Trotz allem gibt es ein schönes Frühstück, geradezu sonntäglich.
Wie nicht anders zu erwarten, sitze ich mit einer englischen Familie
am Tisch, die erzählen mir dies und jenes. Unter anderem erfahre ich,
daß Leute aus Paris hier zuweilen recht unbeliebt sind, so erklärt
sich vielleicht der gestrige Rausschmiß. Ich freue mich heute auf die
Strecke nach Calais und mache mich bald auf den Weg. Das Wetter ist
heute prima. Die Strecke ist landschaftlich ein Höhepunkt, es geht
zwar rauf und runter, dafür bläst der Wind aber meistens von hinten.
Weil Sonntag ist, sind viele Radfahrer unterwegs, meistens in
sportlichem Dreß auf Rennrädern. Mit meinem "Salut" hoffe ich, der
Landessprache gerecht zu grüßen. Auch ich höre manche aufmunternden
Zurufe, deren Sinn trotz des fehlenden Verstehens wohl klar ist. Die
Landschaft ist hier noch vielfach geprägt von der kriegerischen
Vergangenheit, riesige Bunkeranlagen, zuweilen vernarbte Hänge an den
Bergen, wo noch die Artillerieeinschläge erkennbar sind. Es gibt auch
ein Museum über die Vorgänge des Weltkrieges in dieser Region, einem
wichtigen - wie man fälschlicherweise meinte - dem wichtigsten
Abschnitt des Atlantikwalls. Bald sehe ich voraus weiße Klippen aus
dem Meer ragen, die kommen aber nicht näher, bis mir einfällt: "The
white cliffs of Dover...". Es ist schon eigentümlich, in Sichtweite
von England zu radeln.
Sonntag: Boulogne - Brügge
Zwischen Sonne und Regen |
Vorher rächt sich das aber - die Panne ereilt mich nun bei der Stadtausfahrt von Oostede. Mangels Wasser kann der Defekt nicht geortet werden und der Schlauch wird ausgewechselt. In Zukunft will ich das immer so machen, das Flicken des defekten Schlauches kann man später an einem günstigeren Ort machen.
Es geht auf die letzten 30 km nach Brügge, dort treffe ich am frühen Abend ein. Doch wieder wird mir mulmig zumute, hier ist die ganze Innenstadt gesperrt, ein großes Festival scheint hier stattzufinden. Rudelweise laufen Japaner mit umgehängten Kameras herum. Jetzt gegen Abend des Sonntags scheint das Fest aber dem Ende zuzugehen. An dem schönen Marktplatz im Rathaus befindet sich das Verkehrsbüro, das hat heute ausnahmsweise geöffnet. Es wird mir ein Hotel vermittelt, das liegt gleich gegenüber und ich staune über den geringen Zimmerpreis. Noch mehr bin ich erfreut, daß ich bei dem Trubel hier überhaupt unterkomme. Wahrscheinlich sind viele Gäste gerade abgereist.
Meine abendliche Verpflegungsunternehmung findet in einem italienischen Lokal am Marktplatz statt, womöglich haben wir hier vor Jahren auf einer Tramptour von Paris auch schon gespeist. Ich schreibe an die Rolands eine Grußkarte, das verdirbt mir einen Teil des Abends, weil mir die Adresse nicht einfällt, aber schließlich ist sie da: "Ulmenweg". Einigermaßen zufrieden kann ich mein Zimmer aufsuchen, von dessen Fenster ich über die Dächer einen Teil des Rathauses sehen kann.