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2. Tag, Samstag

Der Morgen beginnt trübe aber lautstark. Heidi findet heraus, daß sich in der Palme vor unserem Balkon über Nacht ein Spatzenvolk einzuquartieren pflegt. Da wird sowohl abends als auch frühmorgens mit lautem Spektakel eine Konferenz abgehalten, in der es - der Lautstärke nach - um wichtige Dinge zu gehen scheint. Meistens aber schlafen wir noch so fest, daß wir uns an der Spatzendebatte nicht beteiligen können. Außerdem sprechen wir kein Spanisch. Um munter zu werden, begeben wir uns in die Schwimmhalle, sowas hat man natürlich auch hier. Das Wasser ist aber unangenehm kühl, jedenfalls für mein Empfinden. Die drei Schwimmzüge, die man hier machen kann, werden mir auch schnell zu langweilig, nach sechs Zügen bin ich schon wieder draußen. Heidi schwimmt noch eine Weile wacker im Kreis herum.

Vom Frühstück kann man nicht allzu begeistert sein. Tee muß man sich selber kochen (mit Teebeuteln). Der Kaffee schmeckt gar nicht. Nur der Cappucchino läßt sich trinken. Ein "Drei Minuten Ei" zergeht auf dem Löffel, kann eigentlich nur ausgetrunken werden. Ein "Fünf Minuten Ei" ist etwas besser. Manchmal gibt es auch Spiegel- oder Rührei oder gebratenen Speck. Lecker ist der Kuchen, der - in Servietten eingewickelt - sich gut in der Handtasche verstauen läßt.

Da die Sonne nicht scheint, gehen wir in den Ort, bummeln und gucken in die Schaufenster. Wenn nur der tosende Verkehr nicht wäre. Einmal fange ich eine Bemerkung von zwei älteren Damen auf: "Das ist ja alles teuer hier!" Die andere entgegnet: "Aber wenn man es umrechnet, ist es genauso teuer wie bei uns". Da könnte man stundenlang zuhören.

Was kann man nun sonst unternehmen. Paguera ist schnell abgelaufen, einen alten Ortsteil gibt es gar nicht, fast alle Gebäude sind Hotels. In dem "Hapimag-Wanderführer" steht der folgende bemerkenswerte Satz:

"Das Straßennetz von Paguera wirkt wie das Araberviertel der Altstadt von Jerusalem".

Da muß sich einer vertan haben. An einer Bushaltestelle kommen wir mit einem Ehepaar ins Gespräch. Die waren schon mal im Nachbarort namens Andraitx (sprich Andratsch). Dort habe es ihnen zwar nicht so gefallen, aber der Weg zum Hafen Porto Andraitx sei sehr schön. Na machen wir das doch, da kommt ja schon ein Bus. Aber der hält trotz der Winkzeichen nicht, hier hat jede Buslinie eine andere Haltestelle, wir stehen gerade an der falschen. 200 m weiter ist die richtige. Bis wir dort sind, sind noch nicht alle Fahrgäste eingestiegen, so kommen wir doch noch mit diesem Bus mit.

Bei der Anfahrt über einen Paß sieht man Andraitx vor sich in einer fruchtbaren Talebene liegen. Hier wachsen - wie überall auf Mallorca - die Mandel-, Öl-, Feigen-, Johannisbrot- Apfelsinen- und Zitronenbäume.


Andraitx

Der Ort wirkt altertümlich, hier hat man die Gegend nicht durch Hotelbauten verunziert. Komischerweise sind fast alle Fensterläden geschlossen, das ist wohl spanische Lebensart, damit die Wärme nicht so in die Häuser zieht. Vielleicht auch sind die Häuser unbewohnt oder die Räume unbenutzt - wir rätseln. Dann steigen wir hinauf zur Kirche, die ist leider auch verschlossen. Aber der Blick hin zum Meer, wo Porto liegt, ist sehr reizvoll. Durch ein paar Gassen mit echt spanischem Flair, da ist man ja schon dankbar dafür - erreichen wir den Wanderweg nach Porto.

Der Weg führt windungsreich durch Gärten und kleinere Anwesen. Es ist interessant, wie sich jeder eingerichtet hat, vieles wirkt fremdartig durch die andere Vegetation und Bauweise. Überall die Trockenmauern, die oftmals auf die Zeit der Besetzung durch die Araber etwa vor dem Jahre 1000 zurückgehen. Durch die Mauern hat man die Berghänge terrassenförmig gegliedert, um den Abtrag durch Regenfälle und Bäche zu verhindern.


Altes Gemäuer

Die Bäume hängen voll von Apfelsinen und Zitronen. In den Läden kauft man die Apfelsinen spottbillig, die besten und billigsten haben wir in Paguera an der Promenade gekauft: 1 Kg zu 20 Peseten = 30 Pfennig. Dafür sind sie weit saftiger als die bei uns zu Hause importierten, oft hängen auch noch ein paar Blätter an der frisch geernteten Frucht. Auf unserem Wanderweg finden wir einen abgerissenen Zweig von einem Zitronenbaum, da darf man etwas plündern. Eine Zitrone esse ich gleich auf: sie ist sauer aber gut gegen den Durst.

Auf dem weiteren Weg passieren wir gut ausgebaute Anwesen, ehemalige Fincas = Bauernhof. Vielfach haben Deutsche sich hier einquartiert. Die Lage so eines Hauses ist traumhaft, auf der einen Seite die Bucht von Porto und das Meer dahinter, auf der anderen die Kulisse der mallorquinischen Berge, die bald auf 1000 m ansteigen, die höchste Erhebung liegt über 1500 m. Wenn man freiberuflich tätig wäre oder bereits pensioniert, hier ließe es sich leben, weit weg von den grausigen Wintertagen in Nordeuropa. "Hier putzt Du genauso Fenster wie zu Hause" sage ich zu Heidi, um diese Vorstellungen nicht zu sehr ins Romantische abgleiten zu lassen.

Unter diesen Erwägungen haben wir gar nicht mehr auf den Weg geachtet und finden uns plötzlich auf der Hauptstraße wieder. In der verbleibenden Entfernung bis Porto täuschen wir uns auch, wohl eine halbe Stunde müssen wir uns die Autos um die Waden rauschen lassen, bis wir den Ortsrand erreichen.


Verfallener Brunnen

Rechts liegt ein verfallener Brunnen, unter Einsatz meines Lebens hoppele ich in einer unübersichtlichen Kurve über die Straße, um ein Foto zu machen. Nun gönnen wir uns zwei Blicke, einen auf den Ort Porto Andraitx, den anderen auf einen abfahrbereiten Bus zurück nach Paguera. Weil der Himmel mittlerweile in klarem Blau erstrahlt und der Marsch angestrengt hat, sind wir flugs im Bus und lassen uns zurückschaukeln.

Danach machen wir uns am Pool breit und beginnen mit unseren Beobachtungen. Es fängt schon gut an: neben uns liegt ein mittelaltes Ehepaar schmurgelnd in der Sonne. Einmal erhebt sich der Herr in den Sitz, um in die Weite zu schauen. Da klebt auf seinem schweißnassen Rücken eine Plastiktüte, was er nicht bemerkt. Wohl aber Heidi, die in solchen Situationen leicht die Fassung verliert. Irgendwann bemerkt der Herr jedenfalls sein Mißgeschick, er entfernt die Tüte und guckt uns argwöhnisch an, wohl ahnend daß er der Grund unserer Heiterkeit war. Ein wenig weiter liegt ein rundlicher Herr, wir nennen ihn den Kugelspanier, weil er sich beim Wechseln der sonnenzugewandten Seiten recht behende zu rollen weiß. Als er einschläft, ertönen neben Schnarchgeräuschen ab und zu auch andere menschliche Töne, worauf Heidi jedesmal einen Lachanfall zu erleiden hat. Damit werden wir noch Ärger bekommen...

Nach all dem Streß schlafe ich auch so halb ein, die Sonne tut das ihrige, so bin ich erstmal rot statt braun. Heidi hat sich immer gewissenhaft eingecremt, der geht es besser. Nun weiter in den Beobachtungen:

Eine Dame sieht einer Bekannten in Braunschweig zum Verwechseln ähnlich, wir nennen sie Frau H. Sie hat auch einen Mann dabei, der ist schon etwas tuttelig, aber in seiner Bademode allen weit voraus, er trägt sozusagen hinten ohne. D.h. der hintere Teil seiner Badehose besteht nur aus sowas wie einem Bindfaden, was der Verhüllung wenig dienlich ist. Beim Essen am Abend sitzen Herr und Frau H. zwei Tische weiter, wir grüßen uns sogar, d.h. nur sie, er ist zu tuttelig. Dafür ist er umso mehr mit seinem Salat beschäftigt, er füllt sich einen Löffel mit Salatöl oder Dressing oder was weiß ich, mit der Gabel spießt er allerlei Grünzeug auf, und dann wird beides gleichzeitig über die Mundwinkel eingeführt. Von jetzt ab heißt dieser Herr bei uns der beidhändige Schaufler. Zuweilen erscheinen Ehepaar H. auch erst 10 Minuten vor Essensschluß aus Richtung des Ortes und eilen dann in ungeheurer Eile in den Eßraum. Wo die wohl immer so lange gewesen sind? Fragen über Fragen...

Man möge uns verzeihen, wenn wir mitunter über Spitznamen oder andere erheiternde Beobachtungen uns auf Kosten anderer lustig machen, das ist nicht persönlich gemeint, zum Teil entspricht es der Realität, zum anderen ist man sicher auch mal ungerecht. Einigen wir uns auf den Spruch: "Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind beabsichtigt". Vielleicht hat man uns ja ähnlich tituliert, etwa: die beiden Leuchttürme, weil wir ständig in der Hotelhalle am Herumspechten sind, wie der Schwabe sagt. An Schwaben ist im übrigen kein Mangel auf Mallorca, auch Schweizer gibt es viele. Unseren Kugelspanier haben wir später als italienisch sprechenden Schweizer eingestuft.

Zwei Gestalten müssen noch vorgestellt werden, die von Anfang an Eindruck auf uns machten:

Die Pillen-Oma: diese fällt dadurch auf, daß sie vom Abendessen zurückkehrend kaum mit zwei Händen die notwendigen Arzneimittel zu fassen imstande ist, die sie zu dieser Gelegenheit mit sich führt. In der Folgezeit zeichnet sich diese Dame durch eine bewundernswerte Aktivität aus, kaum ein Gast, der sich vor ihrer Lebensgeschichte retten kann, währenddem der Betroffene dann zu ehrerbietigem Zuhören verurteilt ist. Mitunter fangen wir Bruchstücke der Gespräche auf: zwei Männer habe sie schon unter die Erde gebracht...hätte man sich ja fast denken können. Wir bleiben sonderbarerweise verschont, obwohl wir uns immer freundlich grüßen.

Die Gäste eines Reiseveranstalters werden von Damen betreut, die man an deren Aktentaschen, Halstüchern oder Anstecknadeln erkennt. Gleich am ersten Abend muß ich mich auf Geheiß von Heidi an eine dieser (sehr attraktiven) Reisedamen heranmachen: wegen der Kofferanhänger. "Betreuen Sie die Sun World Tours Gäste frage ich die Dame. "Nein, ich bin von Neckermann" ist die Antwort. "Ich dachte, der wäre gestorben" - leider fällt mir diese Entgegnung erst später ein. So gehe ich ganz brav zu meiner Heidi zurück und begnüge mich in Zukunft nur mit dem Beobachten der Aktivitäten dieser Damen aus sicherer Distanz. Da gibt es viel zu tun. Es kommen Beschwerden, Umbuchungen, Verlängerungen; Rundfahrten und Führungen werden organisiert. Der schwierigste Fall: ein Ehepaar hat ein Spar-Hotel gebucht, was immer das sein mag, sie wissen das selbst nicht. Auf jeden Fall hat das mindestens einen Stern weniger als dieses hier, wo sie sich erstmal unberechtigterweise einquartiert haben. Aber auch hier findet sich eine Lösung.

Es liegen auch Zeitungen aus über aktuelle Veranstaltungen und Ereignisse. In einem Artikel wird über originelle Beschwerden von Gästen bei ihren Reisebetreuern berichtet. So soll es sich mal zugetragen haben, daß ein Herr nach Genuß von reichlich Alkohol sein Zimmer verwechselt habe und nicht nur das. Die betroffene Dame hat die Verwechslung wohl auch nicht gleich bemerkt, was sie dann zu einer Beschwerde veranlaßt hat. Was soll man da machen ...?

Fast jeder Satz der Neckerfrau endet mit "...,gell?". Dabei werden blendende Zähne umgeben von einem betörenden Lächeln in Szene gesetzt. Wenn man dann hört: ".. und einen schönen Tag noch, gell!", dann ist wieder so eine Sitzung zur Zufriedenheit aller beendet. Wenn alle abgefertigt sind, geht sie zu einer Kollegin, die auch gerade nichts zu tun hat und sagt: "Jetzt gehen wir essen, gell!".

Wir bedauern, daß sich keiner um uns kümmert. Aber wir haben auch keine Beschwerden. Als Verbesserungsvorschlag würde ich höchstens anregen, daß jeder Gast mit einem entsprechendem Kofferanhänger gekennzeichnet wird, damit man dessen Zugehörigkeit jederzeit erkennt, gell?

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