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Mo 16.5. Ardeche - Avignon 100 km: Abschluss

Ich starte unter Nebelschwaden. Am Pont d' Arc aber ist schon alles klar, die gespannt erwartete Fahrt in und über der Schlucht der Ardeche kann beginnen. Auf dem Campingplatz rüsten sich auch die Motorradfahrer zum Aufbruch. Mit abgewinkelten Armen stelzen sie in ihrer Ledermontur auf dem Weg zur Toilette wie die Rambos. Bald rauschen sie mit aufheulenden Aggregaten an mir vorbei, ich muss wohl gerade wegen zu starker Steigung vom Rad steigen.

Nach kurzer Zeit im Tal führt nämlich die Strasse steil hinauf auf die Hochebene. Das ist kein Zuckerlecken und man kommt schweissgebadet oben an. Ein älterer Rennfahrer überholt mich, der ist gut drauf und enteilt bergwärts. Wenn man oben ist erntet man immerhin bewundernde Blicke von Autofahrern, die hier vom Parkplatz aus einen Blick in die Tiefe werfen. Dieser erste Aussichtspunkt heisst Belvedere du Serre de Tourre. Ebenso besitzen weitere Aussichtspunkte klangvolle Namen, die fangen alle mit Belv. .. an. An manchen Stellen sind extra Umleitungen angelegt, um die schönsten Ausblicke zu erreichen.


Die Schlucht der Ardeche
Der Vorteil des Radfahrers ist nun ganz eindeutig, absteigen und schauen kann man überall und immer. Die Ardeche windet sich zwischen den Felswänden, die zum Teil senkrecht 400 m steil hinabfallen. Zur Sicherheit sind oben Gitter angebracht, an denen man sich festhalten kann. Gleitschirmfliegen ist auch verboten, wie den Schildern zu entnehmen ist. Bis man sich sattgesehen hat, vergeht eine Weile. Schnell komme ich jedenfalls nicht voran, ein ganzer Vormittag vergeht bei dieser Bummelei. Ausserdem ist jedes Anhalten und Anfahren in meiner gegenwärtigen Form nur unter Grimassenschneiden zu bewerkstelligen, aber es sieht ja keiner.

Das besondere Erlebnis: plötzlich huschen ein paar kleine Tiere, spannenlang, über die Strasse. Sind das vielleicht Lemminge, die sich ja gern Felswände hinunterzustürzen pflegen und in in dieser Gegend dafür geradezu ein Eldorado vorfinden? Die Tierchen kommen zum Glück heil über die Strasse und verfangen sich quiekend im Gras. Ich komme gerade noch heran um zu erkennen, dass es sich wohl um kleine Wiesel handelt. Tollend verschwinden sie unter Büschen.


St. Martin
Schön, ein Radfahrer zu sein, denkt man dann wieder und macht sich an die nächste Steigung. Auf und ab geht es hier oben durchaus auch zu, aber die Strecken sind immer überschaubar. Zuguterletzt geht es dann wieder auf den Boden der Tatsachen an die Ufer der Ardeche hinab, in St. Martin passiert man die Brücke hinüber auf die andere Seite.


Pont d' Esprit
In Pont d' Esprit wird die Rhone erreicht. Wieder ein Meilenstein, aber die Reise neigt sich nun auch ihrem Ende zu. Esprit ist ein idyllischer Ort. Die Häuser sind etwas verwahrlost, was sich unserer deutschen Asphalt- und Betonfassadenmentalität als romantische Empfindung erschliesst.

Die sich anschliessende Nebenstrasse ist wieder vom Feinsten, durch Weinhänge und Obstanbaugebiete geht es kurvenreich durch die Landschaft. Knapp kann ich mich vom Kirschenklauen zurückhalten, das zugehörige Anwesen ist noch in Sichtweite.


An der Rhone

Windrad
Ich fotografiere gerade die Rhone und ein Windrad, da fährt grüssend ein Einzeltourer vorbei. Leider ist es nicht Kollege B., so lasse ich ihn ziehen und fahre gerade noch in Sichtweite hinterher.

Die Schönheit der Landschaft endet jäh. Es folgt das Gelände einer Atomfabrik in Marcoule. Wieder sind die unüberwindbaren Zäune aufgebaut. Wachmänner stehen herum, da wagt man nicht einmal ein Foto. Die vielen Autos auf den Parkplätzen zeugen davon, dass es wenigstens zahlreiche Arbeitsplätze gibt. Aber die Gewässer, die zur Rhone gehören oder zu ihr führen sind augenscheinlich umgekippt: grüngrau und trübe. Trotzdem quakt in einem solchen Teich schon mal ein Frosch und Angler harren auf köstliche Beute.


2000 km
Beim Überqueren der Rhone habe ich exakt 2000 km auf dieser Reise erreicht. Mit dem Selbstauslöser mache ich ein Foto, das witzig wirken soll: Gebärde des Durchhängers. Leider vergesse ich, mein Überhemd auszuziehen, damit mein feuerrotes neues Fahrradhemd zum Vorschein kommt.

Feuerrot ist ein üppiges Mohnfeld, vorerst das letzte Fotomotiv. Über Roquemaure - Zeit für ein paar Stücke Kuchen, und Sauveterre - Zeit für einen Kaffee, nähere ich mich Avignon, der Endstation.


Mohnfeld
Man erreicht in dichter werdendem Verkehr die Vorstadt von Avignon mit dem Namen Villeneuve. Dabei handelt es sich keinesfalls um eine Neustadt, wie wir sie kennen. Eine trutzige mauerbewehrte Burg und enge Gassen zeugen von Tradition.

Dann geht es über die Brücke des ersten Rhone-Arms, das ist noch nicht besonders spektakulär. Man befindet sich auf der Ile de la Barthelasse. Die habe ich in weniger guter Einnerung. Hier bin ich schon einmal in den 60er Jahren, tief gebeugt unter meinem Tramper-Rucksack angelandet, um in der Jugendherberge unterzukommen. Damals war aber gerade eines dieser grösseren Festivals, wie sie zuweilen in Avignon stattfinden, und alles war besetzt. Da habe ich dann Avignon den Rücken gekehrt und mit anderen Leidensgenossen auf einem Feld inmitten von Stroh genächtigt.

Nun betritt man die zweite Brücke, das macht man besser zu Fuss, damit man alles betrachten kann. Vor einem liegt die Stadtmauer von Avignon, darüber die Türme der Paläste und Kirchen. Links die berühmte halbe Brücke. Wer nun nicht das Lied "Sur le Pont, d'Avignon..." vor sich hinsummt, der gehört zu den wandelnden Bildungslücken. Bei der damaligen oben erwähnten Reise ging gerade die Sonne unter und die Stadt lag rotübergossen da.


Avignon vor 30 Jahren
Avignon-Glühen,- das kann sie mir heute nicht bieten. Aber die Diaaufnahmen von damals, die existieren noch.

Ich suche mir in den Gassen der Innenstadt die Touristen- Information, die liegt genau vor der halben Brücke Pont St. Benezet (12. Jahrh.). Gegen Entrichten eines Eintritts kann man sie von hier aus betreten.

Ich muss aber so langsam meinen Rückzug organisieren. Zuerst wird ein Hotel in Bahnhofsnähe ausgesucht, mit dem frisch ergatterten Stadtplan finde ich über die Rue Joseph Vernet mühelos dorthin. Ein Zimmer zu bekommen macht auch keine Probleme. Danach geht es sogleich zum Bahnhof, um das Fahrrad auf die Reise zu schicken. Da lässt sich nun heute leider nichts mehr machen, die Gepäckabfertigung hat schon geschlossen.

Im Hotel darf ich das Fahrrad durch die Küche schieben und in einem Hinterhof abstellen. Bei dem Bummel durch die Altstadt von Avignon bei sommerlichen Temperaturen kommt keine rechte Stimmung mehr auf. Die Spannung ist weg. An den Strassenrändern haust allerlei Gesindel, einer hat einen ihm treu ergebenen Cocker Spaniel im Schlepptau. Er selbst kann sich nur noch mühsam an einer Wand entlangtasten. Auch in aufgehaltene Hände sieht man öfter, klar dass sich in Avignon so mancher das von den Touristen erhofft, was er durch Arbeiten nicht erreichen kann oder will.

Ich drücke mich auf der Prachtstrasse Rue de la Republique am Mac Donald's und anderen Imbissbuden vorbei und lande in einer Seitenstrasse in einem dezenten Chinarestaurant. Ich bestelle etwas mit ...fruit de mer... und grüble darüber nach, ob man hier mit Stäbchen essen muss, weil keine anderen Bestecke aufgelegt sind.

Meiner Sorgen werde ich enthoben, mir wird nur eine Suppe gebracht. Die allderdings ist sehr lecker. Nur weil sie soviel kostet, wie sonst ein Hauptgericht, bin ich wohl der irrigen Meinung aufgesessen, ein komplettes Gericht bestellt zu haben. Ich bezahle meine Zeche und lasse es dabei bewenden.

Durch ein paar weitere Hintergassen erreiche ich mein Hotel, wo ich die allmählich fällige Kartenpost erledige.

Nächster Tag