Kapitel 2: Bad Frankenhausen im Mai
Kapitel 3: Der Herbstspuz

Der Kyffhäuser-Test

Bad Frankenhausen im März

Urgeschichte

Nun muß erst einmal erzählt werden, wie man auf den Kyffhäuser verfällt und was damit auf sich hat.

Als ich noch zur Schule ging - und das ist lange her - da hat man mitunter im Atlas herumgestöbert und südlich des Harzes das „sagenumwobene“ Kyffhäusergebirge mit dem Zeigefinger aufgesucht. Mehr war ja zur damaligen Zeit und lange danach nicht möglich. Etwas mehr Informationen konnte allenfalls unser Mitschüler Ulrich S. liefern, der aus dem Ort „Rockensußra“ rübergemacht war und damals im Internat und fern der Heimat wohnte.

Mit dem Begriff „sagenumwoben“ hat es - wie der einschlägig Gebildete weiß - die Bewandnis, daß der Kaiser Barbarossa tief im Berg sein Dasein an einem steinernen Tisch fristet, durch den sein langer Bart längst hindurchgewachsen ist. Alle hundert Jahre schickt er einen seiner Getreuen hinauf an das Tageslicht um nachzuprüfen, ob die Raben den Berg immer noch umkreisen. Meistens hat der Bote des Kaisers etwas Goldenes dabei oder er verwandelt etwas Irdisches in pures Gold. Hat man das Glück, an einem dieser Tage des Weges zu kommen und verhält sich rechtschaffen, so kann man davon profitieren.

Wenn außerdem die Raben immer noch den Berg umfliegen, so kehrt der Getreue zu seinem Kaiser zurück, der ob dieser Nachricht auf das anhaltende Wohl oder Unwohl seines Reiches Schlüsse zieht und wieder für weitere hundert Jahre in Schlaf verfällt.

Dichterisch wurde das in einem Gedicht von Friedrich Rückert (1817) in der folgenden Strophe aufgearbeitet:

Er hat hinabgenommen
des Reiches Herrlichkeit
und wird einst wiederkommen
mit ihr zu seiner Zeit...
Und wenn die alten Raben
noch fliegen immerdar,
so muß ich auch noch schlafen
verzaubert hundert Jahr.

K03 Der Kaiser Barbarossa

Zeitsprung

Seit der Wende 1989/90 haben wir den Kyffhäuser bei irgendwelchen Ausflügen schon häufig von weitem gesehen. Zu einem Besuch hat es immer nicht gereicht. Meine Ungeduld wächst beträchtlich, als ich beim Bücherflohmarkt zwei Bücher aufstöbere. Das eine beschreibt das Leben des Bauernpredigers Thomas Müntzer, das mit der verlorenen Schlacht von Frankenhausen am Kyffhäuser alsbald besiegelt ward. Das andere Buch ist allerdings eine Sensation. Da hat ein Prof. Behm Blancke in den fünfziger Jahren in einigen Gipshöhlen nahe bei Bad Frankenhausen herumgebuddelt und Funde aus grauer Vorzeit zutage gebracht. Sogar Kannibalische Kulthandlungen ließen sich anhand von angenagten oder ausgehöhlten Menschenknochen nachweisen. Das muß sich alles so in der frühen Bronzezeit abgespielt haben. Darüber haben wir in der Schule nichts gelernt.

Themensprung

Seit meiner Studentenzeit gehöre ich der (fortschrittlichen) Verbindung „Freie Burschen Stuttgart“ an. Über das Wort „Burschen“ denkt man gerade nach, seit man auch weibliche Mitglieder akzeptiert - das nur nebenbei. Diese fröhliche Truppe veranstaltet alljährlich in einer schönen Gegend - meistens sind irgendwelche Weinberge nicht weit - einen „Herbstspuz“. Spuz ist die Kurzform von Spazieren und Zechen. Da hat man einige Übung darin. Heidi und ich haben immer gern an diesen Herbstpuzen teilgenommen, so auch im vergangenen Jahr im schönen Spessart.

Da wird man doch glatt angesprochen, ob man nicht mal im Harz ein Herbsttreffen abhalten könnte. Das ist für die Schwaben, noch dazu in Ermangelung geeigneter Weinberge, doch recht erstaunlich. Da fällt uns der Kyffhäuser ein, da waren wir selbst noch nicht, noch viel weniger die meisten der Schwaben.

Kaum wieder zu Hause aus dem Spessart (mit ICE und Bahncard) habe ich schon alle verfügbaren Wanderkarten und Reiseführer beim Wickel. Erstmal werden Verkehrsverein und die in Frage kommenden Hotels von Bad Frankenhausen angeschrieben. Bald haben wir umfangreiches Informationsmaterial in den Händen.

Eines Tages kommt eine Programmankündigung für das Jahr 1996 von den Freien Burschen, und da steht es schwarz auf weiß: Nächster Herbstspuz am oder im Harz mit Martin Wittram und seiner lieben Frau. Da strahlt meine liebe Frau. Aber mit dem Harz, da werden wir denen was husten.

Bad Frankenhausen im Januar

Aber der Winter ist lang in diesem Jahr, der Winterschlaf tief und die Straßen vereist. Die Zeit vergeht und fängt an zu drängen. Dann raffen wir uns auf, an einem grauen Freitag im März zu einer Fahrt nach Bad Frankenhausen, um die Dinge vor Ort zu klären. Verkehrstechnisch haben wir inzwischen zwei Verbesserungen: die Autobahn in den Harz von Braunschweig bis Braunlage ist durchgehend fertig, was haben wir über diese Autobahn geschimpft. Die Umgehungsstraße um Braunlage ist auch gerade fertig, was haben wir über diese ebenso geschimpft. Zähneknirschend bedienen wir uns dieser Annehmlichkeiten, die uns immerhin in kurzer Zeit bis in den Ostharz befördern (1 Std.). Dann gondelt man allerdings weniger komfortabel über die Dörfer, quält sich in Nordhausen von Ampel zu Ampel, und wirft sich endlich hinter Kelbra in die heißen Kurven der Straße über den Kyffhäuser (B 85). Auf die heißen Kurven kommen wir später noch zurück. Nach wenig mehr als zwei Stunden sind wir in Bad Frankenhausen.

Wir parken das Auto am Anger direkt vor der Touristeninformation. Wir erwerben eine sehr schöne „Freizeitkarte Kyffhäuser Kreis“ und ein Verzeichnis der örtlichen Privatquartiere. Dann starten wir frierend zu einer ersten Ortsbegehung. Wir werden immer stiller und frieren immer mehr. Grau in Grau präsentiert sich alles, bald sind wir wieder im inzwischen auch kalten Auto, die Parkzeit ist noch gar nicht abgelaufen. Es geht nun darum: welches Hotel kommt in Frage. Zwei Angebote haben wir: „Hotel Residence Frankenburg“ und „Hotel Reichental“. Ersteres Hotel thront unübersehbar mit seinen drei übergroßen Giebeln schneeweiß am Hang über dem Ort, den Hausmannsturm und die nahe Kirche, beides Wahrzeichen von Frankenhausen, schier erdrückend. Dieses Gebäude wollen wir doch wohl lieber erstmal nicht betreten. Hotel Reichental liegt in der Rottleber Straße, da sind wir gleich. Auch dieses Gebäude ist gerade erst erbaut, ein älterer Teil des Gebäudes renoviert.

Wir entsteigen dem Auto und verkleiden uns als „Hoteltester“, d.h. Jacket angezogen und Diplomatenkoffer gegriffen, schließlich hat hier kürzlich das Kabinett der Thüringer Landesregierung eine Sitzung abgehalten, wie wir schon aus der Hauszeitung wissen. Heidi wedelt mit dem Angebot, das uns dieses Hotel zugeschickt hat. Eine freundliche Dame empfängt uns an der Rezeption. Ich stelle uns vor und Heidi legt das Schriftstück zur weiteren Verhandlung auf den Tresen. „Da haben Sie wohl das falsche Angebot“ entgegenet die Dame, weil auf dem Schreiben der Briefkopf des „Hotel Residence“ prangt. So ist das eben, wenn man noch nicht so geübt im Hoteltesten ist.

Der Sache tut das keinen Abbruch, wir werden herumgeführt und geraten immer mehr ins Schwärmen. Es sind da: ansprechende Zimmer, Schwimmbad und Sauna, eine Bar in einem Kellergewölbe, ein „Rittersaal“, da soll morgen eine Modenschau stattfinden. Ein separater Raum, wo man die Schwaben verstecken kann, findet auch unsere Zustimmung. Ebenso die Speisekarte. Schnell haben wir eine Termin vereinbart: 18.-20.10.96, Reservierung für c.a. 50 Personen. Kurz sprechen wir mit dem Chef, Herrn Gommlich, der uns natürlich als potentiell gute Kunden wohlwollend begrüßt.

Noch ein Blick in das Gästebuch, da hat doch eine Göttinger Verbindung, „Saxonia“ oder so, ein Stiftungsfest in Vorbereitung. Na, dann sind wir ja in bester Gesellschaft. Als wir wieder draußen sind, strahlen wir so vor uns hin.

Das Hotel „Residence“ versuchen wir zwar noch anzufahren. Heidi ist neugierig, ich aber bin alles andere als scharf auf diesen Prachtbau und verfahre mich auch prompt. Wir lassen das dann auch und machen uns auf zur Barbarossahöhle am Westrand des Kyffhäusers. Hier sind riesige Parkplätze für die Busse, für heute belassen wir es dabei.

Den Kyffhäuser mit dem Auto westlich zu umrunden gestaltet sich als ein Abenteuer, wir geraten mit unserem Passat Variant auf eine Art Wanderweg, den wir nur wegen des anhaltenden Frostes auf gefrorener Piste unbeschadet überstehen. Man kommt am Stausee von Kelbra raus, wo ein Hotel am Hang thront. Dieses zu testen lohnt sich wegen der Preise auf der Speisekarte von vornherein nicht.

In Kelbra finden wir keine Ortsmitte, weil sich alles mehr in Form einer einzigen Baustelle darstellt. Immerhin finden wir ein Restaurant, um erstmal eine Mahlzeit zu uns zu nehmen. Das Beiprogramm unseres geplanten Wochenendes ist ja noch völlig offen, vielleicht könnte man ja hier in Kelbra speisen oder Kaffeee trinken - da testet man eben erstmal alles durch.

Für die Rückfahrt genehmigen wir uns den Ort Stolberg, und dem kann so schnell keiner - jedenfalls nicht Bad Frankenhausen - das Wasser reichen. Geschlossene Fachwerkfronten in allen Straßen, alles vorbildlich restauriert. Es kommen uns Zweifel, ob wir nicht besser hier...?

So wagen wir uns abschließend an die Auffahrt zur Burg. Diese aber erreichen wir nicht, weil unmittelbar vor dem Burgtor der Weg so vereist ist, daß es nicht mehr vor und zurück geht. Geradeso vermeiden wir einen Absturz über den steilen Abhang, indem Heidi den Wagen bei mahlenden Rädern quer zur Absturzrichtung schieben hilft. So kommen wir zwar heil wieder runter, haben aber unsere Unternehmungslust eingebüßt.

Diese wird wieder angefacht, als am Sonntag zwei dringliche Anrufe der Freien Burschen nach Termin und Einzelheiten für den Herbstspuz eingehen. Da sind wir nun aus erster Hand bestens präpariert.

Als ich mir wenige Wochen später gerade die Socken für den sonntäglichen Mittagsschlaf ausziehe, kommt ein Anruf vom Hotel Residence Frankenburg. Die Anruferin erkundigt sich mit flötender Stimme nach unseren Wünschen, ob das mit den 50 Gästen im Oktober nun von Interesse sei. „Wir haben uns schon entschieden“, kann ich nur antworten. Ja ob es denn da billiger sei? „Nein, aber die Schwaben haben es lieber gemütlicher“ mehr fällt mir nicht ein, Gespräch beendet.

Kapitel 2: Bad Frankenhausen im Mai