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Mittwoch, 30.6.

Heute soll's auf Mecklenburg zu gehen. Vielleicht finden wir einen hübschen Ort für ein paar Tage. Anvisiert ist Malchow, das liegt zentral zwischen den großen Seen der Mecklenburger Seenplatte.

Heidi schlägt persönlich einen Umweg vor, zwei Attraktionen auf der Strecke: das Kloster Heiligengrabe und Burg Freyenstein. Auf dem Weg nach Heiligengrabe passieren wir das Industriegebiet, einige Hallen sind im Bau. Sonst hat Mecklenburg Vorpommern größte Schwierigkeiten mit der Ansiedlung von Industriebetrieben, das hier ist schon die Ausnahme.

Heiligengrabe: wir streifen auf dem Klostergelände herum, hier hausen Diakonissen, hoffentlich stechen die nicht. Eine bekommen wir auch zu Gesicht, kenntlich durch eine große Haube. Die alten Klostergebäude liegen verträumt zwischen den Bäumen. Alles ist sehr einsam, und das genießen wir.


Kloster Heiligengrabe
Nun geht es direkt nach Norden, der Wind liegt wieder sausend auf den Ohren. Die Strecke ist sogar bergig, mehrere "Hunderter" werden passiert. Das sind alles Endmoränen aus der Eiszeit. Kennzeichnend ist auch, daß nach den Anstiegen die Bergabfahrten meistens auf einer mit Feldsteinen gepflasterten Straße stattfinden, wo nur durch kräftiges Bremsen ein Gabelbruch verhindert werden kann. Namentlich in den Ort Freyenstein mit gleichnamiger Burg kann nur sehr behutsam eingefahren werden.

Wieder haben wir eine Rast verdient und lagern uns im Burgpark. Von der Burg ist nicht viel übrig. Ein stehengebliebenes Turmgebäude fällt durch seine kunstvollen Ziegelornamente ins Auge.


Burg Freyenstein


Dorf ohne Autos
Hinter Freyenstein passieren wir die Grenze Mecklenburgs. Ein Getreidefeld mit üppigen Mohnblumen entläßt uns aus Brandenburg. In einem Ort ist tatsächlich kein Auto zu sehen. Da machen wir doch gleich eine weitere Rast. Bei dem Tante Emma Laden muß man die Klingel betätigen, um den Ladeninhaber aus den hinteren Gemächern heranzuholen. Mit zwei Cola sind wir dabei. Auf dem Ortsplatz ist ein Arbeiterpaar mit der Rasenpflege beschäftigt. Das geht alles nicht so hektisch zu - bald rasten auch sie.


Kirche in Dammwolde
In Dammwolde entzückt uns wieder ein hübsches Kirchlein, diesmal ist das Gebäude in Fachwerk und der Turm aus Holz erbaut. Vor Stuer mündet unsere Strecke auf die B 198, die wir aber bald wieder verlassen können. Nun nimmt uns der Wald am Plauer See auf, der Wind hat das Nachsehen. Den See bekommen wir erstmal überhaupt nicht zu Gesicht. Auch touristisch tut sich wider Erwarten gar nichts, Suckow und Zislow, da ist der Hund verfroren. In einem Wegelokal leisten wir uns ein Würstchen. Ein Ehepaar aus Hannover ist auch da, die machen hier irgendwo Camping und heute eine Wanderung. Auch sie preisen die Ruhe rings umher.

Nun gilt es noch einen ungewissen Waldweg zu bewältigen. Da herrscht purer Sand vor. Wo unsere bepackten Radkamele ins Schlingern geraten, heißt es Schieben. Unversehens erreichen wir den "Lenz", vor uns die Weite des Plauer Sees. Ein kleiner Badestrand und Liegewiese sind einladend, aber wir wollen ans Ziel: Malchow. Das sind noch 4 km, 75 km haben wir heute zurückgelegt, bei dem Gegenwind gar nicht so ohne.

Malchow empfängt uns mit seiner Rückseite, das sind die allgegenwärtigen Siedlungen in Plattenbauweise und verlotterte Anwesen. Da wird man schon wieder skeptisch, ob wir hier auch richtig sind. An der Kirche vorbei, auf der belebten Ortsdurchfahrt hinunter an die Drehbrücke am Malchower See. Dahinter liegt der alte Ortskern auf der Insel, die seit 1928 durch einen Erddamm mit dem jenseitigen Ufer verbunden ist.

Am kommenden Wochende sollen die Malchower Festtage stattfinden, ob wir da überhaupt ein Quartier bekommen?

Die Quartiervermittlung liegt direkt an der Brücke. Eine andere Radtour taucht auf, also schnell hinein, ehe die uns das Quartier wegschnappen. Die Informationsdame telefoniert gerade: "Nein, nichts zu machen, Juli/August, alles ausgebucht". Da rutscht einem das Herz in die Hose. Wir murmeln was von vier Tagen, die wir bleiben wollen. "Na, da woll'n wir mal" ist die freundliche Antwort, ein Blick in den Computer, dann wird eine Privatadresse angerufen. Ob es auch für nur drei Tage gehe, ob wir evtl. auch das Zimmer wechseln würden? Sicher doch, wir machen alles mit. Also dann, gleich um die Ecke, Familie Müller, Mühlenstraße 56.

Frau Müller empfängt uns, als seien wir alte Stammgäste. "Bis Sonntag, das kriegen wir schon hin". Die Wohnung: Wohnzimmer mit Fernseher und Küchenteil, dahinter das Schlaf und Badezimmer. Am Sonnabend müßten wir nur leider in das Gartenzimmer umziehen. Ob wir das auch gleich mal ansehen könnten. Und das ist es, was wir suchen. Die Gartenwohnung mit sonnenüberfluteter Terrasse, ein großer und gepflegter Garten schließt sich an. Himmlische Ruhe! Wir jauchzen geradezu auf. Da wollen wir doch wohl gleich einziehen. Das versteht Frau Müller gar nicht. Eine Familie aus Hamburg, ja, die hätten das auch schon viel schöner gefunden. "Und meine schöne Wohnung" klagt sie fast, die sei nun wieder vakant, aber nur für zwei Tage, dann kommen Gäste aus Rostock.

Herr Müller bosselt derweil in seiner Werkstatt. Darüber befindet sich ein Hinterhofschuppen aus altem Fachwerk. Wie ich mir das so ehrfürchtig ansehe, wird Herr Müller aufmerksam, "Sie schauen da so hoch, das wird noch ausgebaut". "Das sieht so romantisch aus" gebe ich zur Antwort, in der Hoffnung, daß er das auch so sieht. Das ist durchaus der Fall, es soll alles fachgerecht ausgebaut werden, eine weitere Ferienwohnung ist geplant.

Wir schnappen endlich unser Gepäck und beziehen das Gartenetablissement. Für vier Tage, da können wir uns ja richtig häuslich einrichten. Die zerknautschten Klamotten wandern in den Schrank, viel Arbeit haben wir damit nicht.

Als nächstes: Ortsbegehung. Wie ist man immer gespannt, einen neuen vielverheißenden Ort zu erkunden. Auch müssen wir uns mit Lesestoff versorgen, vier Tage, da hat man ja massig Zeit. Im Buchladen werden wir fündig. Heidi spendiert sich einen Roman von H. Courths Mahler: "Durch Liebe erlöst". Dadurch beflügelt, findet sie auch für mich gleich das richtige, sogar das Superrichtige: "Damals in Mecklenburg" von einem Peter Jokostra. Nie davon gehört. Auf dem Buchdeckel ist zu lesen:

Das Mecklenburg, wie es hier lebt und ackert, gibt es nicht mehr.

Oder:

aus diesem Roman spricht die tiefe Liebe zum kargen, sandigen Mecklenburg mit seinem hohen blauen Himmel, seinen schlichten Seen und Heiden, seinen bodenständigen, hart arbeitenden Menschen.

Nicht weiter auszuführen, daß ich dieses Buch in den nächsten Tagen geradezu inhaliere, zumal es genau in dieser Gegend zwischen Malchow, Waren und Teterow seinen Schauplatz hat. Heidi ist mit ihrer Kotz Mahler auch zufrieden.

Die weitere Ortsbegehung ist erstmal mehr ernüchternd. Positiv ist: der Massentourismus hat hier im Herzen der Seenplatte noch nicht so sichtbar seinen Einzug gehalten. Negativ: die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung. Früher das "Manchester" von Mecklenburg wegen der Textilindustrie, die nun danieder liegt, sind heute 80 % der Einwohner arbeitslos. Leider sieht man das dann auch hier vielen Häusern an, die dringend eines erhaltenden Eingriffs bedürfen. Viele Haussockel sind mehr oder weniger schön mit Kacheln verkleidet. Heidi muß mich immer weiterzerren, wenn ich mit abgenommener Brille die Fugen inspiziere, die Arbeit mit der Terrasse zuhause wirkt noch nach.


Insel Malchow
Romantischer bietet sich Malchow von der Seeseite aus. Bootshäuser und Anlegestege, verwinkelte Anbauten und die Gärten, die bis an den See heranreichen.

Schließlich zollen wir wieder dem Leiblichen Tribut und speisen im Cafe am See, der kühlen Witterung wegen aber im warmen Stübchen. Ein paar Unentwegte kommen herein und bestellen für draußen vegetarische Kost. "Körnerfresser" sagt Heidi.

Die Bedienung ist wohl frisch angelernt, etwas unbeholfen und nicht über die Gerichte informiert. Das Essen ist auch nicht so doll, aber das kann uns die Laune nicht verderben. Wir lassen den Abend - wo auch anders - auf unserer Gartenterrasse ausklingen und machen noch ein Pläuschchen mit den Müllers.

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