Montag, 5.7.
Am nächsten Morgen reisen wir weiter. Der Chef erzählt uns noch,
daß er aus Thüringen sei, und daß das Gebäude dahingehend
verschönert werden soll, daß alles der romantischen Umgebung gerecht
wird.
Heute durchfahren wir wieder ein Landschaftsjuwel, die Seenplatte
zwischen Neustrelitz und Rheinsberg. Das sind lauter kleinere Seen,
die verträumt zwischen Wäldern liegen. Sie sind fast alle irgendwie
miteinander verbunden, wer hier mit dem Paddelboot unterwegs ist,
kommt auf seine Kosten.
Dafür sind die Straßen weniger gut, einsam und sandig. Oftmals
heißt es wieder, das Rad zu schieben. Bei Fleeth am Vilzsee liegt
eine alte Sägemühle. Das Mühlrad befindet sich im Inneren des
Gebäudes und ist nur durch ein Fenster zu sehen. Ich mache von einem
Steg ein Foto von der seerosenbedeckten Wasserfläche.
An einer Schleuse schauen wir zu, wie ein Paddelboot abngeferigt wird.
Eine Frau bedient die Schleusentore, anscheinend kostet das Ganze
nichts.
Mittags erreichen wir Rheinsberg mit dem durch Tucholskys Roman
berühmten Schloß. Von weitem sieht es gut aus, von nahem durch
abblätternden Putz wie ein Streuselkuchen. Besichtigen kann man es
derzeit auch nicht. Aber man arbeitet daran.
Wir wenden uns nun nordöstlich durch endlose Wälder. In Neuglobsow
kommen wir an den Großen Stechlinsee. Dieser ist nun wiederum
berühmt durch Fontane. Ich habe den Stechlin erst vor einiger Zeit
gelesen und war nicht so begeistert. Es werden viele schöngeistige
Gespräche geführt, die einen heute nicht mehr vom Hocker reißen.
Dem See ist das wohl wurscht. Er liegt still, von Wäldern umgeben.
Mit zwei aneinandergepaßten Fotos versuche ich ein Panoramabild.
Die Restetappe führt uns nach Gransee. Hier gibt es eine Stadtmauer,
wir versprechen uns wieder ein malerisches Städtchen. Durch das
Neuruppiner Tor fahren wir hinein in den Ort. Die Suche nach einem
Informationsbüro verläuft vergebens. Das Büro hat man aufgelöst,
das sei eine ABM-Stelle gewesen, erfahren wir bei der Lokalzeitung
neben der Kirche.
An der Hauptstraße gibt es das Hotel Lindenhof, da fahren wir nun
hin. "Restaurant ab 18 Uhr geöffnet" steht an der Eingangstür. Da
müssen wir uns irgendwie hintenherum Eingang verschaffen, was auch
nach einigen Versuchen gelingt. Wir bekommen ein Zimmer nach hinten
raus, wo man vom Verkehrslärm verschont ist. Auch dieses Hotel ist
tip top renoviert, alles nach dem neuestem Stand.
Ein mittelalterliches oder historisches Ortsbild hat Gransee nun
gerade nicht. Aber es bietet ein geschlossenes Bild einer typisch
märkischen Kleinstadt aus Ackerbürgerhäusern. Das ist irgendwo zu
lesen. Bemerkenswert ist der Schinkel Platz, früher Marktplatz. Dort
steht ein von Schinkel entworfenes Denkmal für eine Landesregentin
namens Viktoria Wilhelmine oder so. Die huldigende Inschrift auf dem
Denkmal endet mit der traurigen Mitteilung: "Oh Jammer, sie ist
hin".
richtig:
"Dem Andenken der Königin Luise Auguste Wilhelmine Amalie von
Preußen,
Geboren den 10. März 1776, gestorben den 19. Julius 1810.
Nachts den 25.
Julius stand ihre Leiche hier."
und ferner:
"An dieser Stelle sahen wir jauchzend ihr entgegen, wenn sie, die
Herrliche in milder Hoheit Glanz mit Engelfreudigkeit vorüberzog"
und:
"An dieser Stelle hier, ach, flossen unsre Tränen, als wir dem stummen
Zug betäubt entgegensahen: o Jammer, sie ist hin"
Wie wollen wir unsere Tour nun abschließen? Freund Wener M. in Berlin
ist telefonisch zunächst nicht erreichbar. Ich schlage die
Weiterfahrt bis an die Oder vor, darüber ist Heidi weniger
begeistert. Sie baldowert ein paar Dachgeber-Adressen in Berlin-Mitte
aus. Da ist alles vertreten, von der Wohngemeinschaft, über
Gartenhäuser, Prenzlauer Berg oder Alexanderplatz bis zur
Hausbesetzung. Ehe wir uns auf so ein Abenteuer einlassen, erreichen
wir Werner aber doch noch und können die oft ausgesprochene Einladung
nach Berlin nun endlich wahrnehmen.