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Als Student bei der kanadischen Tabakernte 
(Sommer 1967)

Personen: 
Max / Frank Strecker, Rolf Wanka(Schauspieler)  Martin Witman (Organisator) 
Klaus L. (Berlin)  Rainhard H. .... (Ruhrgebiet) 
Hartmut und Siegfried... Kiln-Haenger (Nürnberg)  Vic (Toronto) 
Klaus U. (Stuttgart)  Hank Williams sen. (Farmer) 
Nancy Williams (Frau d. Farmers)  Hank .... jun. (Sohn) 
Lucie (Tochter)  Sandy (Angest. der Indian Airlies in London) 
Erika S. (Bekanntschaft)  Frl. Mueller (Briefbekanntschaft) 
Orte: 
Vanessa, Hamilton  New York: 42. Strasse, Hotel ...Westside... 
Blue Horizon Hotel Miami Beach 
Namen: 
Kühne & Nagel 
Stichworte: 

Vorbemerkung

Bei so manchen Reisen im Laufe eines Lebens bleibt mitunter eine Unternehmung als die größte, die weiteste, die schönste in der Erinnerung. Unter eine dieser Superlativen fällt sicher meine im Jahre 1967 als Student unternommene Reise nach Kanada zur Tabakernte. Es sind noch so viele Erinnerungen lebendig, daß ich sie nun - fast 30 Jahre später - doch noch zusammenschreibe, um da einiges zu konservieren. Ein wenig Rahmenhandlung gehört auch noch dazu, die beleuchtet ein paar Seiten des damaligen Studentenlebens in Stuttgart.

Sommersemester 1967

Das SS 67 ist mein sechstes Semester. So mit dem 4./5. Semester schließt man das Vordiplom ab, danach regieren erstmal Sommer und Sonnenschein. Seit 5 Semestern wohne ich "auf dem Haus", das ist eine Dachetage hoch über dem Herdweg, gemietet von der Verbindung "Freie Burschen".

Trotz der eher konservativen Namensgebung handelt es sich um eine Verbindung, die sich von zwei anderen aus Protest gegen das Schlagen und Farbentragen abgespalten hat. Für mich als Norddeutscher unter Schwaben ist die Mitgliedschaft in dieser Verbindung so gut wie lebenswichtig, weil nur dadurch ungezählte Unternehmungen, Kontakte und Freundschaften zustande kommen. Auch die vielgerühmte "Lebensgemeinschaft" ist kein leeres Gerede, wie ich heute nach dreißig Jahren bestätigen kann.

Dort oben auf dem Haus also sind 7 kleine Zimmer, da hat man es im Sommer schön warm, laut und staubig. Der Herdweg unten ist mit Kopfsteinen gepflastert. Wenn die Autos zwischen Hegelplatz und Wiederholdstraße hinauf bzw. herunterbrausen, wackeln die Scheiben. Abends wird es ruhiger, dafür hat man nach einem heißen Tag noch weit über dreißig Grad unter'm Dach juchhe. Da hilft dann auch das Bier nicht mehr (Dinckelacker, der Volksmund spricht das Wort mit "P" am Anfang aus).

An einigen Abenden passiert es dann, daß Hitze und Bierkonsum kulminieren oder eskalieren. Dann rasten einige aus, die kriegen den Rappel. Wehe dem, der sich durch Abschließen seiner Zimmertür davor zu schützen sucht.

Ungeachtet des Gravitationsgesetzes werden dann in der obersten Etage eimerweise Wasser "verbraucht". Kunstvoll werden Wasserbehälter mit Schnurkonstruktionen über Zimmereingängen installiert. Oder es wird auch schon mal ein voller Eimer in Putzfrauenmanier unbesehen in ein Zimmer entleert. Auch Kuno (Architektur) erwischt es: eine gerade fertiggestellte Entwurfszeichnung wird verdorben. Er ist den Tränen nahe...

Kuno heißt eigentlich Michael, aber beim letzten Fasching war er zu gut verkleidet, als Ritter Kunibert...

Das Loch

Kuno wohnt wie ich 5 Semester auf dem Haus, andere warten schon auf das Nachrücken. Seit dem Winter suche ich ein neues Zimmer, über den ASTA, die Stuttgarter Zeitung oder diverse Wohnungsvermittlungen.

Einmal wird mir ein herrliches Zimmer oben in Degerloch gezeigt. Stuckdecken, zwei Erker mit Fenstern von Westen bis Osten, tief unten die Stuttgarter Innenstadt wie ein Spielzeugkasten. Die Miete ist für meine Verhältnisse reichlich hoch, außerdem steht das Haus zum Verkauf, da wird es mit der Vermietung sowieso nichts. So ein schönes Zimmer sieht unsereiner jedenfalls nicht jeden Tag.

Alle anderen Angebote sind wenig geeignet, Kellerlöcher, verkehrsungünstig gelegen, schon andererweitig vermietet, irgendein Wurm ist immer dabei. Zu Beginn des Semesters dann der Kompromiss: ich nehme ein Provisorium, um aus dem alten Zimmer ausziehen zu können und meine Sachen unterzustellen. Dann kann man ohne Hast weitersuchen. Das Provisorium bietet sich an als eine 9 qm große Dachbodenkammer mit Nachttisch, Bett und Kleiderschrank. Mietpreis DM 69.- pro Monat. Viel zu viel immer noch, dazukriegen müßte man etwas für diese Behausung. Ein bezeichnender Name für das Zimmer ist schnell gefunden: das Loch.

Die Lage ist aber gut, in der Nähe des Bopsers, von wo aus die nostalgische Straßenbahnlinie 7 eine direkte Verbindung mit Uni-Gelände und Herdweg herstellt. Eine Zeitlang konnte man noch von den offenen Wagen vom Trittbrett abspringen, später wurde die Linie 7 genauso modern wie alle anderen.

So manches Mal bin ich in diesem Sommer zu später oder früher Stunde nach nächtlichen Umtrieben die Treppen (Stäffeles) mehr oder weniger elegant hinaufgestolpert. Danach hat mich dann die Enge des Zimmers weiter nicht mehr gestört. Nur an Wochenenden war es schlicht unmöglich, längere Zeit in diesem Zimmer zu verweile, da kriegt man einfach die Platzangst.

ASTA-Reisereferat

Da hängt ein Plakat aus im ASTA-Reisereferat. Für die Semesterferien werden Studenten für die Tabakernte in Kanada gesucht. Gute Verdienstmöglichkeiten. Zwei Monate dauert die Sache, Ende Juli bis September. Knapp 1000 DM muß man selber aufbringen für Flug, Transfer und ein paar Tage New York. Das trifft einen doch wie der Blitz. Nichts anderes kann man mehr denken. Ein paar Formulare ausfüllen, schon ist man dabei. In die weite Welt, über den großen Teich, durch die Lüfte, New York, Kanada,... Träume.

Erstmal müssen 1000 DM aufgebracht werden. Die borgt mir meine Mutter. Wir werden schließlich soviel verdienen, daß man das bequem zurückzahlen kann. Der amerikanische Dollar steht derzeit auf DM 4.20, der kanadische auf DM 3.70. Das bedeutet, daß eine Amerikareise so gut wie unerschwinglich ist für jemand, der nicht sein Geld "drüben" erarbeitet oder verdient.

Vorfeld

Einen Mitstreiter finde ich auch noch, das ist Klaus U., Student der Geodäsie. Das ist insoweit ganz günstig, seine Familie hat gerade Besuch von zwei feschen Amerikanerinnen aus entfernter Verwandtschaft. Da hätte man doch schon mal eine Anlaufstation. Wir arrangieren auch einen gemeinsamen Abend zum Kennenlernen. Der erste Eindruck von Amerika: Viel Schminke und aufdringlicher Lippenstiftgeschmack.

Dann kommt ein unvergessener Sonntag. So etwas ist zum Glück auch selten, man fährt des Morgens los, um etwas Angenehmes zu unternehmen, und am Abend hat man einen Tag erlebt, den man sein Leben nicht mehr vergißt. "Wer hätte das gedacht" sagen Kuno und ich dann immer.

Dieser Sonntag führt uns wie so oft in das Remstal, ein beschauliches Tal mit Weinbergen, romantischen kleinen Orten wie "Beutelsbach","Endersbach", "Strümpfelbach" oder eben "Steinreinach". In allen Orten gibt es lauschige Weinlokale, da wird einem der Tag nicht lang. Meistens wandern wir eine ordentliche Strecke, dann wird eingekehrt usw. SPUZ (SPazieren Und Zechen) nennen wir das.

Der Abend führt uns heute nach Steinreinach, beim "Emile" kehren wir ein. Und wir finden schon Freunde vor, eine ganze Korona unserer ehrenwerten Älteren Herrn mit ihren Frauen sind bei bester Stimmung. Wir Studenten brauchen uns um keine Zeche zu kümmern, immer steht ein wohlgefüllter Krug Wein auf dem Tisch. Wie immer wird viel gesungen, das steckt auch die Nachbartische an. Die Nachbarn rücken aber etwas ab, als ich mir einen würzigen Romadour gönne.

Ein uns unbekannter Herr wird immer lebendiger, was sich in wachsender Spendierfreude ausdrückt. Der Höhepunkt ist erreicht, als Frau K. (Bobbeline) zur Begleitung ihres Gatten (Bobby) am Klavier das selbst getextete und komponierte Hauslied vorträgt:

Ja beim Emile hier in Steinreinach,
da sind wir so richtig zu Haus...

Frau Klett (Bobbeline) steht in unseren Augen und Ohren ihren prominenteren Kolleginnen wie Evelyn Künnecke oder Friedel Hensch ("Mond von Wanne Eickel") in nichts nach. Und das "Emile", das gibt es wirklich, das ist die schon etwas bejahrte Wirtin, die sich nach der Huldigung natürlich auch nicht lumpen läßt...

Der spendierfreudige Herr ist schließlich so aufgedreht, daß der uns alle in seinen Weinkeller zu Hause einläd, er ist Fabrikant in Cannstatt und seine Frau ist verreist. Was soll seine Villa leer stehen, auch ein paar Fläschchen Wein werden sich finden lassen.

Mir gelingt es, bei der notwendigen kleinen Autofahrt mich neben ein hübsches Schwabenmädel zu mogeln. Bald weiß ich, daß sie Erika heißt. Sie ist in der Hotelfachausbildung, und - oh Wunder - wird im Sommer auf der Weltausstellung in Montreal einen Job ausüben (Pschorr Bräu). Das werde ich mir merken.

Vom Rest des Abends habe ich nicht mehr viel. Erlesene Weine finden sich wohl im Keller unseres Gönners. Irgendwann finde ich mich erst auf der Toilette wieder, dann halte ich mich lieber im Garten, besser Park, auf, bis endlich jemand zurück auf's Haus fährt.

Happening im Loch

Kuno hat eine Wohnung gefunden. Zwei Zimmer in der Sattlerstraße, gleich um die Ecke, unmöbliert, Kohleofen. Der Mietpreis ist kein Thema, wenn man zu zweit dort einzieht. Da sind wir uns schnell einig, was besseres kann man ja gar nicht finden. Die Vermieter bestehen aus drei Damengenerationen: Frau Wieland (Natascha) und ihre Mutter, die ist über 80 Jahre und spricht kein Deutsch, sie sind Exilrussen. Dann gibt es noch die blutjunge Tochter Marina, mit der wir uns natürlich gut verstehen werden.

Damit ist meine Leidenszeit im Loch überstanden. Das muß gefeiert werden. Jeden Mittwoch ist unser Sportnachmittag in Degerloch. Danach hat man Bierdurst, und der Rückweg von Degerloch nach Stuttgart führt über den Bopser. Also wird ein Kasten Bier besorgt, und ich lade meine 15 Sportkameraden in meine 9 qm große Behausung ein. Unbemerkt kommen wir mitsamt dem Kasten die 5 Treppen hinauf. Man nimmt Platz in Dreiherreihen auf dem Bett, auf dem Fußboden, auf Nachttisch und Kleiderschank. Unter großem Hallo wird der Kasten Bier geleert, das dauert nicht lange. Dann geht es geräuschvoll die Treppe runter.

Der Vermieter muß es wohl gehört haben, er steht an der Treppe und sieht mit heruntergeklapptem Unterkiefer einen nach dem anderen an sich vorbeiziehen: eins, zwei, drei vier, ... ,fünfzehn! Als letzter komme ich selber. "Zum nächsten Ersten wollte ich kündigen, heute war die Abschiedsparty" lasse ich ihn wissen. Sprachlos wird das quittiert.

Da ich meine Miete im Voraus bezahlt habe, kann ich das Zimmer alsbald räumen und der neuen Behausung entgegenziehen. Apfelsinenkisten bilden zunächst die Regale, zwei Monate werde ich ja erstmal außer Landes sein.

Noch etwas gibt es für's Herz zu tun. Es ist die Zeit der Partnervermittlung per Computer durch die Zeitschrift "TWEN", das ganze nennt sich dann "Twen-Club". Da sind wir eifrige Teilnehmer und "arbeiten" auch brav die uns zugehenden Adressen ab. Kurz vor Beginn der Reise gerate ich in brieflichen Kontakt mit einem - ich darf den Namen ruhig nennen - Fräulein Müller.

Beim Fernsehen

Immer auf der Suche nach lukrativen Nebenverdienstmöglichkeiten kommt noch ein sensationelles Angebot. Für eine Theateraufnahme im "Marquardt" wird ein Kabelträger gesucht. Das sind die Leute, die darauf aufpassen müssen, daß der Kameramann sich nicht in dem Kabelgewirr um ihn herum verheddert, während er durch die Kamera schaut und sich gleichzeitig damit durch die Gegend bewegt. Da man keiner besonderen Vorkenntnisse bedarf, kann auch ein Student mit dieser Aufgabe betraut werden. Das Fernsehen bezahlt auch die kleinen Chargen gut, so an die DM 70.-, ein Heidengeld, pro Tag. (Vor zwei Jahren noch haben wir für DM 2.50 Stundenlohn beim Kreuz-Verlag Prospekte eingetütet oder Briefmarken geklebt).

Die Fernseharbeit beginnt mit Auslade- und Aufbauarbeiten. Ich werde mit meinem Kameramann (Dieter) bekannt gemacht, wir verstehen uns gleich gut. Viel älter als ich ist der auch nicht, aber was für ein sozialer Unterschied - und in welch prominenten Kreisen bewegt sich dieser "Kollege"!

Dann beginnen die Probearbeiten. Ein schwäbisches Volksstück von und mit Max Strecker, sein Sohn Frank spielt den jugendlichen Liebhaber. Den älteren Liebhaber spielt Rolf Wanka, der Jugendschwarm meiner Tante Käti, wie ich später von ihr erfahre. Trotz der eine Woche andauernden Probearbeiten kann ich mich heute beim besten Willen weder auf den Titel noch gar auf den Inhalt des des Stücks besinnen, das spricht natürlich für seine Qualität. (Durch Internetforschung im Jahre 2006 habe ich herausgefunden, dass es sich wahrscheinlich um das Stück "Seine Durchlaucht, der Schneider" gehandelt haben muss).

Ernst wird es dann am Freitag und Samstag, Generalprobe und Premiere werden beide aufgezeichnet. Man sagt dem Publikum, was los ist, obwohl ja alle sehen, daß vor der Bühne ein Bretterpodest mit einem aufgeregten Bildregisseur, den Kameramännern und Kameranegern, zu denen ich gehöre, die Sicht verstellen.

Da ja zwei Vorstellungen aufgezeichnet werden, wird dem Publikum, das besser mitgeht und applaudiert, in Aussicht gestellt, für die Ausstrahlung im Oktober ausgewählt zu werden. Bei dem Stück ist das aber auch nötig. Irgendwie muß es da um Liebe gegangen sein, wie so oft. Sagen wir mal so: Ein schwäbischer Simpel (Frank Strecker) liebt ein genauso schwäbisches Mädle, was wiederum sich in einen schnieken französischen Leutnant verguckt. Aber dem oberschwäbischen Schwabenfuchs (Max Strecker) gelingt es, unter mancherlei Verwirrungen alles zum rechten zu lenken, sodaß der junge Liebhaber das junge und der alte das alte Mädchen kriegt. Oder so ähnlich.

Nach der Generalprobe wollten wir mit den Kameramännern ein Bier zusammentrinken, aber das klappt nicht. Die sind so von irgendwelchen Mädchen umlagert, daß sie sich in der Lage sehen, den Abend angenehmer zu gestalten. Morgen nach der Premiere im "Drei Mohren" so heißt es, da sei die Abschlußfeier.

So bringen wir auch die Premiere unter Dach und Fach. Nach dem Schlußapplaus ist Feierabend, nur die Nichtkünstler werden noch zum Abbauen und Einladen in die Übertragungswagen gebraucht. Nach einer knappen Stunde ist auch das geschafft.

Auf in's "Drei Mohren", das hat man sich verdient. Auf einmal haben alle noch verbliebenen Kollegen etwas anderes vor. Die anderen seien aber schon da, ich solle man alleine hingehen - also gehe ich alleine hin.

Hinein ins "Drei Mohren", das ist gleich um die Ecke in der Lautenschlagerstraße. Da sitzen sie schon, alle an einem langen Tisch. Gleich vorn ist noch ein Platz frei, da setze ich mich gleich hin, niemand nimmt sonderlich Notiz von mir. Der Ober naht mit geduckter Haltung, ich bestelle ein Bier. Nun erstmal Umschauen, wo sind denn meine Freunde, die Kameramänner? Ich beuge mich vor, um bis zum Ende des Tisches zu äugen, da ist niemand. Stattdessen beugen sich dahinten welche vor, um zu sehen, was für ein Unikum da vorn Platz genommen hat.

Nun bemerke ich erst meine Nachbarn. Zwei Plätze weiter der alte Max - gegenüber der junge Frank Strecker. Letzterer verbreitet gerade Neuigkeiten vom Porscheclub. Neben mir Rolf Wanka, der Schwarm meiner Tante. "Aber Herr Ober, das Steak ist ja ganz durch, bittschön bringen'S mir a neues, a bissl blutig" sagt er in bestimmtem Ton und läßt das halb verzehrte Steak zurückgehen. "In Wien ist ein Salat nach mir benannt" erläutert er seine Feinschmeckerqualitäten. Der Bildregisseur gegenüber bestellt einen Zwiebelsalat, möglichst roh, seine Frau würde ja nicht darunter leiden, so schnell kämer er noch nicht wieder nach Hause. Wenig weiter sitzen die restlichen Schauspieler und andere wichtige Personen. Nur ich bin übrig von der Fußtruppe. Und das läßt man mich merken, ich werde ignoriert bzw. mit vernichtenden Blicken taxiert.

Aber mein Bier ist inzwischen da, an dem ich mich festhalten kann. Dabei wird es natürlich schnell alle. Ich stehe auf, gehe mit sicherem Schritt den Toilettenräumen zu, von dort gelange ich unter Benutzung anderer Räume unbemerkt auf die Straße. "Zeche geprellt (1 Bier)" denke ich so bei mir, wie ein Untermensch komme man sich ja vor, das sollen die da drin mal schön mitbezahlen. Aber dann hellt sich meine Miene auf, ein Nobody bin ich auch nicht gerade: "Morgen fliege ich nach NEW YORK!!!"

In die Welt hinaus

Von Stuttgart geht es mittags los, erstmal mit dem Bus nach Luxemburg. Von da soll es mit einem Charterflug weitergehen, die Fluggesellschaft heißt "Loftleidir" und hat ihren Sitz in Island. Das hört sich schon etwas abenteuerlich an.

Richtig abenteuerlich wird es aber, als wir nach stundenlangem Warten auf dem Luxemburger Flughafen mitgeteilt bekommen, daß das Flugzeug wegen eines Motorschadens heute nicht mehr starten wird.

An die 200 Passagiere müssen nun in Hotels verfrachtet werden, das klappt erstaunlicherweise reibungslos. Am nächsten Tag wird uns sogar eine Busrundfahrt durch das kleine Ländchen Luxemburg spendiert. Bezahlen tut das alles die Fluggesellschaft bzw. wohl deren Versicherung.


Propeller über den Wolken
Am frühen Nachmittag ist die Maschine startklar. Sie ist bis auf den letzten Platz besetzt, man hat die Leute geradezu hineingestopft. Obwohl längst im Düsenflugzeitalter betreibt die Firma "Loftleidir" noch altmodische Propellerflugzeuge. Unsere Maschine ist viermotorig, RR (Rollce Royce) ist auf den Motorverkleidungen zu lesen.

Nach langem Anlauf erhebt sich das Flugzeug kurz vor Ende der Startbahn in die Luft. Etwas schwummrig ist einem schon, bei seinem ersten Flug. Noch schwummriger wird es einem bei einem Blick aus dem Fenster auf die Tragflächen. Da sind so kleine Schräubchen, die hüpfen immer auf und ab..?? Aber vielleicht hat das ja alles seine Richtigkeit. Jedenfalls befinden wir uns schon bald über England, der Kurs führt weiter nach Norden - und, man hätte es sich ja denken können, zu einer Zwischenlandung auf Island. Nicht schlecht, wann kommt man denn schon mal nach Island


Mondlandschaft Island

Grönland
Beim Anflug zeigt sich Island wie eine Mondlandschaft, keine Vegetation, jedenfalls aus der Höhe sieht es so aus, nur graue Einöde. Nach der Landung dürfen wir bis in das Flughafengebäude hinein, aus zollrechtlichen Gründen aber auch nicht weiter. Von Island hat man auf diese Weise natürlich nichts gesehen. Aber man kann erzählen, daß man schon mal da war.

Der Weiterflug führt über die Südspitze Grönlands, man sieht die weißen Eisflächen in der Sonne leuchten. Weiße Punkte auf der See, das sind sicher Eisberge. Vor Labrador bauen sich riesige Wolkenberge auf, da hat sich ein Gewitter breit gemacht. Das wird umflogen, trotzdem kann man die Blitze zwischen den bizarren Wolkengebirgen ganz aus der Nähe beobachten.

Als es schon lange dunkel ist, fliegen wir endlich New York an. Ein Lichtermeer. Viele Warteschleifen sind nötig, bis die Landeerlaubnis erteilt ist. Endlich geht es hinunter, die Spannung steigt, wie wird der erste Schritt auf amerikanischem Boden. Als erstes schlägt einem die schwüle Luft entgegen. Auf Island hat man noch gefroren, hier herrscht tropisches Klima.

So im Dunkeln über die Landebahn sind die ersten Schritte in Amerika doch nicht so romantisch. Erstmal die Zollabfertigung, wir bekommen einen Stempel in den Paß "US-IMMIGRATION-JUL-25-1967". Ein Bus bringt uns in die City, im Hotel ....West ...., 42. Straße sind wir untergebracht.

Sicher ist es nicht das vornehmste Hotel, aber man ist doch beeindruckt von der riesigen Eingangshalle, wo sich die ganze Welt guten Tag zu sagen scheint. Die Zimmer sind schon weniger großartig, finstere Löcher, ohne Fenster, das Leitungswasser schmeckt stark nach Chlor, eine Klimaanlage rauscht beständig.

Es ist zu spät, um noch weitere Erkundungen vorzunehmen, daher sinkt man erstmal in das, was sich Bett nennt, voller Erwartungen auf den nächsten Tag.

New York

Beizeiten aufgestanden, hinunter und auf die Straße. Eine Treibhausluft schlägt einem entgegen, die Luft ist geschwängert von vielen Gerüchen, nicht nur angenehmen, besonders über den U-Bahnschächten. Da wir im Hotel kein Frühstück bekommen, suchen wir uns eine Bar an irgendeiner Straßenecke und spülen ein paar Sandwiches mit Kaffee herunter.


Der Luxusliner "United States"
Als erste Unternehmung bietet sich eine Schiffsrundreise rund um Manhattan auf dem East River und dem Hudson River an. Es ist eine Fahrt der Superlativen, zu allen erdenklichen Adjektiven findet sich ein Objekt, das ein Superlativ desselben darstellt. Die älteste Hängebrücke, das höchste Haus, das größte Hospital...

An einer Hafenmole liegt dann obendrein der berühmt Ozeandampfer, die "United States" schon unter Dampf und auslaufbereit. Was man damals noch nicht wußte: bald schon (1969) ward das Schicksal dieses Schiffes besiegelt indem es einer weniger romantischen Verwendung als der Seefahrt zugeführt wurde. Da kommen einem ja heute fast die Tränen. Home Page SS. "United States"

Ich habe auf meine Reise vier Diafilme mitgenommen. Klaus U. hat dagegen keine Photoausrüstung dabei. Da bin ich so freundlich, und mache die wichtigsten Bilder in New York doppelt, um spätere Kosten zu sparen. Außerdem leiden duplizierte Dias immer an schlechterer Qualität.

Weitere Unternehmungen in New York:

Transfer nach Kanada

So vergehen die Tage in N.Y. auf abwechslungsreiche aber anstrengende Art und Weise. Nach Ablauf der Woche soll der Ernst des Lebens beginnen. Mit einem Bus wird die ganze Tabak-Mannschaft am Sonntag, 30. Juli nach Nordwesten in Bewegung gesetzt. Nun lernen wir den Organisator der Angelegenheit kennen. Es ist ein Student, selbst Sohn eines Tabakfarmers, der hatte diese blendende Idee, Arbeitskräfte aus Europa auf diese Weise zu mobilisieren. Daßer pro Arbeitskraft "Kopfgeld" bekommt, ist stark zu vermuten, das bindet er uns natürlich nicht auf die Nase. Sein Name ist übrigens "Martin Witman" eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Namen einer mir näher bekannten Person! Das wird sich noch rächen...

Hinter Buffalo wird die kanadische Grenze in Fort Erie passiert. Das uns zugedachte Tabakgebiet liegt nördlich des Erie-Sees (Die Schwalbe fliegt über den Erie See...noch fünf Minuten bis Buffalo...).

Der Reisebegleiter Martin Witman hat schon eine vorbereitete Liste, nach der die einzelnen vorübergehenden Auswanderer auf die Tabakfarmen verteilt werden. An bestimmten Haltepunkten wird immer ein Schwung ausgeladen und von den Farmern dort mit großem Hallo in Empfang genommen.

So geschieht es schließlich auch mit uns, wir geraten in eine gottverlassenene Gegend, der Ort heißt Vanessa bei Delhi westlich von Hamilton. Unsere Farmerfamilie heißt Williams, der Boss ist vor mehr als 25 Jahren aus Jugoslawien ausgewandert. In der neuen Welt hat er sich eine Farm erwirtschaftet und eine zweite dazugeheiratet, die heißt Nancy. Die beiden daraus entstandenen Kinder sind auch schon erwachsen: Hank und Lucie, mit denen werden wir auch noch zu tun bekommen.


Die Mannschaft
Unsere Mannschaft besteht nun - so weit ich mich erinnern kann aus:

Klaus U. und ich, Klaus L. aus Berlin, Reinhard H. irgendwo aus dem Ruhrgebiet, Hartmut und Siegfried aus Süddeutschland, Vic, ein Kanadier aus Toronto und ein paar weitere, deren Einzelheiten mir nicht mehr gegenwärtig sind.

Wir sind alle in einer großen Garage auf Matratzenlagern untergebracht. Der Morgen beginnt sehr früh, noch im Morgengrauen klingt gehässig der Ruf durch die Garagentür aus Richtung Küche: Weaky, weaky boys, come up!!! Das Läuten eines Weckers ist wie himmlische Musik dagegen. Dann wäscht man seine verklüsten Augen unter einem Wasserhahn und eilt zum Frühstück. Ein guter Arbeitgeber weiß, daß man seine Mannschaft gut verköstigen muß, daran hält sich auch Nancy mit ihren Kochkünsten, über das Essen kann sich keiner beschweren.

Nur mit der Arbeit hapert es noch, der Tabak ist noch nicht erntereif. Stattdessen werden wir bei der Maisernte eingesetzt, das macht noch einigermaßen Spaß, im mannshohen Maisfeld die Kolben abzubrechen und auf den vorausfahrenden Hänger zu schmeißen. Kritischer ist das Verlegen von Bewässerungsrohren. Dazu muß man eine Leitung aus einem nahen Sumpfgebiet gelegt werden. Klaus L. kehrt blutüberströmt von dieser Arbeit zurück: süßes Blut und Mücken!

Den Rest der Zeit dürfen wir in der Sonne liegen. Sogar schwimmen kann man in einem rechteckigen Naturbassin zum Sammeln von Wasser. In dieser Mußezeit ereignet sich auch eimal ein weniger schönes Ereignis. Irgendjemand hat ein absonderliches Tier gefangen, das sieht aus wie ein Murmeltier und ist gleichermaßen possierlich (es handelt sich um ein "Ground Hog", wie mir meine Cousine Ursel aus Amerika erklärt, sie haben diese Tiere auf ihrem eigenen Grundstück). Anscheinend sind diese Nager aber aufgrund ihrer Wühltätigkeit alles andere als beliebt. Bei uns ist das nicht anders, ein Landwirt macht da kurzen Prozeß: Todesurteil.


Das arme Murmeltier
Um die Sache zu würzen, soll das Murmeltier gegen den Schäferhund antreten. Auf Protest unsererseits wird gar nicht erst eingegangen. Wie bei "Brot und Spiele" umringen die blutdürstigen Zuschauer die Arena. Der Kampf beginnt spannend, denn das Murmeltier kann durch agressives Fauchen den Schäferhund auf Distanz halten. Irgendwann aber geht es dann doch ganz schnell, der Hund packt zu und beißt dem Tier das Leben aus dem Fell. Auf unser Kopfschütteln wird geantwortet, so ein Tod sei "würdiger" als der mit dem Spaten. So argumentieren die Freunde des Stierkampfes auch irgendwie.

Abends pilgern wir immer in die benachbarte Ortschaft Vanessa, dort gibt es zwei Spielautomaten, einen mit Baseball (Home Run usw.), den anderen mit Eishockey. Daraus machen wir dann ein abendfüllendes Programm. Mit dem Alkohol wird hier in Kanada sehr restriktiv verfahren. Zu kaufen gibt es etwa Bier nur in extra dafür vorgesehenen Verkaufsstellen. Auch darf die Verpackung einer Kiste mit Bierdosen beim Transport mit dem Auto nicht angebrochen sein, um dem Alkohol am Steuer nicht Vorschub zu leisten. So ist der Biervorrat für uns alle ständig sehr knapp und rationiert, ähnlich geht es sicher bei einer Expedition in der Antarktis oder im Himalaya zu.

Die Tabakernte

Endlich sind wir froh, daß die Tabakernte beginnen kann. Erstmal werden wir eingewiesen, wie diese abläuft. Aber davon später. Für die einzelnen Arbeitsgänge muß zunächst die Mannschaft zusammengestellt werden. Die meisten Männer braucht man zum Pflücken der Tabakblätter. Wegen meiner Brille bin ich dafür weniger gut geeignet. Besonders morgens sind die Tabakblätter vom Tau pitschnass, das wäre schlecht für die Optik. Ich werde Entlader (Unloader), das ist auch kein leichter Job. Schließlich geht die gesamte Jahresernte an dieser Stelle durch die Hände eines einzelnen. Wollen wir mal darauf verzichten, das Gesamtgewicht abzuschätzen.


Arbeit am Trockenspeicher (Killn)
Fehlen noch die letzten beiden Posten, die nennt man "Killnhänger", wir werden noch sehen, was die zu tun haben. Das machen Hartmut und Siegfried, weil die über die größte Körpergröße verfügen. Der Haken an der Sache ist: der "Unloader" sowie die "Killnhänger" sollen zwei Dollar weniger pro Tag verdienen.

Außerdem haben wir bald herausbekommen, daß Arbeitskräften aus dem Land einige Dollar mehr pro Tag gezahlt werden als uns. Da fühlen wir uns dann doch als billige Arbeitskräfte verschaukelt. Die Zeit der Tabakernte erfordert unzählige zusätzliche Arbeitskräfte, die aus der Umgegend nicht annähernd aufgebracht werden können. Deswegen strömen aus dem ganzen Kontinent die unterschiedlichsten Elemente zusammen, die auf einen Gelegenheitsjob lauern. Man warnt uns gleich von Anfang an, auf Geld und andere Sachen gut aufzupassen, weil nicht alle diese Elemente immer nur das Beste des Mitmenschen im Schild führen.

Wegen der finanziellen Situation kommt es erstmal zu zähen Verhandlungen mit unserem Arbeitgeber. Das ist zwar nicht so amüsant, zeigt aber doch die Zähigkeit eines kanadischen Sturkopfes. Erst mit der Androhung von Streik unsererseits kommt es zu einer Einigung, ein jeder bekommt 18 Dollar pro Tag, immer noch weniger als ein Einheimischer. Es sind nach dem derzeitigen Kurs allerdings an die DM 70, soviel kann man in Deutschland beim Jobben nur selten rausschlagen. Da wir Kost und Unterkunft natürlich nicht bezahlen, sind wir dann auch mit dem Ergebnis zufrieden. Die damit einhergehende Solidarisierung äußert sich im folgenden dadurch, daß wir uns alle mit "Hallo, Partner" anreden.

Sechs Wochen, ohne Pause, Tag für Tag wird sich nun an unserem Tagesrhythmus wenig ändern.

Das schlimmste ist natürlich jeden Tag das morgendliche Wecken. Weaky, weaky boys!!!, das kriegt man ja nie wieder aus den Ohren!


Entladestation
Nach dem Frühstück fährt man fröstelnd auf einem offenen Feldwagen zum Einsatzort. Dort nimmt jeder seinen Platz ein. Die Pflücker begeben sich auf ihren Pflückwagen. Das ist ein Gefährt, das durch die Tabakreihen gezogen wird. Es hat oben eine Querstange, an der Sitze für die Pflücker aufgehängt sind. Diese haben eine Art Container vor sich, in den sie die mit beiden Händen links und rechts gepflückten Blätter aufschichten. So kann man in einem Durchgang vier Reihen gleichzeitig abarbeiten. Wegen des allmählich fortschreitenden Reifeprozesses werden immer nur die jeweils unteren Blätter der Tabakstaude gepflückt.

Früher sind die Pflücker zu Fuß, das heißt gebückt, durch die Reihen gegangen. Da soll es dann immer wieder welche gegeben haben, die kamen abends rechtwinklig abgeknickt aus dem Feld zurück, weil sie soch nicht mehr aufrichten konnten. Viele haben das Handtuch werfen müssen, weil sie es nicht ausgehalten haben.

Wenn die Container gefüllt sind, werden sie durch leere ausgetauscht, die vollen werden gestapelt und mit einem Frontlader zur Auffädelmaschine gebracht. Dort muß der Entlader die Blätter aus den Containern heben ud mit einer schwungvollen Bewegung möglichst gut gefächert auf einem Fließband ausbreiten. Mehrere Frauen bringen die Blätter beiderseits an einem Stück Leiste (Stick) an und mit einer Art Nähmaschine werden die Blätter dann zusammengenäht. Der Stick wandert dann sogleich in den hinter der Fädelstation stehenden Trockenspeicher (Killn), wo die "Killnhänger" im Gebälk herumturnen und die Sticks in Reihen zusammenhängen.

So ein Trockenspeicher wird dann zwei bis drei Tage auf Saunatemperaturen aufgeheizt, dann ist der Tabak trocken. Er wird - inzwischen gelb geworden - von den Sticks abgenommen und auf Paletten verpackt. Es wird gemunkelt, daß auf unserer Doppelfarm ein jährlicher Reingewinn von mehreren 100.000 Dollar anfällt. Wenn aller Tabak verkauft ist, reist die Familie Williams nach Florida und läßt es sich wohl sein. Aber das ist erst in der Zeit nach Weihnachten.

Gelegentlich werden alle Arbeitsgänge mit den zugehörigen Akteuren fotografisch dokumentiert.

Meine Zeit vergeht nun an der eben beschriebenen Entladestation, d.h. sie vergeht nur sehr langsam, so ein Arbeitstag kommt einem etwa doppelt so lang vor, wie ein Tag im Studentenleben. Ich gelobe, nie wieder, auch nicht die langweiligste Vorlesung zu schwänzen (das wurde dann später leider doch nicht eingehalten).

Meine unmittelbaren Arbeitskollegen sind die Frauen an der Fädelmaschine. Deren Chef ist Lucie (die Tochter), und meint damit, auch mein Chef zu sein. Mir kann das ja egal sein, aber ab und zu, wenn die Blätter nicht perfekt gefächert auf dem Transportband landen, ernte ich ein mißbilligendes Fauchen. Genauso geht es den anderen beiden Frauen am Band, das sind Indianerinnen. Wir haben alle bald raus, daß Lucie sowieso eine Giftnudel ist. Außerdem soll sie verlobt sein, da traut sich sowieso keiner an sie ran.

Die Abende sehen nun auch anders aus als in der ersten Mußewoche. Zu einem Fußmarsch nach Vanessa zu den automaten rafft sich keiner mehr auf. Stattdessen pflegen wir hier - fern der Heimat - deutsches Brauchtum in Form eines Dauerskats.

Da ich ja vor Beginn der Reise mit Fräulein Müller angebändelt habe (brieflich), gibt es hin und wieder einen Brief zu schreiben. Immerhin erhalte ich auch Post, das ist hier im fernen Kanada äußerst wohltuend und gibt Anlaß zu mancherlei Träumen.

Der freie Tag

Die Mienen der Farmersfamilie hellen sich von Tag zu Tag trotz des anfänglichen Desasters mehr und mehr auf. Die müssen wohl feststellen, daß sie in diesem Jahr eine gute Mannschaft beisammen haben. Es kommt zu keinerlei Zwischenfällen oder Pannen. Nach Hälfte der Zeit wird unser Lohn um einen Dollar erhöht. Darüberhinaus haben wir dann nach vier Wochen Non-Stop Arbeit auch endlich einen freien Tag verdient.

Man ist sich schnell einig, wie man den Tag am besten verbringt. Man bringt uns mit dem Auto zur nächsten Bahnstation. Dort besteigen wir einen Zug und steigen nach kurzer Zeit wieder aus an einer Station namens "Niagara Falls". Was es da zu sehen gibt? So ganz ist es meiner Erinnerung nicht entschwunden!

Erstmal fällt auf, daß hier viele Hochzeitspaare ab- (oder auf-?) zusteigen pflegen, jedenfalls liest man das Wort "Honeymoon" an jeder zweiten Ecke. Dann kostet jede der allseits angepriesenen Attraktionen genau einen Dollar, wofür wir ja immerhin einen neunzehntel Tag arbeiten müssen. Wir gönnen uns eine Indianer-Show. Da tanzen da so ein paar als kriegerische Rothäute verkleidete Gestalten mit erhobenen Kriegsbeilen und viel Geschrei im Kreis herum. Wir lachen uns halb schlapp, das ist es den Dollar wert gewesen. Was wirklich mit den Indianern geschehen ist und noch geschieht, davon will sicher keiner was wissen.

Dann gibt es ein Museum mit Dokumenten und Utensilien der Niagara-Fall-Faller, den DareDevils. Das sind die Leute, die trotz geringerer Lebenserwartung nicht aussterben und sich in irgendeinem Behältnis die Niagarafälle hinabstürzen. Einige sollen das sogar überlebt haben. Dieser Tage (Juli 1995) erst hat erstmals ein Zweierteam diese Mutprobe überstanden. Wegen des Dollars für den Eintritt verzichten wir aber auf den Besuch des Museums.

Ebenfalls verzichten wir auf den Besuch des Aussichtsturms, Gebühr: ein Dollar. Man kann vielmehr sich direkt auf eine Mauer setzen, wo die Wassermassen unter den Füßen vorbeirauschen und wenige Meter weiter über die Kante abkippen. Für Selbstmörder ein ideales Plätzchen, sogar ein wenig meditieren kann man vorher trefflich hier (gebührenfrei).

Dann machen wir doch einen weiteren Dollar locker. Es gibt einen Tunnel durch die Felsen, der mündet in einem Aussichtsloch hinter der herabtosenden Gischt. Dazu muß sich in einer Umkleidekammer jeder eine wasserfeste Pellerine und eine südwesterartige Kopfbedeckung verpassen lassen. Das ist was für die Amerikaner, vor lauter Juchzen und gegenseitigem Fotografieren vergessen sie fast, wozu sie überhaupt hier sind. Viel zu sehen gibt es allerdings auch nicht, wie man sich wohl denken kann. Man kann seinen Enkeln dann später erzählen, daß man hinter dem Niagarafall war, dem bin ich hiermit nachgekommen.

Unseren dritten Dollar spendieren wir für eine Bootsfahrt, wo schon mehr zu sehen ist. Ohne wasserfeste Verkleidung geht es zur Freude des Publikums wieder nicht ab. Das Boot fährt dann möglichst nahe an die fallenden Wasser heran, die beim Aufprallen gewaltige Gischtwolken aufwirbeln. Wenn die Sonne scheint und man den Kopf richtig schiefhält, kommt es zu mancherlei Regenbogenerscheinung.

Als letztes machen wir etwas, das kostenfrei ist. Man kann über eine Brücke wandern und dabei die Grenze zu den USA überschreiten. Man wird richtig kontrolliert und bekommt einen Stempel in den Pass mit dem schönen Text: US Immigration, Niagara Falls. Das ist, abgesehen von der Aussicht auf der Brücke, auch das Beständigste dieser Angelegenheit, so kann ich noch heute das genaue Datum unseres Besuches der Niagarafälle nennen: es ist der 8. September, ein Freitag.

Geschafft!


Verbrennen der Arbeitshose
Nach diesem denkwürdigen Besuch der Niagarafälle neigt sich die Tabakernte auch ihrem Ende zu. Einen weiteren Zwischentag müssen wir überbrücken mit dem Zusammenkloppen von Paletten, auf denen der verkaufsfertige Tabak gelagert wird. Man glaubt gar nicht, wie schnell man jede Arbeit erlernt, wir kloppen wie die studierten Palettenbauer.

Als dann die letzten Tabakblätter auf den Stauden welken, ist unsere Arbeit getan. Es existiert noch ein Foto, wo nach dem letzten Arbeitstage die vom Tabaksaft getränkte Arbeitshose in einem Teerfaß den Flammen übergeben wird. Nun ist Zahltag. Ich muß mal überschlagen, in 40 Tagen 18 bzw. 19 Dollar macht ca. 750 Dollar, bei Kurs von DM 3.70 sind das knapp 3.000 DM. Soviel Geld auf einmal hat man ja noch nie gehabt! Das Problem besteht nun darin, wir werden in die freie Welt entlassen und müssen soviel Geld inmitten einer geldgierigen Umwelt im Brustbeutel oder sonstwo mit uns herumtragen.

Ein anderes Problem, was kann man mit den verbleibenden zwei Wochen anfangen? Einige wollen sich in der nächsten größeren Stadt ein 100 Dollar Car kaufen und damit in den USA und Kanada herumkutschieren. Klaus U. will zu seinen Cousinen. Ich will nach Montreal zur Weltausstellung, aus welchen Gründen auch immer. Der andere Klaus und Reinhard finden das eine gute Idee und so bleiben wir drei zusammen.

An ein großes Abschiedsfest oder dgl. kann ich mich nicht erinnern, nur an die Idee, vielleicht auf eigene Faust einmal wieder zu kommen (auch daraus ist es bis heute nichts geworden).

So landen wir nach einer gemütlichen Bahnfahrt erstmal in Toronto. Hier bleiben wir einen Tag und schauen uns die Stadt an. Wie überall viele Wolkenkratzer, ein Gebäude ist so eine Art architektonisches Wahrzeichen, zwei halbrund gebogene Fassaden, ich glaube ein Gebäude der Universität. Am Ufer des Ontario Sees sind ausgedehnte Parks, mehr ist mir nicht in Erinnerung.

Montreal

Am nächsten Tag fahren wir weiter nach Montreal. So schnell es geht, begebe ich mich auf das Gelände der Weltausstellung und suche das Zelt von Pschorr Bräu. Das ist schnell gefunden, im Büro frage ich nach einer Erika S. Ja, die habe momentan keinen Dienst, dann und dann vielleicht... Da muß man sich eben gedulden. Immerhin kann ich mir bei dieser Gelegenheit auch die Weltausstellung ein wenig ansehen. Jedes Land hat seinen Pavillon und versucht die anderen Länder auszustechen.

Der deutsche Pavillon besteht aus einer Zeltdachkonstruktion der Stuttgarter (!) Architekten Behnisch und Frey-Otto. Später wird die Überdachung des Münchener Olympiastadions in dieser Bauweise entstehen.

Als die Zeit gekommen ist, mache ich mich wieder zum Pschorr Bräu auf und suche Erika in ihrem Büro auf. Die guckt ganz verdattert. Ich muß ihr erst erklären, wer ich bin. Die hat also offensichtlich nicht so sehnsüchtig an mich gedacht wie ich an sie? Immerhin kann ich mich auf den Abend mit ihr verabreden.

Zurück im Hotel eröffnen mir die beiden Kumpels, daß sie da etwas gefingert hätten. Wenn ich wolle, könne ich mich beteiligen. Sie haben also im Reisebüro Kühne & Nagel eine 10-tägige Reise nach Miami-Beach für 150 Dollar incl. Flug- und Hotelkosten gebucht. Ich will erstmal abwarten, was mit Erika wird. Wir gehen dann auch ganz brav zusammen tanzen. Erika ist brav, weil sie eine Schwäbin ist und ich bin es, weil ich bescheuert bin. Jedenfalls habe ich nach diesem gemeinsam verbrachten Abend nicht den Eindruck, auf eine Reise nach Florida verzichten zu müssen. So finde auch ich mich am nächsten Morgen in besagtem Reisebüro ein und mache den Check-in.

Florida

Nun geht alles ganz schnell und bald sitzen wir im Flieger nach Florida. In Miami-Beach erwartet uns das Hotel Blue Horizon. Nun muß man erstmal erklären, was wir da machen: wir haben uns auf eines der Sonderangebote eingelassen, wie sie typisch für die Nebensaison sind und nur dazu dienen, die Hotels nicht ganz leerstehen zu lassen. In diesen Monaten ist es in Florida so heiß, daß kein Mensch auf die Idee käme, einen Aufenthalt dort als Urlaub aufzufassen. Die schönste Zeit in Florida sind die Wintermonate, aber das nützt uns momentan gerade nichts.

Bei uns ist es so, daß man sich nach der beschwerlichen Arbeit nach Faulenzen, im Meer baden usw. sehnt. Die Hitze ist allerdings mörderisch. Vor allem die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, daß man sich im Freien nur in der Nähe eines Swimming Pools aufhalten kann. Natürlich hat jedes Hotel seinen Pool, schon deswegen, weil das Baden im Meer keinerlei Abkühlung bringt. Dennoch liegen wir viel am Strand rum, wo man für eine Liege aus Brettern löhnen muß, um eine Daseinsberechtigung zu haben.

Daß wir uns bereits in den Tropen befinden, erkennt man an den zahlreichen Palmen. Einige Male finden wir sogar eine Kokusnuß, die dann auch aufgehackt wird und sich gelegentlich sogar als genießbar erweist. Im Meer kann man manchmal Fischschwärme beobachten. Sonderbarerweise schäumt es in diesen Schwärmen an manchen Stellen ganz seltsam. Ein Insider erklärt uns die Sache hinter vorgehaltener Hand. Man ist hierzulande nicht so ganz darauf erpicht, eine völlige Aufklärung oder gar Statistik vorzulegen, wieviele Gliedmaßen oder auch mehr jährlich durch Haie abhanden kommt.

Eine andere Geschichte ist das mit den Grundstücksmaklern. Die ziehen durch die Hotels, nicht um Grundstücke zu verkaufen, sondern um zu einer Werbeveranstaltung einzuladen. Da wird ein opulentes Speisen in einem Fischlokal offeriert. Hinterher werden wir mit einem Auto quer durch Miami gefahren und in einem Büro abgesetzt. Da geht es nun los, man mache sein Glück durch den Erwerb eines unbebauten Grundstückes in aussichtsreicher Lage usw. Die Tatsache, daß wir Studenten sind, macht es uns etwas leichter, uns aus der Sache heraus zu lavieren.

Aber es kommt noch besser. Ein anderes Unternehmen bietet einen Flug quer über Florida hinweg an die Westküste an. Auch da muß man nicht lange überlegen. So bekommen wir nun sogar die berühmten Everglades wenigstens von oben zu sehen. Das ist natürlich nicht viel, sondern eher enttäuschend. An der Westküste werden wir in einer Seniorensiedlung herumgeführt. Als erstes ein vorbildlich gepflegter Golfplatz. Das Green fühlt sich an wie feine Seide. Dann eine Versammlungshalle, da sitzen lauter grellgeschminkte ältliche Frauen mit schmetterlingsförmigen Brillen und häkeln oder stricken. Dann mit einem Boot durch die Siedlung, die Häuser sind nur über Wasserkanäle zu erreichen. Jedes Haus habe einen Bootsanleger, wird uns logischerweise eingetrichtert. Schließlich gibt es noch was zu essen, dann muß jeder einzeln in ein Büro, wo man erfährt,daß die Zukunft Floridas an diesem Ort gemacht wird. Die Gelegenheit, hier ein Grundstück zu erwerben, das in wenigen Jahren ein Vielfaches an Wert erreiche, biete sich wohl nur einmal im Leben.

Ein Leidensgenosse weiß zu berichten, daß das verkaufte Land oftmals nicht einmal urbar gemacht sei, sondern womöglich meterhoch unter Wasser stehe. So können wir vom Erwerb eines solchen Alterssitzes so gerade noch Abstand nehmen. Hat wohl noch ein wenig Zeit! Trotzdem war das schon eine tolle Sache, dieser Flug, und alles ganz umsonst.

Gern wandern wir auch am Strand entlang Richtung downtown. Man kommt an einem gläsernen Hotelpalast nach dem anderen vorbei. Wir landen in einem Straßenrestaurant, bald stellt sich heraus, daß die Besitzerin eine Deutsche aus Erlangen ist. Sie zeigt sich nicht abgeneigt, uns zu einer Party mit ein paar Freundinnen einzuladen. Wir sind Feuer und Flamme. Als wir einen Tag später wieder vorbeischauen, teilt sie uns aber mit, daß daraus nichts würde. Da müssen wir etwas anderes versuchen.



In der heißen Sonne von Miami
Man hat uns erzählt, daß hier viele reiche Witwen umherstreunen, die suchen sich ihre Kavaliere oftmals vom Auto aus auf der Straße auf. Muß ich erzählen, daß wir unnötig lange auf den Bordsteinen herumballancieren? Mehr ist aber auch nicht zu erzählen. Ich bändele noch mit einer Angestellten von Air India aus London an, Sandy hieß sie wohl , die wohnt im gleichen Hotel und macht ihren Deputaturlaub. Aber da tut sich auch nichts weiter. Ich bin einfach zu bescheuert.

So findet man sich resignierend mit den beiden Freunden vor dem TV wieder, wo ein Hitchcock nach dem anderen und viel Werbung läuft, immerhin fördert es die Englischkenntnisse.

So sind die 10 Tage bald vergangen mit Faulenzen und den beschriebenen Erlebnissen. Der Rückflug bringt uns direkt zurück nach New York, wo wir nach Mitternacht ankommen. Mit einem Bus fahren wir nach Manhattan, natürlich haben wir kein Hotel gebucht und auch keine Lust, noch Geld für ein Quartier auszugeben. So begeben wir uns in das bereits bekannte Hotel in der 42. Straße und fläzen uns in den Polstersesseln der Eingangshalle. Und da kommen doch tatsächlich Bekannte aus unserem Troß vorbei, die haben ein paar Mädchen im Schlepptau... Neidisch schauen wir nur hinterher.

Irgendwann kommt einer auf die Idee, an der Rezeption mal nach Klaus U. zu fragen, vielleicht hat der ja schon hier ein Zimmer. Dem ist tatsächlich so. Wir beteuern, dringend verabredet zu sein, kriegen so die Zimmernummer raus und fallen nun so gegen vier Uhr morgens bei ihm ein. Begeistert ist er nicht, aber so können wir noch ein paar Stunden auf dem blanken Fußboden nach Schlaf suchen.

Erst nach dem Aufwachen können wir unsere Erlebnisse austauschen. Klaus hat seine familiären Beziehungen genutzt. Ich bin der Buhmann, weil ich die "Lippenstiftbekanntschaft" nicht vertieft habe, so ist es nicht zu einer Amerikanischen Liebe gekommen, aber ich war zu der Zeit einfach zu bescheuert (wiederhole ich mich jetzt?).

Andere Kumpels, reich von der Tabakernte, haben sich ein 100 Dollar Car zugelegt um sich dann tief in den kanadischen Wäldern mit allerlei Pannen rumzuschlagen. Manche haben sich aber auch für 150 Dollar ein Greyhound-Ticket geleistet. Das bedeutet, daß man nach Belieben in der gesamten USA mit dem Bus fahren kann. Den einen oder anderen hat es bis nach Mexiko verschlagen, was sich, wie wir am nächsten Tag sehen, im stolzen Besitz von Sombreros und Tequila dokumentiert.

Rückflug

Einigermaßen übernächtigt verbummeln wir nun noch einen Tag in New York. Gegen Abend begeben wir uns zum Airport, wo unser Flug mal wieder mit mehrstündiger Verspätung ausgerufen wird. Beim Aufrufen der Passagiere kommt mein Name nicht vor. Panik! Bisher war ich ja immer unter Kumpels, aber wenn ich hier nun allein sitzenbleibe, da wäre man ja ganz allein in der großen Welt? Man hat meinen Namen wohl wegen der Ähnlichkeit mit jenem Martin Witman bei der Bearbeitung der Reiseunterlagen für den Rückflug nicht vorgesehen.

Nach einigem Hin und Her wird mir dann ein Platz zugesagt, wenn ein Passagier nicht erscheinen sollte. Das ist nach langem Bangen dann auch der Fall und die Heimat winkt schon vernehmlicher. Diesmal handelt es sich bei dem Flieger um ein moderneres Exemplar bestückt mit Triebwerken statt Propellern. Auch diesmal scheint der Start nur mühsam vonstatten zu gehen, haben doch die meisten von uns sich gründlich mit Souvernirs eingedeckt. Nach neunstündigem Flug landen wir in Brüssel nachmittags gegen 15 Uhr.

Nun muß man aus dem Stand weitersehen, wie man nach Hause kommt. Ich erwische noch einen Zug bis Osnabrück und dort - 50 km von zu Hause - gibt es in dieser Nacht keine Weiterfahrmöglichkeit. So muß ich mir die dritte Nacht hintereinander um die Ohren schlagen, bis morgens vier Uhr im Wartesaal herumsitzen. Ein entsprechend alkoholisiertes Bahnhofsindividuum labert mich ständig voll, so erfahre ich einen Großteil seines Lebensverlaufes, das - so wie meines :-) durch Mißerfolge mit Frauen geprägt ist. Gegen fünf Uhr am Morgen geht dann endlich der erste Zug, in Bünde muß ich umsteigen. Daraus wird nichts, ich wache zwei Stationen zu spät wieder auf. Schnell raus aus dem Zug, nochmal eine Stunde warten auf den Gegenzug, der mich dann glücklich nach Hause bringt.

Zum Menschen werde ich erst nach 20 Stunden später, die einem tiefen Schlaf gewidmet sind.

Nachgeschichte

Nach dem Wiedererwachen werden als erstes die vier Diafilme eingetütet und zum Entwickeln nach Kassel geschickt: Kuhbergstr. 38. Ungeduldig muß man dann im günstigen Falle nur zwei Tage warten, dann kommen die fertigen Dias sozusagen postwendend zurück. Schöne Bilder von New York, die meisten doppelt (f. Klaus U.). Dann ein Film, der ist doppelt belichtet worden, alle Bilder von der Tabakernte, Niagara und Weltausstellung versaut. Die einzigen bemerkenswerten Schnappschüsse bestehen in einem Kopfsprung über die Niagarafälle und einer nackten Glühlampe am blauen Himmel über der Weltausstellung in Montreal. Das kriegt nicht jeder hin. Der vierte Film ist dafür völlig schwarz. Wer weiß wohl, was da passiert ist? Ich: - ich bin einfach zu bescheuert!

Als ich zu Beginn des Wintersemesters 67/68 dann irgendwann wieder in Stuttgart in unserer neuen Behausung in der Sattlerstraße auftauche, muß ich mir erst die Augen reiben. Da hat mein Freund Kuno, seines Zeichens praktizierender Architekturstudent, den ihm zugeteilten Teil der Wohnung aufwendig ausgebaut. Alles in Naturkiefer massiv. Eine richtige Küche abteilbar durch einen Vorhang ist da entstanden, eine riesige Arbeitsplatte entlang der Fensterfront, Kleiderschrank und Sitzbereich, nichts fehlt.

Da stehe ich dumm da mit meinen Apfelsinenkisten.

Es fehlt aber nicht an Hilfe! Kuno und der immer hilfsbereite Sigfried S. stehen sozusagen mit gezückter Bohrmaschine, Schleifpapier und Stichsäge parat. Mein Tabakgeld, nun in Deutsche Mark umgemünzt steht auch zur Verfügung. Meine Mutter erläßt mir die vorgeschossenen 900 DM für die Flugkosten. Wir bestellen eine Menge Bretter - Kiefer massiv -, dann wird gesägt, geschliffen, lackiert und gedübelt - und dann haben wir auch ein Zimmer, was sich sehen lassen kann.

Gefeiert haben wir mit einer Flasche "Seagrims", die ich mit über den Atlantik gerettet hatte.

Fehlt noch das Rendevouz mit dem Frl. Müller, das im Stuttgarter Schloßpark stattfand. Da habe ich mich blöd benommen, wir hatten uns monatelang geschrieben, aber beim Kennenlernen hat es nicht gefunkt - ich war einfach zu bescheuert!

Mit Erika habe ich mich dann noch eine Weile im Briefwechsel geübt. Sie war nachher Directrice in einem Hotel in Leysin am Genfer See und ist den ganzen Winter über Ski gelaufen. Da konnte ich nicht mithalten. So ist diese Korrespondenz dann auch irgendwann eingeschlafen, zur großen Liebe ist es nicht gekommen - ich war einfach zu bescheuert!

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