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Sonntag, 1.4.

Aufwachen, besagtes Frühstück und stahlblauer Himmel: Kaiserwetter. Jetzt geht es aber los. Wir erkunden Rügen. Man hat ja div. Reiseführer gelesen und weiß, wo die größten Sensationen dieser Insel zu finden sind. Sicher sind das die Kreideklippen in der Stubnitz. Wir fahren die Straße, die wir auf der Herfahrt gekommen sind, schnurgerade bis Prora. Hier schlagen die Russen die Zeit und die Landschaft tot. Ein verrosteter Lastwagen im Militärgelände gibt die Stimmung an. Auf der anderen Seite der Straße herrscht die NVA (Nationale Volks Armee), da sind neben militärischen Einrichtungen auch Erholungsheime für die Angehörigen der NVA-Mitarbeiter eingerichtet. Gutbestückte Wäscheleinen zeugen von der Emsigkeit der Anwohner. Kurz nach Prora ist mal eben eine Eisenbahnschranke geschlossen. Das ganze zieht sich über eine dreiviertel Stunde hin, ein Güterzug steht auf der Strecke und wartet auf einen D-Zug. In der DDR sind Warteschlangen ein Hort der Kommunikation, das nützen wir aus. Nach Studium der Vegetation - immerhin befinden wir uns in der Schmalen Heide - ergibt sich auch das eine oder andere Gespräch mit den Leidensgenossen. Da ist ein Taxifahrer mit einem voluminösen Skoda, Bj. 70. Da ist er ganz stolz drauf. Mein Schuh wäre offen - ach ja - 1. April. Das haben wohl auch die Bahnbeamten im Sinn. Endlich ist der D-Zug kein Aprilscherz, und wir können weiterfahren.

Wir fahren über Saßnitz, am Ende des Ortes geht es unerwartet auf einer kleinen Straße weiter in die Stubnitz, Richtung Königsstuhl, da muß man gewesen sein. Während die beiden Großen hartnäckig in ihren mitgebrachten Büchern lesen, bewundern wir die Waldanemonen, die in dem stahlenden Sonnenschein wie ein Teppich aus Sternen den Waldboden bedecken. Die Straße erinnert an Strecken in den uns bekannten Mittelgebirgen. Wir kommen an den Parkplatz Herthaburg, Ausgangspunkt für die Kurzwanderer zum Königsstuhl. Die ersten Busse aus Holstein oder Ruhrgebiet - noch sind es nur zwei - lassen auf die in Zukunft zu erwartenden Menschenmassen an dieser in Deutschland wohl einzigartigen Attraktion schließen. Doch wir sind ja "Early Birds", zwischen den Trabis stellen wir unser Auto ab und begeben uns auf den Weg zum Königsstuhl. Für die Außenseiter: das ist die größte Kreideklippe Rügens mit über 100 m Höhe, herrlichem Ausblick, in der Hautptsaison nur über Eintrittshäuschen zu betreten.



Am Königsstuhl
Jetzt ist es noch umsonst, wir treten ein in dieses Heiligtum. Links und rechts geht es steil hinab, von den bizarren Kreideklippen sieht man dagegen wenig, weil sie einem zu Füßen liegen. Nach dem weiten Blick über die blaue See, machen wir uns an den Abstieg hinunter an den Strand, der hier aus wohlgeformtenSteinen besteht. An dem steilen Abhang blühen Anemonen, Himmelschlüssel und Leberblümchen. Heidi hangelt sich mehrmals vorsichtig über die abschüssigen Wegstrecken, dann kommt ganz unten noch eine Leiter über den letzten Abbruch der Steilküste. Hier teilen sich die Geister. Heidi und die "Launis" (Zitat Stefanie) kehren wieder um. Wir beiden dagegen klettern die Leitern hinunter und laufen ein paar 100 m am Wasser entlang. Viele Steine liegen herum, die meisten rund geschliffen. Von unten hat man nun einen schönen Blick auf den Königsstuhl und die anderen steil aufragenden Kreideklippen.

Als wir wieder an eine Leiter kommen, riskieren wir den Aufstieg durch eine steile Schlucht. Das Wagnis wird belohnt, denn auf diesem Weg eröffnen sich einzigartige Ausblicke auf die See, Caspar David Friedrich drängt sich geradezu auf.



"Caspar David Friedrich"
Aufatmend erreichen wir schließlich wieder die Höhe und laufen entlang der Abbruchkante zurück. Wir kommen nochmal an einen spektakulären Aussichtspunkt: dem Victoriablick, so benannt zu Ehren der Gattin von Kaiser Wilhelm I, die weiland auch hier weilte. Man steht auf einer Holzkanzel fast senkrecht über dem Strand, hundert Meter unter einem sehen die Menschen wie die Ameisen aus.

Zurück auf dem Königsstuhl finden wir unsere Lieben sich sonnend und lesend wieder. Wir gehen hinunter zu dem Restaurant, das hat zur Zeit noch nicht geöffnet. Nach einer kurzen Rast pilgern wir noch zum nahegelegenen Herthasee. Hohe Wälle zeugen von der urzeitlichen Herthaburg. Der See liegt sehr malerisch im Wald. Den Höhepunkt bildet eine kleine Wasserschlange, die sich zum Sonnen auf einen Baumstamm begibt.


Herthasee
Zurück fahren wir durch den Nordwestteil der Halbinsel Jasmund, die Landschaft ist wunderschön. Man sieht das Kap Arkona, der Große Jasmunder Bodden liegt vor einem. Die Orte sind recht romantisch. Über Sagard fahren wir wieder Richtung Saßnitz, am frühen Nachmittag sind wir zurück in Binz. Der schöne Sonnenschein lockt alle an den Strand. Meine Unternehmungslust ist noch nicht gestillt, ich starte per Fahrrad zum Jagdschloß Granitz. Es geht ordentlich bergauf über holpriges Pflaster, auch mancher Trabi hat sein Tun, dort hinaufzukommen. Es herrscht heute am Sonntag ein ordentlicher Betrieb, ich schaue mir das kleine Schlößchen von außen an und fahre dann an der anderen Seite den Berg wieder hinunter. Über Granitz geht es zurück nach Binz, wo die anderen inzwischen am Strand eine Bank erobert haben und die Sonne genießen.


Jagschloß Granitz
Zu Abend essen wir in der Kurhausklause, dort ist es sehr gemütlich, und wir nehmen die folgenden Abende auch dort unser Essen ein. Die Speisekarte ist zwar hier wie überall in den staatlich geführten Lokalen dieselbe, aber es schmeckt uns gut. Daß wir aus dem Westen sind, verraten wir sofort mit der Frage, was eine "Soljanka" sei. Der Ober antwortet nur "Was, die kennen sie nicht?". Früher die Restesuppe der Russen gehört sie heute zum Standardangebot einer jeden Restauration in der DDR.

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