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Brotterode - Friedrichshöhe 90 km

Da ich kein Frühstück bekomme, kann ich nach Belieben starten, das findet sozusagen bei aufgehender Sonne um 7 Uhr statt. Es geht hinauf zur Grenzwiese unter dem Inselsberg, um den ich mich bislang herumgemogelt habe.

"Zum Inselsberg 1 KM" steht auf dem Wegweiser zu lesen. Da kann man nicht nein sagen, auf dem Inselsberg muß man doch gewesen sein. Was ist schon ein Km! Dieser Kilometer aber hat es in sich, an den Reitsteinen vorbei geht es mächtig steil hinauf. Unter großen Anstrengungen muß das Rad mitsamt Gepäck einen äußerst steilen Weg hinaufgeschoben werden. Ich hoffe auf ein Restaurant, wo ich mein Frühstück einnehmen kann. Aber nichts da, eine militärische Beobachtungsstation mit Sendetürmen wie auf dem Brocken, alles eingezäunt. Die Aussicht besteht aus Dunst. Ein Mann streicht einen Zaun vor der Skiabfahrt am Nordhang. Ein Lokal soll es weiter hinten geben, aber das hat sicher zu. Selbst ist der Mann, die belegten Brote sind noch nicht alle, und eine Dose Cola Light habe ich auch noch. Dann fahre ich über Kopfsteinpflaster die Fahrstraße hinunter. Dieser Besuch des Inselsbergs war ein Schuß in den Ofen.


Inselsberg
An der Grenzwiese sitzen die ersten Morgengäste in dem dortigen Hotel auf der verglasten Sonnenveranda beim Frühstück. Nun habe ich keine Lust mehr, da rein zu schneien und nehme den weiteren Verlauf des Rennsteigs ins Visier. Zwei jüngere Herren mit leichten Rucksäcken entsteigen einem Auto. Als ich einmal anhalte, um noch ein Foto vom Inselsberg zu machen, kommen die beiden jüngeren Herrn in flottem Marsch um die Ecke. Jetzt steigt der Weg mächtig an, und ich bemühe mich zunächst wieder im "Modellfahren" bei kleinster Übersetzung. Schneller als die Wanderer bin ich aber auch nicht. So steige ich schließich ab und mache in meiner Not noch ein Foto vom Inselsberg. Mit "Grüß Gott" ziehen die beiden jüngeren Herrn mit ihren leichten Rucksäcken vorbei. Nun kann ich unbeobachtet langsam den steinigen Weg hinaufschieben. Irgendwann ist man immer oben, nun wieder aufgesessen und bald passiere ich die beiden jüngeren Herrn. "Nun komme ich auch mal zum Zuge" sage ich im Vorbeikurven. "Jetzt geht's ab hier" ruft einer zurück. Trotzdem kann man den steil abfallenden Weg wegen der Steine und Querrinnen nur sehr langsam hinuntermanövrieren. Die tief eingeschnittenen quer laufenden Ablaufrinnen würden einen glatt über den Lenker katapultieren. Nur schräg kann man die anfahren, es lebe die Cantileverbremse. Dann aber wird der Weg wieder fahrbarer, schließlich geht es in sausender Fahrt sogar über eine Betonpiste. Lebt wohl ihr jüngeren Herrn mit den leichten Rucksäcken! Am Parkplatz Stockwiese hoffe ich auf eine Imbißbude - leider Fehlanzeige. Stattdessen übt eine Fahrschule zwischen Absperrleinen das Rückwärts Einparken. Da habe ich keinen Bedarf.

Weiter geht es über den Spießberg, ich überhole mühsam einen wandernden äteren Herrn. Mitten im Wald erreiche ich das "Kreuz", eine Schautafel erläutert die historischen Hintergründe. An meiner Cabanossi kauend endecke ich endlich das berühmte Kreuz an einer Böschung.

Das Possenröder Kreuz
Bevor meine Cola Light alle ist, marschiert der ältere Herr vorbei, den es offenbar nicht zu einer Rast gelüstet. Ich lasse mir noch Zeit und sortiere ein wenig an den überquellenden Papierkörben herum. Schließlich fahre ich weiter, der Weg gestaltet sich schwierig, meistens muß ich schieben. Dennoch passiere ich schließlich den älteren Herrn, der wasserabschlagend in einer Schonung steht. Um ihn nicht zu stören, fahre ich ausnahmsweise kommentarlos vorbei.

Plötzlich öffnet sich ein Wiesental, ein malerischer Wegweiser läd zu einem Foto ein. Ich bin aber so in Fahrt, daß ich vorbeirausche, bolzgrad geradeaus, rechts bleibt die Kontrollstelle Ebertswiese liegen. Vor mir wieder ein Wanderer, vorbei und eine bequeme Fahrstraße hinunter. Nur das "R", die Wegmarkierung des Rennsteigs ist nicht mehr auszumachen. Inzwischen bin ich so schnell, daß an großes Nachdenken nicht mehr zu denken ist. Da steht ein Mann am Straßenrand und pflanzt Bäume. Energisch bremsend halte ich an, ob ich noch auf dem Rennsteig sei. Nein, der sei da oben, wo ich herkomme. Hier dagegen bin ich schon am Rand des Th. Waldes, es geht weiter hinab nach "Floh", das ist ganz in der Näe von Schmalkalden. Den Floh habe ich wohl im Ohr, denn nun muß ich wohl oder übel die gesamte Abfahrtsstrecke wieder hinaufkeuchen. Schließlich stellt sich raus, daß an dem malerischen Wegweiser der Rennsteig rechtwinklig abknickt, das habe ich bei der sausenden Fahrt vor einer halben Stunde glatt übersehen. Nun aber ein Foto.

Ein malerischer Wegweiser
Froh, wieder auf dem Rennsteig zu sein, geht es nun gemächlich weiter gen Oberhof. Da sitzt auch mein älterer Herr rastend und dösend in der Sonne. "Halloh", dann bin ich vorbei. Und - oh weh, vor mir die beiden jüngeren Herrn mit den leichten Rucksäcken. "Hallo !" "Hallöhchen" ruft einer überrascht zurück. "Ich bin auch noch nicht weiter" rufe ich im Vorbeifahren. Ich kalkuliere, was ich mit meinem Fahrrad in drei Stunden an Strecke geschafft habe - nicht mehr als die Fußwanderer.

Die Straße von Schmalkalden nach Trambach - Dietharz wird an der "Neuen Ausspanne" erreicht. Danach geht es wieder steil hinauf zum "Sperrhügel", wo man eine schöne Aussicht hat. Unten muß der Kanzlergrund liegen, den wir schon im Vorjahr beradelt haben. Fotoapparat auspacken und ein Motiv zusammenzustellen ist Zeit genug für die beiden jüngeren Herrn, an der nächsten Wegbiegung aufzutauchen. Gerade noch kann ich vor ihnen aufbrechen, sie verweilen wohl auch erstmal an diesem Ort, sodaß ich das Weite suchen kann. Sechs Wanderer kommen entgegen, "Grüß Gott!". Wie ich mich umsehe, sind die beiden jüngeren Herrn schon wieder hinter mir her. Auf 50 m sind sie schon ran, dann kann ich endlich in den Sattel und losfahren.


Im Wald und...

...auf der Höh
Von nun ab ist der Weg bis Oberhof weitgehend ohne Steigungen und gut fahrbar. So verliere ich meine "Bekannten" nun endlich doch aus den Augen. Ein gutes Stück Weg sieht aus wie eine Panzer - Übungsstrecke, der Weg ist tief aufgewühlt, Wasserflächen blinken und spiegeln die Bäume wieder. Neben dem Morast hat sich ein schmaler Trampelpfad gebildet, reichlich garniert mit Baumwurzeln. Da heißt es noch einmal aufzupassen und ab und zu das Rad unter den Arm zu klemmen.

Panzer-Übungsstrecke

Angespitztes
Mir wird die Strecke bis Oberhof wieder lang, schließlich und endlich kündet zunehmender Spazierverkehr von der Nähe einer Zivilisation. Mein Getränkevorrat ist alle, deshalb lechze ich nach einem Kiosk. Ein paarmal wird ein eigenartiges Asphaltband mit Mittelmarkierung und Laternenbeleuchtung gekreuzt. Das sind die Rollski-Loipen auf denen die zahlreichen Spitzensportler im Skilanglauf in der ehem. DDR ihre Kondition auch im Sommer nicht verkommen ließen.

Endlich die Straße nach Oberhof - Imbißbude - Versorgung gerettet. Nur empfindlich kalt ist es geworden, etwas frierend sitze ich an einem Holztisch hinter meiner Thüringer Bratwurst. Kauend beobachte ich eine Busgesellschaft: "... Alles einsteigen ... Nun steigt doch endlich ein ... wir wollen hier nicht übernachten ... wir wollen noch was von der Welt sehen ...". Als der Bus mit qualmenden Auspuff abdampft, ist auch meine Bratwurst verzehrt, der Durst gestillt, weiter geht's. 2.5 km bis zum Rondell am Rennsteiggarten. Da freue ich mich, denn ich weiß, da ist wieder eine Imbißbude, da waren wir schon einmal Kunde. Bald bin ich da - jetzt gibt es erstmal einen Kaffee und nochmal ein Würstchen mit Salat. Eine andere Busgesellschaft rüstet sich zu einem Marsch zum Beerberg, die Leute sind nur schwer von der Imbißbude wegzukriegen, wo Eis und andere Naschereien erstanden werden.

Einen Besuch des Rennsteiggartens lohnt sich heute nicht, die Natur ist noch recht weit zurück, da blüht wahrscheinlich nicht so viel. Der weitere Rennsteig verläuft parallel zur Straße Richtung "Schmücke". Zwei Mädchen auf Rennrädern überholen mich, wenig später taucht eine ganze Meute hechelnder Rennfahrer auf. Da steht auch schon ein Betreuer am Straßenrand. Ehe ich zu Wort kommen kann: "Komme ich auch in die Wertung?" - oder so - faucht der seine Schützlinge in rüdem Ton an "Mehr Rhytmus, nicht so lahm " usw. Ich schlage mich rechts in die Büsche, wo der Große Beerberg, mit 982 m die höchste Erhebung des Thüringer Waldes, überquert wird. Die Aussicht gibt nichts her, es ist zu dunstig. Ich kehre wieder auf die Straße zurück, wo man doch bequemer vorankommt. Bald wird die "weltbekannte Schmücke" erreicht, eine Ansammlung von unansehnlichen Häusern. Über den Mordfleck erreiche ich die "Alte Tränke", ein Rastplatz an einem Wiesenbach. Ich lasse mir eine Fanta aus der Dose schmecken.

Der Rennsteig verläuft immer weiter direkt neben der Straße, da bin ich mit dem Fahrrad natürlich lieber auf der Straße. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit laut Tacho steigert sich auf diesem Abschnitt von 9.5 auf 11 km/h. Bahnhof Rennsteig, die Ortschaft Allzunah, Dreiherrenstein werden passiert. Vor Neustadt begebe ich mich wieder auf den Wanderweg, der durch eine schöne Wiesenlandschaft führt. Ein Mann pusselt in einem Brennesselfeld herum. "Morgen gibt's Spinat" sagt er. Er erntet die Brennessel mit bloßen Häden, das sei er gewohnt.

Neustadt am Rennsteig
Hinunter nach Masserberg geht es weiter, wo ich über den Eselsberg mich wieder dem Original Rennsteig anvertraue. So langsam muß ich mir über ein Quartier Gedanken machen, voraus liegen eine ganze Reihe von Orten um einen Talkessel herum. Bis dahin aber ist der Rennsteig sehr unwegsam, teils morastig oder mit ungenießbarem Schotter provisorisch befestigt. Da muß wieder geschoben und getragen werden. Endlich ein schöner Fahrweg nach Friedrichshºhe.

Hier befindet sich der Gasthof Rennsteig, wo man laut Quartierverzeichnis auch übernachten kann. Die Wirtsleute verweisen mich an eine Adresse gegenüber, wo eine Frau für ein Ferienhaus verantwortlich ist. Da werde ich herzlich begrüßt, darf zu dem Ferienhaus schon vorfahren, die Kinder zeigen mir den Weg, die Frau kommt mit dem Trabbi nach. Jetzt erfahre ich erstmal, wo ich bin.

Friedrichshöhe
Friedrichshöhe ist die kleinste Gemeinde der Ex-DDR mit vor kurzem 29, jetzt 30 Einwohnern. Es gab zwar einen noch kleineren Ort im Sperrgebiet aber der durfte statistisch nicht in Erscheinung treten, den gab es praktisch nicht. In der vereinigten Bundesrepublik sind außerdem die Halliggemeinden noch kleiner. daß ich nun gerade hier ein Zimmer bekomme, ist ja besonders witzig. Die Übernachtung mit Frühstück kostet DM 19.-. Im Haus sind komfortable Aufenthaltsräume mit Farbfernseher, die Zimmer sollen im Sommer mit "Naßzellen" ausgerüstet werden. Außer mir ist noch ein Gast im Haus, ein junger Naturschutzvolontär, man will hier eine Naturschutzzentrum einrichten. Das Haus gehört dem Landkreis, die Frau ist für die Organisation verantwortlich. Weiter wird mir erzählt, an einflußreichen Stellen säßen immer noch die Stasi- und SED- Seilschaften, über die Vergabe von Arbeitsplätzen u.dgl. werde immer noch ein massiver Druck ausgeübt. Kaum zu glauben, aber an anderer Stelle wird mir genau das gleiche erzählt. Und zwar aus Erfahrungen, nicht vom Hörensagen.

Nach dem Einrichten und Auffrischen gehe ich zum Essen in den Gasthof. Leider komme ich etwas ungelegen, denn die ganze Familie setzt sich gerade selbst zum Abendessen nieder. Mir wird vorgeschlagen, Soljanka, oder Spiegelei oder belegte Brote. Also nehme ich eine Soljanka und Spiegeleier. So kommt die Wirtin durch meinen Hunger zu spät zum eigenen Abendbrot am Nebentisch. Das tut der guten Laune aber keinen Abbruch. An dem anderen Nebentisch sitzt ein weiterer Einwohner, der in Sachen Ölheizung tätig zu sein scheint. "Der erste Tank ist immer gleich leer, weil die Leute so weiterheizen, wie früher".

Am nächsten Tag dem Himmelfahrtstag erwartet man hier eine Menge Rennsteigwanderer. Gut gesättigt verfüge ich mich in mein Domizil, wo ich mir noch das Pokalhalbfinale Bremen gegen Köln reinziehe. Zur Halbzeit steht es 4:1, das Endergebnis habe ich mir nicht gemerkt.

Nächster Tag