In der Auskunft muss man sich erstmal mit einem Nummernticket versehen. Die Nummer wird dann aufgerufen, wenn die lange Schlange der Wartenden vor einem abgearbeitet ist. In einem Wandregal finde ich inzwischen Merkblätter mit den Fahrplänen der grossen Verbindugen. Und da werde ich gleich fündig, die Verbindung nach Strassburg ist ausgezeichnet.
Als ich aufgerufen werde, kann ich also gleich meine Fahrkarte lösen. Es stellt sich heraus, dass der Auskunftsbeamte im Bahnhof zu Avignon nicht einmal des Englischen mächtig ist. Das nehme ich ihm zwar nicht übel, aber wundern tut es einen schon. Nun haben die Franzosen vor kurzer Zeit einen Erlass verabschiedet, wonach die französische Sprache von möglichst allen Anglismen und fremdsprachigen Elementen freigehalten werden soll. Vielleicht hängt das mit einem gewissen Nationalstolz zusammen, der der Europa-Idee doch ein wenig zu widersprechen scheint. Vielleicht sogar ganz gut! Nicht jeder ist ein grosser Europäer und wird einmal in den "Gessichtsbüchern" stehen.
Den Bahnhof brauche ich gar nicht mehr zu verlassen, der Zug fährt schon bald. Bis Strassburg sind es 700 km, da ist man den ganzen Tag unterwegs. In Lyon muss man umsteigen.
Die Bahnfahrt ist weniger erlebnisreich, gegen 18.30 bin ich in Strassburg. Um nicht eine Nachtfahrt mit ungewissen Zuganschlüssen zu machen, bleibe ich in Strassburg. Am Bahnhofsplatz komme ich im Hotel Les Vosges unter. Da ich die Stadt noch nicht kenne, bin ich gespannt auf den Stadtbummel.
Der führt durch schöne Gassen mit zahlreichen Restaurants und im Freien sitzenden Gästen direkt auf das berühmte Münster zu. Die fein verzierten Türme zeugen von hoher Bildhauerkunst. Nur der eine Turm hat keine Spitze, sondern Antennen und eine Wetterstation oder sowas zieren die Plattform auf dem Stumpf des Turmes.
Nach einigen Irrwegen suche ich nach den Erfahrungen des gestrigen Abends wieder ein Chinarestaurant auf. Hier ist man sprachlich natürlich vollständig eingedeutscht, da gibt es mit der Bestellung keine Probleme. Auch mit Stäbchen muss ich nicht essen. Am Nebentisch übt einer damit, indem er alle möglichen Gegenstände auf dem Tisch anhebt und herumbalanciert. Vornehm! Ein anderer bezahlt seine Zeche - Ritsch, Ratsch - mit der Scheckkarte. Weltmännisch!
Am Mittwoch geht es planmässg weiter. Erst bis Frankfurt, auf dem Frankfurter Hauptbahnhof suche ich vergeblich nach einer stinknormalen Bratwurstbude. Gibt es nicht, nur Mac Donald (Volksmund: Mac Doof), Moevenpick und andere Grosskotzerne haben sich ausgebreitet. Immerhin finde ich eine Laugenbrezel.
Mit dem ICE geht es direkt zurück nach Braunschweig. Von so einer Fahrt auf einer ICE-Schnellstrecke, wie sie von Fulda bis Hildesheim inzwischen fertiggestellt ist, wird man gans düselig. Kaum hat man das Auge auf den lieblichen Ausblick in ein grünes Tal fixiert, bekommt man durch Einfahrt in einen Tunnel eins übergebraten. Irgendwann mag man gar nicht mehr aus dem Fenster schauen.
Nach 19 Tagen Rad- und 2 Tagen Bahnfahrt komme ich in Braunschweig etwas abgewrackt an. Um die 10 Pfund habe ich abgenommen. Ein paar Tage bis über die Pfingstfeiertage habe ich noch Zeit, mich wieder zu erholen.
Nachtrag
Am Pfingstsamstag meldet sich endlich Rainer B. zurück. Während ich noch meinen verlorenen 10 Pfund Körpergewicht nachfuttere, ist Rainer blendend erholt und guter Dinge am Tag zuvor von seiner Version der Reise zurückgekehrt.
Er hat im Wesentlichen die gleiche Tour gemacht, ohne sich eine Mogeletappe mit der Eisenbahn zu gönnen. So ist er die ganze Atlantikküste bis Biarritz/St. Jean de Luz hinunter gefahren, dann wie wir quer vor den Pyrenäen gen Osten. Die geplante Überquerung des berühmten Col du Tourmalet hat er nicht realisieren können, weil der Pass wegen Schneefalls gesperrt war.
Über Toulouse und Albi ist er dann auch an den Tarn gefahren, in St. Rome hat er ein paar Tage nach mir im gleichen Hotel übernachtet. Auch schwärmt er von dem reichhaltigen Menu daselbst. Vom Tarn ist er in das Tal des Lot mit seinen Schluchten übergewechselt. Bei den abschliessenden Etappen über St. Etienne nach Lyon galt es dann auch noch einige 1000 m Pässe zu bewältigen.
Von Lyon ging es mit der Bahn nach Mulhouse, mit dem Fahrrad über die Grenze nach Freiburg im Breisgau, dann mit der Bundesbahn - inzwischen Deutsche Bahn - zurück nach Braunschweig.
Ein paar Tage später sehe ich dann auch wieder wie ein normaler Mensch aus, nachdem ich mir viel habe anhören müssen, besonders von meiner lieben Ehefrau. Wenn einer wissen will, wie lange man an einer Rippenprellung seine Freude hat, dem kann ich mitteilen: 6 bis 8 Wochen!
Resume:
Deswegen ist dieser Bericht etwas umfangreicher geraten. Nur so lassen sich halbwegs die Erlebnisse konservieren, denn man wird älter und das Erinnerungsvermögen lässt nach.
Mal sehen, wo wir uns zu unserem (x+1)0ten rumtreiben werden...