Montag, 17.8. Bad Schandau - Schirgiswalde, 65 km
Wie kommen wir nun an die Quellen der Spree? Ursprünglich war geplant, von der Elbe aus durch Tschechien zum Prebischtor, dem höchsten Felstor Europas, hinauf zu fahren. Da soll es aber mächtig bergauf gehen, außerdem ist das Prebischtor nur über einen Wanderweg erreichbar, so kann man es jedenfalls der Karte entnehmen. Heidi ist davon nicht so begeistert. Aber vor Ort ergeben sich immer am ehesten andere Varianten. Unsere besteht darin, von Schandau mit der Bahn nach Sebnitz zu fahren, und damit ein gut Teil an Höhe ohne Schweißvergießen zu gewinnen. An der Rezeption kopiert man uns den Fahrplan, und so können wir ganz in Ruhe frühstücken und zum Bahnhof bummeln.
Dort stellt sich heraus, daß man uns einen alten Fahrplan ausgedruckt hat, aber wir haben Glück, unser Zug fährt in Kürze. Hätten wir noch mehr gebummelt, wären zwei Stunden verloren gewesen. Urlaubszeit ist kostbar! Wir verladen erst mal die Räder im bereitstehenden Zug, dann fällt einem ein, daß man die Fahrkarten vor der Fahrt an einem Automat entwerten muß. Ein Anstreicher auf einer Leiter liefert die nötigen Informationen, wie das zu bewerkstelligen ist. Also eile ich zurück in den Bahnhofsraum und habe so meine Not mit dem Entwerter. Eine Frau neben mir genauso, da gibt der Entwerter die Fahrkarte nicht wieder heraus. Da muß schließlich auch geholfen werden. Endlich habe ich unsere eigenen Kontrollabschnitte durch mehrmaliges Umknicken vielfach abgestempelt und eile zurück zum Zug, der sich schon zur Abfahrt anschickt. Heidi hat sicherheitshalber mit dem Schaffner angebändelt, damit man nicht ohne mich abfährt.
Als ich schnaufend eintreffe, wird der Triebkopf der Bimmelbahn Schandau - Bautzen gerade wieder abgestellt. 10 Minuten dauert es dann noch mit der Abfahrt, inzwischen ist unser Stress verraucht. Nun erteilt uns der freundliche Schaffner eine Lektion über das Tarifsystem des öffentlichen Nahverkehrs der Oberlausitz. Wir verstehen nur Bahnhof und müssen uns belehren lassen, daß wir die Fahrradkarten auch noch hätten entwerten müssen. Das übernimmt aber unser freundliche Schaffner, wozu ist er schließlich da.
Total entwertet können wir uns endlich der Landschaft widmen. Es geht kurvenreich durch zahlreiche Tunnel das liebliche Tal des Sebnitzbaches entlang. Wenn der Zug in einem der abgeschiedenen Orte einmal hält, stecken der oder die diensthabenden FahrdienstleiterInnen, der Lokführer und unser Schaffner kommunikativ die Köpfe zusammen, man setzt sich auch schon mal auf einer Bahnhofsbank zusammen. Wir genießen diese Gelassenheit, genau das sucht man ja immer in unserer rastlosen Zeit. Pfeifend setzt sich der Zug dann wieder in Bewegung und wir kommen trotz oder wegen aller Gelassenheit pünktlich in Sebnitz an.
Laden in Sebnitz |
So betreten wir das Neuland Tschechien ungestempelt und schieben eine Straße hinauf. Da hat man Muße, die Szenerie zu überdenken. Die Preise hier für Zigaretten, Getränke oder Benzin sind wohl so günstig, daß viele Autos aus der BRD sich an Tankstellen und einschlägigen Kaufläden versammeln. Es scheint auch schummerige Nachtclubs zu geben, was ich heimlich seitwärts schielend registriere.
|
|
|
Lupova(Hainsbach) |
Standbild... |
Kirche in Schluckenau |
Anhand der Karte entschließen wir uns, den gesperrten Grenzübergang doch zu probieren, notfalls mit Gewalt. An der Touristen-Info von vorhin finden wir die richtige Strecke - natürlich alles wieder bergauf - schiebend. Heidi zweifelt an mir und ich an mir auch. Aber da ist die Abzweigung zur Grenze, schlicht BRD verheißend. Vor der Grenze stauen sich die Schwerlaster. Wir schieben daran vorbei, kein Schlagbaum, keine Kontrolle, kein Problem.
Doch da stehen drei bundesdeutsche Grenzbeamte ins Gespräch vertieft. Nun muß man es genau wissen und wir nähern uns forsch. Ja dieser Grenzübergang sei nur für den Transit-Schwerlastverkehr vorgesehen, Fußgänger oder Radfahrer aber könnten passieren. Außerdem gebe es allerlei weitere Übergänge, das alles hat man weder der Straßenkarte noch den vorbildlichen Informationsdamen in Rum Buk entlocken können.
Aufatmend bereisen wir nun wieder das Vorzeigeland der Deutschen Bundesrepublik. Dazu müssen einige Ampelkreuzungen überwunden werden, bis wir am Bahnhof von Neu-Gersdorf auf den ausgeschilderten Spree-Radwanderweg stoßen. Was ist nun mit den Quellen der Spree? Drei an der Zahl gibt es davon, die eine liegt auf einem Berg (Kottmarwald, 583 m) und ist dadurch für uns unerreichbar. Die andere sei durch Rohrleitungen wegen Ortszwistigkeiten an einen genehmeren Platz verlegt worden (Pfarrborn). Die dritte Quelle soll sich in Ebersbach befinden - und wir können stolz verkünden: wir haben keine von den drei Quellen zu Gesicht bekommen. Nun sind wir keine Prinzipienreiter, da stört uns das nicht so sehr. Wir verfahren uns lieber in den Orten Güst und Haineberg, wo man mit der Wegausschilderung wohl nicht so gründlich war. Zwei Einwohner helfen uns ein bißchen, den natürlich steil ansteigenden Weg zum Gasthof Hempel zu finden, von wo aus man eine tolle Aussicht hätte. Wir mogeln uns aber lieber ein wenig unterhalb herum, tangieren die grüne Grenze nach Tschechien und sind dann doch auf der richtigen Strecke. Da gibt es ein herrliches Schwimmbad (Neuspremberg), wo eine Erlebniswasserrutsche jauchzende Badegäste zu Wasser führt.
Wir aber dürfen schwitzen und über den Hänscheberg (393 m) bergan schieben, die Strecke ist in 20 Jahren vielleicht eine Allee, indem man viele Bäume links und rechts gesetzt hat. Entgegenkommende Radler brausen bergab. Alles geht vorbei, auch wir fahren irgendwann wieder bergab, nun an der wirklichen Spree, nachdem sie mit ihren drei Quellbächen zu Potte gekommen ist. Irgendwo auf der Strecke steht Bodo mit dem Bagger und der baggert noch. Aber wir werden rücksichtsvoll vorbei gelassen. Aber die Spree ist ab hier leider gelb verlöhmt.
Schirgiswalde |
Heidi entdeckt das Hinweisschild auf die Info, damit hat sie die Verantwortung für das Hinaufschieben. Ein Mann mit einer Schubkarre schaut uns erwartungsvoll entgegen. "Sie vermieten doch sicher ein Zimmer", so nähern wir uns gleichermaßen erwartungsfroh. Leider hätte er schon besetzt, aber vielleicht bei Schwager oder Schwester gleich nebenan? Daraus wird nichts, die sind auch schon besetzt. Aber seine Frau, die habe das Touristenbüro unter sich, bis 17 Uhr, das sind noch 10 Minuten. Wir fahren alles wieder runter, was wir gerade hinauf geschoben sind und finden das "Bürgerhaus", wo Frau Herold das Regiment führt. "Einen schönen Gruß von ihrem Mann", da guckt sie aber. Nun gelingt es, zwischen vielen "Jetze" und "Denne" ein Quartier in den Marktstuben zu ergattern. Da sind wir vorhin schon längst vorbei getingelt. Ein schönes Gespräch haben wir jedenfalls mit Frau Herold, man versuche alles Erdenkliche, diese schöne Ecke der Lausitz für den Tourismus zu erschließen.
Wir freuen uns, daß wir - wie es im Prospekt heißt - die "Perle der Oberlausitz" entdeckt haben. Natürlich führt uns der Rundgang zuerst hoch hinauf zur Kirche, "Kath. Pfarrkirche, 1735 im böhmischen Landbarockstil erbaut" (aus bikeline abgeschrieben). Da steht sogar die Kirchentür offen. Leider verbietet sich aber eine weitere Annäherung, befindet sich doch eine Schar ältlicher Damen murmelnd ins Gebet vertieft um Vergebung ihrer Sünden bittend. Welche Sünden begeht man in Schirgiswalde?
Wir suchen eine Telefonzelle, gehen zum Bahnhof. Der ist weitab von weitreichenden weltverbindenden Verkehrslinien, Bautzen - Zittau und Zittau - Bautzen, alle zwei Stunden. Die Bahnhofsräume sind mit Brettern zugenagelt. Eine Dame mit Kind sucht erfolglos nach dem Bahnhofsrestaurant, sie sei erst gestern angekommen. Genau so wenig finden wir eine Telefonzelle. Am Abend sitzen wir vor unseren Markstuben und lauschen dem vorbei rauschenden Verkehr. Mit der Zeit ebbt der ab, dafür nehmen die Aktivitäten einiger Jugendlicher zu. Man versucht, seine Stärke durch die vorhandene Motorisierung zu beweisen. Immerhin können wir aber auch wieder einem Ehepaar am Nebentisch zuhören, die eineinhalb Stunden dazu benötigen, sich für ihre morgige Unternehmung eine Busverbindung zusammen zu stellen. Die Frau diktiert ihrem Gatten alle Abfahrtzeiten, der abschließend zufrieden bemerkt: "Böhmische Dörfer für die Autofahrer". Die Frau sagt dann noch: "Wie machen wir das nun morgen?". Schließlich brechen sie auf, um die Bushaltestelle zu suchen, wo sie morgen abfahren wollen.
Dienstag, 18.8. Schirgiswalde - Spremberg, 98 km
Die Vorausplanung der weiteren Tour macht uns ein wenig Sorgen. Zwischen Bautzen und Spremberg gibt es entlang der Spree wenig Übernachtungsmöglichkeiten, da sich dort die Braunkohle breit macht und dem Tourismus wenig Anreiz bietet. Man wird sehen.
Spreewehr |
Radweg durch ein Wohnhaus |
Marktplatz in Bautzen |
Befestigungsanlagen |
Da fragt man am besten eine vorbei schlendernde Polizeibeamtin, die in der Morgensonne ihren schweren Dienst versieht. "Eine Telefonzelle?" - sie schaut ratlos im Kreis herum, aber das haben wir vorher auch schon getan. Schließlich fällt ihr doch eine ein, gleich um die Ecke. Nun werden wir keck. "Sie als Polizistin müssen wir noch was fragen, was ist denn aus dem berüchtigten Stasigefängnis geworden?" Das sei heute Gedenkstätte und befinde sich im Justizgebäude. Es werde immer mit dem "Gelben Elend" verwechselt, das aber eine ganz normale Justizvollzugsanstalt sei und schon zu Zeiten des ersten Weltkrieges existiert habe. Sie will uns noch den Weg dorthin beschreiben, aber so genau wollen wir es auch wieder nicht wissen. Natürlich fällt in diesem Zusammenhang auch auch der Name Kempowski.
Kleine Nachgeschichte: Eine Woche nach unserer Rückkehr stellt Walter Kempowski in Braunschweig sein neues Buch "Heile Welt" vor. Bei dieser Gelegenheit kann es Heidi nicht lassen, ihm einen schönen Gruß aus Bautzen auszurichten. Schön sei es da jetzt geworden, sagt sie noch dazu. Die Reaktion des Schriftstellers: "Da muß ich nicht wieder hin". (Er hat dort 8 Jahre unfreiwillig verbracht, man lese "Ein Kapitel für sich")
Wir verabschieden uns von der Polizistin mit dem Hinweis, daß sie ja keine Telefonzelle brauche, da sie ein Handy bei sich führe. Bei dem Wort "Handy" gibt sie Heidi spontan die Hand.
In der Telefonzelle erfahren wir, daß das Hotel in Uhyst angeblich nicht mehr existiert. Wir beschließen, einfach drauf los zu fahren, irgend etwas wird sich schon finden. Vorher schieben wir noch durch die Gassen um die Ortelsburg entlang der mächtigen Festungsmauern. Später fahren wir unterhalb dieser Anlage wieder an der Spree. In den aufragenden Felsen wächst die Hauswurz, die trifft man sonst in freier Natur nur selten an.
Es geht weiter über eine ruhigen Landstraße, zur Rechten glänzt der Wasserspiegel der Talsperre Bautzen. Hinter uns liegen erstaunlich hoch die Bergkämme der Oberlausitz, kaum zu glauben, daß wir da durch gefahren sind. Aber die Spree hat uns ja den Weg leichter gemacht. Ein radelnder Urlauber begegnet uns. "Wie läuft's heute?" "Ganz gut, wenn's nicht zu heiß wird!" "Schön, was ihr da macht!" Da sind wir uns einig.
Unterhalb der Staumauer der Talsperre quert man nun hinüber zu einer Kette von Fischteichen, durch die der Radweg mitten hindurch führt. Aber man bleibt trocken. In dem anschießenden Ort Malschwitz finden wir mal einen netten Krämerladen. In den meisten Orten gibt es keine Einkaufsmöglichkeiten, da die kleinen Läden sich gegen die Einkaufszentren auf der grünen Wiese nicht halten können. Das kennen wir, wir wohnen auch auf dem Dorf. Hier aber kann man mal einen Schnack machen. Wir versuchen natürlich, eine Auskunft über eine Quartiermöglichkeit zu bekommen, aber da sind die guten Leute auch überfragt.
Teich mit Pfeilkraut |
Mühlenanlage |
Alter Speicher |
In der Braunkohlegrube |
Rastplatz in Lohsa |
Fachwerkkirche |
Unser Zimmer im Hotel "Zur Post" ist luxuriös (für unsere Verhältnisse). Man muß erst mal lernen, wie die Mischapparatur der Dusche funktioniert. Der Spiegel ist neigungsverstellbar. Alles funkelnagelneu. Das haben wir uns verdient - heißt es mal wieder.
Der Rundgang in Spremberg vermittelt gemischte Eindrücke. Der Marktplatz wird auf der einen Seite von alten Gebäuden oder nagelneuen Geschäftshäusern begrenzt. Auf der anderen Seite stehen klotzige Plattenbauten. Davor befindet sich eine Baustelle, wo ein Geschäftszentrum entsteht. Vielleicht ergibt sich nach dessen Fertigstellung ein ansprechenderes Ambiente. Ursache dieses Sammelsuriums sind wieder die Zerstörungen im Krieg, die Russen haben von oben in die Stadt geschossen und 65 % zerstört. Was in der Zeit des Sozialismus an alter Bausubstanz vielerorts noch verdorben wurde, weiß man ja.
Mit unserem Hotelier und einem Gast, der aus Spremberg stammt, führen wir noch ein Gespräch, das uns einige Informationen vermittelt. So erfahren wir, daß das Kraftwerk für über 1 Mrd. instand gesetzt worden ist, mit vorbildlicher Umwelttechnologie usw. Während der Bauzeit hatte unser Hotelier keinen Mangel an Gästen, wie die Zukunft werden wird, ist dagegen ungewiß. "Und der Biedenkopf, der gräbt uns das Wasser ab" läßt sich der Senior vernehmen. Wir befinden uns nämlich mittlerweile im Bundesland Brandenburg, die Braunkohlegruben dagegen liegen weitgehend in Sachsen. Es dauert Jahre, bis so eine Kuhle voll Wasser läuft, was dem Wasserstand der Spree weniger gut bekommt.
Hier paßt der schöne Spruch, der im bikeline-Heft allerdings bei den Spreequellen zitiert wird:
"Wull'n mer de Berliner fubb'm,
brauch mer ock de Spree zustubb'n."
An dieser Stelle muß noch ein weiteres Thema eingefügt werden: die Sorben. Wir wissen nicht mehr, wo es war irgendwo in der Lausitz, als uns erstmals die Beschilderung von Ortsnamen in "Polnisch" auffielen. Natürlich handelt es sich nicht um Polnisch, sondern um die Sprache der Sorben, die wendischen bzw. slawischen Ursprungs sind. Sonst haben wir bei der Durchfahrt von der sorbischen Kultur nichts wahrgenommen. Es gibt etliche Museen über die Sorben. Wenn man das Glück hat, als zahlender Tourist einem Heimatabend beizuwohnen, wird man sicher einige Sorben in Trachten und bei alten Liedern und Tänzen bewundern können.