Nun geht es nördlich in Richtung polnische Grenze wieder auf einer rot markierten Hauptstraße mit der Nummer 60. Es ist aber so gut wie kein Verkehr dort. Leider hat man von der Gebirgslandschaft bzw. Altvatergebirge heute gar nichts, denn es ist neblig und in den höheren Lagen nieselt es leicht. Man muss die Handschuhe anziehen, die dann wiederum als Scheibenwischer für die Brille gut zu gebrauchen sind. Der erste Ort heißt Zulova (Friedeberg). Da kann man sich nur auf eine feuchte Bank setzen, wenn man den Regenumhang drunter legt. In Javornik (Jauernig) thront hoch oben eine Burg, die lässt sich durch den Dunst nur schlecht fotografieren.
Javornik Grenze Goscice |
Derweil stehe ich in einem überdachten Eingang und schaue dem Nieselregen zu. Dann ist man schnell am Grenzübergang und befindet sich damit in Polen bzw. dem früheren Schlesien. Die nächste Stadt wäre Paczkow (Patschkau). Ich biege aber vorher in eine Nebenstraße links ab und gerate in das erste Dorf, das sich langgezogen an einem Flüsschen hinzieht. Es heißt Goscice (Gostal). Es ist einen Versuch wert, die Straße bis ans Ende zu fahren, dort ist schon wieder die Grenze und dahinter liegt Bila Voda, das kann ich sogar übersetzen, das heißt Weißwasser. Dort gibt es wohl ein Kloster. Doch leider kann man die Grenze hier nicht überqueren, da ist nur ein verrammeltes Tor.
Kamienica Weißwasser Hannsdorf |
Damit muss ich mich auf die Hauptstraße mit der Nummer 46 in Richtung Glatz begeben. Das ist weniger angenehm, dort ist ein reger Verkehr, vor allem auch durch Schwerlaster und Tankzüge. In der Stadt Zloty Stok (Reichenstein) geht es erst mal in ein Bushäuschen zum Rasten. Da kommt ein älterer Mann heran gebummelt. "English,Niemetzki?" fragt er. "Aus Deutschland" sage ich, und darauf gibt er mir die Hand. Irgendwie rührend, danach brummelt er noch etwas und zieht dann weiter. Wir hatten bei früheren Polenbesuchen die Erfahrung gemacht, dass die Leute meistens irgendetwas von einem wollen, das ist diesmal nicht der Fall.
An der nächsten Bank ziehe ich 200 Zloty aus dem Bankomat, die restlichen Tschechischen Kronen will man in der Bank allerdings nicht wechseln. Warum weiß ich nicht. Wenn das Wetter schön wäre, könnte man von hier eine Nebenstraße nach Süden fahren und dann ein Tal (Biala Ladecka) hinunter nach Glatz. Das empfiehlt sich heute nicht, oben hängt alles voller regenschweren Wolken. Mit gemischten Gefühlen geht es wieder auf die Hauptstraße und man kämpft um sein Leben. Zudem folgen auch einige ernste Steigungen, die bei knapp überholendem Schwerlastverkehr besonders unangenehm sind. Nach etwa 10 km ziehe ich mich auf einen Rasplatz mit Hütte zurück. Da entdecke ich auf der Karte ein kleines Sträßchen, das nun links hinunter führt in einen Ort namens Jaskowa (Hannsdorf). Und das ist ein Glücksfall! Es handelt sich hier um ein wohl typisches Straßendorf, das sich wieder an einem Flüsschen entlang zieht. Vor Begeisterung mache ich gleich ein Panoramfoto, wo die eine oder andere "polnische Wirtschaft" zu bewundern ist. Die Talseite gegenüber ist etwas erhöht, da haben sich früher wohl die wohlhabenderen Anwesen befunden. Heute ist nicht alles mehr im besten Zustand.
Hannsdorf |
In dieser Umgebung könnte man noch länger weiter fahren, aber am Stadtrand von Glatz endet die Herrlichkeit. Das Zentrum der Stadt Glatz liegt auf einem Berg und ein altes Kastell erhebt sich darüber. über eine urige Brücke (Most Gotycki, Kleine Karlsbrücke)) schiebt man hinauf und erreicht den Marktplatz. In der Information (es ist früher Nachmittag) markiert man mir auf dem Stadtplan das nahegelegene Hotel Marhaba, wo ich problemlos unterkomme.
Aus dem Internet:
Die Festung wurde in XVII Jh. von dem holländischem Ingienieur- Cornelius Vallrawe errichtet. Man kann die Bastionen, Höfe und Kasematten mit Ausstellungen besichtigen. Von den Aussichtplatformen hat man herrliche Aussicht auf die Stadt und den südlichen Glatzer Kessel.
über die Stadt Glatz, dem Zentrum des Glatzer Berglandes, gäbe es wohl viel zu berichten. So ein Nachmittagsspaziergang gibt da nicht so viel her. Auf das Kastell steige ich nicht hinauf, es ist zu kalt und windig, die Aussichten trübe. Nun gibt es da auch einen geheimnisvollen unterirdischen "Touristengang" von der Unterstadt bis zum Kastell. Der ist leider aber auch verriegelt und verrammelt.
Der Gang wurde nach dem 2-ten Weltkrieg hergerichtet und zur Besichtigung freigegeben. Der Einlass zu diesem Gang befindet sich unterhalb der Pfarrkirche. Der Weg ist beleuchtet und in einigen Nischen stehen Figuren und archäologische Fundstücke.
Die Fußgängerzone dagegen ist sehr belebt, es halten auch hier schon die westlichen Allerweltsgeschäfte Einzug - stellvertretend für alle wie immer Mac Donald's. Neben einem Gymnasium lande ich wieder in einer Pizzeria, wo es mir bei Schulmädchengekicher und Rappermusik bestens schmeckt.
Wehr am Hotel Most Gotycki Eingang zum "Touristengang" Glatz |
Am Abend habe ich dann wieder einige Zeit damit zu tun, die Tagesstrecke auf der Karte zu markieren, damit man das später noch nachvollziehen kann.
Do,28.10. Waldenburg (Walbrzych)
Im Morgennebel gibt es einige Schwierigkeiten, aus der Stadt heraus zu finden, man will schließlich nicht nach Breslau oder Gleiwitz, so wie es hier ausgeschildert ist. Ich kann mich aber nach dem Ort Bierkowice durchfragen, und dort beginnt meine Nebenstrecke und bald radele ich wieder so ein Langdorf entlang, das heißt Gologlowy und ist an dem Fluss Scinawka gelegen. Später nennt sich das Dorf dann auch Scinawka-Dolna. Damit befinden wir uns inzwischen wieder in einem anderen Wasser-Einzugsgebiet, nämlich dem der Neisse bzw. Oder.
Bald gibt es eine kleine Straße direkt an der Tschechischen Grenze, auch die mag so an die 700 m hoch führen. Schließlich gerät man wieder auf die Straße 381, die durch ein schönes Tal führt. Auf einer weiteren Nebenstrecke nähere ich mich der Stadt Waldenburg quasi "von hinten" - schön, aber anstrengend.
Die ganze Zeit grüble ich über den Namen Waldenburg nach. Schließlich bin ich in der sog. "Flüchtlingsstadt" Espelkamp zur Schule gegangen. Dort sind fast alle Straßen nach Städten oder Flüssen im Osten des ehemaligen Deutschlands benannt. So gibt es auch einen "Waldenburger Hof". War das eine Kneipe in Espelkamp oder was? Irgendwann dämmert es mir: das war die Adresse der Wohnung meiner Mutter.
Abgeblühte Herkulesstauden |
Damit bin ich also in Waldenburg, was sich zunächst durch einen brausenden Verkehr auszeichnet. Es dauert lange, bis ich so etwas wie das Zentrum erreiche. Eine Touristeninformation ist zwar ausgeschildert, aber ich kann sie nicht finden. Ein Hotel sehe ich auch nicht. Nachdem ich das erste Mal im Kreis gefahren bin, frage ich eine Frau auf der Straße nach dem Touristenbüro. Das versteht sie nicht - bedeutet mir aber, ihr Vater könne Deutsch und sie wohnten gleich um die Ecke. So stehe ich unversehens im Flur einer Familie in Waldenburg.
Die Leute sind rührend um mich bemüht und versuchen zu telefonieren, das klappt anscheinend leider nicht so ganz. Wenig weiter gäbe es aber das Hotel Sudety wird mir schließlich auf den Weg gegeben und wir verabschieden uns herzlich. Das Hotel Sudety ist allerdings so ein alter Kasten aus sozialistischer Zeit. Nun gut, so etwas möchte man ja auch einmal von innen sehen. Man hat offensichtlich Mühe,diesen Kasten innen und außen in anständigem Zustand zu erhalten.
Ich breche noch einmal auf, um das "wahre" Zentrum zu finden. Das muss ich mit dem Fahrrad machen, weil das Hotel natürlich nicht besonders zentral liegt. Nun kurve ich durch die belebten Straßen, suche noch einmal vergeblich die Touristeninformation und komme schließlich zu dem Schluss: die braucht man hier gar nicht! Stattdessen schauen ein paar Fördertürme zum Kohlenabbau hinter einer Halde hervor (inzwischen wohl stillgelegt). Nachdem ich auch die verfügbaren Kirchen umrundet habe, muss ich mit dem Eindruck zurück fahren, dass diese Stadt nicht sonderliches zu bieten hat. Vielleicht irre ich mich aber auch und lasse mich gern eines besseren belehren.
Darum etwas ausführlicher:
Waldenburg
(poln.
Walbrzych), Kreisstadt inmitten
des Waldenburger Berglandes, 400-500 m hoch gelegen. Gründung etwa 1290, 1305
Burgdorf "Waldenberc", 1400 Verleihung des deutschen Stadtrechts.
1532 erste Bergordnung. Offene Marktsiedlung mit rechteckigem Ring.
Marienkirche von 1714, evangelische Kirche 1785-1788 nach Plänen von Carl
Gotthard Langhans, Rathaus 1855, barocke Bürgerhäuser am Ring. Im 20.Jh.
Eingemeindung der in den umliegenden Tälern gelegenen Nachbarorte. Im 19.Jh.
bedeutender Leinenhandel. Mittelpunkt des Waldenburger Kohlenreviers,
Steinkohlenbergbau, Steinkohlenchemie, Chemische Industrie, Hüttenwerke,
Maschinenfabriken, Stahlbau, Pozellanfabriken, Textilindustrie, Schuhindustrie
sowie andere Unternehmen. 1818 Errichtung der ersten mechanischen
Flachsgarnspinnerei auf dem europäischen Festland. 1834 erste Porzellanfabrik
der Welt mit Steinkohlefeuerung. Die Waldenburger Firma Krister gehörte zu den
großen Pozellanhersteller Europas, desgleichen die Firma Thielsch in
Waldenburg-Altwasser. Berglandmuseum, Stadttheater. Nördlich von Waldenburg
Schloß Fürstenstein und die durch ihre Dahlienzucht berühmte Gärtnerei
Liebichau. 1939: 65000 (mit Vororten 110000), 1975: 128000 Einwohner. 1975
wurde Waldenburg Sitz einer Wojewodschaft.
... und erstaunlicherweise:
In Hinsicht auf historische Baudenkmäler gehört Walbrzych zu
der Spitzengruppe der polnischen Städte, Neben der ganzen Bau-,
Palast-und Parkkomplexe finden Sie hier auch viele Sakralbauten, Ruinen
und Überreste der Ritterburgen und Festungen sowie zwar viel
jüngere, aber genauso interessante Denkmäler der technischen
Architektur.
Ich beschließe den Abend im Restaurant des Hotels, wo man leidlich essen kann. Alles macht hier den Eindruck, als habe es schon "bessere Zeiten" gesehen, wobei diese Zeiten gemeinhin eher zu den "schlechteren" zählen. Also habe ich auch diese Erfahrung gemacht - und kann mich am Abend gründlich der weiteren Planung dieser Tour widmen.
Hotel Sudety (Vordach) Cockpit |
Fr, 29.10. Karpacz (Krummhübel)
Beim Frühstück gerate ich an einen Kellner, der sich bereitwillig über die neue Situation nach dem EU-Beitritt Polens äußert. Seine begleitende Handbewegung zu jeder Bemerkung ist ein abschätziges Abwinken. Es geht vor allem darum, dass die westlichen Konzerne (Lidl, Media Markt, Aldi, Schlecker, Carlsberg, Heineken ...) die ortsansässigen Kleinbetriebe (z.B. Brauereien) verdrängen und gleichzeitig auch noch die ohnehin niedrigen Löhne drücken. Während er sich immer mehr aufregt, sehe ich zu, dass ich mit dem Frühstück fertig werde, ich kann schließlich nichts dafür.
Das Ende der Radtour ist nach der gestrigen gründlichen Planung abzusehen. Nachdem ich herausgefunden habe, wo die Schneekoppe (Snietzka) liegt, zieht es mich an einen Ort, der ihr zu Füßen liegt, und man wird sich denken können, warum.
Boguszow Gorce (Gottesberg) Friedhof |
Von Waldenburg geht es zunächst auf der Landstraße zu der Stadt Boguszow-Gorce (Gottesberg). Hier war (oder ist) wohl das Zentrum des Kohlereviers, man sieht viele Abraumhalden und kann sich nur wundern, welche Mengen man da aus dem Untergrund zutage gefördert hat. Existieren die Hohlräume da unten alle noch? Hoffentlich geht das gut.
Als ich an der Stelle bin, wo man auf die Nebenstraße Richtung nächstes "Langdorf" abbiegt, ist weiter vorne etwas Trubel. Ein Tanklastzug steht schräg und einige Leute beugen sich über etwas auf der Straße. Ich sehe zu, dass ich auf meiner Nebenstraße verschwinde, höre aber bald die Sirenen der Krankenwagen. Mein Langdorf heißt heute erst Witkow, dann Jaczkow und ist an einem Bach namens Lesk angelegt. Dieser mündet in den Fluss Bobr. Durch dessen Tal führt nun eine Strecke, die zu den absoluten Highlights der Tour gehört. Das liegt natürlich auch am Wetter, denn die Welt präsentiert sich wieder sehr farbenprächtig.
Im Bobr-Tal |
Irgendwann fällt mir die Markierung eines Radweges ER-6 auf. Wir müssen uns noch etwas gedulden, bis wir näheres darüber erfahren. Wir kommen in den Ort Janowice Wielkie (Jannowitz). Da überholt mich ein Mountainbiker, der will auch nach Karpacz. Allerdings auf der Strecke über Karpniki (Fischbach), während ich lieber an dem Fluss Bobr (Bober) bleiben möchte. Er dreht extra noch einmal um, weil er denkt, ich kann mich nicht orientieren. Offensichtlich versteht er nicht, dass man nicht immer die kürzeste Route wählen muss.
Zwischendurch mal wieder was für die Bildung:
Der Bober (polnisch Bóbr) ist ein Fluss im südwestlichen Polen. Er entspringt bei Bober (tschech. Bobr) nahe Schatzlar im tschechischen Rehorngebirge und fließt in etwa parallel zur Lausitzer Neiße durch Schlesien nach Norden, durchquert die Städte Hirschberg, Bunzlau und Sagan und mündet dann bei Crossen in die Oder. Der Bober ist auf seiner ganzen Länge von 268 Kilometern nicht schiffbar. In den Verhandlungen der Alliierten um das künftige Gebiet Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von den USA und Großbritannien zuletzt noch die Oder-Bober-Linie statt der Oder-Neiße-Grenze als deutsche Ostgrenze vorgeschlagen, die Sowjetunion verweigerte aber die Zustimmung dazu.
Schloss Schildau s. untenst. Anmerkung |
...
in Ihrer sehr gelungenen Reisebeschreibung über Polen ist ein kleiner Fehler:
Sie haben das Schloss Lomnitz, das sich in unserem Besitz befindet und seit
1996 als Hotel und Kulturzentrum betrieben wird, mit dem Schloss
Schildau/Wojanow verwechselt. Schloss Schildau, das derzeit gerade wieder aufgebaut wird
und auf Ihrem Foto zu sehen ist, liegt nur 500 m von Lomnitz entfernt auf der
anderen Seite des Bober.
Mit freundlichen Grüßen
U. v. K.
Ich kann mir sogar sehr viel Zeit lassen, weil es gar nicht mehr weit ist. So staunt man erstmal über das Schloss Schildau, wo man eifrig restauriert und ein sicher mondänes Hotel einrichtet. In Myslakowitze (Erdmannsdorf) verliere ich dann doch ein wenig die Orientierung und fahre einmal im Kreis um die Kirche herum. Ein Rollstuhlfahrer, der in einem Hof sitzt, mag denken, ich habe einen Doppelgänger, nachdem ich zweimal an ihm vorbei gefahren bin.
Schließlich geht es nur noch bergauf und wir sind schwitzend am Ziel in 600 m Höhe und das ist Karpacz. Der alte deutsche Name ist "Krummhübel", dann heißt Kar = Krumm und Pacz = Hübel oder was?
Dazu teilt
Terje mit:
Den Namen Karpacz kann ich nicht deuten, aber
ich glaube nicht, dass es so einfach ist wie karp=krumm und
acz=Hübel. Da werde ich mit der Zeit einen deutschsprechenden
Polen fragen. Für mich ist Karpacz dafür bekannt, dass bei
diesem Ort eine norwegische Stabkirche steht. In Bergen mit mir hattest
du damals eine solche Kirche gesehen. Als die Norweger in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Stabkirchen zugunsten
größerer Kirchen abreißen wollten, hat Wilhelm der I
eine Kirche gekauft und sie bei Krummhübel aufführen
lassen. Sie steht aber jetzt in Polen. Schade, dass du auf deiner Fahrt
die Stabkirche Wang verpasst hast.
In der Touristeninformation darf man mich nicht direkt vermitteln, sondern ich bekomme einen Ortsplan und ein Verzeichnis mit hunderten von Pensionsadressen in die Hand. Ich brauchte nur irgendwo zu klingeln, wird mir gesagt. Außerdem greife ich mir aus einem Regal die interessante Broschüre: "Turystika rowerowa w Euroregionie Nysa". Da sind die ausgeschilderten Radrouten ER-1 bis ER-7 beschrieben. Die Route ER-6, auf die ich heute gestoßen bin, heißt "Doliny Bobru", ist über 100 km lang und führt von Lubawka (Liebau) über Kamienna Gora (Landeshut) über Jelenia Gora (Hirschberg) nach Boleslawiec (Bunzlau). Es gibt sogar eine Radroute von Karpacz nach Zittau, die als ER-2 ausgeschildert ist. Mal sehen, ob man damit etwas anfangen kann.
Pension Jaskier Karpacz Rathaus |
Entsprechend dem vorher ergangenen Ratschlag klingele ich einfach irgendwo (Pension Jaskier). Da äugt eine Dame von oben vom Balkon und scheint zu überlegen, ob ich ein vertrauenswürdiger und lohnender Gast sein mag. Ich sage etwas von zwei Nächten, Fahrrad und Schneekoppe - da werde ich akzeptiert. Schon wenige Momente später sieht man mich am offenen Fenster ein Panoramafoto von der Zimmeraussicht auf den benachbarten Park produzieren. Danach ein Rundgang bei schönstem Sonnenschein. Hoffentlich bleibt das Wetter morgen so - ihr wisst schon, was ich vor habe?
Zimmeraussicht |
Der Ort Karpacz ist touristisch durch Winter- und Wandersport voll erschlossen. Sicher könnte mancher westliche Urlaubsort sich hier eine Scheibe abschneiden. Hoffentlich kommen nicht noch im Zuge des "Neuen Europa" etliche Mammuthotels hinzu!
Zu Abend essen wir in der Pizzeria Verde. Wenn man früh genug zum Essen geht (so gegen 18 Uhr), ist man meistens der einzige Gast. Gegen 20 Uhr füllt sich dann das Lokal, und dann kann man schon wieder aufbrechen und "zu Hause" die Strecke des Tages markieren, Notizen machen und den morgigen Tag überdenken. Leider gibt es das Frühstück erst ab 9 Uhr.
Sa, 30.10. Schneekoppe 1602 m
Nun hat es sich doch herum gesprochen, dass heute eine Bergbesteigung auf dem Programm steht. Ich will mit dem Fahrrad so weit wie möglich hinauf fahren und wähle die Strecke "Dr. M. Orlowicza". Da ist gleich am Anfang, wenn man die Straße verlassen hat, eine "historische" Pflasterstrecke, wo die Steine faustgroße Erhebungen bilden. Unmöglich, dort zu fahren, ich habe Angst um die Kamera, die in der Lenkertasche auf und nieder hüpft. Dann kommt man an einen großen grünen - war es ein Hochwasserbehälter? Dort ist wieder eine asphaltierte Straße (Olimpijska) und man hätte es auch einfacher dorthin haben können. Am Hotel Orlinek nahe der Skisprungschanze beginnt der eigentliche Aufstieg mit einem leicht ansteigenden gut zu fahrenden Waldweg. Der führt in weitem Bogen um die Quelltäler zweier Bäche (Bystrzyk und Wilczy Potok) herum. Hier an der Schneekoppe entspringen im übrigen auf dieser Seite zwei kleine Flüsse, der eine heißt Lomnica und der andere Lomniczka. Da kenne sich einer aus! (Der zweite heißt wohl Kleine Lomnitz).
Melzergrundbaude Melzergrund Untere Snetzkabaude Zickzackweg |
An letzterem Bach liegt die Schr. Nad Lomniczka und die heißt auf Deutsch Melzergrundbaude, 1000 m. Hier muss das Fahrrad zurück bleiben, denn nun wird es steinig. Der Weg ist wohl erst kürzlich hergerichtet worde und es fehlt nicht viel, da könnte man hier einen Kinderwagen lang schieben. Das tut dem Abenteuer etwas Abbruch, trotzdem habe ich zuweilen eine Gänsehaut. Ich will erzählen warum.
Aus den frühen 40er Jahren existiert ein in Schönschrift auf Pergament verfasstes Werk mit dem Titel: "Wie wir uns fanden". Das handelt davon, wie meine Mutter und mein Vater bei einem Urlaub in Petzer (heute Pec) auf der anderen Seite der Schneekoppe sich ganz allmählich näher gekommen sind. Dieses Werk befindet sich wohlbehütet bei meinen Akten über die Ahnen. Und heute laufe ich leibhaftig in der Gegend herum, wo sich diese Dinge ereignet haben und der ich letztlich meine Ursprünge verdanke? Da kann man schon eine Gänsehaut bekommen.
Der Aufstieg wird über der Waldgrenze wildromantisch. Wie eine hohe Wand ragt der Grat der Schneekoppe vor einem auf. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass man da heute noch hinauf kommen soll. Man kreuzt dann bald einen Bach, wenn der mehr Wasser führt, soll das wohl ein Problem sein, eine Brücke gibt es nicht. Der weitere Aufstieg zieht sich im Zickzack den Hang hinauf, manchmal wie eine Treppe. An ein paar Felsen hat man Erinnerungstafeln an Bergopfer angebracht, da sind auch welche aus dem Himalaya (Annapurna) dabei.
Man kommt dann an der Schr. Pod Sniezka, 1394 m, heraus und ab hier wimmelt es von Menschen. Ein Sportler in grellem Dress rast immer hin und her. Vielleicht macht der Höhentraining. Die übrigen Menschen können nur mit irgendeiner Seilbahn hier herauf gelangt sein. Es sind sogar Kleinkinder dabei. Die alle zwängen sich nun wie auf einer Ameisenstraße zwischen die Geländer des "Zickzackweges", der auf dem Grat hinauf zum Gipfel führt. Auf dem Gipfel hat man eine ultramoderne Wetterstation erbaut und da wimmelt es noch mehr von Menschen. Ich mache mal eine Rechnung: wenn innerhalb einer Minute 5 Menschen an einem vorbei kommen, dann sind das in einer Stunde 300 und in 10 Stunden 3000. Die Gänsehaut ist mir inzwischen vergangen.
Dazu folgende Information:
Den Karkonoski Nationalpark und die Schneekoppe besuchen jährlich über 1,5 Mio. Touristen. Die touristische Infrastruktur umfasst 112 km Wege, 10 Lifte und 12 Berghütten. Die attraktivste Saison für Wanderungen in den Karkonoszen ist die Zeit von Mitte Mai bis Mitte Oktober.
Mit der viel gerühmten Aussicht klappt es leider nicht, immer wieder ziehen Wolkenfetzen über den Gipfel. Manchmal kann man einen Blick in die Tiefe werfen, schnell ist das Bild dann wieder verschwunden.
Gipfelbild |
Manchmal scheint sogar die Sonne einmal kurz. Ich setze mich noch in eine Ecke um ein Erinnerungsbild für eine gute Freundin zu machen. Die hatte mir zum Geburtstag eine Mütze gestrickt mit der Auflage, dass ich sie bitte auch benutzen möge. Da muss nun ein Bild her, auf der Schneekoppe mit der Mütze auf. Allerdings kommt man sich reichlich blöd vor, wie da die vorbeilaufenden Menschen sich wundern, was dieser Knabe da, mit ausgestreckten Armen die Kamera auf sich gerichtet, so treibt. Entsprechend werden auch die Fotos: Schön blöd! Aber nichts gegen die Mütze - die ist schön warm.
Dann geht es wieder an den belebten Abstieg auf dem Zickzackweg. Es gibt auch noch den Jubiläumsweg, der sich schräg am Hang entlang zieht und langweiliger aussieht. Der weitere Abstieg in den Melzergrund ist dagegen geradezu einsam, wo kommen dann die ganzen Menschen her? Wahrscheinlich fahren die alle mit den Seilbahnen von Karpacz oder Pec da rauf. Dabei ist das schönste einer Besteigung der Schneekoppe der Auf- und Abstieg. Wenn man die Karte genau anschaut, entdeckt man auch noch andere Möglichkeiten mit dem Fahrrad hinauf zu fahren, da wäre man womöglich noch höher gekommen. Aber so ist das auch OK und ich finde mein Fahrrad unversehrt wieder.
Karpacz Melzergrund Tote Fichten |
Die Abfahrt nach Karpacz dauert nur Minuten - so kommt es einem vor. So bin ich am frühen Nachmittag wieder zurück und das gibt Gelegenheit zu einer gänzlich ungewohnten Tätigkeit: einem Mittagsschläfchen. Am Abend findet man mich eine Pizzeria weiter als gestern. Da spielt man ein Lied "W’re all living in America, Coca Cola wunderbar" - da kann man nur mit den Zähnen knirschen. Wäre einem der Ausgang der Präsidentenwahl in jenem Land eine Woche später schon bekannt gewesen, hätte man noch mehr geknirscht.
Die letzte Etappe steht bevor. Heute hat man übrigens von Sommer- auf Winterzeit umgestellt. Wenn man dann erst um 9 Uhr das Frühstück einnehmen würde, wäre es eigentlich schon 10 Uhr. Daher habe ich bereits am Vortag bezahlt und finde nun ein Lunchpaket am Lenker hängend, als ich quasi im Morgengrauen aufbreche.
Aus Karpacz wird man nur entlassen, wenn man noch mal 200 Meter klettert - außer man würde zurück auf die langweilige Landstraße fahren. Ich wollte ja doch die mit ER-2 ausgeschilderte Radroute ausprobieren. Das geht gleich schief, weil ich wohl bei der Abfahrt die entsprechende Abzweigung übersehe. Man stößt aber bald von alleine wieder auf die Markierung und es geht hier durch ein paar verschwiegene Dörfer. An einem Anschlagbrett sind sogar Busfahrten nach Köln und anderswo hin angeboten - hier, mitten in der Botanik.
Rastplatz Ab nach Köln? Radwegmarkierung |
Es macht Spaß, hier zu fahren, doch dann wird man von dem ER-2 gründlich reingelegt. Der Weg wird dermaßen steinig, dass man nur schiebend vorwärts kommt. Danach eine ewige Steigung durch den Wald und auf holperigem Weg alles wieder runter. So geht das über 10 km nur durch den Wald, was einem sehr lang vorkommen. Endlich kommt man in Szklarska Poreba (Schreiberhau) raus und weiß wieder, wo man ist. Dies ist auch ein belebter Touristenort. Ich halte mich nicht lange auf und vertraue ab hier lieber der Landstraße.
Es ist noch einmal ein Aufstieg zu bewältigen - der letzte ernsthafte dieser Tour. Danach folgen herrliche Kilometer immer leicht bergab. Einmal fahre ich über 5 km ohne zu treten mit 45 km/h. Das macht Spaß. So kommt man unversehens nach Swieradow Zdroj (Bad Flinsberg). Das ist der letzte Ort vor der Grenze zurück nach Tschechien. Es ergeben sich noch ein paar schöne Blicke auf das Gebirge, das hier Iser-Gebirge heißt. Dann ist man schon an der Grenze und muss seinen Ausweis herzeigen. Der wird kurz durch einen Scanner gezogen. Aber noch bin ich unbescholten.
Bei Swieradow Zdroj |
In Tschechien ist der Radweg ER-2 nicht ausgeschildert, soweit ich sehen kann. Man kommt zunächst nach Nove Mesto, da ist nicht viel zu sehen. Nicht weit von hier in Hejnice ist eine bedeutende Klosterkirche, aber ich habe keine Lust auf einen Umweg.
Daher spiele ich lieber Trittbrettfahrer und finde im Internet:
Der berühmte Wallfahrtsort mit der Kirche Maria Heimsuchung liegt im bezaubernden Tal des Flüsschens Smědá unter den nördlichen Hängen des Isergebirges. Das uralte Städtchen, dessen Hintergrund der steil abfallende Ořešník bildet. über die Entstehung des Wallfahrtsorts und der Gemeinde erzählt eine uralte Legende von einer hölzernen Marienstatue, die die wunderbare Heilung einer Familie bewirkte. Als ein Zimmermeister an jenem Ort den Bau einer hölzernen Kapelle beendet hatte, brachte er über ihrem Eingang die Aufschrift ANNO DOMINI MCCXI an. Diese Jahrezahl wurde später auf das Balkenband der gotischen Kirche übertragen, womit es zum einzigen Zeugen über die Entstehung von Hejnice wurde. Die Kirche Maria Heimsuchung, im Jahre 1729 vom Baumeister T. Haffenecker an der Stelle der einstigen Kappele und frühern Kirche erbaut, ist ein herrlicher Barockbau von einem der besten Architekten jener Zeit, J. B. Fischer von Erlach. Im Innern der Kirche kann man eine sehr wertvolle Plastik bewundern. Das anliegende Franziskaner-Kloster ist heute das Europäische Zentrum der geistlichen Erneuerung. In der Stadt sind viele Fachwerkhäuser erhalten geblieben. In der Kirche Maria Heimsuchung werden im Rahmen geistlicher und Orgelmusik hervorragende tschechische Musikkünstler vorgestellt.
Auf der (langweiligen) Straße nach Frydlant mache ich dann aber doch einen Umweg in das Dorf Krasny Les, wieder ein Langdorf und hübsch zu fahren. So kommt man nach Frydlant, und auch das kann einem mit seinem Markplatz und den Giebeln der angrenzenden Häuser gefallen. Zudem bekomme ich hier ganz individuell ein Glockenspiel von der Rathausuhr geboten, es ist gerade 13 Uhr (eigentlich 14 Uhr).
Frydlant Frydlant |
Bald überquert man schon wieder die Grenze, nun nach Polen. Dort gerät man zwischen die gewaltigen Tagebauanlagen für die Braunkohle. Trotzdem ist die Straße auf der Karte grün markiert, dh. landschaftlich schön. Ist sie vielleicht auch, einige Wälder rings rum. In einem Dorf mit dem Namen Opolno Zdroj (Bad Oppelsdorf) mache ich eine Rast und setze mich zu Füßen der Kirche nieder. Da kommt ein Mann vorbei, dem ist das nicht geheuer. Ob mir etwas fehle oder ob ich etwas brauche, Wasser vielleicht oder was? Sehr nett von ihm. Aber dann erzählt er mir einiges - leider kaum verständlich - über den Ort und die Umgegend. Wenn ich es richtig verstehe, hat es hier Glasindustrie gegeben und der Ortsname geht auf einen Herstellungsbetrieb für Kühler von Fahrzeugen der Marke Opel zurück. Da ich kaum zu Wort komme, habe ich Mühe, mich zu verabschieden.
Mehr habe ich über den Ort nicht gefunden:
Bad Oppelsdorf (Opolno Zdroj), bis 1945 ein renommierter Kurort. Die Entdeckung schwefelhaltiger Quellen im 19. Jahrhundert führte zur Gründung eines damals modernen Badeortes mit regen Kurbetrieb. Heute ist Bad Oppelsdorf nur noch ein Schatten seines einstigen Ruhmes. Außerdem ist der Ort "Vorbehaltsfläche" für den Tagebau.
Wir rollen die letzten Kilometer bis zur Grenze, da gibt es natürlich vorher noch den obligatorischen Polenmarkt, wo man seine letzten Zlotys auf den Kopf hauen kann. Beim Grenzübergang ist nun mein Abenteuer "Neues Europa" zu Ende. Dafür rausche ich zuguterletzt mit Glanz und Gloria an der Stadt Zittau vorbei. Das liegt daran, dass der Radweg auf dem Neissedamm einfach zu einladend ist. Als sich leise Zweifel über die Strecke einstellen, ist man schon am Dreiländereck. Da ist natürlich eine Raststation, besonders für Fahrradfahrer aufgebaut. In der gesamten Region gibt es eine Vielzahl von ausgeschilderten Radrouten, z.T. auch grenzübergreifend.
Damit rollen wir aus, zurück nach Zittau, zum Bahnhof zum Fahrkarten kaufen und dann zum Hotel Dreiländereck, wo ich nun schon zum dritten Mal logiere. Darauf hatte ich mich schon gefreut, aber das ist nun nicht mehr so preiswert. Das Lokal Klosterstübl, wo wir 2001 gespeist haben, hat wohl dicht gemacht. Nicht nur als Ersatz bietet sich an: gleich neben der Kirche das Historische Wirtshaus. Da gibt es Kassler mit Grünkohl. Im Hintergrund säuseln Lieder wie "I did it my way" (Sinatra) oder "All I need is the air that I breathe" (Hollies). Dem kann ich diesmal nur zustimmen. Auf dem Rückweg sehe ich, dass die Pizzeria schräg gegenüber rappelvoll ist. Aber es musste ja nicht schon wieder Pizza sein.