Ein Tag in Danzig. Die Räder sind wohlverwahrt in der Portiersloge des Hotels, mit 50.000 Sloty (DM 6.25) haben wir den Portier bestochen. Wir müssen zuerst die Rückfahrt per Bahn regeln, also ab zum Hauptbahnhof. Bevor wir geschäftlich tätig werden, muß ich die Bahnhofsörtlichkeit aufsuchen, 1000 Sloty (Pf. 12,5) muß ich für die notwendige Papierbeilage entlöhnen. Danach in die Auskunft. Ich lege den vorher zu Hause erstellten Fahrplan vor. Nach emsigem Blättern: stimmt. Aber ich möchte die Kosten erfahren. Das gehe hier nicht "Büro international". Das finden wir dann auch. Zuerst wollen wir die Bahnverbindung noch verbessern. Wir können entweder gegen 6 Uhr morgens in Danzig wegfahren, um gegen 23 Uhr in Braunschweig zu sein, oder gegen 12 Uhr mittags, dann allerdings ist die Ankunft morgens um 4 Uhr. Mit der Frage nach einer weiteren und günstigeren Verbindung bringen wir das ganze Büro in Aufruhr. Rainer hat einen Zug nach Kattowitz im Auge, wo könnte man dann Richtung Posen - Fankfurt/Oder umsteigen. "Warum wollen Sie über Kattowitz (Südschlesien) fahren?" Da geben wir es auf. Kurze Beratung. Morgens um 6 Uhr kommen wir noch nicht an die Räder ran. Fahren wir erst mittags, haben wir in Ruhe noch einen halben Tag Danzig. Das gibt den Ausschlag. Inzwischen ist eine Dame aus Deutschland vor uns dran. Sie muß ihre langersehnte Polenreise vorzeitig abbrechen, weil ihr Mann einen Herzanfall erlitten hat. Der liege nun in einem Danziger Krankenhaus. Sie erledigt alles tapfer, blättert wechselweise deutsches und polnisches Geld auf den Tisch, zieht schließlich mit den Fahrkarten "Gdingen - Stettin - Berlin" von dannen. Wir sind immer noch durcheinander. Da gibt es auch eine Busverbindung von Danzig direkt nach Deutschland, sogar über Braunschweig, aber ob man da Fahrräder befördern kann, weiß auch keiner.
Nun Nägel mit Köpfen, Fahrkarten, Platzkarten im Warschau - Holland Expreß, ein Stapel Slotys, ein Hundertmarkschein, aber den vorher wechseln, endlich zwei Mappen mit Billets, uns brummt der Kopf. Zwei Ecken weiter gönnen wir uns zwei Sinalcos mit Strohhalm. Noch einmal wird Geld in der Post gewechselt, um am nächsten Morgen die Hotelrechnung zu bezahlen. Ich gebe ein Telegramm auf, eine nette ältere Dame geht gerade derselben Beschäftigung nach und läßt mich abschreiben. Um Geld zu sparen, nur ein Wort: ANKUNFTMI4.00MARTIN. Der Punkt geht auf dem Weg verloren. Das Telegramm geht 12.25 raus und ist um 15 Uhr in Braunschweig. Wie mir meine Lieben später erzählen, hat das Telegramm einige Verwirrung ausgelöst. Letztlich wurde es aber doch richtig interpretiert, wie sich zeigen wird.
Sommer und Sonne in Danzig. Vor dem Krantor erstehe ich bei einer rundlichen Bernsteinhändlerin gleich vier bescheidene Bernsteinketten als Mitbringsel. Rainer ist wählerischer, muß aber auch nur eine Person beliefern. Er kauft in der Mariacka - selbstredend. Auch mir gefällt ein Anhänger besonders gut, aber die Finanzlage ist angespannt, lieber komme ich ein andermal wieder nach Danzig.
Wir unternehmen zur weiteren Erbauung eine Bootsfahrt zur Westernplatte. Eine alles fotografierende Oma ist allgegenwärtig, "De war sonett, den muß i fotografiere" oder "dui Marianne, de isch gor nich nett, de konn i gar nich fotografiere". Währenddem gleiten die Danziger Hafenanlagen vorbei, ständig kommentiert über Bordlautsprecher auf Polnisch, das hilft uns nicht weiter. Ein paar riesige Öltanker, Badewannen groß wie ein Wohnblock, werden mit quadratmetergroßen Stahlflicken ausgebessert. Bizarre Hafenkräne, Aufschrift VEB ..., also deutsche Wertarbeit. Das Boot macht eine Runde an dem Denkmal der Westernplatte vorbei, Mahnmal für die ersten Toten des zweiten Weltkriegs, alle fotografieren. Die schwäbische Reisegruppe geht von Bord, der Bus wartet schon. Gdingen - Kaschubei - die Schwaben erobern den Osten.
Mahnmal auf der Westernplatte |
Wir fahren mit dem Boot zurück unter dem Krantor vorbei, Hebekraft 5 Tonnen, angetrieben durch zwei Treträder, in denen wenig beneidenswerte Zeitgenossen vor Jubeljahren ihre Arbeit verrichten mußten. Das ist dem Kunstgemälde meiner Schwiegereltern im Frühstücksbalkon zu Braunlage nicht abzulesen gewesen. Aber Herr Falk erzählt uns das. Den treffen wir nämlich im Anschluß an unsere kleine Seefahrt zur Westernplatte wieder. Vorher waren wir noch in der St. Marienkirche. Himmelaufstrebende Gewölbe, gewaltige Architektur, 150 Jahre Bauzeit (1343 - 1502 Gdansk, Faltblatt). Heute inwendig weiß getüncht, aber man will das Mauerwerk wieder sichtbar machen. In einer Ecke zeugen Fresken davon, daß unter dem Putz womöglich noch Kunstwerke schlummern (Ob das sein kann, ist allerdings fraglich, denn die Marienkirche wurde wie die gesamte Danziger Altstadt nach dem Kriege wieder aufgebaut).
Langgasse |
Herr Falk nennt sich "polnischer Staatsbürger deutscher Nation". Das ist eine Formel. - Wir als Computermenschen sind keine Historiker. Herr Falk dagegen kennt sein Danzig, auch die Geschichte mit der Westernplatte. Schlachtschiff Holstein, die ersten Schüsse und damit der zweite Weltkrieg. Hier wurde alles vorbereitet, unter den Folgen leiden Generationen. Gegen Ende des Krieges haben die Russen Danzig in Brand gesteckt, man hat es wieder aufgebaut - und tut es noch. Links und rechts des Eingangs zu unserem Hotel ist gerade eine Fassadenmalerei entstanden, das Gerüst wird derzeit abgebaut.
Herr Falk will uns noch mehr zeigen. Zeughaus, die Keller der Häuser. Zwei Stockwerke führen sie in die Tiefe. Im Mittelalter erbaut, durch ein geheimnisvolles "Bindemittel", unter dem Wasserspiegel der Ostsee liegend, vor Wassereinbruch geschützt, miteinander verbunden - welche Geheimnisse! In einem Haus, dessen Keller wir uns ansehen sollen, kommt eine livrierte Kellerassel zum Vorschein und fragt uns nach unseren Wünschen. Wir nehmen schnell Reißaus, verabschieden uns nun auch endgültig von Herrn Falk, die Adressen sind ausgetauscht.
Unser Abendessen nicht weit vom Hotel ist wieder nicht das größte, es ist teuer und schmeckt aufgewärmt (Eisbein und Schweinebraten). Der eine oder andere Wodka wird zur Verdauung und zum Desinfizieren benötigt. Im Hotel erstehen wir noch ein paar Flaschen Bier für die Heimfahrt. Eine Flasche Wodka wird uns auch noch angeboten, die wir aber für heute nicht mehr nötig haben.