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Fr 13.5. St. Pons - St. Rome 125 km: Rauf und Runter

Wieder hängen heute die Wolken regenschwer in den Bergen. 700 Meter Aufstieg warten heute vormittag. Die Wolkengrenze ist schon bald über dem Ort auszumachen, aber vielleicht reisst es im Laufe des Tages auf. Nach ein paar Besorgungen hat es auch mit dem Regnen aufgehört. Trotzdem ist das Fahren heute ganz was anderes als gestern. Mechanisch kurbelt man hinauf, die Schönheiten der Landschaft enthüllen sich kaum. Einmal liegt ein toter Rehbock im Strassengraben. Heil und unversehrt sieht er aus, als ob er schläft. Ein anderes Mal überholt mich ein Lastwagen, es dauert eine Zeit, bis ich aus dem schwarzen Mief wieder auftauche. Da sehe ich ein Hinweisschild an der Strasse: Asthmazentrum. Na, das passt ja wie die Faust auf's Auge.

Sonst ist von dem Aufstieg nichts zu berichten, nach 1.5 Stunden und 10 km bin ich oben auf dem Col du Cabaretou, 949 m. Alles liegt in den Wolken und der Nieselregen kühlt einen nach dem schweisstreibenden Anstieg schnell aus. Hinunter nach Salvetat s. Agout, der Ort liegt sehr malerisch auf einer Anhöhe. Ein paar Stauseen in der Nähe sorgen für Tourismus.


Salvetat s. Agout
Ich fahre ein wenig in dem Ort herum, wieder die engen Gassen wie im Mittelalter. Dann geht es weiter hinauf, noch ein Pass, der Col de Piquotalen 1004 m. Aschliessend hinunter nach Lacaune, zahlreiche Apotheken lassen darauf schliessen, dass hier reger Kurbetrieb herrscht. Und wieder hinauf auf den Col de Sie, 999 m.

Endlich ist Schluss mit den Aufstiegen. Der Regen hat aufgehört und in den Wolken befindet man sich auch nicht mehr. Trotzdem gestaltet sich die Abfahrt nicht einfach. Ein heftiger Seitenwind droht einen mitunter geradezu von der Strasse zu fegen. Die Landschaft ist mit einem Male völlig anders. Ist man bislang hauptsächlich in bewaldeten Tälern unterwegs gewesen,
ist hier eine baumfreie Hochfläche, durchzogen von grünen Tälern mit blühendem Ginster und Schafweiden. Weit kann man vorausschauen in die Hochebene, die schliesslich vom Tal des Tarn tief eingeschnitten wird. Aber noch sind wir nicht so weit.

Fast zwanzig Kilometer geht es hinab. In langgezogenen Kehren braucht man kaum in die Bremsen, und kann sich ungetrübt am Verbrauch der Höhenmeter erfreuen. Man erreicht den Ort Belmont, in dem alles aus rotem Sandstein erbaut ist. Das ist das Material der Gegend.

Ich erreiche die Schnellstrasse nach St. Affrique, wohin es noch etwa 15 km sind. Nach eingehendem Kartenstudium aber wird umgeplant: man kann auch an einem kleinen Fluss entlang direkt hinunter zum Tarn fahren. Auf der Weiterfahrt beglückwünsche ich mich selber, mit Rückenwind und bergab, auf 20 km Länge verlernt man fast das Treten. Ausserdem ist natürlich das Tal (Gos) von seinem eigenen landschaftlichen Reiz.

Mit einem Mal glänzt eine grössere Wasserfläche. "Hallo, Tarn" sage ich vor mich hin - man wird ja nach einiger Zeit Alleinfahrt leicht wunderlich. Es folgt eine einspurige Brücke über den Tarn, dann geht es gleich in einen Tunnel von über 400 m Länge. Also Dynamo an und hinein. Der Tunnel verläuft in einer leichten Kurve, da hört das Tageslicht bald auf. Leider läuft der Dynamo wieder nicht richtig, der braucht immer erst seine Zeit. So stehe ich plötzlich im Stockdunklen und kann mich nur schlingernd an den Tunnelwänden entlangtasten. Da braust ein gewaltiger Lärm auf, als ob eine grössere Kolonne von Bau- oder gar Kriegsfahrzeugen sich nähert. Ich presse mich eng an die Wand, das Fahrrad stelle ich neben mich, um genügend Platz zu machen. Dann tauchen zwei kleine Pkws auf, das ist alles. Die Akkustik in diesem Tunnelgewölbe ist schon enorm!

Ich bin froh, als endlich das Tageslicht auftaucht und die Augen wieder etwas erkennen. Nun sollte man sich erstmal umschauen im Tal des Tarn. Die Landschaft ist noch nicht so wild wie weiter oben in den berühmten Schluchten. Dennoch ist das Tal 400 m tief eingeschnitten, die Hänge sind bewaldet. Da kaum Verkehr herrscht, breitet sich eine himmlische Ruhe im Tal aus. Da freut sich der Radfahrer!

Noch ein Tunnel, der ist nicht so lang. Dann folgt eine Schikane. Man muss über eine Brücke das Tal des Tarn verlassen, ein paar Kilometer den Nebenfluss Dourdou hinauffahren, den man nach einem weiteren Tunnel überqueren kann. Dann geht die ganze Chose wieder zurück, und nach 6 km Fahrt darf man die Stelle wieder begrüssen, wo man vorhin schon mal war, nur dass man das Ufer gewechselt hat.

Wie war das, "Der Weg ist das Ziel", das gilt hier in besonderem Masse. Die Weiterfahrt ist ein Genuss bei der Ruhe und den Ausblicken auf den Fluss. Leider ist der ab und an zur Energiegewinnug aufgestaut, da kann er sein Temperament dann nicht entfalten. Die Strasse führt dagegen ganz munter auf und ab, mal den halben Hang hoch, dann sogleich wieder hinunter.

Das letzte Stück vor St. Rome frisst die letzten Kräfte auf. Fast ganz bis auf die Hochebene zieht sich die Strasse hoch, um dann doch wieder hinunter auf den Talboden zu führen. Endlich taucht St. Rome auf. Am Fluss liegt ein Tuffelsen, durchlöchert wie ein Käse. Ein Wasserfall stürzt von hoch oben herab. Im Sommer ist hier sicher ein Badeparadies, wie der oben auf dem Felsen thronende Campingplatz vermuten lässt.

An der Brücke vor dem Ort lagert ein Pärchen Radfahrtouristen, ein seltener Anblick. Ein freundlicher Gruss, dann muss ich so tun, als ob mir der Anstieg nach St. Rome keine Mühe bereitet. Am Platz des Ortes ist das Hotel Commerce, das wär's für heute.

Wenig später finden sich auch die beiden Radtouristen ein. Sie sind aus London und fahren eine Woche lang in einem Gebiet herum, das ich Idiot in zwei Tagen durcheile.

Am Abend gibt es mal wieder Menue d'Jour für umgerechnet DM 16.50: grünen Salat, Wurst- und Schinkenplatte, Steak und Gemüse, Käse (die Platte wird zur weiteren Verfügug auf dem Tisch stehen gelassen) und zum Abschluss Eis. An der Theke in der Bar lässt einer lautstark hören, dass es ihm geschmeckt hat, ich mache das leiser.

Als ich schon auf meinem Zimmer bin, bricht unten in der Bar der Sturm los. Mit einem Lied fängt es an, es folgen weitere, bald begleitet von rhytmischem Stampfen und wohl Löffel-auf- den Tisch schlagen. Das Liedgut ähnelt auffallend dem aller internationalen Fussballfans mit Textfetzen wie "Rucki-zucki" oder "Ole-Ole-Ole..." usw. Pünktlich um 22 Uhr löst sich die Truppe allderdings auf, da ist man mit der Einhaltung der Nachtruhe offenbar sehr diszipliniert.

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