Kapitel Index

Donnerstag, 2.5.

Man soll das Wetter nicht zu früh loben, heute ist es so diesig, daß wir um den - nicht ganz billigen - Hainleite-Blick betrogen werden. Eigentlich wollten wir eine Radtour machen. Das lassen wir lieber. Auch sind wir mit dem Testen noch nicht fertig. Das abschließende sonntägliche Mittagessen ist noch unter Dach und Fach zu bringen. Vielleicht in Sondershausen, dort soll es ein schönes Schloß geben. Also fahren wir dorthin, mit dem Auto und Regenschirm.

So ein Dunst aber auch. Man fährt mit Licht. Sondershausen empfängt uns erwartungsgemäß mit Industriegebiet und Plattensiedlungen, bis man hinter der Kirche einen Parkplatz und etwas Altstadt findet. Man betritt den Marktplatz, dort ist das Rathaus mit Ratskeller, oben darüber thront das Schloß. Wir klettern eine Treppe hinauf und checken uns für eine Schloßbesichtigung ein. Man ordnet uns zwei älteren Damen sowie einer Führerin zu und wir betreten den spätbarocken blauen Saal. Der hieß auch schon mal „Grüner Saal“, als ein jagdbesessener Hausherr diese Farbe über alles liebte. Blau aber sei die Wappenfarbe derer von Schwarzburg- Sondershausen.

Weitere Einzelheiten sollte man in einschlägigen Reisebroschüren nachlesen - sie liegen dem Verfasser vor (DM 5.80 im Verkehrsverein erhältlich). Trotzdem geht die Schloßbesichtigung natürlich weiter, wir werden einer neuen Führerin zugeteilt, und diese ist nur für uns beide zuständig. Sie beginnt dann auch ihren Vortrag rhetorisch pathetisch, wie sie es vor größeren Besuchergruppen gewohnt ist. Es dauert eine Weile, bis man sich in unserer Dreierrunde an ein mehr vertrauliches Fragen und Antworten angenähert hat.

Nun muß ich einfügen, daß wir bei dem letzten Herbstspuz eine sensationelle Führung durch das Würzburger Schloß erleben durften. Da hat eine Kunststudentin eine Show abgeliefert, die ihresgleichen sucht. Sie verstand es meisterhaft, ihre Begeisterung über die dargebotenen Kunstschätze auf die Zuhörer zu übertragen. Anhaltender Beifall und gern gespendetes Trinkgeld war der verdiente Lohn.

Ganz anders die heutige Führung. Sehr einfühlsam mit Liebe zum Detail, untermauert mit profundem Wissen und dann so ganz individuell nur für uns zwei. Wir sind uns hinterher einig, daß das doch kaum weniger eindrucksvoll war, wenn auch auf ganz andere Weise. Soll ich aufzählen, was wir zu sehen bekommen? Heidi diktiert es mir am Abend: das kleine Zimmertheater mit gemaltem Vorhang, Stuck und Raumdekor, die Schloßkapelle, wo die Fensterhöhe nicht zu der eingezogenen Empore paßt und der Altar sich auf der Westseite befindet, alte Musikinstrumente z.B. ein Klavier mit vier Pedalen, auf dem keiner spielen kann. Zwei Räume sind mit Figurenstuck verziert, da kann man immer wieder neue Motive entdecken. Ein Raum ist ganz ausgefüllt mit einer goldenen Kutsche, die sicher mal für eine bessere Verwendung gut war, als heute so hier herum zu stehen. Abschließend die Ahnengalerie derer von Schwarzburg-Sondershausen, der verzweigte Stammbaum, aber kein Happy End. Anfang dieses Jahrhunderts ist die Linie ausgestorben, eine ältere Nachfahrin hat noch lange in diesem Schloß ausgeharrt, bis sie 90 Jahre alt war, aber das hat auch nichts genutzt.

Als wir wieder draußen sind, reiben wir uns erstmal die Augen. Als die wieder klar sind, betreten wir neugierig das im gleichen Gebäude befindliche Schloßrestaurant. Zum Testen natürlich, wobei wir aber das Speisen nur theoretisch in Angriff nehmen. Wir haben es auch sogleich mit dem Wirt zu tun, der mit der Aussicht, 50 Schwaben im fernen Oktober zu beköstigen, zu einer geschäftigen Aktivität aufläuft. Nach einiger Zeit sind wir im Besitz einer Fotokopie der umfangreichen Speisekarte.

Anschließend testen wir die Parkmöglichkeiten und wie man dorthin gelangt. Dann aber sind wir wieder ganz die alten, begeben uns zwischen die Marktbuden, verschmähen den „Asia Grill“ und verzehren stattdessen eine weitere leckere Thüringer Bratwurst für DM 2.50. Noch nicht ganz mit dem Testen fertig geraten wir in den Ratskeller, da ist ein einladender Gewölbekeller. Wenn wir uns nicht irren, ist der Betreiber dieses Restaurants just unser Chef vom Hotel Reichental. Da wundern wir uns aber, leider müssen wir nach einer kleinen Diskussion dann beschließen, daß die Wahl dieses Restaurants für den fernen Oktober uns unter Umständen in den Ruf der Vorteilnahme oder des Verdachts einer Provisionsbeteiligung bringen würde.

Durch die diesige Landschaft fahren wir wieder zurück und lassen es uns gut gehen mit Schwimmbad, Sauna und Solarium.

Am Abend machen wir nun den Marsch durch die Schrebergärten zum Restaurant „Shanghai“. Von der chinesischen Küche sind wir noch selten enttäuscht worden, so auch hier nicht. Während ich noch genüßlich schaufele und kaue, lehnt sich Heidi schon mal gesättigt zurück. Sogleich ist die Bedienung zur Stelle und räumt mit der Frage „Hattu alle“ die leeren Teller weg. Ich bereite Heidi darauf vor, daß sie gleich mit der Frage „Gut meckt ?“ zurückkehren wird. Das führt mal wieder zu dem berüchtigten Lachkoller. So kommt dann auch vorsoglich ein männlicher Kollege und räumt wortlos auch meine inzwischen leergefegeten Platten ab. Weil sich doch noch ein paar weitere Gäste einfinden, räumen wir unseren Platz und wandeln über den „Wallgraben“, die Grabenmühle und den Botanischen Garten heimwärts.

In diesem Garten gibt es noch ein Problem zu lösen. Da liegen auf der Erde braune Schoten herum, und wir müssen noch ergründen, wo die herkommen. Ich finde es heraus und schicke Heidi auf eine Linde zu, die sie versonnen betrachtet. Daneben steht aber ein Baum, der heißt sonderbarerweise „Christusdorn“, in Klammern darunter aber auch „Lederbrotbaum“. Damit ist das Rätsel gelöst.

Zurück im Hotel lese ich noch ein wenig über die letzten Tage des Thomas Müntzer nach, auch darüber habe ich ein Buch vom Flohmarkt. Der Thomas Müntzer hatte sich im Jahre 1525 nach der schmählich ausgegangenen Schlacht zu Frankenhausen in ein Haus am Angertor geflüchtet. Das Angertor haben wir nun schon mehrfach passiert, leider ist das ursprüngliche Haus heute nicht mehr vorhanden, ein Geschäftshaus wird dort gerade gebaut. Der arme Müntzer wurde seinerzeit alsbald dort aufgespürt und in Ketten gelegt, danach in die Festung „Heldrungen“ verbracht. Schon haben wir für den nächsten Tag wieder ein Ziel.


Am Anger

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