Schon vor Harzburg kann man den Brocken gut sehen, von Torfhaus aus beinahe hinüberspucken. Wir diskutieren die Harzer Landschaften, die hauptsächlich durch die Art der Wälder bestimmt werden. So ist es um Bad Harzburg herrlich bunt, da man dort Mischwälder antrifft. Oberhalb des Radauer Wasserfalls beginnen dagegen die Fichtenaufforstungen, die in allen Jahreszeiten dasselbe dunkelgrüne eintönige Bild bieten - außer es liegt im Winter Schnee, aber das wird anscheinend auch immer seltener.
Die Fichtenwälder enden erst hinter Hohegeiß, wo wir nach etwa einer Stunde Fahrt die ehemalige Grenze nach wie vor erkennen können. Ab Ilfeld fahren wir eine Abkürzung, das führt uns auf eine Strecke, die wir nie gefahren sind und auch nie vor hatten, sie zu fahren. Aber es ist doch eine Abkürzung, wie man der Karte entnehmen kann, weil man die umständliche Durchfahrt durch Nordhausen vermeidet.
Bald sind wir in Kelbra. Heidi braucht wegen des gesellschaftlichen Ranges unserer Veranstaltung (alles Akademiker) noch einige Kosmetikartikel, ich will noch einen Film kaufen. "Ein Schlecker wäre doch nicht schlecht" unken wir. Den Ort Kelbra kann man nun wieder betreten, die vergangenen Male haben wir nur Bauwüsteneien angetroffen. Nun hat man schon wieder des Guten zuviel getan, und den Straßenbelag steril einheitlich mit Platten um jede Unebenheit bereinigt.
Geschäfte aber gibt es kaum, weiter hinten sehen wir ein paar Buden mit den üblichen Billigklamotten. Hinter einer Hausecke plötzlich ein weiter Platz und ein großer neu erbauter Ladenbau: SCHLECKER. Wir lachen uns eins. Also kommen wir zu Haarspray und Film, eine "Frau im Spiegel" auf die Faust, dann sind wir wieder draußen. Bei den Buden ist auch eine, die bietet Pilze an. "Die Pilze sind alle" sagt der Verkäufer unaufgefordert. Es wären auch nur Zuchtchampignons gewesen.
Auffallend sind noch die allseits sich bildenden Geschwätzgrüppchen, in diesem Ort hat man sich anscheinend viel zu erzählen. "Hier fällt ja jede Hektik von einem ab" sage ich zu Heidi. An einem Haus lehnt ein altes Fahrrad mit einem Anhänger, da sind ein paar Kohlköpfe aufgeladen. Leider bin ich zu faul, den Film gleich einzulegen und dieses Stilleben einzufangen.
Wir fahren nun hinauf zum Kyffhäuser, den wir erst spät zu sehen bekommen, so diesig ist es auf dieser Seite des Harzes. Oben liegt die Ruine der Rotenburg, unser morgiges Ziel. Mir ist immer noch nicht klar, wie man die Leute von dort zurück nach Frankenhausen schaffen soll. Vorher Autos da hinzubringen ist auch nicht angeraten. Der Parkplatz ist so abgelegen, da hätten Autodiebe oder Vandalisten leichtes Spiel.
Bald betreten wir selbstbewußt unser Hotel Reichental, sind wir doch die Hauptpersonen dieses Wochenendes. "Sie sind es selbst?" werden wir an der Rezeption empfangen. Und wir bekämen das "Hochzeitszimmer". Da sind wir aber mal gespannt. Ich lasse Heidi den Vortritt. "Na ja, das andere Zimmer war schöner" (Hainleiteblick) sagt sie. Ich finde das auch, denn hier fehlt das wichtigste in einem Hochzeitszimmer: das Bett. Aber das findet sich dann auch, es ist über eine Wendeltreppe zu erreichen und bildet neben den Nachttischen das einzige Möbelstück einer Art Empore. Die kann man zur Sauna umfunktionieren, wenn man unten die Heizkörper aufdreht. Unten bleibt es trotzdem kalt.
Ein staunender Ausruf ertönt aber nun aus dem Badezimmer: dort befindet sich eine zimmergroße Badewanne mit Whirlpool. Wir hatten sowieso vor, hier erst die notwendigen Balsamierungsarbeiten wie Nägelschneiden, Haarewaschen, Rasieren usw. vorzunehmen. Da kommt einem ein Whirlpool gerade richtig. Wir lesen uns eine kleine Gebrauchsanweisung durch, scheitern aber bereits an der "Stopfenautomatik", die kann das Wasser nicht halten. Mangels anderer Duschmöglichkeiten und recht kurzem Duschschlauch kann man sich so nur knieend in der riesigen Wanne duschen und dem ablaufenden Wasser hinterherschauen.
Das ist nicht so ganz im Stil des VIP-Fluidums. Aber das sind wir ja auch nicht gewöhnt. Nach Einsatz von Lockenwicklern, Föhn, Rasierer und Kosmetika begeben wir uns nach unten und versichern uns an der Rezeption noch einmal, daß alles mit rechten Dingen zugeht. Da das Hotel noch eine andere Gruppe an diesem Wochenende beherbergt, sind alle Zimmer belegt. 6 Einzelpersonen von uns müßten in ein nahegelegenes Hotel ausquartiert werden.
Wir machen uns auf den Weg in den Ort, um evtl. für eine Führung gewappnet zu sein. Aber wir kommen nicht weit, so etwa bis zum Marktplatz, da meldet sich der Hunger. Da brauchen wir nicht lange zu überlegen, wurden wir doch im Frühjahr im "Rhodos" so nett von der Wirtin bewirtet. 5 Minuten später sind wir da, und leider erkennt man uns nicht wieder. Wir sagen auch nichts weiter dazu, und bestellen beide das Gericht mit Leber, das ganz ausgezeichnet ist.
Als wir das Hotel wieder erreichen, entsteigen gerade die ersten beiden Ehepaare dem Auto. Sie haben es richtig gemacht und sind schon einen Tag vorher gefahren, um in Erfurt zu übernachten. Nach einem Kaffee möchte man noch ein wenig ruhen - das machen wir dann auch.
Es mag nun gegen 16 Uhr sein, da geht es Schlag auf Schlag. Einer nach dem anderen trifft ein und wir spielen das Empfangskommitee. Nun ereignet sich ein Zwischenfall. Ein Ehepaar hatte sich zwei Einzelzimmer erbeten. Nun hat man gerade diese ausquartiert ins "Bellevue". Das käme auf gar keinen Fall in Frage, dann wäre man ja gar nicht erst gekommen, man hätte sich schließlich ganz früh angemeldet (das stimmt). Die Verhandlung führt die resolute Gattin, der Ehemann spielt eher die passiv resignierende Rolle. Und wenn nur er ausquartiert würde? wagt er einzuwenden. "Das kommt gar nicht in Frage, Du bleibst hier!" lautet die Feststellung.
Die Dame an der Rezeption wird blaß um die Nase. Immerhin stehen wir auch nicht weit und bekommen das Spektakel mit. Kaum kann ich mir verkneifen, unser Hochzeitszimmer als Antwort auf die unbedingt notwendigen Einzelzimmer anzubieten. Aber Humor ist hier nicht angesagt.
Wir finden aber heraus, daß noch zwei Einzelzimmer für zwei weitere Personen unserer Gruppe vorgesehen sind, die noch nicht angereist sind und stattdessen problemlos für das Bellevue eingeteilt werden können. So haben wir das erstmal einigermaßen hingekriegt.
Nun können wir ja nicht den ganzen Nachmittag hier Parade stehen, deshalb machen wir uns sicherheitshalber auf den Weg, um eine empfohlene "Abkürzung" für die Wanderung morgen zu erkunden. Und das ist gut so, denn wir landen bei allen bergan führenden Wegen nur vor Gartentoren oder unpassierbaren ungewissen Pfaden zwischen den Gartenzäunen. Da bleiben wir lieber bei der ursprünglichen Route und vermeiden die Blamage, sich mit über 50 Wanderern in dem Gartengelände zu verfransen.
Wie nun nach und nach die Gäste eintreffen und über die Fahrt und die Staus unterwegs berichten, hake ich eifrig in der Teilnehmerliste die bereits Anwesenden ab. Gegen 22 Uhr fehlt nur noch ein Ehepaar, er ist Fahrschullehrer, daran wird es wohl liegen (die beiden sind auf dem Weg von Stuttgart her über Braunschweig gefahren und dann in eine Umleitung geraten).
Jedenfalls kann man erst spät am Abend in einer Pause, als gerade mal keiner speist, die offizielle Begrüßung vornehmen. Dazu muß das Zustandekommen dieser Veranstaltung, etwas Historisches (Barbarossa, Müntzer und so...) sowie die einzelnen Programmpunkte vorgestellt werden. Als ich das vorbei ist, kann sich endlich das Lampenfieber legen.
Und schließlich sind tatsächlich alle Angemeldeten eingetroffen und untergebracht. Wir lassen noch die Speisekarte für das Mittagessen rumgehen, damit jeder seien Wunsch ankreuzt. So haben wir dann lange nach Mitternacht noch damit zu tun, die Strichliste für die Mahlzeiten zusammenzustellen. Trotz aller Anstrengungen und des Hochzeitszimmers schlafen wir doch schlecht, weil man zu aufgedreht ist.