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Friedrichshöhe - Blankenstein - Lobenstein 60 km

Himmelfahrtstag - in der Nacht hat es noch einmal Frost gegeben, wie man an den weiß überreiften Dächern erkennen kann. Aber der Himmel ist blau, gute Aussichten für diesen Tag. Um 8.30 kann ich nach dem Frühstück losfahren, es folgen die Orte Limbach (im Tal) und Steinheid (auf der Höhe). Ab Limbach fahre ich prompt wieder in einen falschen Weg ein, das ist aber ein komfortabler Waldweg parallel zum Rennsteig. Links unten liegt der Stausee der Schwarza, die kaum der Quelle entsprungen schon zur Arbeit herangezogen wird. Das übrige Schwarzatal ist für seine Schönheit berühmt, leider kann man auf einmal nicht alles sehen. Oberhalb der Schwarzaquelle erreicht man wieder die Straße, die ich bis Neuhaus dem wurzelverknoteten Rennsteig nebenher vorziehe. Ein Fuhrwerk mit Himmelfahrtszechern kommt entgegen, auf dem Kutschbock schwenkt einer eine Flasche Jägermeister und nimmt einen tüchtigen Schluck (es ist erst kurz nach 9 Uhr...). Vor Neuhaus sticht ein überladener Wegweiser ins Auge, da sind alle möglichen Wanderziele fern und nah vermerkt. "Budapest 2500 km" - ob das über Rom geht?

Wo soll's denn hingehen?
Neuhaus ist kein schöner Ort, Wohnblocks verstellen die Landschaft, die das hier sicher nicht verdient hat. Zum Glück geht es bald links raus an einen Waldrand, wo der Rennsteig auf einem Wiesenweg naturnäher verläuft. In Ernstthal endet meine Wanderkarte, hier beginnt das ehemalige Sperrgebiet, was naturgemäß kartografisch weniger gut dokumentiert ist. Nun ist die Wegbeschreibung des Rennsteigvereins (aus der Vorkriegszeit) und die Wegmarkierung der einzige Anhaltspunkt für den weiteren Verlauf des Weges. Es geht nach Spechtsbrunn, hier ist der Weg sehr belebt, man kommt immer wieder in Gespräche mit Wanderern. Ich bin so ziemlich der einzige Radfahrer, werde aber deswegen nicht angemacht, wie man das manchmal schon gehört hat. Es ist natürlich selbstverständlich, daß auf einem Wanderweg die Wanderer das Vorrecht haben, da fährt man schon mal bescheiden hinter einer Gruppe her, bis sich eine Überholmöglichkeit ergibt.

In Spechtsbrunn gibt es ein Wirtshaus, da herrscht ein ordentlicher Trubel. Ich schaue mir einen großen Schiefersteinbruch an. Der Thüringer Wald ist hier in das "Schiefergebirge" übergegangen, wenig später wird man sich im Frankenwald befinden. Über eine Anhöhe erreicht man freies Feld mit weiter Aussicht, schließlich die "Kalte Küche", ein früher bedeutender "Gebirgspaß". Schon erkennt man die Grenzanlagen, vorbei an einer lärmenden Gruppe stehe ich plötzlich im Grenzstreifen. Und nicht nur das, vor mir ist ein tiefer Graben gezogen, 2 Meter hohe, fast senkrecht stehende Betonplatten machen ein Durchqueren des Grabens, zumal mit dem bepackten Fahrrad, unmöglich. "Drüben" stehen Jugendliche und sehen schadenfroh zu. Ich tue so, als wäre alles ganz normal und schiebe erstmal an dem Graben längs. Die Möglichkeit, auf eine vergessene Mine zu geraten, fällt mir ein. Bald aber finde ich eine Stelle, wo eine Betonplatte umgekippt wurde, um über den Graben zu steigen. Auf dem Lochplattenweg fahre ich weiter, dann muß ich nochmal durch den vertrackten Graben - bin ich nun hüben oder drüben oder umgekehrt - oder was - ?.

Grenzeindrücke
Nach einigem Bemühen und Fragen ist es aber geschafft, man befindet sich nun auf dem Teil des Rennsteigs, der auf einem kurzen Stück durch Franken bzw. Bayern verläuft. Allerdings ist der Rennsteig hier auch nur ein besserer Radweg neben einer Straße, die deutlich die bundesdeutsche Autoraserei konsequent unterstützt. Ich passe mich dem an, indem ich stellenweise mit der größten Übersetzung (aus 21 Gägen) fahre. Schwupps - bin ich in Steinbach am Walde. Hier kann ich nun endlich aus einer funktionierenden Telefonzelle zu Hause anrufen.

Ein paar Kinder fahren mit mir hinauf zur Ziegelhütte um die Wette und gewinnen. Danach folgt der berühmte "Wappenweg", an dem die schönsten Grenzsteine mit einem oder mehreren Wappen verziert sind.

Ein Wappenstein
Kurioserweise verläuft dieser Weg genau an der "alten Zonengrenze" entlang. So ergeben sich denkwürdige Perspektiven: im Vordergrund ein alter Wappenstein aus dem 17. Jahrhundert, dahinter ein schwarz rot goldener Grenzpfosten, wo das Hoheitsemblem der DDR von Souvernirjägern längst herausgemeißelt wurde, alles eingerahmt von den Drahtgeflechten der Grenzzäne. Womöglich noch ein weiß aufgepinseltes "R" als Wegmarkierung auf einem Zaunpfahl, da wo früher etwa die Selbstschußanlagen angebracht waren. Hier verdient der Rennsteig seinen Namen als "Grenzweg" wirklich. Daß Archälogen in Jahrtausenden, falls die Menschheit noch solange existiert, Spuren dieser Grenze der Jetztzeit nachweisen können, braucht kaum angezweifelt zu werden. Nun geht es ständig hin und her zwischen diesen Grenzanlagen, alle Augenblick muß man durch die Zäune klettern.

Auf einem steilen Waldweg lassen sich gerade eine Dame und deren Tochter, die auch mit dem Fahrrad unterwegs sind, von entgegenkommenden Wanderern fotografieren. Wie ich den Weg hinaufgeschoben komme, habe ich Mühe, nicht mit auf das Bild zu kommen. "Ich will nicht erpreßt werden" - "Wir sind doch nicht von der Stasi" - "Weiß man das" ... Als die "Stasi-Leute" sich verzogen haben, stellt sich raus, daß Mutter und Tochter mit Auto und Anhäger aus Dresden angereist sind. Da der Vater nicht mehr so mobil ist, will er ihnen von Blankenstein mit dem Moped entgegenkommen. Falls ich ihn treffen sollte, soll ich ihn grüßen. Ich frage noch nach dem Namen: Familie W. Inzwischen durchfahre ich nach dem x-ten Grenzübertritt das Dörfchen Brennersgrün. Hier ist alles mit Schiefer verkleidet, das hat ein besonders geschlossenes und einheitliches Ortsbild zur Folge. Man passiert weiterhin, immer unmittellbar an der Grenze, verwaiste militärische Horchanlagen. Schließlich führt ein lang ansteigender Grasweg hinauf nach Grumbach. Da steht ein einsamer Mopedfahrer, den Sturzhelm noch auf dem Kopf. "Hier geht's weiter" will er mir helfen, und weist auf den in den Wald einbiegenden Wanderweg. "Sie sind Herr W." sage ich zielsicher. Stimmt natürlich. Er ist ganz glücklich zu hören, daß bei seinen Lieben alles in Ordnung ist. Obwohl wir noch ein paar Minuten schwatzen, erscheinen die beiden aber nicht am Horizont. Da mache ich mich auf die Weiterfahrt.

Viel Bemerkenswertes ereignet sich auf dem Rest des Rennsteigs nun nicht mehr, ein Gespräch noch mit einem in Hausschuhen auf der Landstraße schlurfenden Opa, der hatte Zeit seines Lebens Sorgen mit dem Dachdecken. Die Strecke wird immer schneller, da es schließlich nur noch bergab geht. Einen Trecker mit Himmelfahrtskommando im Anhänger kann ich mühelos hinter mir lassen. Am Ortseingang von Blankenstein erreiche ich mit 52 km/h die bisherige Höchstgeschwindigkeit. Im Ort aber heißt es krätig bremsen und hinabrollen zum Ende - oder Beginn, je nachdem - des Rennsteigs. An einer Straßenabzweigung ist eine große Schautafel, da mache ich ein Foto.

Endstation
Doch der Rennsteig geht noch weiter, eine Treppe hinunter, um ein Haus herum, dann steht man vor einem verwahrlosten Grundstück an der Saale. An der Ufermauer ist ein großes weißes "R" aufgemalt, das mag nun wirklich die allererste Markierung darstellen. Das ganze ist aber weniger romantisch als das andere Ende dieses "deutschen Bergpfads" in Hörschel.

Es geht mir wie immer, wenn ich auf einer Tour mein Ziel erreicht habe: Ernüchterung und Stimmungsabfall. Eine Weile schaue ich neben einem Beobachtungsturm von der Brücke herab einer Forelle in den trüben Wassern der Saale zu. Einmal in der Minute macht sie eine Bewegung, um sich ein paar cm weiter zu bewegen. Als ich mich überzeugt habe, daß die Forelle tatsäcShlich noch lebt, mache ich mich "beruhigt" auf die Weiterfahrt.

Doch wohin? Es ist schon fortgeschrittener Nachmittag, da braucht man nicht mehr allzuviel zu leisten. Zwei abgekämpfte Radler aus Erlangen schieben plötzlich neben mir am Berg. Sie wollen nach Saalburg, wo sie an einer Ruderfreizeit teilnehmen, heute haben sie schon 160 km in den Knochen. Wo ich noch hinwolle. Ich sage: "Das würde ich auch gern wissen" - eine sicher nicht sehr informative Antwort. Während die beiden zügig ihren Weg fortsetzen, mache ich erstmal ein Foto von der riesigen Papierfabrik oberhalb Blankenstein.

Papierfabrik hinter Birken
Große Berge aus Holzspänen warten auf die Verarbeitung. Was dabei übrigbleibt und an Abfall anfällt, wird durch ein mannshohes Rohr in die Saale verfrachtet - das hatten mir die beiden Radfahrer noch erzählt.

Als nächsten größeren Ort mache ich auf meiner unzureichenden Karte Lobenstein aus, das ist gut 10 km entfernt. Neben einer kleinen Eisenbahnstrecke geht es ein Wiesental hinauf, das landschaftlich recht reizvoll ist. Aber bei mir ist die Luft völlig raus und ich quäle mich so voran. Der Wind bläst obendrein von vorn. Dann überholt mich ein Wartburg mit einem Anhäger, grünes Moped hinten drauf. Fahrräer und weitere Insassen fehlen. Der Fahrer macht sich aber weiter nicht bemerkbar, obwohl Mopedfarbe und Wartburg sich mit den persönlichen Kenndaten der W.von vorhin decken. Ob da was schiefgegangen ist? Vielleicht aber haben die beiden Damen den Weg abgekürzt und sind direkt nach Lobenstein gefahren. Über solches nachdenkend, wird einem die Zeit etwas kürzer, schließlich sind die endlosen 10 km zuende. Es geht noch einmal steil hinauf in den Ort, oben erkennt man schon die Reste der Burgruine. Erstmal frage ich mich nach einem Hotel durch, wo ich für den stolzen Preis von DM 40.- ein Zimmer bekomme. Es heißt HO Hotel Oberland. Auf einem Bett liegt als "Goody" eine Rolle Dr. Hillers Pfefferminz. Ich wähle aber das andere Bett aus, da liegt nur ein Päckchen Reiseseife. Wie ich mein Gepäk entflechte, fällt mir der "Spiegel", den ich mir für die Hinreise gekauft hatte, wohl ein paar 100 g schwer, entgegen. Auf der Titelseite "Der Schalck Skandal" mit entsprechendem Konterfei. Womit hat der das verdient, über den ganzen Rennsteig geschleppt zu werden? Papierkorb !

In einem Badezimmer, wo die Badewanne auf Holzklötzen steht, mache ich mich frisch. Dann breche ich zu einer Ortserkundung auf. Erstmal zum Bahnhof, wie sind die Verbindungen zur Außenwelt. Um 8.21 morgens fährt ein Zug nach Saalfeld, der nächsten Kreisstadt, für die 40 km braucht der zwei Stunden.

Dann marschiere ich durch den Ort und hinauf zur Burgruine. Vorher vergewissere ich mich in dem "Berghotel Alter Turm", daß ich dort späer auch noch was zu essen bekommen kann. Die Burgruine ist kaum noch eine solche, der Bergfried ist zur Zeit wegen Bauarbeiten geschlossen, eine halbfertige Treppe zeugt aber davon, daß man bei der Arbeit ist. Der daneben liegende kleinere Wehrturm ist ganz marode, durch einen Mauereinsturz kann man in das kreisrunde Innere hineinsehen. Laut Reiseführer soll hier ein Cafe entstehen. In einem Hof am Aufstieg zur Burg wird kräftig gegrillt und Alkoholisches konsumiert. Da muß ich auf dem Rückweg ein zweites Mal vorbei. Man nimmt aber keine weitere Notiz von mir - warum auch. Um weitere lautstarke Himmelfahrtskommandos in den Straßen mache ich möglichst große Bogen. Ich besichtige noch die reizvolle Altstadt und begebe mich erstmal wieder in mein Komfortzimmer.

Zur angemessenen Zeit mache ich mich auf den Weg zum Abendessen, betrete das Lokal "Alter Turm" mit der Frage "Wo soll ich mich denn hinsetzen ?" Eine hilflose Gebärde des Wirtes, "Sie sehen ja...". Trotz Himmelfahrt ist kein weiterer Gast da, obwohl das Lokal tiptop hergerichtet ist; der Wirt ist gelernter Koch und wirtschaftet mit seiner Frau. "Wie lange können Sie das denn durchhalten?" frage ich. "Diesen Sommer muß was passieren, sonst ist es aus". Er habe tolle Angebote aus Westdeutschland, trotzdem bleibe er erstmal da. Das verdient schon höchste Anerkennung. Die einheimischen Gäste danken es ihm, indem sie die Ausflugsattraktion des nahen Frankenlandes vorziehen. Ich bestelle einen "Turmspieß", der senkrecht stehend auf einem Holzteller serviert wird. Kein Vergleich mit den früheren Einheits-Speiseangeboten. "Ich werde für Sie Werbung machen, soviel ich kann" versichere ich der Frau Wirtin. Das habe ich hiermit getan.

Währenddessen hat sich doch noch eine fidele Schar Wanderer eingefunden und konsumiert munter. Mit dem Rücken zu Ihnen sitze ich die ganze Zeit und mache meine Tagesnotizen, darüber nachgrübelnd, ob das zu Stasi-Zeiten womöglich anders ausgelegt worden wäre. "So primitiv waren die nicht" meint die Wirtin. Als ich mit Essen, Notizen und Lobensteiner Bier vom Faß fertig bin, mache ich mich auf den Heimweg und bin mit dem Ausgang des Tages doch noch zufrieden.

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