Kollege Rainer B. löchert mich schon im Herbst des Vorjahres, was man mal wieder für eine Unternehmung starten könnte, irgendwo zwischen Nordkap und Sizilien oder sonstwo. Meine von Braunschweig aus sternförmig in Europa ausstrahlenden Radtouren enden in einem Zweig in Paris, wo ich vor Jahren einmal eine Fahrt über Kanalküste, Belgien und Holland bis nach Ostfriesland unternahm. Dieser Zweig liesse sich vervollständigen in die andere Richtung: Loire, Atlantik und dann weiter nach Süden.
Einige Gründe sprechen dafür: ein Nachtzug mit Fahrradtransport fährt von Braunschweig direkt nach Paris, Frankreich hat touristisch eine hervorragende Infrastruktur, was Verpflegungs- und übernachtungsmöglichkeiten angeht, die Landschaften sind vielversprechend. Termin: am besten nach meinem Geburtstag (dem x0-ten) Ende April, da kann man gleich den offiziellen Verpflichtungen vorerst ein Schnippchen schlagen mit der Ausrede, sich die Fahrt selbst zum Geschenk zu machen.
Natürlich müssen zu dieser Gelegenheit auch neue Fahrräder her. Rainer spendiert sich ein Trekkingrad von Kildemoes, ich vergucke mich in ein feuerrotes Exemplar von Kalkhoff mit dem Namen Tramper. Da die Räder rechtzeitig angeschafft sind (das ziehe ich als Geburtstagsgeschenk vor), kann man sich noch einigermassen einfahren und die nötigen Modifikationen an den Rädern vornehmen.
Bei einem unserer allwöchentlichen Sportabende erzähle ich Thomas G. von dem Plan. "Komme ich mit" sagt er - also eine Fahrt zu dritt, noch besser!
In der Zeit bis zu dem Beginn der Tour kommt Rainer ständig mit Kalkulationen vorbei, wie viele Monate oder Wochen noch. Mir verkürzt unser Zwischenurlaub auf Rhodos die Zeit. Thomas ist noch über Ostern zum Skilaufen unterwegs. So hat er dann noch alle Hände voll zu tun, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Ein Diavortrag über die faszinierenden Landschaftsbilder Frankreichs kommt uns noch gut zupass.
Schliesslich sind Bahncard, Fahrkarten und Liegewagenreservierung besorgt, nur der Fahrradtransport grenzüberschreitend bleibt das grosse Fragezeichen. Sowohl im Reisebüro als bei der Auskunft der Bundesbahn kann man uns keine positive Auskunft geben. Doch der Zug führt einen Gepäckwagen bis Paris mit. Alle reden vom geeinten Europa, was ist nun damit?
Am Abend, als es losgehen soll, hat sich Thomas eine dicke Grippe eingefangen, doch ein Zurück soll es nicht geben. Wir hoffen, dass die körperliche Ausarbeitung beim Radfahren und die frische Luft das Ihre tut.
Am Mittwoch, 27.4, 22.30 Uhr fahren Thomas und ich im Dunkeln los zum Bahnhof, er ohne Licht, weil er mit seinem Rennrad fährt. Dickere Reifen für die rauhen Strassen Frankreichs hat er sich noch besorgt. Nach hundert Metern fällt Thomas ein, dass er sich auch eine Regenjacke mitnehmen sollte, da müssen wir nochmal umkehren. Marianne bringt Thomas' Gepäck mit dem Auto zum Bahnhof, weil man sonst mit dem ganzen Gerödel nicht zupotte kommt.
In der Bahnhofshalle treffen wir Rainer, der steht erwartungsfroh neben seinem neuen Fahrrad. Der Zug Warschau - Paris ist pünktlich, Abfahrt 23.15 Uhr. Die Räder werden im Gepäckwagen verstaut. Auf die Frage, ob das dann auch klar gehe mit Paris, versichert uns die Schaffnerin nichts Nachteiliges. Wir beziehen unsere Liegestätten, ein Ehepaar aus Berlin hat sich schon zur Ruhe begeben. Rainer hat eine Überraschung in Form einer Flasche Baujolais mitgebracht, die wir uns in einem Nachbarabteil munden lassen.
Irgendwo zwischen Hannover und Bielefeld wickeln wir uns in das Durcheinander aus Laken und Decken und lassen uns in einen unruhigen Schlaf ruckeln.