Im Gegensatz zum Rest der Familie bin ich morgens zufrieden, wenn kein Strandwetter ist. Da kann man eher eine Unternehmung in Gang setzen. Schon am Vortag hatten wir uns nach einer Zugverbindung nach Stralsund erkundigt. Das ist also heute angesagt. Allerdings sind wir gewarnt worden, das soll nicht so zügig vor sich gehen. So ist es dann auch, in Bergen steht der Zug wohl über eine halbe Stunde tatenlos herum, aber wir haben es ja nicht eilig. In einem heftigen Hagelschauer fahren wir endlich über den Rügendamm und steigen in Stralsund aus. Im Bahnhof ist ein überdimensionales Panoramabild der Insel Rügen zu bewundern.
Typisches Aprilwetter, nach dem Hagel wandeln wir nun bei strahlendem Sonnenschein auf dem Triebseer Damm Richtung Marienkirche. Die sieht eher wie eine Burg als wie eine Kirche aus, mächtige Türme und Kirchenschiffe, alles in Backstein. Bevor wir die Marienkirche erreichen, sehen wir, wie ein Ehepaar, augestattet mit dem Schlüssel, in der Kirche verschwindet. Also schnell im Dauerlauf hinterher, inzwischen ist schon wieder von innen verriegelt. Zum Glück waren wir noch schnell genug, unser Klopfen wird noch vernommen und wir dürfen mit hinein. Nur mitnehmen dürften wir nichts, dafür haben sich die anderen Herrschaften durch Hinterlegen des Reisepasses beim Abholen des Schlüssels verbürgt. So lassen wir Altar, Taufbecken, die herrliche Orgel und die Grabplatten an Ort und Stelle. Am beeindruckendsten ist der Blick nach oben, die Decke kann man fast nur mit dem Fernglas betrachten. Einige alte Fresken sind wohl erst bei Restaurationsarbeiten freigelegt worden. An anderen Stellen entdeckt man aber auch grün bemoostes Mauerwerk, wo Feuchtigkeit eindringen kann. Viel Arbeit und Geld wird noch aufzuwenden sein, um das alles in den Zustand zu versetzen, der diesem und anderen Baudenkmälern zusteht.
Ossenreyerstraße Eine andere Straße |
Nach dem Besuch der Marienkirche geht es über den Leninplatz, hier ist zur Zeit ein Rummel aufgebaut. Apollonien- und Ossenreyer Str. sind Fußgängerzone, hier ist ein ordentliches Menschengewimmel. Nur die Grundfarbe ist grau, die Gebäude und Geschäftsauslagen sind wenig farbenfroh. Wir kommen an einem Lokal vorbei "Gastmahl des Meeres". Eine Warteschlange im Vorraum läßt uns aber weiterziehen. Später lese ich im Reiseführer, daß das hier eines der besten Lokale an der ganzen Ostseeküste sein soll. Das sieht man ihm nicht an, es sieht eher aus wie ein ganz normales Imbißrestaurant. Wenig später sind wir auf dem Alten Markt mit dem Rathaus, das stark an das Lübecker Rathaus erinnert. Während Stefanie und ich ein wenig herumwuseln, haben die anderen den Ratskeller entdeckt und gehen schon mal vor. Wir beiden machen dafür dann einen unfreiwilligen Ausflug in die "Katakomben" des Rathauses, indem wir die falsche Zugangstreppe wählen. Zwischen Toiletten, Heizungskeller und Küche irren wir erfolglos herum, finden dann aber endlich doch den richtigen Einstieg. Garderobe abgeben, das kennen wir ja nun schon. Der Rathauskeller macht einen historischen Eindruck, schöne Gewölbe und so. In alten Zeiten Treffpunkt der Patrizier und wohlhabenden Geschäftsmännern der Hanse, heute eine HO-Gaststätte. In der Speisekarte ist eine kurze Abhandlung darüber zu lesen, daß heute jeder Werktätige usw. gern gesehener Gast ist.
Erwartungsvoll bestellen wir unser Essen, ich wähle ein Heilbuttgericht nach Tagesangebot. Weiteres wollen wir nicht berichten, vielleicht profitiert eines Tages auch die Küche des Stralsunder Ratskellers von der "Wende".
Johannis Kloster |
Wieder an der frischen Luft verlaufen wir uns in den Hof des Johannis Klosters. Die zugehörige Kirche ist als Ruine Mahnmal für die Zerstörung im Jahre 1945. In den umgebenden Straßen beißen sich die Gegensätze, neben gut instandgesetzten Häusern mit gepflegten Fassaden findet man abbruchreife Hinterhofszenerien. Wir suchen nun das berühmte Meeresmuseum im Katharinenkloster auf. Hier muß man sich schon Stunden Zeit nehmen, vieles Wissenswerte über das Leben in den Meeren und Ozeanen, über Fischfang, Aquarien- und Korallenwunder gibt es zu bestaunen. Auch über die sagenumwobenen Meeresungeheuer hat man sich Gedanken gemacht, doch das Rätsel von Loch Ness wird auch nicht gelöst. Ein bißchen Illusion bleibt noch übrig.
Museum macht müde, ein Kaffee wäre nicht schlecht. Längeres Suchen bleibt einem aber nicht erspart. Völlig zwecklos ist es, etwa in der Frankenstraße nach einem Lokal zu suchen, hier sind zum großen Teil die Erdgeschosse der Häuser zugemauert. Da ist nicht mehr viel zu retten, obwohl das Straßenbild erhaltenswert wäre. Wir kommen wieder direkt auf den Leninplatz, wo inzwischen der Rummel in Gang gekommen ist. Aufatmend betreten wir ein Kellerlokal, da werden wir sehr nett bedient und genießen Kaffee und Kuchen. Anschließend geht es über den Rummel. Stefanie will mich zu einer Schießbude überreden. Um mich nicht zu blamieren, rede ich mich mit Wehrdienstverweigerung heraus. Stattdessen gibt es ein paar Lose, bei denen Stefanie ein Paar Boxhandschuhe in Daumennagelgröße gewinnt. Da ist sie ganz stolz.
Es wird Zeit, wieder Richtung Bahnhof zu wandern, durch das Kütertor marschieren wir auf der Küterbastion über den Knieperteich. (Alle diese Namen entnehme ich beim Schreiben nachträglich dem Reiseführer). Aber wir waren da, haben Stralsund gesehen, und sind beeindruckt, daß das überhaupt möglich geworden ist. Hin und wieder ist vielleicht immer noch der Gedanke angebracht, daß man ein Jahr zuvor noch nicht davon träumen konnte.
Ganz profan kehren wir auf dem Weg zum Bahnhof aber noch in einem "Kaufhaus der Jugend" ein, um die nötigen Kekse für die Rückfahrt einzukaufen. - Dieser Konsumterror der Wessis!" - Auf der Straße zum Bahnhof wandern wir durch Straßen mit Bürgerhäusern der Jahrhundertwende, hier kann man leben, vielleicht besser, als in den Trabantenstädten.
Die Rückfahhrt mit der Bahn verläuft reibungslos, die Aprilsonne bei glasklarer Luft beleuchtet die Landschaft malerisch. Zurück in Binz wird das Abendessen nur provisorisch gestaltet - die Kurhausklause hat heute Ruhetag. Die einen machen per Boiler Suppendosen warm und essen dann auch noch daraus, der andere begnügt sich mit einem Wurstende.