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Dienstag, 2.6. Heimfahrt

Wie bei der Quartiersuche ist Rainer in punkto Heimfahrt Optimist. Ich mache mir dagegen Gedanken, was alles nicht klappen könnte. Wie soll das funktionieren, die Räder einfach in den Zug verfrachten, wir haben nicht mal Fahrkarten dafür gelöst. Das Frühstück, letzter Tag in Danzig - schmeckt mir auch nicht gerade - die Wodkas vom Vorabend verrauchen noch. Die Hotelrechnung wird abgewickelt, wir haben noch eine Menge Zeit: Kaffee in der Mariacka, versteht sich.

Dann mit den Rädern Richtung Bahnhof. Wir treffen noch ein deutsches Ehepaar auf dem Weg nach Masuren, sie wohnen seit zwei Tagen im gleichen Hotel. Noch ein lohnender Tip von den beiden, sie sind für DM 450. pro Person von Hamburg nach Danzig geflogen, Rückflug eingeschlossen. Nur alle vier Ventile aus ihren Farrädern sind ihnen geklaut worden. Auf uns aber wartet das Abenteuer Bahnfahrt.

Sicherheitshalber sind wir rechtzeitig auf dem Bahnsteig, der Zug nach Posen fährt 12.18. In Posen werden wir in den Warschau - Holland Expreß umsteigen, der uns direkt nach Braunschweig bringt. Wir wollen vor der Abfahrt noch Fahrradkarten besorgen. Rainer begibt sich in die Schalterhalle, ich bleibe bei den Rädern auf dem Bahnsteig. Bald kommt er wieder, er hat die Fahrkarten Danzig - Posen nicht dabei gehabt. Wie wir unsere merkwürdigen Billets durchsehen, stellen wir fest, daß wir die Platzkarte von Posen aus für die Fahrkarten gehalten haben. In dem Büro International hat man uns nur die Fahrkarten von Posen nach Braunschweig verkauft.

Jetzt drängt aber die Zeit. Rainer zischt nocheinmal los. Ich überschlage so, daß unsere Slotys wohl kaum reichen werden für die Fahrkarten. 5 Minuten vor Zugabfahrt kommt Rainer endlich zurück, strahlt aber, es ist alles gut gelaufen. Indem läuft ein Zug ein, aber auf der falschen Seite des Bahnsteigs, denn angekündigt ist der Zug auf der anderen Seite. Auf einmal springt die Anzeige um und wir erkennen, das ist unser Zug. Wir hoppeln am Zug entlang, natürlich in die entgegengesetzte Richtung des Gepäckwagens. Dann wieder zurück - ach was - wir schmeißen die Räder einfach in den Eingang eines normalen Abteilwagens, schließen sie gut ab und verstauen dann unser Gepäck in dem benachbarten Speisewagenabteil. Als der Zug pünktlich abfährt, verschnaufen wir und lachen uns kaputt, daß wir mit einer Platzkarte nach Posen fahren wollten. Das hätte Ärger gegeben, schlimmstenfalls einen Tag Verlust.

Während der Bahnfahrt stellen wir fest: die Landschaft läuft wie ein Film vorbei, man hat nicht das Erlebnis wie beim Radfahren. Dafür ist man schneller. In Posen haben wir drei Stunden Aufenthalt, Zeit genug, sich in der Stadt umzusehen. Ohne jede Ortskenntnis finden wir wohl auch den Marktplatz, ein paar Fotos, in einem Restaurant können wir etwas essen. Zurück zum Bahnhof, das war Posen. Ich lese hinterher nach, daß Posen an der Warthe liegt, eine sehenswerte Dominsel besitzt, seit dem ersten Weltkrieg bereits polnisch ist. Die Deutschen wurden aus dem berühmten Warthegau ausgesiedelt.

Eindrücke aus Posen
Auf dem Bahnsteig herrscht wieder Aufregung. Ein angekündigter Zug nach Zakopane läßt auf sich warten. Auf demselben Gleis soll unser Zug fahren. Ständig Lautsprecherdurchsagen, die wir nicht verstehen. Womöglich hat man umdisponiert und unser Zug läuft auf einem anderen Bahnsteig ab? Und wir bekommen gar nichts davon mit? Wir fragen einige wartende Fahrgäste, die wollen alle nach Zakopane. Ein Zug fährt ein, wir erkennen: Warschau - Holland Expreß. Große Erleichterung, die Räder in derselben Manier im Gang verstaut, diesmal haben wir aber keine Fahrradkarten. Mir ist es bei den vergangenen Reisen nie gelungen, in westeuropäischen Ländern das Fahrrad im Mitnahmeverfahren über die Grenzen zu bringen. Und das soll nun mit dem gewagten Transfer Polen - Deutschland klappen? Bei der Fahrkartenkontrolle werden wir gefragt: unsere Fahrräder? Ja. Billet? Wir gucken verständnislos. Der Schaffner gibt sich zufrieden, nickt mit dem Kopf und zieht ab. Wie gut, daß es nicht nur Beamte der deutschen Gründlichkeit gibt.

Gesellschaft haben wir auch bekommen, ein Pole mit zwei riesigen Reisetaschen, der ist sehr schweigsam. Der andere ist das Gegenteil, eine Frohnatur, den wir erst mit gemischten Gefühlen taxieren. Kaum im Abteil, kramt er Bierdosen raus, wir müssen mittrinken, sonst wird er böse. Das wollen wir nicht riskieren. Nach einer Weile haben wir unseren Argwohn überwunden und verstehen uns ganz gut. Er ist seit drei Monaten in Deutschland, mit seinen in dieser Zeit erworbenen Sprachkenntnissen kann er uns ganz gut über seine Lebensverhältnisse in's Bild setzen. Er arbeitet auf einem Campingplatz in Westerland auf Sylt, wohl als Mädchen für alles, Elektriker sei er. Als wir uns Frankfurt/Oder nähern, verschwindet er, wir mögen auf seine Tasche aufpassen. Die Zollbeamten erscheinen - wir sind als Radfahrer harmlos, der schweigsame Pole gibt sich ähnlich unbedarft. Devisen, Alkohol, Zigaretten - haben wir alles nicht. Über die Fahrräder wird kein Wort verloren. Die Gepäckstücke werden abgetastet, das war's dann auch.

In Frankfurt stehen wir lange auf dem Bahnhof, das Personal wechselt, Berliner Dialekt. Für mich ist erst jetzt die Heimfahrt "gelaufen", wenn uns auch zu keinem Moment dieses beklommene Gefühl befallen hat, das man früher beim Überwinden des "Eisernen Vorhangs" haben mußte. Unsere Frohnatur taucht wieder auf, er habe Freunde getroffen, weg ist er mit seiner Tasche. Was er da wohl drin hat...

Wir fahren auf Berlin zu, im Speisewagen holen wir uns noch drei Dosen Bier für die restlichen Slotys, eine DM müssen wir noch dazulegen. In Berlin geht es auf Mitternacht, Rainer schläft schon, schnarcht sogar. Dafür sehe ich nach der langen Rangiererei in Berlin - Hbf. den Alexanderplatz, das rote Rathaus, den Reichstag vorbeigleiten. Dann schlafe ich auch ein.

"Fahrkartenkontrolle, das Personal hat gewechselt!" Nicht gerade aus tiefem, aber willkommenen Schlaf schrecken wir hoch. Alles in Ordnung, bald sind wir wieder in Schlaf versunken. Rainer weckt mich, wir sind schon hinter Helmstedt. Braunschweig - zu Hause! Wir verabschieden uns, in wenigen Stunden werden wir uns bei der Arbeit schon wiedersehen.

Ich fahre mit dem Fahrrad die 10 km nach Hause. Der Morgen graut. Bei den Kennelteichen singt eine Nachtigall. Und er geht mir durch den Kopf, der Schlußsatz meines Reiseberichts, wenn ich ihn denn schreibe: "Die Nachtigall auf Hiddensee, die hat schöner gesungen!"

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