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Sonnabend: Dieppe - Boulogne

Obwohl ich herrlich schlafe, höre ich irgendwann in der Nacht am Rauschen auf den Dächern, daß der kommende Tag nicht so vielversprechend zu werden beginnt. Beim Frühstück regnet es immer noch in Strömen, aber ich muß mein Zimmer räumen und montiere trotz des anhaltenden Regens das Gepäck. An Losfahren ist jedoch nicht zu denken, das Rad bleibt im Hotel und ich gehe noch in den Ort. Dort ist heute in allen Straßen großer Markt, Blumen, Obst, Gemüse und vor allem "Früchte des Meeres" wie Muscheln, Fische, Krebse usw. Danach gehe ich nochmal ans Meer, doch dann heißt es doch aufbrechen, der Regen läßt immerhin etwas nach. Obwohl die Straße enlang der Küste verläuft, ist sie recht bergig, man muß bei jeder Mündung eines Flusses auf Meereshöhe hinunter, danach geht es wieder hinauf auf die Höhe der Steilküste. Von dieser bekommt man oben nichts zu sehen, dazubedarf es eines Abstechers nach links in einen der Küstenorte. Ich will aber erstmal vorankommen und verkneife mir das. Leider ist die Straße sehr verkehrsreich, man wird nicht nur von oben sondern auch seitlich von den vorbeirauschenden Autos und Lastwagen naß. Hinter Criel-sur-Mer geht es wieder über lange Serpentinen hinauf, die muß ich in einem schweren Wolkenbruch bewältigen. Danach hört der Regen endlich auf, und ich rolle nach Le Treport und Mers-les-Bains hinunter.


Hafen in Le Treport


Balkonkunst
Hier kaufe ich mir Pfirsiche, dann bewundere ich die romantische Ansicht des Hafens von einer Brücke aus. Auch der Ort ist sehenswert, die Häuser sind sehr malerisch. Zunächst auf einer Nebenstrecke geht es weiter, bis ich bei Lamotte wieder auf die Hauptstraße treffe. Gegen Mittag erreiche ich Saint-Valery an der Somme-Mündung.

Das ist ein historischer Ort, oben liegt eine mittelalterliche Befestigungsanlage, dort mache ich Mittagsrast. Einige "Schulbrote" und gekochte Eier von zu Hause muß ich opfern, die sind naß geworden oder machen einen zweifelhaften Eindruck. Ich bin ein wenig verfroren und erlebe plötzlich ein Stimmungstief. Ein paar Dextro und Bifis helfen mir so halbwegs auf die Beine, doch lustlos fahre ich weiter. Es geht über den Somme-Kanal und man muß die ausgedehnte Bucht der Somme-Mündung umrunden. Mit Schrecken sehe ich hinter mir im Westen eine rabenschwarze Wand aufziehen, ich befinde mich auf freier Strecke und sehe gar keine Unterstellmöglichkeit. Da bricht es auch schon los, kaum kann ich meine noch nassen Regenutensilien überstreifen. Geduckt geht es weiter, die Regentropfen bilden richtige Einschläge auf der geschlossenen zentimeterhohen Wasserfläche auf der Straße. Dieser Guß dauert zum Glück nicht allzulange aber da kommt das nächste Malheur, am Hinterreifen schlägt es durch, dann fahre ich auf der Felge. Also eine Panne! Auf einer matschigen Feldwegeinfahrt mache ich mich an die Reparatur. Pfützen gibt es genug, da läßt sich wenigstens das Loch im Schlauch erblubbern. Trotz der klammen Finger gelingt die Reparatur und ich fahre auf der noch nassen Straße weiter Richtung le Crotoy, das man - nun in dem vorigen Unwetter - voraus am Horizont liegen sieht. Bei der Reparatur war ich wohl etwas nachlässig, das Hinterrad hat einen Schlag, da die Reifendecke um das Ventil herum nicht sorgfältig genug eingepaßt wurde. Nochmal anhalten, Luft ablassen, Reifen ausrichten und wieder aufpumpen.

Leider komme ich danach wieder nur ein paar hundert Meter weit, da habe ich schon wieder einen Platten. Jetzt bin ich aber gleich dem Heulen nahe! Da ist ein Bach mit einer Brücke, hier geht es an die zweite Reparatur. Diesmal bin ich immerhin so schlau, auch den Reifenmantel zu kontrollieren und finde ein durchpiekendes Stückchen Split. Danach kann ich ohne weitere Behelligung weiterfahren. Immerhin habe ich das Bewußtsein, auch unter schwierigen Bedingungen eine Panne beheben zu können - wenn man es denn schon braucht. Noch vor le Crotoy geht es rechts ab Richtung Rue.

Trotz oder wegen der überstandenen Unannehmlichkeiten bessert sich die Stimmung und es geht flott voran. Man ist hier ein Stück von der Küste entfernt im Hinterland. Nach Rue geht es vorbei an Quend, eine Zeitlang fahre ich mit gleichem Tempo hinter einem bedreßten Möchtegern-Rennfahrer her. Der ist allerdings nicht ganz jung, trotzdem schaut er sich häufiger irritiert um. Dann trennen sich unsere Wege irgendwann. Schon am Spätnachmittag gelange ich nach Etaples, einem größeren Ort. Da es mir für heute reicht, möchte ich hier ein Quartier suchen. Das gelingt nicht, selbst am Bahnhof in einem wenig vertrauenerweckenden Etablissement versichern mir ebensolche Gestalten sowas wie "occupee", was ich dankend quittiere. Es geht ja auch ans Wochenende, vielleicht ist deswegen alles besetzt. Da muß ich schließlich mit gemischten Gefühlen weiterfahren. Bis Boulogne, das sind knapp 30 km, wird wohl keine weitere Übernachtungsmöglichkeit existieren. So ist es auch, mechanisch fahre ich vor mich hin, bis ich den Ortsrand von Boulogne erreiche.

Von rechts oben mündet eine steile Straße. Ich denke noch so über die Gefährlichkeit dieser Kreuzung nach, da höre ich hinter mir Reifen quietschen und ein gräßliches kratschendes Geräusch und sehe im Umdrehen einen Motorradfahrer vor einem Auto liegen. Helfen kann ich nicht und neugierig bin ich noch weniger. Ich werde nie erfahren, welche Folgen dieser Unfall gehabt hat.

In Boulogne gibt es viele Hotels - alle sind besetzt und man versichert mir, daß man kaum Quartier bekommen würde. Das liegt daran, daß in England die Schulferien zuende gehen. Infolgedessen sind alle Kontinentfahrer von der Insel geschlossen hier eingefallen, um am nächsten Tag mit der Fähre überzusetzen. Das ist hart, einigermaßen hoffnungslos fahre ich einfach weiter und stelle mir so eine Übernachtung im Freien vor. Dabei ist es sehr stürmisch, hoch schlagen die Brecher an die Mole im Hafen.

Bei einbrechender Dunkelheit erreiche ich Wimmereux, den nächsten Ort. Auch hier gibt es Hotels, also versuche ich nochmal mein Glück. Eine Pension mit verdächtig schummrig beleuchtetem Gastraum liegt rechterhand, trotzdem frage ich dort. Eine üppige Dame, die auf die Art dieser Herberge schließen läßt, spricht englisch und bedauert, mich nicht aufnehmen zu können. Ich bin überrascht, wie freundlich sie sich aber um mein Problem kümmert, denn sie ruft in einem Hotell schräg gegenüber für mich an. Die Auskunft ist positiv und ich soll mich dort melden. Aufatmend schiebe ich hinüber und finde mich dort an der Rezeption oder was man dafür zu halten hat, ein. Ein mittelaltes Frauenzimmer ist für die Zuteilung der Zimmer zuständig und komplementiert gerade gestikulierend und wortreich ein paar Leute aus Paris aus dem Hotel hinaus. Ich dagegen bekomme trotz meines sicher nicht geschniegelten Aussehens einen Zimmerschlüssel, selten war ich erleichterter. Auf dem Zimmer entdecke ich alle möglichen Defekte, die Tür läßt sich nicht schließen, das Waschbecken ist verstopft, auf der Leitung ist kein Druck, die Lampen sind bis auf eine defekt und was weiß ich noch alles. Das ist mir allerdings alles egal, eher finde ich das ungeheuer erheiternd, wie man mir nachfühlen wird.

Zum Abschluß finde ich auch noch ein nettes Lokal, wo ich mich stärken und bei einem Wein (oder war es Bier) still vor mich hinfeiern kann. In der Nacht wieder starke Regenfälle, wie wäre das wohl unter freiem Himmel ausgegangen?

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