Oder-Neisse-Radweg

15.7. - 20.7.2001

Königsetappe Oderbruch

Nach einem angenehmen Frühstück in dem nahezu hochherrschaftlichen Esssaal des Hotels Gallus starten wir bei besten Wetter recht zeitig. Wir sind sehr gespannt auf die "Schnitzeljagd", die uns erwartet. Die reguläre Strecke wäre für die nächsten 8 km wieder die Bundesstrasse. Wir halten uns stattdessen eng am Oderufer, bis der Deich endet. Der Deich geht hier nicht weiter, weil das Tal der Oder links durch einen kleinen Höhenzug begrenzt wird, dazwischen liegen die "Schwemmwiesen", die bei Hochwasser nicht passierbar sind. Der Weg verliert sich allerdings auch mehr und mehr in den Wiesen. Einmal müssen wir über eine schmale Brücke durch das Schilf und eine Einzäunung passieren. Und schon befinden wir uns inmitten einer Schafherde. Das kann Heidi gerade so ab, Kühe dürften das schon nicht mehr sein. Wir sind jetzt eingeschlossen zwischen Altarmen der Oder, meist heissen die "Alte Oder".

Da findet sich eine Furt nach links und ein Weg hinauf auf die Höhe. Wir bringen uns lieber in Sicherheit. An einer kleinen Düne vorbei landen wir nun doch auf der Hauptstrasse. Wenig später kann man dann noch einmal rechts abbiegen. Aber das ist wenig effektiv, weil man wieder ganz runter fährt und am Hang mit einer sehr artenreichen Vegetation durch den Sand kurven muss. Zum Ort Lebus alles wieder hoch und dann alles wieder runter an die Oder. Lebus ist ein hübscher Ort und am Anleger wollen wir rasten. Ein Fahrzeug vom Grenzschutz ist schon dort und eine Beamtin und ein Kollege bewachen die Grenze (das muss bei diesem Wetter richtig Spass machen).

Heidi entdeckt eine Bank und macht sich auf den Weg dorthin, Luftlinie direkt über ein Stück Grasland. Ich kurve gerade auf dem gepflasterten Weg, als ich einen Aufschrei höre. Und da wälzt sich auch schon alles durcheinander, die lila Packtaschen, ein paar braune Beine, das Fahrrad irgendwie dazwischen. "Haben sie sich was getan?" stürzt die Beamtin vom Grenzschutz heran, nun wird sie direkt einmal gefordert. Zum Glück ist nichts passiert, Heidi ist in einen fast unsichtbaren Elektrozaun aus Plastikbändern gerauscht. "Die hätte man ja auch besser markieren können" meint sie. "Da hat wohl keiner mit gerechnet, dass hier einer lang fährt" meine ich.

So haben wir eine Weile was zu lachen. Weiter geht es immer auf dem Deich. Links liegt eine Anhöhe, aber das sind noch nicht die berühmten Seelower Höhen, sondern das heisst hier Reitweiner Sporn. Die gelben Flächen davor sind Sonnenblumenfelder. Und nun ist auch bald Schluss mit lustig, denn ab hier sind die Deichbauarbeiten noch in vollem Gange. Wir finden uns in dem Ort Reitwein wieder. Dort ist gerade "Shopping Hour" angesagt. Da stehen drei Lieferwagen hintereinander, Bäcker, Fleischer und Obsthändler. Da können wir uns auch gleich versorgen und einen Schnack mit den Damen des Dorfes halten. Trotz mehrerer unterschiedlicher Wegeempfehlungen bin ich froh über die gestern erworbene Karte. Mit der Beschreibung der Radroute allein fährt man wie mit Scheuklappen und kann keine Ausweichrouten finden.

Wir schlagen uns nun mitten durch den Oderbruch bis Kienitz durch, das wieder an der Oder liegt. Hier gibt es eine Übernachtungsmöglichkeit, aber der Nachmittag hat noch nicht richtig angefangen. Wir wollen versuchen, noch bis Hohenwutzen vor zu stossen. Zunächst müssen wir uns wieder mit den Bauarbeitern herum schlagen. Ob man nicht lesen könne und so. An schwerem Baugerät vorbei klettern wir auf den Deich, wo man so leidlich oben auf dem Gras fahren kann. Danach geht es noch eine Weile ganz gut, aber dann ist Schluss und man findet sich an einem Ort wieder, der heisst Güstebieser Loose. Wenn man die Bauarbeiter fragt, wie die Lage ist oder so, dann kriegt man keine vernünftige Antwort. Die kommen alle von irgendwo, hausen für die Zeit der Bautätigkeit im Container und kennen die Gegend genauso weit, wie man sehen kann.

Wieder fahren wir nach unserer Karte, bis wir auf die Beschilderung der Ausweichroute stossen. Eigentlich hatte ich Bad Freienwalde im Visier, wo man verlässlich Quartier finden würde. Stattdessen fahren wir in der Gegend  Zäckericker Loose wie? Genau: im Zickzack. Hinter Neuküstrinchen folgt der Tiefpunkt. Heidi hat Angst um ihr Bein, das schmerzt ein wenig, vielleicht von dem Sturz. Wenig später kann man schon die Häuser der Ortschaften Alt- und Neuglietzen erkennen, wo man fast schon am Ziel ist. Und irgenwann kommen wir dort auch an, eiern noch ein wenig auf einem Sandweg rum, fragen die Einheimischen nach dem Hotel Zur Fährbühne in Hohenwutzen und müssen noch mal zwei Kilometer fahren. Und dann reicht es auch mal wieder.

Bei der Fährbühne checkt gerade ein anderes Paar vor uns ein. Wir belegen das zweite Zimmer. Das ist aber nicht immer so, da muss nur ein Bus kommen, dann guckt man in die Röhre - so erfahren wir später. Wenn man nun noch viel Energie hat, kann man über eine Brücke nach Polen tigern, da soll ein sehenswerter Markt sein. Am Oderufer ist auch eine Schautafel über das Jahrhundert-Hochwasser 1997. Da waren hier an mehreren Stellen die Deiche kurz vor dem Zusammenbrechen, die Wahrscheinlichkeit, sie zu halten, betrug nur 10 %. Aber man hat es geschafft.

(Während ich dieses schreibe, haben wir gerade die nächste Jahrhundertflut, diesmal an der Weichsel, aber auch ein bisschen an der Oder. Wie hätte da unsere Schnitzeljagd durch die Schwemmwiesen ausgesehen?)

Wir haben nur noch Energie für Vratislavo (Bier aus Tschechien), Schnitzel und Forelle. Das andere Pärchen am Nebentisch ist mit Lupe und Pinzette zugange und betreibt botanische Studien. Ich muss des öfteren an Heidi vorbei gucken, die kriegt schon wieder Lachanfälle.

Von Brandenburg nach Mecklenburg

Wir haben uns erkundigt: man kann ab hier wieder auf dem Deich fahren, die Bauarbeiten sind abgeschlossen. Der nächste Ort ist Hohensaaten und es gibt hier die Hohensaater Friedrichsthaler Wasserstrasse. Da kommt schon mal der eine oder andere Kahn vorbei. Wir fahren zwischen Kiefernwäldern und der weiten Oderniederung dahin, es ist Genussradeln auf dem höchsten Niveau. Vergeblich halten wir Ausschau nach einem Seeadler, der fehlt uns gerade noch. Wenn man mit Störchen, Graureihern und Kormoranen vorlieb nehmen muss, ist das aber auch nicht schlecht. Manchmal kann man auf der polnischen Seite ein verschlafenes Dörfchen entdecken, eines heisst Bielinek - geboren bin ich nämlich in Barlinek (Berlinchen).

In Stolzenhagen machen wir an der Brücke eine Rast. Da kommt schweissüberströmt ein anderes radelndes Ehepaar daher. Die machen ihre Touren vom Wohnwagen aus. Die sind auch ganz begeistert von der Landschaft. Sie hätten vor ein paar Tagen einen Schwarzstorch gesehen. Wir kontern mit unseren Kranichen. Wenig weiter in Stolpe gibt es einen alten Wachtturm mit 5 m dicken Mauern. Wer Lust hat, da rauf zu kraxeln kann das nachprüfen. Wir nähern uns so langsam der Stadt Schwedt. Die kennen wir schon, uns steht der Sinn nur nach der Touristen Info, um eine Karte der Gegend zu erwerben und evtl. ein Quartier vorzubuchen.

Der Angestellte dort telefoniert gerade in Sachen Leihauto, dann erkennt er aber "Ich muss Geld verdienen" und meint wohl, dass er uns zu bedienen hat. Und so ist es ja auch. Wir erwerben die Freizeitkarte Ückermark. Für die Übernachtung haben wir den Ort Penkun ausersehen, weil der so schön zwischen Seen eingebettet liegt. "Aber das liegt ja schon in Mecklenburg" ereifert sich der Herr. "Da sprechen die eine ganz andere Sprache. Da bleiben die Leute an der Strasse stehen, wenn ein Fremder erscheint." Das ist uns einigermassen neu. Immerhin werde ich mit dem Verkehrsbüro in Penkun verbunden, wo mir die Dame versichert, dass wir ohne Probleme ein Quartier finden würden. Immerhin.

Wir fahren weiter und ich muss eine neue Geschichte erzählen. Am Deich sind unzählige Löcher aufgeworfen, manche sind mit rot weissen Bändern markiert. In unserem Garten zu Hause haben wir zum Leidwesen von Heidis Rosen die Wühlmäuse. So komme ich nach einigem Nachdenken auf die Idee, dass man hier den Wühl- oder gar Bisamratten nachstellt, damit die nicht die Deiche untergraben. Wenig weiter steht dann auch ein Fahrzeug mit der Aufschrift: Kampfmittel-Beseitigungs-Dienst. Da kann man ja mal fragen. "Wenn das Wühlratten wären, könnten wir den Deich vergessen. Hier werden Metallrückstände gesucht". Mehr verrät man nicht, ob es sich um Splitter von den Kämpfen des Krieges handelt und warum man jetzt mehr als 50 Jahre später sich damit beschäftigt, das bleibt unklar. Man will ja auch nicht zu neugierig erscheinen. Die ganze Angelegenheit bekommt aber ihre Würze nun dadurch, dass wir am gleichen Abend einen Anruf von unserer Tochter Annika erhalten und sie uns mitteilt, dass in unserem Garten der Apfelbaum umgefallen sei, nachdem die Wühlmäuse die Wurzeln abgefressen haben.

Aber wir sind ja noch an der Oder, genauer gesagt an der Schwedter Querfahrt, so heisst der Nebenarm der Oder hier. Man überquert dann die Teerofenbrücke und fährt durch die Gartzer Bürgerheide, bis es wieder auf dem Deich der Westoder weiter geht. An einem schönen Fleckchen machen wir eine Rast und blinzeln über die Wasserfläche. Danach ist man gleich in Gartz. Hier geht es emsig zu, ein Parkplatz mit vielen Bussen, z.B. aus Nienburg, und man kriegt schnell heraus, hier geht es auf Butterfahrt. Da Polen noch nicht Mitglied in der EU ist, ist der zollfreie Einkauf noch möglich.

Sonst finden wir in Gartz nichts bemerkenswertes, höchstens die Kirche, da fehlt ein Teil vom Kirchenschiff. Gleich hinter Gartz ist der Weg abgesperrt wegen einer Baustelle. Da handelt es sich wohl um den Ausbau des Radweges und wir versuchen unser Glück. Der Weg ist zunächst nagelneu geteert, dann gepflastert, dann planiert. Und da stossen wir auch schon auf den Bautrupp. Das sind nette Leute und wir machen einen Schwatz. Hier kämen hunderte von Radfahrern durch, sagen die. Als wir weiter fahren, merken wir, dass die Gegend von Mücken wimmelt.

Der letzte Ort an der Oder ist Mescherin. Hier herrscht noch mehr Trubel wegen der Butterfahrten. Man kann mit dem Schiff bis Stettin gelangen, oder auch sich nur auf die andere Seite nach Gryfino (Greifenhagen) übersetzen lassen. Alles geschieht unter den gestrengen Augen der Zollbeamten. Einer kümmert sich gerade darum, dass keine Blätter durch das Geländer seines Anlegestegs wachsen, dann setzt er sich wieder auf sein Boot und bewacht die Oder.

Wir nehmen sozusagen Abschied von der Oder, und das bedeutet, es wird doch noch ein wenig bergig. Das liegt daran, dass hier die Eiszeit gewütet hat, und die hat nicht nur Urstromtäler sondern auch bis zu 50 m hohe Geschiebe (Moränen) hinterlassen.  Wir fahren zunächst auf der B 113 (wegen einer Baustelle in Staffelde), biegen dann aber in eine vielversprechende Allee ein. Der Weg ist grob geschottert bis sandig, trotzdem erhöht Heidi das Tempo, weil allerlei Viehzeug in der Luft herum schwirrt. Prompt springt ihr die Kette ab. Wir sind froh, dass wir in Tantow wieder eine reguläre Strasse erreichen. Aber auch da gibt es teilweise grobes Kopfsteinpflaster, so dass auch heute das letzte Teilstück unserer Tagesroute nicht so erfreulich wird.

Schliesslich können wir doch noch auf eine frisch angelegte Nebenstrecke ausweichen und geraten zwischen Kieskuhlen hindurch nach Penkun. Wir irren zunächst ziellos umher, die Info hat mittlerweile geschlossen. Auf dem Marktplatz frage ich eine ältere Frau, die vor ihrer Tür in der Sonne sitzt: "Gibt es hier eine Pension oder ein Gasthaus zum Übernachten?" "Ham wa nich" ist die Antwort. Wir versuchen, einmal die Kirche zu umrunden, aber das geht schlecht, da ist eine einzige Baustelle. Aber wie wir uns die Augen reiben, entdecken wir: Gasthaus zur Linde und Zimmer frei.

Der Rundgang führt uns in die Kirche, wo es mal gar nichts zu sehen gibt, ausser den Fotografien von anderen Dorfkirchen der Umgebung. Dann gibt es noch ein Schloss, wo man noch am Restaurieren ist. Der Ort leidet derzeit unter der Bautätigkeit, vielleicht lässt sich nach Abschluss dieser Arbeiten angenehmer bummeln. Der Reiz des Abendessens (Wildteller) besteht darin, dass man dieweil draussen einem Storch zusehen kann, der etwas vermickert auf einem ebenso mickrigen Nest kauert. Der Wirt erklärt: "Da ist eine Krähenkolonie in der Nähe und die Krähen holen im Frühjahr immer die Stöckchen von dem Storchennest weg". Wo gibt es schon Frieden auf der Welt?

Zum Oderhaff

Wir brechen auf zur letzten Etappe, vor der wir ordentlich ins Grübeln geraten sind. Wir trauen dem offiziellen Radweg nicht mehr so richtig, einmal schlängelt er sich ziemlich im Zickzack durch die Gegend, zum anderen sind mehrere schlechte Wegstrecken angesagt. Wir suchen auf der Karte eine Strassenverbindung "fast Luftlinie" aus und das bedeutet, man fährt direkt am Rande des Randower Bruchs über Orte wie Krackow, Glasow und Retzin. Es ist wieder ein wenig bergig, das lässt sich nicht vermeiden. Am Horizont tauchen ganze Batterien von Windrädern auf. Da fängt man ja immer gern an zu zählen, so an die 30 - 50 werden es schon sein.

In dem grösseren Ort Löcknitz halten wir uns nicht lange auf und biegen auf eine einsame Waldstrecke Richtung Rothenklempenow ab. Die ist vorbildlich asphaltiert. Man kann sich vorstellen, dass vor allen diesen Strassenbaumassnahmen oder gar zu DDR-Zeiten diese Strassen mit dem Fahrrad nahezu unbefahrbar waren. Einmal sehen wir kurz vor der Ortschaft Grünhof oder Glashütte einen blumenverzierten Baum mit Teddybären usw. Wir wissen nicht, welche Tragödie sich hier abgespielt hat. Wenig vorher hatten wir schon eine Gedenktafel für zwei Schwestern gesehen, die hier am Strassenrand ihr Leben liessen.

Inzwischen sind wir wieder auf dem offiziellen Oder-Neisse-Radweg, der hier auch auf der Strasse nach Hintersee entlang führt. Auf der Landkarte offenbart sich deutlich: hier ist ein verlandeter See, der heisst Seegrund und da grasen heute die Kühe. Nur ein kleiner Tümpel ist noch von dem See übrig. Der Ort Hintersee ist entlang der Strasse angelegt. Bemerkenswert die Ausstattung mit Laternen, da hat man sich wohl beim Soli gut bedient. Um nicht auf der grob gepflasterten Strasse zu fahren, muss man auf dem Gehweg zielgenau um die Laternenmasten herumkurven. In einem Hinterhof können wir einkaufen. Diese Art von Einkaufsläden werden immer seltener und die wenigen, die man noch antrifft, werden immer netter. Wir fragen nach dem weiteren Weg und erhalten die beste Auskunft, dass es nämlich auf einer alten Eisenbahn weiter geht.

Das ist der Bahndamm der ehemaligen Randower Kleinbahn von Randow nach Neu Warp. Hier ist das Radfahren wieder ein Hochgenuss, besonders als man direkt zwischen den Stämmen der Kiefernbäume hindurch fährt. Hin und wieder sind noch ein paar alte Schilder oder Signale der ehemaligen Eisenbahn aufgestellt. Schliesslich endet das ganze in Rieth am Neuwarper See. Dort ist ein grosser grasbewachsener Dorfplatz. Als Besonderheit kann man eine ausgediente Freiluftkegelbahn bestaunen. Wer sich näher für die Kleinbahn interessiert, findet auch ein Museum zu dieser Angelegenheit. Wir fahren weiter und bekommen erstmals die "See" zu Gesicht, wobei es sich natürlich nur um den Neuwarper See als Teil des Stettiner Haffs handelt. Dann geht es auf einem unbefestigten Weg durch den Wald nach Warsin. Hier endet der Radweg offiziell.

Auf der Landstrasse fährt man weiter nach Bellin. Der "Strand" hier ist wenig einladend bis nicht vorhanden. Wir gucken uns eine Bucht an wo ein ungemütlicher Wind vom Wasser her weht. Ein älterer Herr müht sich mit einem Surfsegel ab, das ihm immer wieder entgleitet. Lieber fahren wir weiter nach Ückermünde, mal sehen, was einen da erwartet. An einer Kreuzung steht: Industriehafen, Zollabfertigung, Vollzugsanstalt. "Tolle Gegend" denkt man da so bei sich. Das Touristenbüro in Ückermünde hat schon geschlossen, dummerweise ist heute gerade Sonnabend. Aber im Schlossmuseum kann man ein Quartierverzeichnis bekommen. Alles weitere muss man allein machen, also muss das Handy wieder ran. Das sieht nicht gut aus. Überall ist belegt. Am Hafen ist das Hotel Pommernyacht. Da kann man ja auch mal fragen. Ein freundlicher Herr bedauert, man habe schon viele weggeschickt, alles mit Bussen belegt.

Und dann kriegen wir doch noch eine Unterkunft: Zur Grünen Heide, da ist ein Bungalow frei geworden, weil jemand abgesagt hat. Da haben wir wieder mal Glück gehabt, auch wenn es die letzte Gegend ist (s.o.). Der Bungalow ist auch etwas muffig aber besser als ein Bushäuschen oder Strassengraben. Von da aus machen wir die notwendige Erkundung, stellen fest, wo der Strand ist - und der macht einen sehr schönen Eindruck. Nicht weit davon liegt Pension Cafe Peters, die haben ab morgen frei, das fassen wir erst einmal ins Auge.

Der Abend wird dann doch noch ganz schön, frisches Zanderfilet steht auf der Speisekarte.
 

Badetage in Ückermünde

Wir frühstücken unter einem Sonnenschirm, und damit beginnt der Tag schon einmal erfreulich. Dann rufen wir im Cafe Peters an und sichern uns die freie Ferienwohnung. Eine halbe Stunde später sind wir schon selber dort, um das Gepäck abzustellen. Wir bekommen eine wunderschöne Dachwohnung mit Balkon, und die ist incl. Frühstück immer noch billiger, als alle Hotel-Übernachtungen bisher.

Nun können wir unbeschwert weitere Erkundungen anstellen und fahren erst einmal hinein nach Ückermünde. Vom Strand gibt es gibt es einen schönen Radweg dorthin, der geht immer schnurgeradeaus parallel zur Mündung der Ücker.  Dort fährt manchmal ein Schiff durch die Wiesen - jedenfalls sieht es so aus. Nach angenehmer Fahrt kommt man direkt am Hafen raus. Dort stromern wir ein wenig herum, inspizieren die Butterfahrtschiffe und freuen uns über jeden ankommenden Bus. Wieder einer aus Nienburg. Wir sammeln ein paar Prospekte für Bootsfahrten ein, doch dann rauschen wir ab zum Strand.

Der Strand von Ückermünde ist gegen unsere Erwartungen wunderschön. Damit wir ihn auch benutzen können, kaufen wir uns zwei billige Strohmatten - Badetücher haben wir in unserem Radgepäck gerade nicht dabei. Wir schlagen uns ein wenig nach rechts bis zum Beginn des Hundestrandes. Dort kann man dann - nur mit der Kamera bekleidet - das allfällige Strandbild hinüber zum Leuchtturm schiessen. Um die Ecke ist noch ein kleiner Fischerhafen, auch dort kann man schöne Fotos machen - diesmal allerdings wenigstens mit Hose an.

Das Wasser des Stettiner Haffs ist weniger verlockend. Es ist braun und die Sichttiefe beträgt nur wenige Zentimeter. Es ist auch eine Anzeigetafel der Schadwerte angebracht, natürlich werden sämtliche Grenzwerte weit unterschritten. Andere Badegäste versichern einem dann sogar, dass das Wasser besser sei als das der offenen See. Da haben wir allerdings auch etwas über Blaualgen usw. gelesen. Jedenfalls halten wir uns mit dem Baden etwas mehr zurück als sonst und widmen uns den Kreuzworträtseln von Heidis Intelligenzblättern. Man kriegt den Tag so auf sehr angenehme Weise herum - genau so hatten wir es uns vorgestellt: erst Radfahren und dann Urlaub machen (der alte Spruch). Dass wir dann so ein Glück mit dem Wetter haben, das haben wir uns verdient.

Zum Abendessen bleiben wir unserem Cafe Peters treu. Man kann angenehm unter Sonnenschirmen sitzen, speisen und sich wundern, wie schnell die Biergläser leer werden. Wir hören eine Diskussion des Hausherrn mit einigen Gästen am Nebentisch mit an. Da geht es um den Verkehr, der von und zum Strand direkt am Haus vorbei führt. Leider benehmen sich die meisten Zeitgenossen sehr undiszipliniert und benutzen ihr Gefährt mehr als Statussymbol. Dazu gehören die Technomusik (Wumm-wumm-wumm...) und ein entsprechender Sound des Antriebsaggregats. "Das ist nun Demokratie" ist die bemerkenswerte Einsicht der leidtragenden Erholungssuchenden. Aber manche Gäste kommen dann nicht wieder, z.B. musste das Hotel am Strand schliessen, weil in der Nacht zu viel Lärm herrschte. Später vom Balkon aus zähle ich in 5 Minuten 25 Autos, fast ausnahmslos Einheimische, die sich zum abendlichen Strandtreff einfinden. Wenn man die Balkontür schliesst, ist Ruhe.

Am Montag Morgen ist es bedeckt und wir brechen auf für eine Butterfahrt. Z.B. nach Kamminke auf der Insel Usedom, das hört sich nett an. Da muss man schon vor 9 Uhr am Hafen sein, das Schiff liegt schon bereit. Zuerst durch die Passkontrolle, die nimmt man hier genau, weil - wie man weiss - die polnische Grenze von vielen Grenzschleppern genutzt wird. An Bord fragen wir lieber erst, wie die Fahrt so abläuft: also da sässe man ja stundenlang in dem Weltort Kamminke fest? "Und was könnte man da machen?" Achselzucken! Fluchtartig sind wir wieder von Bord, an der Passkontrolle kennt man uns schon. "Fahren sie doch um 10 Uhr nach Neuwarp" schlägt man uns sogar vor. Dann machen wir also das.

Also kurz vor 10 Uhr ein weiteres mal durch die Passkontrolle und an Bord des nächsten  Schiffes, da sitzen schon eine Menge Fahrgäste beieinander. Man muss eine Fahrkarte für DM 4.- lösen, die gilt dann allerdings das ganze Jahr. Bald gleiten wir nun auf dem Mündungskanal der Ücker durch die Wiesen. Am Leuchtturm vorbei erreicht man das Oder-Haff und es geht in Richtung Osten an der Küste entlang. Bald sehen wir auch den Weltort Kamminke von der Haffseite aus. Vielleicht wäre es dort doch ganz interessant geworden, aber dann wäre nach der rueckfahrt keine Zeit für den Strand übrig geblieben. Nach gut zwei Stunden Fahrt passieren wir Altwarp, dort liegen eine Reihe von Butterschiffen im Hafen, auch einen Busparkplatz gibt es usw.

Quer über den Ausgang des Neuwarper Sees schippert man an Kormoranen, Möwen und anderem Fischreusen vorbei schliesslich auf Neuwarp auf der polnischen Seite zu. Also das mit dem Alt- und Neu-, das könnte man dem Aussehen der beiden Orte nach glatt vertauschen. In Neuwarp ist alles ziemlich verschlafen, ein paar Fischer bosseln an ihren Gerätschaften herum, das geht alles ohne Hektik. Leider werden wir nur kurze Zeit an Land gelassen, in der Zeit kann man den Ort nicht besuchen. Stattdessen geht es durch die Passkontrolle, für 10 Minuten in einen basarähnlichen Billigmarkt, ein paar Kirschen, ein paar Gurken für die Fahrt, dann wieder durch die Passkontrolle und an Bord, hollerdipolla. Was man nun noch billig erwerben will, das kauft man in dem Supermarkt an Bord als "grosse zollfreie Transitration".

Wenn man einmal abgesehen vom Supermarkt kalkuliert, was im Laufe von über fünf Stunden an Bord so alles verzehrt wird, dann leuchtet es einem ein, dass ja wohl kaum ein Restaurant unter besseren Bedingungen arbeiten kann. Wer setzt sich schon fünf Stunden in ein Lokal. Also laufen diese Butterunternehmungen offenbar höchst rentabel, leider wohl nur noch, bis Polen Mitglied in der EU (Osterweiterung) wird, aber wann mag das sein?

Es ist inzwischen sonnig geworden, und so findet man uns nach der Ankunft alsbald am Strand wieder, wo wir weiter "Urlaub" machen. Bis zum Abend. Cafe Peters hat heute Ruhetag. Wir essen wir für heute im Strand-Imbiss, was sich Mecklenburgisch-Schwäbisch-Bayrisch zu präsentieren versucht. Versucht!

Danach fahren wir noch auf ein Bier nach Ückermünde, wo man in der letzten Sonne auf dem Marktplatz sitzen kann. Das ist sehr gemuetlich, wenn nicht gerade ein Bau- oder Schaustellerfahrzeug durchfährt. Am nächsten Wochenende finden die Hafftage statt, und da ist dann schon etwas mehr los. Leider werden wir auch Opfer dieser Veranstaltung, weil wir unser Quartier am Donnerstag räumen müssen - gern wären wir noch bis zum Wochenende geblieben.

So ist dann auch von den beiden verbliebenen Tagen am Strand weiter nichts mehr zu berichten. Wenn man "Urlaub" macht, passiert eben nicht immer so viel Aufregendes.

Die Heimfahrt ist diesmal nicht so ganz ohne Würze. Wir brauchen von rechts wegen nur zweimal umsteigen: in Pasewalk und Dessau. Allerdings handelt sich der Zug bereits hinter Pasewalk wegen eines Weichenschadens eine so grosse Verspätung ein, dass der Anschlusszug in Dessau weg ist. Ersatzweise fährt dann aber ein RE wenig später nach Magdeburg. Und dort können wir sogar einen IC besteigen. Mir schwant allerdings nichts gutes, als sich die Schaffnerin nähert - sogar im Doppelpack mit einer Vorgesetzten. Also wir hätten weder Sonderzuschlag noch Fahrradreservierung und das macht dann... - aber da sind wir schon auf achtzig, besonders Heidi, wegen der Verspätung und so. Ja, das hätte man sich bestätigen lassen müssen. Bevor die Stimmung so recht den Höhepunkt erreicht, ziehen die beiden Damen lieber achselzuckend weiter. Wir erreichen Braunschweig Hbf nur wenige Minuten spaeter als geplant.

So, nun sind wir wieder zu Hause, der Apfelbaum wandert in den Schredder und wir verfolgen die Berichterstattung über das neuerliche Jahrhunderthochwasser an der Weichsel oder den Ausbruch des Aetna. Und im Fernsehen (N III) wird ein ganzer Samstag-Abend Bemerkenswertes über Ücker und Ückermuende, Penkun, Alt- und Neugarz, Torgelow und Eggesin gesendet. Da kommt uns manches bekannt vor.

Zwei Wühlmäuse sind inzwischen auch schon in die Falle gegangen...


Kapitel1
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