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Mittwoch, 1.5.

Es brennt uns geradezu unter den Fußnägeln, die Wanderung muß ja noch erkundet werden. Das Wetter läßt sich heute den Umständen nach gut an, dunstig und bewölkt, aber trocken. So machen wir uns beizeiten auf die Socken. Es gibt naturgemäß nur ein Ziel: das Kyffhäuser Denkmal. Ein schöner Weg, der „Schwarze Weg“, markiert und ausgeschildert führt uns bergwärts.

Frühlingsplatterbse
Der erste Teil ist fast der schönste, zwischen Kastanien wandert man auf „Stinkschiefer“, wie einer Schautafel zu entnehmen ist. Wenig weiter eine Schautafel die erklärt, was eine „Quellkuppe“ ist. Sowas kommt vor, wenn sich das Gestein Anhydrit unter Aufnahme von Wasser in Gips verwandelt und dabei um 60 % ausdehnt.

Dann immer durch den Wald, bis man den „Ententeich“ erreicht. Statt Enten entdecken wir im Wasser einen Doppeldecker, es handelt sich um ein ablaichendes Krötenpaar. Auch so manches Blümelein am Wegesrand erfreut das Auge. Neben Himmelschlüssel und Buschwindröschen auch die weniger bekannte „Frühlings-Platterbse. Tief eingeschnittene Rinnen scheinen alte Hohlwege zu sein, auf denen man in Vorzeiten mühsam das Gebirge überquert hat.

Damit man nicht zu übermütig wird, erfolgt schon in Sichtweite des Denkmals noch ein steiler Abstieg in das „Lange Tal“. Dann aber ist man schnell am Ziel, d.h. man erreicht die riesigen Parkplätze, wo die überwiegende Mehrzahl der Besucher gliederreckend den Autos entsteigt. Bevor man des gewaltigen Bauwerks hoch oben auf dem Berg nun ansichtig werden darf, muß man selbstredend wieder an einem Eintrittshäuschen vorbei.

Wir betreten schließlich die Plattform zu Füßen des Denkmals. Das ragt 60 m empor, ein gewaltiger Steinkoloß. Erbaut wurde das ganze zu Ehren von Kaiser Wilhelm I. anläßlich dessen Ablebens. Sein Sohn Kaiser Wilhelm II. ließ es sich natürlich nicht nehmen, die Einweihung persönlich vorzunehmen. Im Juni diesen Jahres wird das genau 100 Jahre her sein, aber dann kommt statt eines Kaisers nur Rita Süßmuth. Der Erbauer des Denkmals war ein gewisser Prof. Schmitz, der hat nicht nur das hier, sondern auch noch das Kaiser Wilhelm Denkmal an der Porta Wetfalica, das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig und das Deutsche Eck in Koblenz verbrochen. Das wußten wir alles nicht.

Unter dem Reiterstandbild des verherrlichten Kaisers hockt in Sandstein eingemeißelt der leibhaftige Barbarossa und grübelt. Damit man ihn besser erkennen kann, hat man den Tisch weggelassen. Das muß nun alles erstmal fotografiert werden. Wir wandern danach durch die Ausstellungsräume. Dort ist ein Spruch angebracht, der lautet (sinngemäß): Wem diese Art der Kaiserverherrlichung nicht gefällt, der schaue sich einfach die Landschaft an.

Das nützt uns heute nicht viel, weil es so diesig ist, daß man kaum bis in das Tal sehen kann. Heidi ist sowieso nicht so scharf auf die steile Wendeltreppe. Ich verzichte auch auf den Aufstieg zur Aussichtsplattform. Stattdessen werfen wir einen Blick in den 176 m tiefen Burgbrunnen. Ganz unten befindet sich ein Scheinwerfer und man sieht Wasser blinken. Um die Anlage des Denkmals herum befinden sich die Mauerreste der alten Burg Kyffhausen, die vergißt man beinahe zu würdigen.

Wir stärken uns anschließend mit einer leckeren Thüringer Bratwurst an einem Grillstand. Auch hier wird heute am 1. Mai für die zu erwartenden Biergäste musikalisch gesorgt und wir genießen auf den Höhen des Kyffhäusers die Aufforderung: „Kleine Möwe, flieg nach Helgoland...“. Dabei fallen einem die Raben ein, die ja laut Sage den Berg umfliegen sollen. Immerhin sichten wir einen Bussard.

Nun suchen wir das Lokal „Landsitz Thomas Müntzer“ auf, werfen einen Blick auf die Speisekarte, die Preise und die Teller der Speisenden. Das macht sich alles gut und die Chefin versichert uns, das wir im fernen Oktober gerne hier speisen könnten. Eine Speisekarte zur Vorbestellung bekommen wir selbstredend in die Hand gedrückt.

Gut gelaunt nehmen wir den zweiten Teil der Wanderung in Angriff. Das sind 5 km Hangweg am Nordabbruch des Kyffhäusers. Der Weg verläuft durchweg ohne Steigungen, rechter Hand hätte man, so man etwas sehen könnte, herrliche Ausblicke auf den Harz und die Goldene Aue. Das bleibt uns heute versagt. Nach gut einer Stunde erreicht man die Ruine der Rothenburg. Bisher hat alles so gut geklappt mit der Vorplanung, nun gibt es doch einen Rückschlag. Das Gebäude, das man von der Straße aus für ein Ausflugslokal hält, weist jede Annäherung durch das Schild „Militärisches Sperrgebiet“ von sich. Also nichts mit Kaffeetrinken.

Immerhin kann man links des abweisenden Tores auf einem schmalen Pfad zwischen Gitterzäunen zur Ruine vorstoßen. Die hat man sorgsam restauriert und man kann in den winkeligen Resten der ehemaligen Kammern und Räume herumgeistern.

Ruine Rothenburg
Nun sind wir einigermaßen ratlos. Erstmal müssen wir ja wieder zurück nach Frankenhausen. Man hat uns im Hotel angeboten, uns hier abzuholen. Da es aber keine Möglichkeit zum Telefonieren gibt, können wir uns leider nicht melden. Da bleibt uns nur der Marsch weiter zum Fernsehturm, der nicht allzu weit von hier auf dem Kulpenberg thront.

Über die Zufahrtstraße der Rothenburg erreichen wir die B 85 mit ihren heißen Kurven. Heute ist der erste Mai, da mag man sich vorstellen, was hier los ist. Unsere Freunde von der motorisierten Zunft haben diese kurvenreiche Strecke heute fest im Gasgriff. Das jault und heult, mit Schwung wirft man sich in die Radien der Kurven. Wir freuen uns nur, wenn ein Bus oder eine PKW- Schlange den Geschwindigkeitsrausch der Lederritter hemmt.

Immerhin ist hier eine Bushaltestelle. Der nächste Bus fährt in c.a. 4 Stunden um 19 Uhr, sollen wir solange hier stehen? Der weitere Weg führt über Stufen steil den Hang hinauf. Heidi begibt sich in den Sitzstreik und läßt sich auf der Leitplanke nieder. Was tun? Wir können nur längs der B 85 auf dem Seitenstreifen ballancieren. Eine Rotte von Braunschweiger Hells Angels oder sowas, 18 Mann an der Zahl, knattert vorbei. Und wir schaffen es, bei lebendigem Leibe den Parkplatz am Fernsehturm zu erreichen.

Das beste wäre ja jetzt, abfahrende Leute zu fragen, ob sie die Freundlichkeit hätten, uns nach Frankenhausen mitzunehmen. Das erste Ehepaar fortgeschrittenen Alters, das wir fragen, wimmelt uns brummelnd ab, sie wollten zur Barbarossahöhle. Sonst fährt gerade niemand ab. Wenig weiter ist aber ein Cafe, da gehen wir lieber dorthin. Jetzt merken wir erst, daß inzwischen der herrlichste Sonnenschein herrscht. So lassen wir es uns auf der Cafeterrasse bei Kaffee und Kuchen gutgehen. Musikalisch untermalt wird das Ambiente durch mexikanische Weisen, die aus einem Schaukelesel heraus erklingen. „Teqila“ ist auf seiner Hinterpartie aufgemalt.

Jetzt wird es aber ernst, nach Frankenhausen sind es von hier noch 10 km. Heidi hat durch ihren vorherigen Sitzstreik schon ihre Bereitschaft zu einer Gewalttour demonstriert. Wir begeben uns also an die B 85, man kann hier gut anhalten und ich erinnere mich an frühe Studentenzeiten. Die Geste habe ich noch drauf: Daumen raus! Na, und was soll man sagen, nach weniger als 10 Minuten erlöst uns ein Ehepaar und läßt uns einsteigen. Ein von hinten heranrasender Jaguar und ein dahinter rasender Motorradfahrer lassen allerdings die Aktion fast zu einer Katastrophe geraten. Wenige Minuten später steigen wir uns herzlich bedankend in Frankenhausen aus.

Heidi setzt sich erstmal leicht geschafft in die Sonne an unserem Zimmerfenster. Ich wittere Morgenluft, ob ich noch fotografieren gehen dürfe, so auf ein Stündchen. Heidi ist froh, daß sie ihre Ruhe hat, und ich mache mich auf den Weg. Kaum aus dem Hotel, disponiere ich schon um - da gibt es doch das Ausgrabungsgebiet von jenem legendären Prof. Behm-Blancke mit den Gipshöhlen. Und das ist nicht weit von hier. So bin ich bald auf einem herrlichen Weg entlang an kahlem Gipsgestein. Links befindet sich eine tief eingeschnittene Rinne, das ist, wie ich später nachlese, die alte Salzstraße aus vorgeschichtlicher Zeit.

Mein Ziel ist die Ruine Kattenburg zu Füßen von Kosacken- und Galgenberg. Statt der Ruine Kattenburg finde ich einen Seitenweg der schräg an den kahlen Gipshängen hinaufführt. „Frankenhausen 3,5 km“ steht da auf dem Wegweiser. Das kann man noch schaffen in diesem Stündchen. Und was für ein herrlicher Weg. Botanisch, geologisch und landschaftlich ganz was Besonderes. Durch lichten Buchenwald geht es immer weiter hinauf, doch es zieht sich und zieht sich. Ob das mit den 3.5 km überhaupt stimmt? Von den Gipshöhlen auch keine Spur. Eine Abzweigung wird erreicht, dann eine Schautafel die erklärt, was eine „Quellkuppe“ ist. Das kommt mir bekannt vor. Wie ich mich genauer umschaue, finde ich mich auf selbigem Stinkschiefer wieder, auf dem wir just heute morgen gewandert sind. Na dann man los, das Stündchen ist bald um.

Am Kosackenberg
Weil es immer bergab geht, schaffe ich den Rückweg mit 10 Minuten Überziehen, allerdings leicht in Schweiß gebadet. Heidi ist aber bei bester Laune, denn sie hat einen Bus aus Kassel ausgeguckt. Und das ist ein Gesangsverein. Zum Abschied bringen sie ein Ständchen auf dem Parkplatz: „Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder, auf seiner Schalmei...“ . Ich dusche erstmal. Dann lese ich schnell nach in dem besagten Buch, das übrigens „Höhlen, Heiligtümer, Kannibalen“ heißt. Ja, da bin ich doch genau in der richtigen Gegend gewesen. Nun darf man dort - wie ich als zahlendes Mitglied der Harzer Höhlen- und Karstforscher weiß - nicht einfach im Gelände herumsteigen, weil es Naturschutzgebiet ist.

Außerdem ist dies der viel schönere Einstieg in unsere geplante Wanderung, wie mir dann auch noch dämmert.

Zum Abendessen wollen wir wieder ein neues Lokal testen: die „Grabenmühle“. Dort hat man aber - unverständlich am 1. Mai - ab 17 Uhr geschlosssen. Und Sonntags Ruhetag, verstehe einer sowas. Wir machen unser Versprechen wahr und beehren das Rhodos ein zweites Mal. Als Bekannte werden wir nett begrüßt. Nach dem Essen setzt sich die Wirtin an unseren Tisch, nun möchte sie erstmal ein wenig sprechen mit uns. Sie hat das Lokal vor drei Monaten eröffnet usw. Wir können ihr nur immer wieder wünschen, daß sie Erfolg mit ihrem Unternehmen hat. Immerhin ist ihr Mann selbst der Koch und man bereitet die Speisen immer frisch und nach Familienrezepten zu. Wir versprechen, Werbung zu machen. Als wir schon aufbrechen, kripselt sie hinter der Theke herum, und dann bekommen wir zum Abschied eine Flasche Wein von der Insel Mykonos geschenkt. Wir sind einigermaßen gerührt.

Zurück im Hotel treffen wir Herrn Gommlich persönlich an der Rezeption. Beiläufig ergibt sich, daß im Hotelcomputer unser Oktobertreffen um einen Tag verschoben gespeichert ist. Es dauert eine Weile, bis das korrigiert ist, anscheinend müssen alle 25 bestellten Doppelzimmer einzeln umgebucht werden. Ebenso beiläufig ergibt sich, daß der legendäre Prof. Behm-Blancke weiland just im Hotel Reichental logiert hat, Herr Gommlich kann sich gut an ihn erinnern. Ich bekomme ganz blancke Augen.

Nachdem ich mein langgesuchtes Taschenmesser wiedergefunden habe (es lag im Handschuhfach), können wir uns auch der Flasche Mykonos annehmen und abschließend konsultieren: Das war doch mal wieder ein Tag!

Und wir pfeifen auf Mallorca (15 Grad, wolkig)!

Nächster Tag