Im Hotel bekommen wir kein Frühstück, wir mögen uns wieder in's "Metro" begeben. Auf dem Weg dorthin ein Blick in den Kircheneingang, der Gottesdienst wird gleich beginnen, die Besucher sitzen dichtgedrängt bis in den Eingangsraum. Im Metro liegen wir mal wieder voll daneben. Wir begeben uns in das oben gelegene Restaurant, eine deutsche Reisegruppe nimmt gerade ihr Frühstück ein. Geschlossene Gesellschaft. "Selber zahlen?" fragt der Ober und bringt uns gnädig zwei Würste auf einem Teller. Als wir noch einen Tee nachbestellen wollen, winkt er mit dem leeren Teebeutelkarton. Die Reisegruppe bricht auf. "Hoffentlich heute nicht wieder Wandern", "Hier habe ich mal Abschied gefeiert" ...Gesprächsfetzen. Dann stehen wir mit unseren Rädern auf dem Josefsplatz, Rainer fotografiert das Rathaus. Mich spricht ein Mädchen auf Deutsch an. Deutsch lerne sie in der Schule. Ein Mann gesellt sich hinzu. "Ihr seid wohl Studenten". "Nicht ganz!" Wir müssen unsere Reiseroute auf der Karte erklären. Offensichtlich haben die beiden Schwierigkeiten, aus der Karte schlau zu werden. Ein Schloß von Bismarck wird uns empfohlen, wo es liegen soll, weiß aber keiner.
Nach einem freundlichen Abschied machen wir uns auf den Weg. Mit "Debnica Kaszubska" erreichen wir "das Tor zur kaschubischen Schweiz". Schon vorher eine reizvolle Landschaft, Kiefernwälder, kleine Seen blinken in der Morgensonne. Daß wir heute durch Kaschubien fahren, ist mir mit meinen begrenzten geographischen Kenntnissen neu, ich hätte Kaschubien hinter dem Ural vermutet. Inzwischen weiß ich, die Kaschuben sind ein westslawischer Volksstamm mit einer eigenen Sprache, die kaschubische Schweiz der reizvollste Teil der pommerschen Seenplatte (Brockhaus). Reisen bildet.
Zunächst geht es schnurgerade leicht bergan auf einer überdimensional breit angelegten Piste. Der Sinn dieser Anlage bleibt uns verborgen, es wirkt wie eine Landebahn für Flugzeuge. Bis auf 100 m geht es hinauf, die Wälder erinnern fast an den Harz. In Czarna Dabrowska finden wir ein kleines Restaurant - essen Kotlett und trinken Kaffee. Zwei Polen am Nebentisch interessieren sich für uns, der eine hat seinen sonntäglichen Frühschoppen offensichtlich gründlich genossen. Wieder müssen wir die Karte zeigen, aber auch diese beiden können damit nicht viel anfangen. Ich nehme zur Vorsicht meine Tasche mit Paß und Wertsachen vom Tisch und klemme sie zwischen Bein und Stuhl. Daraufhin erklärt mir der Frühschoppler durch Gestikulieren, daß er nicht klauen würde, er steckt dazu meine Fahrradhandschuhe in seine Hosentasche und legt sie zurück auf den Tisch. Wir fühlen uns nicht so wohl in dieser Situation. Endlich zockelt unser Kamerad schwankend heim zu seiner "Matka" oder wohin auch immer.
Die Weiterfahrt geht bergauf - bergab, das freut den Sportler. Nach einer Steigung bin ich "alle" - man muß sich vor dem berühmten Hungerast hüten, der einen ganz plötzlich überfallen kann. Ein paar Happen aus der eisernen Ration und einige Dextros helfen dem ab. Ein reizvoll bewachsener Waldtümpel, ich bekomme blühende Wassercalla vor die Linse.
Waldweiher
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Wassercalla |
Marienglück in Karthaus |
Während Rainer die Kirche fotografiert, halte ich vergeblich Ausschau nach einem Cafe. Wir geben die Hoffnung schon auf, aber kurz vor Ortsausgang haben wir Glück. Ein Einkaufsladen ist geöffnet, man räumt uns extra einen Gartentisch mit Sonneschirm frei und bereitet uns einen türkischen Kaffee. Hin und wieder müssen wir den Sonnenschirm festhalten, der im Wind (Ostwind) bedenklich schwankt.
Wir haben in Karthaus über 200 m Höhe erreicht, bis Danzig können wir hin und wieder davon zehren. Der Verkehr nimmt zu. Aber wir fühlen uns beflügelt, das Endziel der Tour ist nahe. Irgendwo vor Danzig heißt es: "1000 km voll". Da sind wir bei dieser Reise gegen den Wind doch stolz. Auf der Brücke über die Autobahn Danzig - Warschau lesen wir: 340 km bis Lodz. "Theo, wir fahr'n nach Lodz". Zum Glück heißt keiner von uns "Theo". Zwischen zwei Hügeln blinkt links voraus die Ostsee, blau wie immer.
Die Anfahrt auf eine Großstadt ist meistens nicht so schön, viel Verkehr, häßliche Vororte, wir hangeln uns von Ampel zu Ampel. Dann sind wir mitten drin, wir hieven die bepackten Räder durch eine Unterführung und schreiten durch das "Vortor der Langgasse". Schon umgeben uns die hochaufragenden Giebel links und rechts der Langgasse. Fototermin.
Ankunft in Danzig |
Ich packe gerade den Fotoapparat ein, da spricht mich ein netter Herr auf deutsch an, woher wir denn kämen. Aus Braunschweig? Das sei ja seine zweite Heimatstadt, sein Bruder lebe dort, er sei oft dort zu Besuch. Wir bestätigen uns gegenseitig eine genaue Braunschweiger Ortskenntnis. Aber gleich kommt es noch doller. Erstmal wollen wir aber ein Hotel suchen, selbstredend übernimmt das "Herr Falk", wie wir erfahren. Das erste Hotel ist besetzt - zum Glück. Denn dann klappt es im Hotel "Jantar" direkt an der Langgasse. Auf dem Weg dorthin klönen wir weiter. Herr Falk macht Stadtführungen, er ist pensioniert, war früher Schiffsmakler. Geld tauschen sollten wir nicht auf der Straße, das sind Ganoven und Taschenspieler. Auch vor Zigeunern, die einem aus er Hand lesen wollen, solle man sich in Acht nehmen. Kürzlich habe er eine Gruppe aus Braunschweig geführt, ein Name mit K beginnend, fällt ihm nicht ein. "Kneifel" sage ich. "Kneifel!!!" ruft er, und haut mir fast auf die Schulter. Da solle ich mal grüßen. (Kneifels wohnen bei uns im Dorf und reisen - wie ich weiß - häufig nach Polen). Das erlebt man nun in Danzig - die Welt ist klein, sagt man da für gewöhnlich.
Tor zur Langgasse
Hotel Jantar |
Heute gehen wir nicht gleich zum Essen. Ich habe da so meine Vorstellung, was ich zuerst sehen muß. Bei meinen Schwiegereltern hing ein Bild an der Wand - jetzt möchte ich das mit eigenen Augen sehen. Keine 100 Meter, wir betreten eine Brücke. Und da steht es, umrahmt von malerischen Giebeln: das Krantor. Rainer ist weniger beeindruckt, er hat den symbolischen Charakter dieses Wahrzeichens von Danzig als Kasselaner nicht so drauf wie ich als armer pommerscher Flüchtling. In meiner Schulzeit in Espelkamp bin ich täglich über die "Danziger Straße" gefahren, das prägt sich ein.
Das Krantor
Hafenmole |
Frauengasse (Mariacka) |
Trotzdem meldet sich der Hunger, die Abendmahlzeit ist weniger bemerkenswert, das Bier dafür teurer als das Essen, weil "Jever" zu westlichen Preisen angeboten wird. Das Abschlußbier trinken wir - wo wohl - in einer Bierstube in der Mariacka. Das hört sich besser an, als es ist, wir sitzen an der Theke eines touristisch geprägten Lokals, wieder "Jever". Aber was für ein Tag, die letzte Etappe, Danzig in der Sommerblüte und ein Herr Falk als der i-Punkt auf dem ganzen.