Die Braunschweiger haben es mit Heinrich dem Löwen. Die Aachener haben es mit Karl dem Großen. In der letzten Woche waren wir am Kyffhäuser, da hat man es mit dem Kaiser Barbarossa. Im Juni d.J soll dann auch ein "Barbarossa Wanderweg" vom Bergischen Land bis zum Kyffhäuser eröffnet werden. Ähnliche Anstrengungen hat man unternommen, einen Radweg unter dem Motto "Auf den Spuren Karls des Großen" zu schaffen, der führt von Aachen nach Paderborn. Den Braunschweigern würde ich einen Radweg "Auf den Spuren Heinrichs des Löwen" vorschlagen, der könnte von München bis Ratzeburg führen.
Zu dem erstgenannten Radweg gibt es eine Radwanderkarte: "Kaiser-Route", Bielefelder Verlagsanstalt, 1. Aufl 1994. Dem Vorwort des genannten Werkes ist zu entnehmen, daß die Initiative zum Entstehen dieses Radwanderweges dem Fremdenverkehrsverband Paderborn zu verdanken ist.
Wie auch immer, für uns Braunschweiger ist der Einstieg ideal in Gestalt eines Interregiozugs, der einen in genau drei Stunden ohne Umsteigen nach Aachen bringt. Es wird empfohlen, wegen des zumeist vorherrschenden Westwindes die Tour in Aachen zu beginnen. Meine Restwoche des Urlaubs vom vergangenen Jahr soll nun dazu herhalten. Thomas fährt auch mit, obwohl er gerade von einem Artzttermin wg. einer Entzündung am großen Zeh zurückkommt. Um die Angelegenheit medizintechnisch korrekt weiterzubehandeln, muß er allerdings eine kleine Fußwanne im Gepäck mitführen.
Pünktlich sitzen wir am Dienstag Morgen in dem IR 2648, Abfahrt 7.36. Ich habe mal wieder schon alles dabei: Fahrkarte, Platzreservierung und Fahrradticket. Thomas ist mehr ein Freund von Spontanaktionen, er löst den ganzen Kram erst im Zug bei der Schaffnerin. Es kostet das gleiche. In Hannover steigt ein Mitfahrer zu, der kommt aus Hamburg und will ab Duisburg eine Radtour am Niederrhein machen. So vergeht die Zeit schnell, kurz vor 12 Uhr sind wir in Aachen.
Ohne Probleme finden wir uns auf dem Domplatz wieder, der Dom hüllt sich in ein Gerüst. Wir entdecken den ersten Wegweiser für die Kaiserroute. Nun mag es einen noch so kribbeln, es ist Mittagszeit, da gibt es Wichtigeres zu tun. In einem Tchibo mit angeschlossener Fressalienabteilung läßt sich da einiges erledigen. Zum Glück schrammen wir nur knapp an dem nahegelegenen "Mac Donald's" vorbei.
Die Ausfahrt aus Aachen ist ganz gut ausgeschildert, sodaß sogar wir uns verhältnismäßig selten verfahren. Nach Passieren von ein paar Kasernen und einem Wald-Friedhof erreicht man freies Land. Nun haben wir Muße, uns über die Windrichtung zu wundern, denn die entspricht nicht den Planungen. Nord-Ost, d.h. genau von vorn, wir können das nur als Herausforderung annehmen.
So erreicht man nach c.a. 10 Km die erste Sehenswürdigkeit: Kornelimünster. Am Ortseingang kommt uns ein junger Mensch mit einer Milchkanne entgegen. Das ist ein echter Mönch mit Kutte. Wir geraten in eine Diskussion über das Phänomen Glaube und Hingabe - oder so. Der Ort Kornelimünster ist sehr niedlich, graue Feldsteinhäuser geben den Plätzen und Straßen ein einheitliches Gepräge. An den vielen Restaurants erkennt man, daß auch der Tourismus Einzug gehalten hat.
Wir halten uns, das sei gleich gesagt, nicht lange mit Besichtigungen auf. Wir wollen Radfahren. Der Begleittext zu der Route zählt derart viele historische Tatsachen und Bauwerke auf, da macht man lieber, daß man weiter kommt.
Wir entdecken dann auch bald von weitem den Ort Stolberg mit dem "weithin sichtbaren Wahrzeichen der mittelalterlichen Burg" (Reiseführer). Um dorthin zu gelangen, bleibt uns allerdings ein Weg durch die Wiesen nicht erspart, weil wir wieder mal die Beschilderung des richtigen Weges verpassen. Wir kommen dann auch nicht an der Burg raus, sondern in einem ausgedehnten Industriegebiet. In früheren Zeiten hat man in der Gegend Erz geschürft und zu Metall verarbeitet. Eine Fabrik trägt den Namen "Prym", wobei uns nach einigem Nachgrübeln Druckknöpfe und Stecknadeln einfallen. Zu der mittlalterlichen Burg müßte man erst wieder bergauf, das muß ja nicht sein.
Wir geraten in den Ort Vicht, da geht es links ab in den Wald und steil hinauf. Zunächst begleitet uns ein Bach, an dem derzeit üppig die Sumpfdotterblumen blühen. Nachdem wir dessen Quellgebiet hinter uns haben, geht es einigermaßen eben dahin. Wir erreichen einen Waldparkplatz und überqueren ihn ohne lange zu überlegen. Wir bestaunen einen üppigen Kuhfladen auf dem Weg. Bald geht es schön bergab, das zeigt die Karte ja auch an. Nach etlichen Kilometern erreichen wir endlich eine Stelle, die wieder einen Vergleich mit der Karte zuläßt: wir befinden uns an einem Ausläufer der Wehebachtalsperre. Von dort führt allerdings kein Weg weiter, wir müssen einsehen, daß wir total falsch sind und die ganze Strecke zurückfahren müssen.
Das ist auch interessant, wo es vorhin rasend schnell hinunter ging, da schnaufen wir jetzt mühsam hoch. Man wundert sich, eine welche Strecke man in so einer Zeit zurücklegen konnte. Als wir wieder den üppigen Kuhfladen erreichen, atmen wir tief durch und der Parkplatz ist nicht mehr weit. Von da muß man auf der regulären Straße hinunterfahren, darauf muß man ja erstmal kommen. Zu unserer Entschuldigung: die Beschilderung an dieser Stelle fehlt völlig!
So haben wir uns in Schevenhütte eine Rast verdient. Wir finden Das "Cafe Backstube". Bei Kaffee und Kuchen erholen wir uns. Alsbald erfahren wir die näheren Umstände über einen Krankheitsfall der Wirtin, ob das jeder Gast zu hören bekommt?
Die Weiterfahrt ist nun einfacher, immer an einem Waldrand entlang, vorbei am Kloster Wenau. Dann wieder über die Felder nach Düren. Der Ort bietet uns bei der Durchfahrt keine nennenswerte Einblicke, außer daß wir wieder die Orientierung verlieren. Die Ausfahrt aus Düren ist leider eine Bundesstraße, andererseits leicht zu finden. Schließlich führt sie ein Stück in südlicher Richtung, da weht der Wind wenigstens von der Seite. Das ändert sich bald wieder und wir kämpfen uns nach Nörvenich durch. Hier gibt es einen Fliegerhorst als Bollwerk gegen die Gefahr aus dem Westen.
Es wird Zeit, sich um ein Nachtquartier zu kümmern. Auf Befragen wird uns ein Hotel in Blatzheim empfohlen, das liegt ein paar km nördlich. Also los, eine halbe Stunde später sind wir da. In dem empfohlenen Hotel teilt uns der Wirt (in Schlips und Kragen) allerdings mit, daß er voll sei. Er meint sein Haus. Wir gucken dumm aus der Fahrradwäsche. Ob wir nicht vornehm genug sind?
Zwei Straßen weiter findet sich dann aber doch das richtige: Gasthaus Kreutz, direkt an der Kirche. Dusche und Toilette sind zwar nicht im Zimmer, das stört uns weniger, als im Straßengraben zu übernachten.
Abschließend finden wir gleich um die Ecke das notwendige griechische Lokal (Akropolis), das es uns an nichts mangeln läßt.
Ein früher Start verbietet sich wegen anhaltenden Regens. Da kann man gemütlich die Füße baden, Sachen packen, frühstücken und sogar Zeitung lesen. Der Wetterbericht ist genauso, wie es draußen vor dem Fenster aussieht. Doch der Regen hört auf, wir fahren punkt 10 Uhr los. Einen Teil der Kaiserroute schwänzen wir allerdings, indem wir direkt nach Kerpen fahren. Kerpen ist eigentlich nur bekannt durch einen Mann, der unheimlich schnell im Kreis herumfahren kann. Das sieht man dem Ort gar nicht an. Doch es gibt ein Fahrradgeschäft, aber da kann man heute nichts kaufen.
Wir verlassen die Stadt in östlicher Richtung, trotz des Regenwetters bläst der Wind penetrant von Osten. Wir erreichen nun den Flußlauf der Erft, die ist hier in ein Betonbett gezwängt worden, weil der Grundwasserspiegel durch den Tageabbau der Braunkohle um 300 m abgesenkt ist.
Bei der Burg Mödrath befindet sich ein Aussichtspunkt über den Tagebau Frechen. Wenn die Sonne scheinen würde, könnte man hier ein eindrucksvolles Foto machen. Man hat den Grund der Grube zum Teil mit verschiedenfarbigen Abraummaterialien verfüllt, im Hintergrund werkelt ein Schaufelbagger.
Weiter geht es immer entlang dem Lauf der Erft, meist unter Pappeln. Das wäre was für die Freunde des Heuschnupfens, wenn die alle blühen. Wir sind nur froh, daß es wenigstens nach dem langen Winter um uns herum endlich grün wird. Man erreicht hinter Bergheim den Ort Pfaffendorf mit einem romantischen Wasserschloß. Das schauen wir uns sogar an, und es lohnt sich.
Anschließend fährt man an dem riesigen Tagebau Fortuna-Garsdorf entlang. Davon bekommt man nichts zu sehen, weil das ganze Elend hinter aufgeschütteten Wällen und Bepflanzungen verborgen bleibt.
Wenig später ist wieder ein Abstecher in den Ort Alt-Kaster Pflicht. Ich muß wieder den Reiseführer zitieren, weil ich das nicht so gut ausdrücken kann: "Die Hauptstraße wird von kleinen, z.T. rosenberankten Backsteinhäusern gesäumt...". Rein oder raus in oder aus diesem Ort kommt man nur durch kleine Stadttore. Rings rum ist eine Mauer erhalten. Das alles wirkt so richtig kuschelig. Wir fahren alle Straßen ab, das dauert nicht lange.
Nun folgt eine weniger schöne Strecke - wie man's nimmt. Man fährt im Zick-Zack zwischen den mächtig qualmenden Kraftwerken Frimmelsdorf und Neurath hindurch. Das Graue Wetter heute mit dem kalten Ostwind kommt noch hinzu, so fühlen wir uns auf diesem Teilstück nicht sehr wohl. Die Landschaft sieht aus wie in einem Schwarz-Weißfilm.
Erst mit dem Kloster Knechtsteden kommt man wieder auf andere Gedanken. Ausahmsweise werfe ich einen Blick in die "doppelchorige Basilika". Meinem scharfen Auge entgehen nicht die Fresken in der Westapsis, die - wie man nachlesen kann - um die Zeit 1170 entstanden sein sollen.
Der Rest der linksrheinischen Strecke wird nun abgespult und wir erreichen am Spätnachmittag in dem Ort "Feste Zons" den Rhein. Die Fähre liegt beereits abfahrbereit am Ufer, vielleicht hätten wir uns den Ort doch lieber noch anschauen sollen. So aber legen wir sogleich ab und komen mit einem weiteren Radler ins Gespräch. Es stellt sich sogleich heraus, daß auch er (auf dem Heimweg von der Arbeit) die nächsten Kilometer genau auf unserer Route fährt. Da können wir ja dann zusammen fahren.
Auf diese Weise bleibt einem leider nicht allzuviel von der Strecke im Gedächtnis haften. Unser Mitradler schlägt ein scharfes Tempo an, und ein wenig Konversation muß auch noch dabei gemacht werden. Erwähnenswert vielleicht eine Wasserskianlage, wo tatsächlich drei Gummifiguren herumschwirren. Da kann es einen nur schütteln. Wenig später schüttet es dann auch. Wir schütteln unseren Radler ab, indem wir uns erstmal regenfest machen müssen, Thomas hat auch mit seinem Zeh zu tun.
Wir geraten nach Hilden, für heute haben wir genug. In einem Reisebüro lassen wir uns ein Hotel empfehlen, das etwas umständlich zu erreichen ist. Dort vernehmen wir die freudige Nachricht, daß in Düsseldorf gerade eine Messe (Interpack) stattfindet, daher seien alle Zimmer in der Gegend belegt. Die Leute sind sehr nett (Forstbacher Hof) und rufen für uns in einem anderen Hotel an. Und dort ist noch was frei - was sind wir wieder froh. Es handelt sich um Hotel Monopol gleich am Bahnhof. Nachdem wir dort eingetroffen sind, regnet es sich erstmal richtig ein.
Man muß das Haus auch gar nicht mehr verlassen, denn unten befindet sich ein ausgezeichnetes Restaurant mit jugoslawischer Küche.
Eine Bemerkung zwischendurch: unsere zurückgelegten km stimmen nicht mit der Kilometrierung im Kartenwerk "Kaiser-Route" überein, sondern es sind grundsätzlich mehr als die erforderlichen. Das liegt an Umwegen, Abstechern, Irrfahrten oder Abkürzungen.
Heute morgen strahlt die Sonne, natürlich ist es dafür empfindlich kalt. Wir versuchen, Hilden in alle möglichen Richtungen hinter uns zu lassen, erreichen schließlich am Schwimmbad wieder die Kaiser-Route. Die führt durch den Stadtwald, da sind Schilder vorhanden, auf denen man lernen kann, was eine Eiche oder Kiefer ist.
Am Autobahnkreuz erreicht man wieder die eigentlich wichtige Welt und darf sich nun nicht nur entlang vielbefahrener Straßen, sondern auch noch bergauf nach Dü.-Sandheide bewegen. Dann aber hinunter in das Neandertal. Soviel man auch schaut, die Einheimischen hier sehen auch nicht anders aus. Es gibt aber ein Museum, da steht schon ein Bus davor. Wir fahren weiter und queren ein Gebiet mit dem schönen Namen "Diepensiepen". Der Ort Gruiten wird durchfahren, da sieht es ganz gemütlich aus.
In dem Ort Hahnenfurth ist mal wieder die Beschilderung ausgefallen, wir fragen daher einen herumstehenden Herrn. Der erzählt gleich los, was da alles an Radfahrern so durchkäme. "Manche fahren ja 90 km am Tag" weiß er zu berichten. Wir bereiten ihn darauf vor, daß die Saison ja erst anfange.
Schließlich der Ort "Düssel" mit dem gleichnamigen Flüßchen, das immerhin auch der Landeshauptstadt seinen Namen gibt. Von dem dortigen Wasserschloß ist mir nichts in Erinnerung, vielleicht war es trockengefallen.
Wir sind heute mit unseren Vorräten schlecht dran, zu Essen und zu Trinken ist nichts vorhanden. Wie es heutzutage so ist, findet man in kleineren Orten keine Geschäfte mehr. Es ist schon gegen Mittag, da stoßen wir in einem Neu-Siedlungsgebiet der Stadt Neviges auf einen Edeka-Laden. Den hätten wir uns sparen können, denn wenig weiter in der Altstadt findet ein großer Straßenmarkt statt. Während sich Thomas um einen Bratfisch kümmert, umrunde ich die hiesige Wallfahrtskirche. Unter dem Motto "Zelt Gottes" ist diese im Jahre 1968 als grauer Betonklotz betoniert worden.
Es folgt eine weitere bergige Strecke. Aber wenn die Sonne scheint und die Sicht weit in das bergische Land reicht, dann weiß man wieder, was Farben sind und daß ein blühendes Rapsfeld gelb ist.
Einen nächsten Höhepunkt bietet der Ort Langenberg. Der hat wirklich ein romantisches Ortsbild, viele Häuser sind mit Schiefer verkleidet oder gedeckt. Wir verbringen dort eine Weile, indem Thomas einem kleinen Jungen die Einstellschrauben der Kettenschaltung bei dessen Mountainbike erklärt.
Nun schlagen wir der Kaiser-Route wieder ein Schnippchen, indem wir uns nicht in die Berge locken lassen, sondern auf der L439 bei zwar mehr Verkehr aber dafür unten im Tal und auf bequeme Weise dahinrollen. Mit dem Ort "Kupferdreh" erreicht man das westliche Ende des Baldeney-Sees.
Die Routenkarte verzeichnet nun eine Gratis-Umrundung des Baldeney-Sees. Wir rechnen schnell aus, daß wir durch Überqueren der nahen Brücke gute 10 km sparen können. Vorher noch an einen Kiosk. Da sonnt sich eine Dame, mit der wir uns freundlich unterhalten. Als wir sie zu einem Kaffee einladen wollen, verweist sie auf zwei kräftige Herren, auf die sie warte. Na, wir hätten ja wohl auch immer Pech, flaxen wir.
Wenig später erscheinen die beiden kräftigen Herren, und da flaxen wir nicht mehr. Das eine ist der 10 jährige Sohn auf einem MTB. Der andere ist der Gatte, der ist an beiden Beinen amputiert und fährt ein Dreirad mit Handantrieb. Zu wenig denkt man daran, wie gut es einem mit funktionsfähigen Gliedmaßen geht.
Die weitere Tour entlang der Ruhr kann guten Gewissens als Genußstück bezeichnet werden. Das Tal windet sich in großen Schlingen, die Ortschaften liegen an den Hängen. In den Talauen sind große Trinkwassereinzugsgebiete. An der Horster Schleuse machen wir halt. Ich zähle mal auf, was man hier in kurzer Zeit beobachten kann: einen gelben Schmetterling: den äußerst seltenen Schwalbenschwanz, einen brütenden Schwan, zwei wegstreichende Graureiher, ein paar Haubentaucher. Über dem Wasser Schwärme von Schwalben, die sind schwarz, also wohl auch eine besondere Spezies. Und das alles am Rande des berüchtigten Ruhrgebiets.
Wir erreichen Hattingen mit einer großen Wehranlage. Das Befahren mit dem Boot scheint hier äußerst gefährlich zu sein: "8 Tote 1990" steht auf einem Warnschild.
Dann sind wir plötzlich umringt von einer großen Schafherde und unterhalten uns ein wenig mit dem Schäfer. Die Herde umfaßt 350 Mutterschafe, die Jungen werden gar nicht mitgerechnet. Die Tiere wurden gerade geschoren und laufen nun etwas nackt herum. Als die letzten Lämmer von ihren Müttern eingesammelt sind, ist der Weg für uns wieder frei.
Ein Blick auf die Karte zeigt: wir sind wieder im Kreis gefahren, heute morgen waren wir schon einmal ca. 10 km von dieser Stelle entfernt. Muß man wieder das alte Zitat wiederholen: "Der Weg ist das Ziel...".
Der Weg führt nun hinauf zu der Burg Blankenstein. Die thront da ganz imposant über dem Tal. Das schauen wir uns pflichtschuldig an. Als wir wieder hinunter wollen, schickt uns ein Junge auf unser Befragen auf einen steil abfallenden Weg. Stellenweise schieben wir, weil es zu gefährlich mit den Bremsen wird. Man gelangt an ein altes Bahnhäuschen und einen Haltepunkt der Ruhrtalbahn. Dahinter ist nur Sumpf, ein Trampelpfad wird nach wenigen Metern unpassierbar.
Ein Mann kommt des Weges, den fragen wir, wo es denn hier weitergeht. "Na, da hoch" meint er und zeigt auf den Weg, den wir gekommen sind. "Für ein paar Trainingseinheiten ist der immer gut" ergänzt er. Schiebend ziehen wir uns diese "Trainingseinheiten" rein (25 % Steigung), zum Glück mault keiner. Schließlich sind wir wieder oben an der Burg und vertrauen uns nun der Hauptstraße an.
Bald fährt man am Kemnader See entlag, dort weht wieder eine steife Brise, was sich einige Segler zu Nutze machen. Wenig weiter gegenüber der Ruine Hardenstein ist eine Schleuse, da fährt gerade ein Fahrgastschiff ein, allerdings ohne Gäste. Wir versuchen, den Schiffer nach einem Übernachtungstip auszufragen, aber bei seiner angespannten Tätigkeit kommt er nicht ganz zu Ende damit, überlegt es sich wohl auch anders. Wir philosophieren noch, was so ein Schiffer wohl an Tips hätte, wenn man da an die "Reeperbahn" denkt...
In dem Ort Bömmern fragen wir dann einen Herrn nach einem Hotel. Der ist sehr freundlich und schlägt uns das "Hotel zum Stöter" vor, das liege so gut 2 km bergwärts. Also fahren wir 2 km bergwärts. Dort ist aber nur eine Gärtnerei. Wir fragen nochmal. "Ja, das Hotel zum Stöter liegt so 2 km weiter". Wir fahren weitere 2 km bergwärts. Dann kommt zwar nicht das "Hotel zum Stöter", sondern die Ortschaft Trienendorf. Wieder fragen wir eine Dame in ihrem Vorgarten. "Ja das Hotel ist so 2 km von hier". Wir fahren die nächsten 2 km bergwärts. Und da endlich "Hotel zum Stöter". Und "Donnerstag Ruhetag"!!!
Es geht auf 20 Uhr zu und wir sind einigermaßen verdattert. Also den ganzen Weg zurück, immerhin bergab und in den Ort Wengern. Dort gibt es zwei Hotels. Das eine ist im Umbau. Vor dem anderen "Hotel Elbschetal" stauen sich die dicken Schlitten, da trauen wir uns nicht, mit den Rädern vorzufahren. Nun gibt es noch eine Jugendherberge, die ist belegt. Auch eine Naturfreundehaus wird uns empfohlen, auch das ist besetzt. Also dann ab in die nächste Ortschaft, das ist "Wetter", dort soll es einen "Westfälischen Hof" geben. Und dem ist so, man hat auch ein Zimmer frei. Also das ganze Theater vorher, das hätte man sich sparen können.
Mich treibt der Hunger dann sogleich in die Gaststube, wo die hervorragenden Matjes alle Sorgen der Welt vergessen lassen. Aus der Musikbox hinter der Theke erklingt die Weise "Wenn der Sommerwind in den Haaren singt...". Da macht man sich dann schon so seine Gedanken. Thomas erscheint später nach Erledigung der kosmetischen und medizinischen Maßnahmen. Aber dann ergießt sich ein Männergesangsverein, 30 Mann hoch, lautstark in die Gaststube. Da ergreifen wir die Flucht.
Zum Frühstück begrüßt uns Nelly, eine junge Schäferhündin. Wenig später große Aufregung: Nelly kommt erbärmlich jaulend von draußen die Treppe hoch gehumpelt. Bald kommen auch zwei aufgeregte Autofahrer, die auf der Straße mit Nelly nicht ganz berührungslos zusammengetroffen sind. So wie es aussieht, ist Nelly aber schon wieder ganz kregel, außer ein paar Abschürfungen ist es ihr hoffentlich eine gute Lehre gewesen.
Also machen wir uns auch auf in diese gefährliche Welt. Der Radweg ist aber autofrei entlang am Harkortsee und durch den Wald. Hinter Herdecke schon wieder ein See, der Hengsteysee. Dort ist ein Pumpspeicherwerk der RWE. Eine Gruppe behelmter Besucher macht sich gerade für eine Besichtigung fertig. Danach fahren wir meistens neben einer Eisenbahnlinie her, interessant der Kontrast zwischen den alten Stahlkonstruktionen der Eisenbahnbrücken und den betonierten Autobahnüberführungen, die nicht nur den Fluß sondern gleich das ganze Tal überspannen.
Durch die Flußauen usw., so geht das immer weiter, bis man das Städtchen Fröndenberg erreicht. Die Innenstadt ist wegen eines Jahrmarktes gesperrt. Jetzt in der Mittagszeit ist da noch nichts los. Thomas entdeckt erst ein Wohnmobil auf einem Sattelschlepper und dann einen Griechen (Dionysos Grotte). Ich habe weniger Hunger und fahre derweil hinauf zu den beiden Kirchen. Das hätte man genausogut lassen können, mit dem Fahrrad unter dem Arm muß ich über die Treppen wieder hinunterklettern.
Auf den Weiden hinter Fröndenberg grast eine merkwürdige Rindersorte. Laut Tafel an einem der Zuchtbetriebe handelt es sich um ein Vieh der Marke "Galloway". Auf einem Feldweg mache ich ein Foto von einem Ort auf einem Berg, da kommen uns zwei fidele Rentner entgegen. Der Ort heißt Wickede und wird als junge Ortschaft beschrieben. So deuten wir den Ausspruch "Monte Kredito" der fidelen Rentner wohl richtig.
Direkt an der Autobahn gelegen besichtigen wir das etwas heruntergekommene Anwesen "Haus Füchten". Danach verlassen wir das Tal der Ruhr. Obwohl die Möhne ein Nebenfluß der Ruhr ist, wird man zum Übergang von einem in das andere Tal über die Berge gescheucht. Zur Entschädigung wird mal wieder über eine Landstraße abgekürzt. Trotzdem geht es weiterhin lebhaft rauf und runter hoch oben über dem Möhne Stausee.
Neueren Datums als die ollen Ruinen aus der Zeit Karls des Großen sind die zahlreichen Windräder, die man an exponierten Orten aufgebaut hat. An einer Stelle zählen wir mehr als 15 Windräder unterschiedlichen Typs. Sie stehen inmitten bewaldeter Hügel. Als Anmerkung muß ich einfügen, daß bei uns in Braunschweig ein einziges Windrad inmitten von kahlem Ackerland neben einem Fernsehturm als zu starke Beeinträchtigung des Landschaftsbildes bewertet wurde.
Eine sinnvolle Umnutzung einer ehemaligen Eisenbahntrasse lernen wir an der Möhne Talsperre kennen. Auf der Trasse führt nun steigungsfrei der Radweg entlang. Damit man nicht übermütig wird, hat man aber vor Straßenkreuzungen schwer zu umfahrende Sperren eingerichtet. So geht es auf angenehmste Weise im Tal der Möhne dahin. In Belecke wird die Eisenbahn wieder das, was sie mal war, allerdings nur für den Güterverkehr.
Wir sind für heute eigentlich auch am Ziel. Ein Hotel finden wir schnell am Marktplatz, haben dann sogar noch die Zeit, uns die angeblich sehenswerte Altstadt von Belecke anzusehen. Die liegt oben auf dem Berg. Da sind wir leider sehr enttäuscht. Nach dem Motto "Unser Dorf soll schöner werden" hat man mit einem sterilen Kunststeinbelag alle Romantik zugepflastert. Wir wenden dem ganzen schnell den Rücken zu und verschwinden in der "Pizzeria zur Mühle".
Hier wird es immer voller, anscheinend ein beliebtes Lokal. Auch wir sind mit allem, besonders der Bedienung, sehr zufrieden.
Beim Frühstück erfahren wir, daß der Chef des Hotels vor vier Wochen plötzlich verstorben sei. Frau und Tochter führen nun den Betrieb erstmal weiter, wie es weiter gehen soll, weiß man noch nicht.
Das letzte Teilstück liegt vor uns. Immer im Tal der Möhne bis hinter Rüthen, dann aber ein letztes Mal über einen Berg und hinunter in das Tal der Alme. In Büren schauen wir uns nicht lange um, irren stattdessen um einige Ecken und in die falsche Richtung, bis wir die Kaiser-Route wieder unter den Rädern haben.
Der Almetal-Radweg ist wieder vorbildlich und schön angelegt. Höhepunkt ist der Anblick der Wewelsburg, die alles beherrschend über dem Tal thront. Leider führt uns der Weg zu schnell hinter Weiden und Pappeln an der schönsten Ansicht vorbei, sodaß der Fototermin verpaßt wird. Das Titelbild des Wanderführers zeigt die Wewelsburg, allerdings an einem sonnigeren Tag als heute aufgenommen.
Wir schlaffen nun langsam ab und rollen den Rest bis Paderborn, stürzen uns in den ungewohnten Verkehr und suchen erstmal den Hauptbahnhof auf. Wie kommt man an einem Sonnabend mit der Bahn von Paderborn nach Braunschweig? Ich habe da wieder höchste Bedenken und hatte damit gerechnet, daß man mit dem Rad weitere 40 km bis Gütersloh an die Hauptstrecke fahren müßte. Schon auf der Abfahrttafel findet man aber genügend Züge nach Bielefeld. Inzwischen kommt Thomas zettelwedelnd vom Informationsschalter. Es geht ganz anders. Erst mit einem Bummelzug bis Ottbergen, dort umsteigen und mit einem weiteren Bummelzug direkt nach Braunschweig. Das kann man alles mit dem Wochenendticket bezahlen, wir kommen auf weniger als die Hälfte des normalen Fahrpreises.
Zeit genug, in Paderborn was zu essen und etwas für den morgigen Muttertag zu besorgen. Dann geht es völlig streßfrei mit der Bahn über Höxter und Holzminden nach Hause.