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Mi 4.5. La Roche - La Rochelle 90 km: Dem Atlantik entgegen

In der Nacht hat es geregnet, mit dem Aufbruch müssen wir keine Eile haben. In einem kellerartigen Raum des Hotels nehme wir unser petit dejeuner ein. Dann gehen wir auf ein paar Schritte in die Stadt. In der Post belaste ich mein Postsparbuch. Wir irren durch ein Warenhaus, Fahrradhemden gibt es hier auch nicht. Weitere Attraktionen kann uns die Stadt nicht bieten, wir bummeln los. Weit kommen wir nicht, da bricht der Regen wieder los. In einem Fahrradgeschäft finden wir Unterschlupf. Wieder kein Trikot für mich, aber Thomas kann einen neuen Flaschenhalter erstehen.

Als der Regen nachlässt, geht es weiter, alsbald haben wir wieder die uns genehme Nebenstrecke unter den Reifen. Und auf einmal ist die Landschaft wieder schön, grün und üppig. Aber der nächste Regen kommt bestimmt, gerade noch finden wir eine Scheune als Unterstand. Eine Dame will wohl gerade zum Einkaufen fahren, nickt uns freundlich zu, wir dürfen also. Als wir uns umsehen, entdecken wir Regale voll Flaschen mit unbekanntem Inhalt. Gerätschaften zur Bienenhaltung liegen herum, auf der angrenzenden Wiese sind auch einige Bienenstände zu erspähen. Vielleicht stellt man hier den Met her? Wir sind natürlich anständige Menschen und probieren weder eine von den Flaschen noch lassen wir eine mitgehen, was gar nicht aufgefallen wäre.


In der Botanik
Dann kommt die Sonne raus, wir können weiterfahren. Die Spannung steigt, man nähert sich dem Atlantik. Der ist aber von einer Anhöhe aus noch nicht in Sichtweite.
Stattdessen verfransen wir uns mal wieder gründlich. "Route des Vins" - steht verheissungsvoll an den Wegschildern, wir aber enden, einen Graureiher aufscheuchend, in einem Sumpfgelände. Da geht es nicht vor - sondern nur zurück.

In Lucon wieder das ersehnte Restaurant. Ein Denkmal von Richelieu beherrscht die Szene auf dem Kirchplatz. Wir kramen in unseren Geschichtsfalten, Thomas tippt auf die französische Revolution. Kardinal war er und trug einen Spitzbart, soviel weiss ich. Auf dem Denkmalsockel ist alles nachzulesen, sogar in deutsch. Anfang des 17. Jahrhunderts war Rechelieu hier in Lucon Bischof.

Die Reststrecke des Tages - mehr ein Alptraum. Der scharfe Westwind weht von der Seite, die Strasse führt schnurgeradeaus wie durch Ostfriesland. So sieht es hier auch aus. Offiziell nennt sich das Gebiet Parc Regional de Sevre.

Die letzten Kilometer nach La Rochelle kann man wieder auf einer Nebenstrasse etwas abwechslungsreicher fahren. Ein paarmal zeigt sich der Atlantik weit hinten in einer enttäuschend braunen Farbe. In der Stadt ist das Hotelangebot reichlich, schliesslich ist hier touristisch ein zentraler Punkt. Mitten im Zentrum wählen wir das Hotel de la Paix.

Alle Geschäfte haben noch geöffnet, da lässt sich schön ein Stadtbummel machen. Ich kann zwar kein Fahrradtrikot, aber ein neues Armband für die Swatch-Uhr kaufen. Thomas kauft sich auch gleich eins in Lila, das gebe es in Deutschland nicht, meint er. Auch eine deutsche Zeitung bekommt man. Der Formel I - Rennfahrer Ayrton Senna ist tödlich verunglückt, sein Konterfei lacht einem lebensfroh von den Titelseiten entgegen.

An historischen Gebäuden steht einiges herum. In einer ehemaligen Fischhalle schauen wir uns um, jetzt ist hier ein Kulturzentrum mit Ausstellungen und Künstlercafe untergebracht. Ein modernes Glasdach überspannt das Ganze.


La Rochelle
Der Weg führt uns zum Hafen, wo der Wind tüchtig um die Ecken bläst. Der Zugang zum Hafen wurde früher von zwei Wachttürmen geschützt, nachts hat man Ketten in der Zufahrt gespannt, um unliebsame Besucher abzuhalten. Die Seeräuberplage muss in diesen Gefilden mal gross gewesen sein. Im Reiseführer ist auch zu lesen, dass der Herr Richelieu - in Lucon hatte man ihm ja ein Denkmal gesetzt - im Jahre 1628 die Stadt 15 Monate lang belagert hat. Dabei sind 5/6 der Bevölkerung verhungert. Welchen Bevölkerungsschichten das überlebende 1/6 angehört hat, und ob diese Stadt dem Herrn Richelieu auch ein ehrendes Gedenken bewahrt, wird leider nicht berichtet.

In Hafennähe befinden sich unzählige Restaurants, die die maritimen Köstlichkeiten der Gegend bereithalten. Durch die Fenster kann man allenthalben die festlich gedeckten Tische sehen. Ab und zu kann man zuschauen, wie Platten mit Austern, Muscheln, Langusten und allerlei anderen Schalentieren für die abendlichen Schlemmerorgien vorbereitet werden. Die Preise sind allerdings auch gesalzen. Wir überlassen die Genüsse der Fressmeile den Bustouristen und suchen eine Pizzeria auf.

Diese enttäuscht uns nicht, hier sitzen viele Einheimische und ausser uns kaum Touristen herum. Da denkt man immer, einen Geheimtip aufgetan zu haben. Ich bestelle wie immer Pizza Fruits de Mer. Thomas versucht sich an Muscheln, lernt dabei ein wenig vom Sand des Atlantik kennen.

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