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Sonntag: Boulogne - Brügge

Trotz allem gibt es ein schönes Frühstück, geradezu sonntäglich. Wie nicht anders zu erwarten, sitze ich mit einer englischen Familie am Tisch, die erzählen mir dies und jenes. Unter anderem erfahre ich, daß Leute aus Paris hier zuweilen recht unbeliebt sind, so erklärt sich vielleicht der gestrige Rausschmiß. Ich freue mich heute auf die Strecke nach Calais und mache mich bald auf den Weg. Das Wetter ist heute prima. Die Strecke ist landschaftlich ein Höhepunkt, es geht zwar rauf und runter, dafür bläst der Wind aber meistens von hinten.

Weil Sonntag ist, sind viele Radfahrer unterwegs, meistens in sportlichem Dreß auf Rennrädern. Mit meinem "Salut" hoffe ich, der Landessprache gerecht zu grüßen. Auch ich höre manche aufmunternden Zurufe, deren Sinn trotz des fehlenden Verstehens wohl klar ist. Die Landschaft ist hier noch vielfach geprägt von der kriegerischen Vergangenheit, riesige Bunkeranlagen, zuweilen vernarbte Hänge an den Bergen, wo noch die Artillerieeinschläge erkennbar sind. Es gibt auch ein Museum über die Vorgänge des Weltkrieges in dieser Region, einem wichtigen - wie man fälschlicherweise meinte - dem wichtigsten Abschnitt des Atlantikwalls. Bald sehe ich voraus weiße Klippen aus dem Meer ragen, die kommen aber nicht näher, bis mir einfällt: "The white cliffs of Dover...". Es ist schon eigentümlich, in Sichtweite von England zu radeln.

Küstenlandschaft vor Calais
So vergeht die Fahrt bis Calais wie im Fluge, zuletzt ist hinter Escalles mit dem Mt. d'Hubert noch ein richtiger Paß zu überwinden. In Calais ist heute ein großer Flohmarkt, mich zieht es aber weiter. In Gravelines mache ich Rast, hier sehen die Straßen aus wie die Kulissen eines Kriegsfilmes. Die letzte Stadt in Frankreich ist Dünkirchen, ein Name, den man auch aus dem Schulunterricht und anderswoher kennt.

Zwischen Sonne und Regen
Von hier sind es nur noch wenige km bis zur belgischen Grenze. Es geht in flachem Gelände immer an einem Kanal entlang. An der Grenze wird Geld gewechselt, und nun auf nach Belgien. Hier gibt es immerhin schon einen Radweg, das war in Frankreich nicht üblich. Der erste Ort hinter der Grenze heißt "De Panne", ein böses Omen - na warte. Unmittelbar an der Küste, mittlerweile der Nordsee, geht es durch einen Badeort nach dem anderen. Es ist alles eng bebaut, hier hat der Tourismus gründlich seinen Einzug gehalten. Ich wollte in Oostende Quartier nehmen, das sagt mir aber gar nicht zu. Das ist schon wieder zu großstädtisch und zugebaut. Ich beschließe, Richtung Brügge weiterzufahren, einer Stadt, deren Reize ich von einer früheren Reise in Erinnerung habe.

Vorher rächt sich das aber - die Panne ereilt mich nun bei der Stadtausfahrt von Oostede. Mangels Wasser kann der Defekt nicht geortet werden und der Schlauch wird ausgewechselt. In Zukunft will ich das immer so machen, das Flicken des defekten Schlauches kann man später an einem günstigeren Ort machen.

Es geht auf die letzten 30 km nach Brügge, dort treffe ich am frühen Abend ein. Doch wieder wird mir mulmig zumute, hier ist die ganze Innenstadt gesperrt, ein großes Festival scheint hier stattzufinden. Rudelweise laufen Japaner mit umgehängten Kameras herum. Jetzt gegen Abend des Sonntags scheint das Fest aber dem Ende zuzugehen. An dem schönen Marktplatz im Rathaus befindet sich das Verkehrsbüro, das hat heute ausnahmsweise geöffnet. Es wird mir ein Hotel vermittelt, das liegt gleich gegenüber und ich staune über den geringen Zimmerpreis. Noch mehr bin ich erfreut, daß ich bei dem Trubel hier überhaupt unterkomme. Wahrscheinlich sind viele Gäste gerade abgereist.

Meine abendliche Verpflegungsunternehmung findet in einem italienischen Lokal am Marktplatz statt, womöglich haben wir hier vor Jahren auf einer Tramptour von Paris auch schon gespeist. Ich schreibe an die Rolands eine Grußkarte, das verdirbt mir einen Teil des Abends, weil mir die Adresse nicht einfällt, aber schließlich ist sie da: "Ulmenweg". Einigermaßen zufrieden kann ich mein Zimmer aufsuchen, von dessen Fenster ich über die Dächer einen Teil des Rathauses sehen kann.

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