch bremsen. Am Tagesziel begebe ich mich sogleich in die Touristeninformation am Marktplatz (da ist sie meistens im Rathaus), und bekomme ein Quartierverzeichnis in die Hand gedrückt. Die erste Privatpension ist besetzt - oder man will mich nicht aufnehmen, vielleicht stehen die Haare von der Abfahrt zu sehr in alle Richtungen? Um die nächste Ecke findet sich aber das Hotel Staric, da komme ich aufatmend unter. So nobel wie die vergangenen zwei Unterkünfte kommt einem das hier nicht vor, im Internet ist aber zu lesen, dass es sich hier um eines der ältesten und traditionsreichsten Gebäude der Stadt handelt. Das Fahrrad verschwindet dann auch gleich in irgend welchen Kellergewölben. Es gibt eine interessante Preisliste: Fahrradversorgung 25 Kr., Frühstück 50 Kr., Hund aufs Zimmer 100 Kr. Um das auf EUROs umzurechnen, muss man das jeweils durch etwa die Zahl 30 teilen. Die übernachtung kostet schließlich 470 Kr.
Zum Abendessen findet sich dann ein uriges Restaurant am Marktplatz, da lässt man sich heute Schweinerippen mit Ei und Speck schmecken. Hinter einem Pfosten, um dem allgegenwärtigen Fernsehen zu entgehen, schäkere ich abwechselnd mit dem Dackel Dori und dem Handy-Telefon, mit dem ich immerhin aus dieser abgeschiedenen Sitzposition mit zu Hause Kontakt aufnehmen kann. Das glaubt man dann immer gar nicht.