Verena und Annika sind gerade von ihren "Abschiedsparties" nach Hause gekommen, da stehen wir schon wieder auf. Bald nach 7 Uhr machen wir uns auf den Weg in einen Urlaub mit vielen Fragezeichen. Wir fahren über Gifhorn, Uelzen, Lüneburg, Lauenburg, wo mit dem Grenzübergang nach Boizenburg die DDR erreicht wird. Im vergangenen Sommer haben wir mit dem Fahrrad für diese Strecke über eine Woche gebraucht, heute sind es keine 3 Stunden. Die Grenzabfertigung geht schnell, wir bekommen auch unsere Stempel in die Pässe. Daß wir weder Devisen noch Importartikel einführen, glaubt man uns auch. Nur Geld können wir nirgends umtauschen. Nun beginnt das Abenteuer!
An der Grenze ist man eifrig dabei, die Sperranlagen abzubauen, teilweise stehen nur noch die Pfosten, an einer anderen Stelle baut man gerade den Maschendraht ab. Wir fahren durch Boizenburg und erinnern wir uns an unsere Radtour im vergangenen Sommer, wo wir auf der anderen Seite der Elbe den Kirchturm sehen konnten, uns aber nicht träumen ließen, daß wir ein dreiviertel Jahr später hier mit dem Auto entlang fahren könnten.
Nach Boizenburg versuchen wir uns an einer Nebenstrecke, aber mit den Rädern auf dem Dach ist die Strecke zu holprig. Ein Ortskundiger beglückt uns mit der Auskunft, daß die Straße die nächsten Kilometer in gleichem Zustand weitergeht. So fahren wir zurück auf die Hauptstraße und auf der B5 bis Ludwigslust. Hier biegen wir gewohnheitsgemäß erstmal wieder falsch ab und finden uns auf der Strecke nach Berlin. Die Straßenbeschilderung ist noch etwas ungewohnt. Auf der 106 geht es dann aber doch Richtung Schwerin. Für eine Besichtigung der durchfahrenen Orte können wir uns heute keine Zeit lassen, es liegt noch eine ganz schön lange Strecke vor uns. Weiter geht es bis Wismar. Trotz gereckter Hälse bekommen wir von der Ostsee aber noch nichts zu sehen.
In Neubukow machen wir eine kleine Pause. Während der Rest der Familie auf dem Marktplatz vor sich hinkaut, vertrete ich mir die Beine einmal um die Kirche herum. Eine Hinweistafel auf Heinrich Schliemann verweist darauf, daß dieser Ort einen großen Sohn hervorgebracht hat.
Bald ist man danach in Rostock. Hier sieht man beim Durchfahren doch ein wenig von der Stadt, einige ansprechende Neubaugebiete überraschen uns. Von Rostock nach Stralsund geht es dann schon auf die letzte Etappe.
Mit steigenden Erwartungen erreichen wir am frühen Nachmittag schließlich Stralsund. Von Stralsund sehen wir kaum etwas, stattdessen reihen wir uns in den noch erträglichen Verkehr ein und befinden uns unversehens auf dem Rügendamm, der Brücke über den Strelasund. Links hinter uns zeigt sich die Kulisse von Stralsund, beim Fahren kann ich nur kurze Blicke riskieren. Auf der Brücke haben sich viele Angler versammelt, aber wir können nicht anhalten und sind - schwups - auf Rügen. Nun müßten eigentlich die inneren Glocken läuten, man müßte eine Gänsehaut kriegen oder so etwas. Doch ganz so dramatisch geht es nicht zu, wir küssen auch nicht die Erde wie der Papst es zu tun pflegt. Doch die Sonne haben wir mitgebracht - oder war sie hier schon vor uns da? Nun fahren wir Richtung Bergen zwischen weiten Feldern, man hat nicht den Eindruck, sich auf einer Insel zu befinden. Verena meint ohnehin, daß die Insel Fehmarn schöner sei, vielleicht ist dieser Eindruck jetzt doch etwas verfrüht. Sicher ist die Verkehrsstraße nach Bergen auch nicht das schönste, was Rügen zu bieten hat. Auch Bergen zeigt sich aus dieser Perspektive nicht so reizvoll, Neubaugebiete verstellen die Sicht auf den älteren Teil des Ortes. Wir fahren ohnehin um den Ort herum. Wenig später verfahren wir uns nochmal, nur nach einigem Hin und Her entschließen wir uns für die ausgeschilderte Abzweigung nach Binz über Lubmin und Prora. Stefanie gibt den entscheidenden Tip: man muß hinten aus dem Auto gucken. Wenn man dann den Zielort auf dem Hinweisschild lesen kann, weiß man, daß man auf der falschen Strecke ist und man dreht besser um. So schaffen wir es dann doch, von Prora geht es auf schnurgerader Betonstraße schließlich nach Binz. Gemischte Gefühle, wie sieht unser Reiseziel aus? Kaum in Binz angelangt, haben wir gleich großes Glück, wir lesen "E.-Weinert-Str.", genau da müssen wir hin. Dabei hatte ich schon insgeheim so eine halbe Stunde für die Suche einkalkuliert.
Wir steigen also nun sogleich mit staksigen Beinen aus dem Auto. Auf der Einfahrt steht ein Passat neuesten Modells, des Hausherrn Stolz. Und schon der Opa, die Oma, Frau B. erscheint - "schon gesehen, was sie erwartet". Herzlich werden wir begrüßt und in unser Quartier eingeführt. Das große Fragezeichen löst sich auf, alles prima, zwei gemütliche Zimmer, das schönere wird selbstredend den Kindern zugeschanzt. Trotz der langen Fahrt sind wir noch gut bei Kräften. Also erstmal ausladen und einrichten. Damit wir überhaupt erstmal zu Geld kommen, tauschen wir vorher "über den Küchentisch" zum Kurs von 1:3 Ostmark ein. Später sagt die Oma auf die Frage, ob ihnen der Umtausch auch nichts ausmacht: "wir tauschen Tag und Nacht".
Nun geht es erstmal ab in den Ort. An einem Pizza-Lokal kommen wir vorbei, das werden wir allerdings nie betreten, weil es immer voll ist. Gleich danach der Strand, die Ostsee in tiefem Blau, das Wasser glasklar, rechts die bewaldete Steilküste der Granitz, links rundet sich die Küste entlang der Schmalen Heide bis Saßnitz und der Stubbenkammer dahinter.
Am Strand von Binz Das Kurhaus |
Jetzt gehen wir erstmal einen Kaffe trinken. Für das Kurhaus sind wir uns noch nicht fein genug, daher finden wir uns im Cafe Moewe ein. Zuerst muß man die Garderobe abgeben, mangels Kleingeld wird uns die Garderobegebühr von wenigen Pfennig gestundet. Im Cafe wird man sehr zuvorkommend bedient, das sind wir gar nicht gewohnt. Wenn man dann die Preise kalkuliert, plagt einen das Gewissen, da kommen bei Kaffee, Kuchen, Eis und Tonic Rechnungen von unter 10 M zustande, und das bei einem Kurs von eins zu drei. Immerhin kann das geplagte Familienoberhaupt dabei heute wie in den weiteren Tagen dann doch jederzeit ohne finanzielle Gewissensbisse mit fünf Personen Zeche machen.
Zu den Preisen muß sicher bemerkt werden, daß sie der Kaufkraft der Bürger aus dem eigenen Land entsprechen müssen. Für uns aus dem reichen Westen verursacht das zunächst Gewissensbisse, von diesem Preisniveau zu profitieren. Zumindest ist es überraschend, daß man gar nicht so viele "Wessis" antrifft, bei den Preisen wäre doch eine Invasion von "Billigurlaubern" kein Wunder. So sind wir in dieser Vorosterzeit noch "Early Birds".
Nach dem Cafe informieren wir uns über die Möglichkeiten, ein Abendessen einzunehmen, heute ist das Lokal Vineta angesagt, ab 17 Uhr geöffnet. Da ziehen wir nochmal weiter am Strand entlang bis zum letzten Anwesen Richtung Granitz, was sich als Buntgarnspinnerei entpuppt. Einige Fischerboote liegen am Strand, wie man das so von Kalenderbildern kentn. Auf dem Weg zurück bewundern wir die bizarren Kiefern und andere Bäume. Doch die Häuser sind in unterschiedlichem Zustand, neben gut renovierten Bauten finden sich auch recht verwahrloste Gebäude. An einem größeren Mietshaus hängen Transparente aus den Fenstern; "Wann kommt der versprochene Neubau?" Wie sieht es wohl innen aus. Da wohnen Menschen, wir aber stehen als Touristen davor und machen uns über die Unterschiede in dieser Welt Gedanken.
Schließlich landen wir im Vineta, suchen uns die Gerichte aus auf der Speisekarte, die vom Februar datiert ist. Danach sind wir gut versorgt. "Nach Hause" kann man nun schon sagen, und einigermaßen müde fallen wir heute bald in die Betten.
Mangels anderer Gelegenheiten besteht unser Nachtleben aus emsigem Getrappel - raus aus den warmen Betten - auf die Toilette quer über den Hof - zurück in das noch warme Lager - begleitet von dem Rauschen der Spülung. In der Hast knallen die Türen, das läßt sich zum Glück noch abgewöhnen. Großes Geschrei auch, wenn eine Spinne sich an die Wand oder unter den Teppich veirrt hat. Wohlgemerkt ist das nicht als Kritik gemeint, zu Hause kommt das auch fast täglich vor. Wir schlafen in der übrigen Zeit wie die Murmeltiere, sogar unsere Mama bei Vollmond. Manchmal werden die Abende auch spät, wenn Stefanie mit Mama UNO (nicht NATO) spielt. Als es herauskommt, daß Stefanie ständig in die Karten guckt, geht man gegen Ende des Urlaubs auf Patience über.
Trotz Nachtleben sind wir doch jederzeit pünktich um 9 Uhr zum Frühstück bereit. Und das lohnt sich. Diverse Brötchen, Wurst, Käse, gekochtes Ei (selbstgelegt von Hühnern, die wohlregiert von Prachtexemplar von Hahn den Verfasser vor Neid erblassen lassen). Bis auf einmal ist die Sonne jeden Tag so freundlich, uns genügend für einen Frühstückstisch im Freien warm zu halten.