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Freitag, 3.5.

Wegen des morgendlichen Prasselregens verzichten wir auf eine evtl. doch noch geplante Radtour und klettern lieber in das Auto nicht ohne den Leihschirm mitzunehmen. Wir fahren erstmal in den Ort Artern, da ist heute Markt. Eine Kirche mit Fachwerkturm und ein heruntergekommenes „Hotel Stadt Artern“ wohl noch aus DDR-Zeiten, das nehmen wir als Eindrücke mit.

Wir machen uns auf den Weg zu der Wasserburg Heldrungen. Nach einigen Umwegen finden wir diese endlich. Während ich zu einem ersten Foto aufrüste hat Heidi schon mit einem Herrn angebändelt - oder umgekehrt. Er stellt sich als „der Chronist“ vor und bietet seine Bereitschaft an, uns herum zu führen. Das läßt sich ja gut an. Nach und nach erfahren wir näheres. Der nette Herr ist pensionierter Bäckermeister. Sein Urgroßvater war auch schon Bäckermeister, aber auch ein begeisterter Heimatforscher. Aus jenen Zeiten stammen umfangreiche Sammlungen und Dokumente, aus denen unser Lehrmeister nun seinen reichen Kenntnisstand ableitet.

Zuerst besichtigen wir die Golgathakapelle, die auf dem ehemaligen Richtplatz der Burg Heldrungen errichtet ist. Ein schlichtes Gebäude aus grauem Kalkstein erbaut, viele Fossilien und Versteinerungen kann man in dem Gestein entdecken, wenn man eine so sachkundige Führung hat. Vor langer Zeit ist mal der Turm dieser Kapelle eingestürzt. Neben dem Gebäude findet man den Stubben einer abgestorbenen Ulme. Da grünt frisches Leben und eine neue Ulme wächst heran.

Die Abfolge der Machtverhältnisse in diesem Herzog- Fürsten- oder Grafentum, was immer es war, kann ich nicht mehr wiedergeben. Daß in dieser Gegend früher mal ein ergiebiger Anbau von Zwiebeln betrieben wurde und der Zwiebelmarkt in Weimar hauptsächlich von hier aus beliefert wurde, das haben wir uns gemerkt.

Nun betreten wir erwartungsvoll die eigentliche Sehenswürdigkeit, die Burg Heldrungen über eine Brücke des Wallgrabens, früher mal ein Knüppeldamm. Den Knüppeldamm konnte man im Fall einer Belagerung entfernen und dann den Belagerern eine lange Nase zeigen. Eine Zugbrücke gab es natürlich außerdem. In einem Seitenfenster des Tordurchgangs hat man heute die Attrappe eines fauchenden Burggespenstes installiert, das ist historisch weniger ergiebig.

Um das ganze noch etwas literarisch aufzumöbeln: durch dieses Tor, flankiert von zwei runden Mauerbrüstungen und dem dunklen Torgang in der Mitte mag weiland dem Thomas Müntzer die letzte Reise wie eine Geburt zum Tode erschienen sein. So nachzulesen in der o.g Müntzerbiographie.

Burg Heldrungen
Unser Herr Chronist zeigt uns nun ein kleines Erdhäufchen im Wallgraben. Dahinter verberge sich ein Zugang zu den labyrinthartigen Kellergewölben der Burg, auch ein paar Geheimgänge sollen dort vorhanden sein. Aber das behalten wir lieber für uns.

Wir versammeln uns nun vor einem hervorstehenden Stein in der Burgmauer - dem „Krötenstein“. Dazu gibt es ein Gedicht über den Hellerbach, das wird uns nun in mehreren Strophen rezitiert. Leider haben wir auch nur das Gedächtnis einer Kröte und können uns den Wortlaut für eine Überlieferung nicht merken. Es handelt sich jedenfalls um einen hochverschuldeten Herrn der Burg, der in seiner Verzweiflung einer Kröte im heutigen „Hellerbach“ seinen letzten Heller zuwirft. Als besagter Herr zu seiner Burg zurückkehrt, findet er die Burggräben gefüllt mit Hellern vor und ist seiner Sorgen ledig.

Noch mehr begeistert sind wir, als wir erfahren, daß diese Darbietung auch schon in einer Fernsehsendung zum besten gegeben wurde. Aber heute nur für uns, da fühlen wir uns sehr geehrt. Der Herr Chronist muß nun nach Hause, sicher wartet das Mittagessen auf ihn. Wir bedanken uns überschwenglich. Wir wünschen allen Besuchern der Burg Heldrungen, die Bekanntschaft dieses netten Herrn zu machen. In der Burg ist eine Jugendherberge und eine Müntzer Gedenkstätte untergebracht. Letztere können wir besichtigen. Neben vielen historischen Dokumenten, z.B. Original-Fotokopien von Original-Müntzerbriefen, peinlichem Geständnis und Widerruf findet sich auch ein Schaukasten mit einer Kette. Daneben das erklärende Hinweisschild: „Kette“. So haben wir wieder eine Menge gelernt und suchen - noch ganz benommen - den Ratskeller auf. Den testen wir auch noch kurz an, Heidi läßt sich den Schlüssel zur Toilette aushändigen. Die Herrentoilette ist dagegen frei zugänglich. Vor dem Rathaus ist auch wieder ein Wurststand - das bedeutet, soviel kann schon verraten werden - die letzte Thüringer Bratwurst dieser Reise.

Die Rückfahrt führt uns durch die „Thüringer Pforte“, wo sich der Fluß Unstrut seinen Weg zwischen Hainleite und Schmücke gebahnt hat. Wegen der strategisch bedeutsamen Lage befinden sich hoch oben auch die Reste der Sachsenburgen. Über Orte wie Kannawurf und Bilzingsleben fahren wir weiter. Heidi entscheidet, daß sich diese Strecke zum Radfahren sowieso nicht eignet, weil es immer rauf und runter geht. Ich sage lieber nichts.

Kloster St. Wigbert
Die Flüsse dieser Gegend sind offenbar ganz kregel, so hat auch die Wipper sich einen Durchbruch durch die Hainleite erstritten. Der Wipperdurchbruch ist landschaftlich wesentlich interessanter als die vergleichsweise langweilige Thüringer Pforte. Auch hier hat man seine Burg: die Ruine Arensburg. In dem Ort Göllingen gibt es neben der Klosterruine St. Wigbert (Benediktinerprobstei um 1000 - 1200) auch andere alte Gemäuer.

Der Rest ist Landstraße zurück nach Frankenhausen, wo wir uns mit Schwimmen, Lesen und einem Schläfchen wieder entspannen. Als wir uns wieder die Augen reiben, scheint die Sonne - nun schnell los zu einem Fotospaziergang. Dann wandern wir hinauf zum Hausmannsturm, ein schönes Panorama bietet Bad Frankenhausen, die Diamantene Aue und die dahinter liegende Hainleite.


Bad Frankenhausen in der Totalen


Am Hausmannsturm
Unversehens stehen wir vor dem „Hotel Residence Frankenburg“. Heidi besteht darauf, das muß nun auch noch getestet werden. Eigentlich sollte man über dieses Bauwerk keine weiteren Worte verlieren, ich tue es trotzdem. Es sind die Kontraste, die geradezu weh tun. Auf der einen Seite steht der Hausmannsturm, Rest einer ehemaligen Festung und Wahrzeichen des Ortes. Weiter unten versackt die Kirche mit ihrem schiefen Turm, auch ein Wahrzeichen. Zu deren Sanierung fehlen heute noch 150 Tsd. DM. Mitten dazwischen hat man schneeweiß dieses Hotel mit den drei hochaufragenden Giebeln hineinbetoniert. Das hat ja wohl etliche Millionen gekostet.

Wir gehen zwar kurz in dieses Gebäude hinein, sind aber auch genau so schnell wieder draußen. Das ist so steril vornehm darin, da kriegt man sofort eine Gänsehaut und fröstelt.

Um etwas mehr Romantik zu erleben, gehen wir zum Abendessen nun endlich in die Grabenmühle. Da hat man sich mit der üppigen pflanzlichen Dekoration zwar auch etwas vertan, indem alle Topfpflanzen und Hydrokulturen aus Plastik sind. Doch speisen kann man gut (wie es sich in einer „Mühle“ gehört: Forelle). In Frankenhausen ist an diesem Wochenende die Jugendweihe angesagt. So fällt auch hier bald eine geschlossene Gesellschaft ein und wir dackeln zurück, um unsere Koffer zu packen.

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