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Lobenstein - Friedrichsroda - Tabarz 137 km
Pünktlich nehme ich am Morgen mein Frühstück ein, immer noch
unschlüssig, was ich jetzt genau machen soll. Noch vor 8 Uhr könnte
ich los, der Zug würde erst in über einer halben Stunde fahren. Es
scheint windstill, außer Hochnebel ist das Wetter vielversprechend.
Also auf geht's, es geht die 40 km bis Saalfeld immer an der Eisenbahn
entlang, da kann man jederzeit umdisponieren. Von Lobenstein geht es
erstmal immer schneidig bergauf, bald schon dampfe ich im Morgennebel
wie ein Ochse, der aus dem warmen Stall kommt. In einem Wiesentälchen
liegt linkerhand der anmutige Ort Helmsgrün. Schließlich ist eine
freie Hochfläche erreicht, eine Wasserscheide zwischen zwei
Nebenflüssen der Saale. Dann geht es steil hinunter nach Wurzbach. Ab
hier fährt man das Tal hinunter, zu meiner Überraschung habe ich
Rücken- d.h. SO-Wind. Das macht natürlich Spaß, auch landschaftlich
ist es hier wunderschön. Da der Verkehr recht mäßig ist, kann man
die vorbeifliegenden Wiesenauen und kleinen Ortschaften auch mit
Genuß zur Kenntnis nehmen. Ich beglückwünsche mich, daß ich mich
nicht auf die Bahn gesetzt habe, da wäre mir diese Genußstrecke
entgangen. 20 km geht es bergab. So komme ich bald nach Leutenberg,
dem Ort der 7 Täler. Ein hübsches Städtchen, ein anmutiger
Marktplatz, wo ich wieder mal Getränke einkaufe. Oben thront eine
Burg. Die Sonne bricht durch und taucht alles in ein transparentes
Zwielicht - eine romantische Atmosphäe.
Das war aber auch erstmal der Höhepunkt, denn nun wird das Tal
breiter und der Verkehr dichter. Zudem überholt mich gegen 10 Uhr der
Zug aus Lobenstein, ich dagegen habe noch so 10 km bis Saalfeld vor
mir. Ich erreiche das Tal der Saale, das Wasser ist ganz braun. Das
liegt wohl leider nicht an der Schokoladenfabrik in Saalfeld. Die
Felsen an den Ufern der Saale dagegen sind rot und bilden manchmal
hübsche Klippen. Saalfeld liegt verkehrsgünstig am Schnittpunkt der
mittelalterlichen "Kupferstraße" mit der "Böhmischen Straße"
(Reiseführer).
Daher begebe ich mich sogleich zum Bahnhof, um die Möglichkeiten einer
weiteren Bahnfahrt auszukundschaften. In der Auskunft schreibt man mir
eine abenteuerliche Verbindung nach Eisenach auf, da braucht man 4
Stunden für 150 km und muß zweimal umsteigen. Inzwischen scheint die
Sonne und der Ostwind weht munter. Ich diskutiere mit mir selber: Gibt
es was schlimmeres, als bei Sonne und Rückenwind am Rande des
Thüringer Waldes entlang zu fahren? Sicher: sich 4 Stunden auf der
Bahn herumzuquälen. Jetzt bin ich befreit, die Entscheidung über den
weiteren Tagesverlauf ist gefallen. Erstmal Richtung Innenstadt über
die Saalebrücke. Dichtester Verkehr, ohne Ampel kaum über die
Straße zu kommen. Dann wird die Fußgängerzone erreicht, endlich
wieder eine Thüringer Bratwurst an einem Würstchenstand.
Da ich den Reiseführer aus Gewichtsgründen nicht dabei habe, trete
ich dem "selten geschlossenen Ensemble historischer Bauten" am
Marktplatz sicher etwas verständnislos mit dem Gedanken "Alles ist
ja noch nicht kaputt" gegenüber. daß es hier in der Nähe die
berühmten "Feengrotten" gibt, bekomme ich aber mit, doch ich muß
ja weiter. Durch das Blankenburger Tor verlasse ich den
Innenstadtbereich und befinde mich bald auf einer ruhigen Nebenstraße
Richtung Bad Blankenburg. Hier treiben die Russen noch ihr Unwesen:
große Kasernengelände und Wohnviertel nach militärischer
Wohnkultur. An einem Berghang ein großer Gelände-Übungsplatz, hier
lernen sicher die Panzer den Purzelbaum. Fotografieren verboten. Ein
Soldat, der aussieht wie ein Konfirmand, bewacht das Ganze mit seinem
Gewehr. So schlägt man die Zeit tot, das alles kostet auch noch Geld
und woanders leben die Menschen im Elend.
Dann belehrt ein Schild am Straßenrand, daß es hier einen 5
Schlösserblick zu bestaunen gibt. Wegen des Dunstes kann ich nur zwei
entdecken. Durch Blankenburg bin ich schnell hindurch, es hat auch so
seine Vorteile ohne Reiseführer, das "banaust" sich viel besser.
Auf der B88 geht es glatt dahin Richtung Königssee. In Rottenbach
zweigt eine Straße Richtung Nordwesten nach Stadtilm ab. Da geht es
durch das Rottenbachtal, das klingt ganz vielversprechend. Ein Blick
auf die Karte zeigt, daß man den weiteren Weg über Arnstadt und an
den berühmten "Drei Gleichen" nehmen kann, das überzeugt. Vor
einem kleinen Ort namens Milbitz befindet sich ein Höhleneingang am
Straßenrand. Er ist zugemauert, aber natürlich längst wieder
aufgebrochen. Ein starker Luftzug kommt heraus. Ich habe aber keine
Taschenlampe mit. "M-W Höhle" steht mit Kreide an der Wand.
Wenig späer erreiche ich dann noch eine Sehenswürdigkeit: die
Klosterruine "Paulinzella". Sie ist recht beeindruckend, mich
interessiert aber ebenso ein Imbißrestaurant mit Außenterrasse und
Blick auf die Klosterruine. "Ich lebe für die Küsse der Nacht..."
(Andrea Jürgens) klingt es lautstark und schmelzend stereophon aus
einem Kassettenrekorder. Das macht an, da bestelle ich gleich eine
Bratwurst. Mit der Wurst, das dauert ein bißchen, da kann ich weitere
Studien treiben. Zwei Hiesige begrüßen sich: "Wie siehst Du denn
aus?" - "Hab mich im Spiegel auch erschrocken" (gestern war ja
Himmelfahrt). Den einen von den beiden hält ein Trainingsanzug gerade
noch zusammen. Der genehmigt sich zur Anhebung seines Äußeren und
Inneren erstmal einen doppelten Cognac am Tresen. "...und alles kann
gescheh'n, bis der Morgen erwacht..." trällert es weiter aus den
Lautsprechern. Dann bekomme ich meine Bratwurst, die Portion ist viel
zu reichlich für unterwegs. Alles schaffe ich auch nicht, mit der
sakralen Schlagerweisheit "...ich hab' Dir nie den Himmel
versprochen, weil es den auf Erden gar nicht gibt..." im Ohr verlasse
ich diesen heiligen Ort.
Über einen Berg erreicht man aus dem Rottenbachtal das Tal der Ilm
und die wieder verkehrsreiche B87 nach Stadtilm. Schnell weiter
Richtung Arnstadt, mit dem Hohen Kreuz ist noch eine markante und
hochgelegene Lokalität zu bewältigen. In Arnstadt begebe ich mich
sogleich in die hier schon wieder sehr malerische Innenstadt. Auf
einem Platz, den ich für den Marktplatz halte, lasse ich mir bei
einer hübschen Imbißwirtin einen Kaffee servieren. Da möchte man ja
gar nicht wieder weg.
Schließlich gebe ich, den Kaffee lobend, das Einweggeschirr zur
weiteren Verwendung zurück und lasse mir den Weg zu den Drei Gleichen
erklären. "Da hoch und dann über den Marktplatz".
Auf dem Marktplatz steht eine Gruppe mit Käppis und Schulterbändern,
Mitglieder einer traditionsbewußten Studentenverbindung, die wohl
hier eine Exkursion machen. Ein Denkmal eines jungen Mannes, erst die
Aufschrift verrät, daß es sich um den jungen Bach handelt, der hier
in Arnstadt gewirkt hat. Nochmal frage ich nach dem Weg. Eine Dame
weist mich auf eine Einbahnstraße hin, "aber da dürfen Sie nicht
fahren". "Ich schon" vermelde ich siegesgewiß und bin kurz darauf
auf der Straße nach Mühlberg.
Die drei Burgen, genannt die "Drei Gleichen" grüßen schon eine
ganze Weile von ferne, nun liegen sie direkt vor einem. D.h. sehen
kann man zuerst nur die erste, die Wachsenburg, denn die anderen
beiden Burgen bzw. deren Ruinen, die Mühlburg und die Burg Gleichen
liegen noch verdeckt in Blickrichtung. Nur die Wachsenburg ist intakt,
sie beherbergt ein stilvolles Hotel (lt. Reiseführer). Mitten in
einem Rübenfeld steht ein neu erbauter Hochsitz, da klettere ich
hinauf wegen eines Fotos auf den Ort Röhrensee. Ein vorbeifahrendes
Auto hupt, ob zum Gruß oder wegen meiner Ordnungswidrigkeit weiß ich
nicht.
Auch Mühlberg zu Füssen der Mühlburg ist ein hübscher Ort, ein
vorbildlich restauriertes Fachwerkgebäude sticht ins Auge.
Auf der
Weiterfahrt nach Wechmar heißt es, des öfteren zurückzublicken,
denn hier hat man alle drei Burgen im Visier.
Dann leiste ich mir den Schabernack, die drei Burgberge mit einem Berg
Misthaufen dazwischen zu fotografieren. Es soll ja keine Ansichtskarte
werden. "Die vier Gleichen" wird das Bild getauft.
Als Tagesziel habe ich mir Friedrichroda ausgesucht, dazu muß ich mit
weniger Genuß die B247 entlangfahren. Nach einer Abkürzung über
eine Nebenstrecke erreiche ich die B88, die am Nordrand des Thüringer
Waldes entlangführt. Es wird wieder bergiger, wo ein Aufstieg, ist
auch eine Abfahrt - das wußte schon Till Eulenspiegel, der sich
bergauf immer auf die Bergabstrecke freute und umgekehrt.
Endlich der Blick auf Friedrichroda, von oben sieht es ganz nett aus.
Ich frage mich zum Rathaus mit der Zimmervermittlung durch, aber die
hat nun kurz vor 18 Uhr schon geschlossen. Ich beschließe, daß mir
Friedrichsroda doch nicht so gut gefällt und ich noch ein wenig
weiterfahren kann. In einem Kaufladen bekomme ich den Tip, nach
Finsterbergen zu fahren, da findet heute ein großes Tanzvergnügen
statt. Das ist natürlich verlockend, aber Finsterbergen liegt auf
einem Berg und zum Tanzen ist vielleicht auch nicht die richtige Zeit.
Am Ortsausgang von Friedrichroda frage ich nochmal ein Ehepaar, das
die Terrasse vor einem neu zu eröffnenden Lokal fegt, nach
Quartiermöglichkeiten. Sie meinen, privat wäre das kein Problem und
empfehlen mir einen stillen Waldweg für die Weiterfahrt. Es geht
vorbei an der Marienglashöhle, wieder mal keine Zeit zu einem Besuch.
Aber dann werde ich doch aufgehalten. Eine ältere Dame fegt den Weg
vor ihrem Grundstück am Ortseingang von Tabarz. Da spinnt sich ein
längeres Gespräch an. Ihr erster Mann ist im Krieg geblieben, der
zweite hat im Krieg ein Auge verloren, aber nie eine Rente erhalten.
Nun ist alles beantragt und eingereicht, aber tun tut sich nichts. Sie
haben auch ein Gartenhaus für Feriengäste, doch sei es noch im
Umbau, sonst "hätte sie mich genommen" meint die Dame.
Die Dame empfiehlt mir aber das Hotel "Felsenthal" in Tabarz. Das
finde ich schließlich auch. Es sei noch ein Zimmer frei, sagt der
Chef. Da aber bei allen Zimmern die Schlüssel von außen stecken,
folgere ich, daß nicht nur ein Zimmer frei ist. Mir genügt eines,
eine Bullenhitze schlägt mir wieder entgegen. Frischmachen und leicht
bekleidet entspanne ich mich erstmal, es ist immer der schönste
Moment eines Fahrradtages, nach getaner Arbeit glücklicher Besitzer
eines sicheren Nachtquartiers zu sein. Ich wandere noch durch den Ort,
ein kleiner Bach durchzieht es. An vielen Stellen verraten graue
Schwaden im Wasser mehr oder weniger gut sichtbare Einlaßrohre.
Meinem Appetit tut das keinen Abbruch. Endlich esse ich mal
thüringisch: Sauerbraten mit Klößen. Mundet ausgezeichnet. Das
Restaurant im Felsenthal ist voll besetzt, schließlich setzen sich
auch zwei jüngere Männer an meinen Tisch. Sie rauchen auch
"Marlboro". Nachdem ich ihnen eine Zigarette anbiete, sind wir bald
in ein angeregtes Gespräch vertieft. Der eine kommt aus der Gegend
von Rostock, der andere wohnt am Ort, arbeitet aber in Baden
Württemberg, das ist mit viel Fahrerei verbunden. Er hat drei kleine
Kinder. Seine Frau arbeitet bei einem Supermarkt, der vom "Westen"
übernommen worden ist. Die hat man reingelegt, indem sie erst eine
Halbtags- und dann Kurzarbeit verschrieben bekam. Dadurch reduziert
sich das Kurzarbeitergeld erheblich. Da kann man die Unzufriedenheit
verstehen. Überall die Frage, wie es weitergehen soll. Nicht zu spät
verabschiede ich mich, zum Glück hat sich mein Zimmer etwas
abgekühlt und ich kann gut schlafen.
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